Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

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Es war bereits eine beträchtliche Anzahl Bürger vorhanden, die auf den Anfang der Sitzung warteten, und unterdessen in der geräumigen Zunftstube herumgingen oder standen, und ein so schallendes Geschrey unter einander hatten, daß ich noch keine Gesellschaft zur Beförderung bürgerlicher Eintracht daraus machen konnte.

Mein Reisegefährte war auch schon hier. Er machte mir Vorwürfe, daß ich mich nichts um ihn bekümmre, und ihn so allein gehen lasse; er wisse aber dennoch, was ich getrieben, der gute Freund da habe ihm alles sagen können, indem er auf den französischen Schneider wies. Dieser schien auch nicht mit mir zufrieden, indem er zwar seine Freude äußerte, 116 mich zu sehen, aber mit schlauem Lächeln hinzusetzte, er habe heute Morgen nicht gewußt, was das für ein bedeutender Herr sey, den er bey Q. angetroffen. – Ich anfänglich auch nicht, versetzte ich. – Mein gutmüthiger Gefährte, dessen Herz zu voll Freudigkeit und Mittheilungsbegierde war, um noch für Unwillen Platz zu haben, wollte mir nun alles auskramen, was er neues gehört hatte; aber es wurde zum Glück allgemeines Stillschweigen gebothen, weil Briefe zu verlesen wären.

Das wissen wir schon, sagte mein Begleiter vertraulich zum Schneider.

Und noch ganz andre Dinge, nickte dieser mit Selbstvergnügen zurück.

Ich sonderte mich von ihnen ab, um wo möglich den Text ohne ihre Noten zu hören.

Es wurden nun einige Schreiben aus Paris verlesen, die sich vom sechsten Jahre der Wiedergeburt der Völker datirten. Sie waren theils an den Magistrat, theils an die Gesellschaft gerichtet; aber wenn nicht darin von Freyheit die Rede gewesen wäre, so hätte ich geglaubt, sie seyen unten am Throne eines Despoten von seinem Günstlinge geschrieben worden, so groß war die selbstgefällige Zuversicht, womit hier Verhaltungsbefehle ausgetheilt waren. Und von der bevorstehenden Revoluzion der ganzen Schweiz wurde schon als von einer Sache gesprochen, wogegen alle Bemühungen lächerlich wären, »indem heut zu Tage,« 117 so hieß es wörtlich, »das neuaufgegangene Licht des gesunden Menschenverstandes, die Wiedergeburt der ursprünglichen Begriffe, und die Grundsätze der ewigen Gerechtigkeit eine neue Schöpfung hervorrufen.«

Ich hatte nicht Zeit, über dieses neue Licht, das ich noch nirgends leuchten sah, und über die wiedergebornen Begriffe, die noch in der Wiege lagen, nachzudenken, denn ohne jemand dazu Zeit zu lassen, wurden Zuschriften von dem Geschäftsträger, Nachrichten aus dem Wadtlande enthaltend, verlesen, welchen noch händelsüchtige Drohungen der Vollziehungsmacht gegen den Stand Bern, und feyerliche Zusicherungen des Schutzes und Wohlgefallens für den nachgiebigen Kanton Basel beygefügt waren; welche letztere alle anwesenden Herzen erquickten.

Hierauf hielt Q. eine Rede, worin er sich Mühe gab, die repräsentative Verfassung zu erklären; ich konnte aber nicht recht zum Verstande derselben kommen, auch die meisten Zuhörer nicht, wie mir däuchte, welches aber ihren Beyfall nicht hinderte. Dann zeigte er ihre Vortheile im Gegensatz mit den herrschenden Mißbräuchen in der ganzen Schweiz, gestand aber selbst, daß gerade da, wo die meisten derselben herrschten, das gute Werk am meisten Schwierigkeiten finden werde; und endlich erwies er die Nothwendigkeit ihrer Annahme für Basel. – Er erzählte, und berief sich dabey auf den Freund als einen Landbürger, wie sich in mehrern Dorfschaften Ausschüsse des Volkes 118 versammeln, und sich voll Mißtrauen gegen die Stadt über das Wohl des Vaterlandes berathen, so daß es die höchste Zeit sey, um einem voreiligen Entschlusse der Landleute zuvorzukommen, sie durch eine unzweifelhafte Probe der Aufrichtigkeit zur Gemeinschaft einzuladen; welches bey gegenwärtiger Lage der Dinge noch einzig dadurch erzweckt werden könne, wenn man sie zutrauensvoll auffordere, eine Besatzung zur Unterstützung der guten Sache in die Stadt zu schicken.

