Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

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Ueber dem Mittagsessen bey Q., dem nur noch seine Frau und der Freund beywohnte, und wo, wie es sich bey Tische gebührt, der Ernst mit Scherz gewürzt war, hörte ich wieder vieles, das mir mehr und mehr Aufklärung über die Gegenwart und Besorgniß für die Zukunft gab. Je vertrauter sie wurden, mit desto weniger Schonung sprachen sie von den Absichten der französischen Reichsverwalter.

Ich nannte das Mangel an Achtung gegen die große Macht.

106 Nicht doch! sagte Q., wir haben Respekt für sie, wie die Tauben für den Sperber; könnten wir nur mehr Zutrauen haben! Von Paris aus erhalten wir zwar, so oft wir wollen, großmüthige Versicherungen von Wohlwollen gegen den größten Theil der Schweiz, und unterdessen wird Bern als der bedeutendste Landestheil immer in dringendere Händel verwickelt, und immer rücken die Truppen näher an unsre Grenzen. Es geschehe nur, um den Oligarchen Furcht einzujagen, sagt dann der Geschäftsträger – aber er selbst benimmt sich, auch in unserm Lande, so toll, daß wir oft nicht wissen, was wir denken sollen. Gestern wurde von ihm her, wie wir sichere Nachricht haben, unter die in Liestal versammelten Landleute ausgestreut, die Stadtleute führen sie nur am Narrenseile herum; es gehe nicht mit der guten Sache, bis man durch Abbrennung einiger landvögtlicher Schlösser den Ernst zeige; und uns ließ er sagen, die Bauern seyen nicht mehr zurückzuhalten, wenn man ihnen nicht binnen zwey Tagen einladend die Thore öffne, und tausend Mann als Besatzung in die Stadt aufnehme. Und doch kennt er alle unsre Bemühungen, wovon wir ihm täglich Bericht geben, und weiß, wie schon alles eingeleitet ist, um die ganze Sache friedlich zu Stande zu bringen. Oft thut er, als wenn seine Ehrenperson selbst bey uns nicht sicher wäre, und spricht von Nachstellungen, ob er gleich versichert ist, daß ihm kein Mensch nichts thun darf. Klagen wir über ihn nach 107 Paris, so erhalten wir keine Antwort. Allein schon die Wahl eines solchen Mannes ohne Kenntniß und ohne Lust sich solche zu erwerben, zu einem Werke, wovon das Heil eines ganzen Volkes abhängt, zeigt, wofür man uns ansieht: für einen unbedeutenden Gegenstand, womit die Directorialallmacht sich einen Augenblick abzugeben geruht.

Für eine Herde Schafe, sagte der seufzende Freund, gegen welche die Wölfe ihr Naturrecht gelten machen wollen.

Sollten wohl meine Briefsender dieses alles auch wissen? fragte ich.

Sie könnten es wissen, wenn sie wollten, war die Antwort, denn ihre Ausgewanderten, die sich hier in der Nähe aufhalten, wissen alles, und vielleicht noch mehr als wir; aber sie sind hitziger als wir; sie sprechen von Unrecht, so ihnen widerfahren, dieß erhält sie in Leidenschaft, und sie streben nach Neuerungen nicht nur aus Liebe zur Freyheit, sondern auch als Beleidigte; sie scheuen daher keine Mittel, und treten in alle Maßregeln Mengauds willig ein. Es ist ein Glück für Euer Land, daß es nicht an den Grenzen liegt; sonst wäre schon alles drunter und drüber. Jetzt fahren die Franzosen noch säuberlich mit euch, bis sie mit den Nachbarn fertig sind, aber dann werden die Tage der Drangsal auch über euch kommen. – Das Beßte, was ein Mann, wie Ihr seyd, thun kann, fuhr er fort, ist die hitzigen Köpfe auf der Landschaft 108 abzukühlen, und zu machen, daß der Schlag, der doch unausweichlich geschehen muß, von der Hauptstadt aus geleitet werde, so wie bey uns.

Gott bewahre! rief ich unwillig; ich bin zu weit von der Hauptstadt entfernt, als daß meine Stimme dahin reichen sollte; auf sie kann ich nicht wirken, und auf die andern mag ich nicht. Zurück in meine Wälder will ich kehren, und mich weiter um nichts bekümmern!

Der Freund, welcher sonst auch auf dem Lande lebte, seufzte wieder, und Q. lachte: Eure Wirthschaft mag Euch noch so lieb seyn, ihr Leute, so werdet Ihr nicht mehr lange dabey bleiben; sperrt Euch wie Ihr wollt, Eure Stunde hat zu etwas besserm geschlagen!

Wiewohl ich nicht viel besseres wünschte, so schmeichelte mir doch das verbindliche Wort; noch mehr aber stimmte die harmlose Munterkeit des Q. ganz mit meinen Grundsätzen überein. So muß es seyn, dachte ich; ein rechter Mann soll zwar, wo es Noth ist, den Geschäften alle Ernsthaftigkeit widmen, aber sich doch den Kopf nie so ganz davon einnehmen lassen, daß er nicht zu jeder Zeit noch Sinn für fröhlichen Lebensgenuß habe! Der König von Preußen ist darum mein Held, von dem man erzählt, er habe mitten in seinem vom Feinde eingeschlossenen Lager noch Verse gemacht. – Indessen that ich, als wenn mich ihre Fröhlichkeit bey so viel Sorgen befremdete.

Wer soll fröhlich seyn, versetzte Q., wenn der 109 nicht, der seine Pflicht thut; je schwerer sie ist, desto mehr darf er sich bey ihrer Erfüllung freuen. Wir scherzen, weil wir ein gutes Gewissen haben, und ein gutes Gewissen haben wir, weil wir nichts anders wollen, als die Vaterstadt vom Verderben retten.

Nichts Anderes?

Das Andre hängt diesem an, antwortete er nachlässig.

Der Freund nahm das Wort: Die Stadt zu retten, ist, wenn wir aufrichtig seyn wollen, unser Zweck, und die Staatsreform das Mittel dazu, aber um der übrigen Schweiz willen müssen wir das Mittel für den Zweck ausgeben, damit auch sie könne gerettet werden. Frankreich befiehlt eine Veränderung oder droht Krieg; wir liegen an den Grenzen; das Volk ist empört, was kann die arme Stadt machen? Für sie ist kein Rettungsmittel, als der fremden Uebermacht nachzugeben, und der einheimischen Gewaltthätigkeit durch rasches Mitwirken zuvorzukommen. Und da wir sicher wissen, daß die ganze Eidsgenossenschaft in die neue Form gegossen werden muß, so haben wir dabey noch den Trost, daß je geschwinder wir machen, und je friedlicher die neue Einrichtung bey uns zu Stande kömmt, desto eher die andern Stände durch unser wohlgelungenes Beyspiel zur Nachahmung bewogen werden könnten. Käme es aber zu einem Kriege, so versichert uns Frankreich zum voraus Neutralität für unser Gebieth; und sollte der andere Theil siegen, so 110 müßte er uns durch die Nothwendigkeit für entschuldigt halten.

Ihr wißt nun, wie wir denken, sagten sie; wir haben vielleicht mehr geredet, als wir sollten, allein ein theilnehmendes Herz ohne persönliche Absichten zieht die Offenherzigkeit an sich, desto stärker, je seltener es dem Bedrängten begegnet. – Nun könnt Ihr den Einverstandenen in Meilen nicht sagen, daß Ihr uneingeweiht von uns weggegangen seyd.

Und diese, war meine Antwort, werden auch nicht sagen, daß ich Euer Zutrauen nicht zu schätzen wisse, denn sie sollen wenig davon erfahren. Ich sehe nun den Unterschied; jene suchen Freyheit und Rache; Ihr Rettung aus der Noth; es kann keine lange Gemeinschaft zwischen euch statt haben. Wo ist der reine Gemeingeist der Basler? werden jene sagen: sie sorgen für ihr Land, weil ihre Vaterstadt darin liegt, und für ihre Vaterstadt, weil sie Häuser, Weiber und Kinder darin haben, und für diese, weil sie ihnen angehören; also sorgen sie eigentlich nur für sich selber.

Macht es nicht jeder so, der die Wahrheit gestehen will? erwiederte der Freund sehr ernsthaft; worauf sollte auch sonst die Vaterlandsliebe beruhen, als auf dem Eigenthum? Es kömmt nur darauf an, was man darunter versteht. Die großen Worte, womit man sich heut zu Tage täuscht, sind noch keine Thaten; der Baum des Gemeinsinns trägt häufig Sodomsäpfel, und diejenigen, welche ihre 111 Unternehmungen so gern einen Beytrag zur Veredlung des Menschengeschlechts nennen, sind gewöhnlich fade Schwärmer, die nichts leisten. Es ist auch doch wohl Patriotismus, wenn wir Stadt und Land vom Krieg und Untergange retten, und dem ganzen Vaterlande mit dem nöthigen Beyspiele vorangehen. Geschähe es nun zunächst um unsrer selbst willen, oder aus gemeinnützigen Absichten, was liegt daran, wenn nur die edle Handlung gelingt! Den Menschen, der Gutes bewirkt, soll man nicht richten wollen.

Q. sagte: Du hast Recht, Bruder, und unser Freund hier versteht dich, warum willst du dich rechtfertigen! Vor dem Lichte der guten That verschwinden die Schatten der Bewegungsgründe; man soll den Tugenden überhaupt nicht zu genau den Puls greifen, die beßten quillen aus dem Drange eines edlen Muthes. Wer ihre Grundsätze wohlbedächtlich in ein Lehrgebäude ordnet, und als abgezogene Geister in die Fächer seiner Vernunft aufbewahrt, um für jeden Fall ein Heilmittel bei der Hand zu haben, der hat wohl eine schöne Apotheke, wird aber weder sich noch die Welt kuriren.



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