Aus der Haltung der Anwesenden zu schließen, hätte es keine weitere Ueberredung gebraucht, um den Vorschlag zur einmüthigen Annahme zu bringen; gleichwohl traten noch einige Sprecher auf, die auch das Wort begehren zu müssen glaubten, weil das jetzt ein durch die Mode geweihter Ausdruck war; die aber füglich hätten schweigen können, denn sie wiederholten nur, was Q. gesagt hatte, und umrissen, wie alle Nachahmer, mit grellen Zügen, was der kluge Mann mit Fleiß nur leise hingeworfen hatte; sie priesen die mütterlichen Absichten der großen Republik auf eine übertriebene Weise, oder machten eine entsetzliche Beschreibung von der Erbitterung des Landvolkes gegen die Stadt.

Aber der treffliche Freund nahm im Nahmen der Bauern das Wort, und beruhigte mit vernünftiger Kälte die Gemüther. Er läugnete nicht, daß unter dem großen Haufen auf dem Lande manches böse Wort gegen die Stadt fließe, versicherte aber, daß unter den 119 Anführern ehrliebende und rechtschaffene Männer seyen, die sich allen ruhestörenden Unternehmungen gegen die Stadt widersetzen, und nichts anders ernstlich wollen, als aufrichtige Vereinigung. Damit aber die Gesellschaft genau wisse, was die Landschaft eigentlich begehre, so legte er derselben eine Erklärung vor, welche den Vorstehern der Stadt übergeben werden solle, worin das Begehren der Landbürger in vier Punkten ausgedrückt sey, die aber wohl in einen einzigen zurückgebracht werden können: Gleiche Rechte und gleiche Freyheit.

Weiter nichts? rief eine unzeitige Stimme, über welche einige lachten, andre murrten.

Der Freund ließ sich nicht irre machen, und fuhr in seinem ruhigen Tone fort, die Anwesenden zu ermahnen, bey ihren andersdenkenden Verwandten und Bekannten alles mögliche anzuwenden, um ihnen die Nothwendigkeit einleuchtend zu machen, und sie zu bewegen, den Landleuten freywillig Thore und Arme zu öffnen; er wolle dann mit seinem Leben dafür haften, daß nichts Böses von daher der Stadt widerfahren solle.

Es wurde nun mit mehr Anstand, als ich aus dem anfänglichen Lärm erwartet hatte, beschlossen, im Nahmen einer Anzahl für das gemeine Beßte besorgter Bürger eine Einladung an die Landgemeinden drucken zu lassen, daß sie »zum Trost der Stadt« (wie die Worte lauteten) sechshundert Bewaffnete in dieselbe 120 einrücken lassen möchten. Diese Zuschrift sollte sogleich aufgesetzt werden, wozu ein Ausschuß von fünf Mitgliedern der Gesellschaft gewählt wurde, die zu diesem Endzwecke in ein anderes Zimmer abtraten.

Ich hatte die meisten derselben heute schon bey Q. gesehen; er, der auch von der Zahl war, winkte mir; ich folgte ihm, ohne daß mich jemand störte.

Sie lasen die Zuschrift, welche schon heute Morgen auf Wahrscheinlichkeit der Annahme hin entworfen worden, einem aus der Gesellschaft vor, der sie noch nicht kannte. Dieser, ein junger Mann geistlichen Standes, so viel man heutigen Tages noch aus dem Aeußerlichen davon erkennen kann, horchte ernsthaft und mit anscheinender Ruhe zu; und als sie fertig waren, sagte er kein Wort, ob sie gleich auf seinen Beyfall zu warten schienen.

Sie bathen ihn halb erschrocken, er möchte ihnen doch seine Gedanken nicht verhehlen. – Macht was Ihr wollt, sagte er endlich mit Beklemmung; folgt Eurer Ueberzeugung, aber laßt mich der meinigen auch folgen, und Euer Beginnen Unrecht nennen; ich kann in Gottes Nahmen nicht anders!

Haben wir doch so was geahndet, als du seit ein paar Tagen nicht mehr zu uns kamst, sagten sie. Wie? du willst nun aus bald vollendeter Bahn wieder rückwärts gehen? Ein Glück ist es, daß du deine Gesinnungen nicht vor der ganzen Gesellschaft offenbar gemacht, wo die begründetsten Widersprüche jetzt nur 121 noch schädliche Verwirrung stiften könnten. Vertraue dich uns, Bruder, als deinen alten Freunden, du kennst unsre Achtung für dich; und zähle auf unsre Rechtschaffenheit, daß wir deine Einwürfe mit der strengsten Gewissenhaftigkeit beherzigen werden!

Eine sanfte Röthe überzog sein blasses Gesicht, er sah erst schüchtern auf den Boden, allein nach und nach wuchs sein Muth im Sprechen; er sagte: Lieber hätte ich mich unbemerkt und schweigend von Euch getrennt, allein Ihr wollt, daß ich rede, daß ich Euch sage, wie ich nur allzuklar einsehe, daß Ihr mit aller Eurer Rechtschaffenheit auf einem Abwege seyd. Das Vaterland wollt Ihr retten, und stürzet es wahrscheinlich in den Abgrund. Wohl kenne ich, wie Ihr alle, seine Gebrechen und Mängel, wir haben ja oft genug davon gesprochen; es bedarf allerdings Hülfe, aber man gibt dem Kranken kein Gift, wenn man ihm helfen will, und wer ist Euch Bürge, daß das Hülfsmittel, welches Ihr in Bereitschaft haltet, besser sey als Gift? Etwa die Erfahrung? Sie hat uns an eben dem Auslande, das uns drängt, seit sieben und mehr Jahren das Gegentheil bewiesen. Etwa die innere Vollkommenheit seiner Bestandtheile? Die Mischung ist allerdings einladend, aber es muß dem Menschen vorher schon geholfen seyn, ehe sie für ihn taugt. Laßt ihn erst aus dem Strome der Vergessenheit trinken, und reißt aus seinem Herzen, wenn Ihr könnt, die alten Wurzeln der Gewohnheit, der 122 Gemächlichkeit, der Selbstsucht, der Leidenschaften überhaupt, dann wird ihm diese Anweisung zur gesellschaftlichen Glückseligkeit recht seyn, wofern er ihrer noch bedarf.

Ob sie nicht für unser Vaterland gerade am wenigsten tauge, wo in der Eile mehr als zwanzig verschiedene Regierungsarten sollen abgeschafft, und in eine Einzige verschmolzen werden; wo keine Staatsabgaben bezahlt worden sind; wo so viel angeborne Anhänglichkeit, ja bey mehrern noch trotzender Stolz auf das alte Herkommen herrscht, wo selbst die Neuerungssüchtigen noch aus unabtreiblichem Gefühl des alten Wohlseyns allenthalben zum ersten ihrer Sätze aufstellen: wir wollen Schweizer bleiben; davon will ich nicht einmahl reden. Aber Ihr seyd Gelehrte, schlagt die Geschichte aus, und zeigt mir, wo solche schnelle fundamentale Umwälzungen je von Dauer gewesen? Siebenfachen Fluch brachten sie über ihre Stifter, und blutiges Unglück über die Völker. Hat auch der Himmel nachher etwas Gutes daraus entstehen lassen, so war dieß mit nichten das Verdienst der Stifter, sondern die Art und Weise der Vorsehung, wozu sie allein das Vorrecht hat: Böses geschehen zu lassen, damit Gutes daraus erfolge.

Alle großen Dinge, fuhr er fort, die je zum Heil der Welt geschahen, hatten, so wie die großen und guten Menschen selbst, einen kleinen Anfang; was hingegen durch den unreinen Geist der Zerstörung 1230 glänzend hervorging, trug den Keim des eigenen Verderbens schon seiner Natur nach in sich.

Sollte ich mich vor Euch, meinen Freunden, scheuen, das Beyspiel dessen anzuführen, der die größte und bleibendeste Revolution in der Welt bewirkt hat? Wie gering fing er an; wie ließ er der Sache Zeit; wie ruhig ging er zu Werke; wie entfernt war er mit Einem Streich alle Mißbräuche vernichten zu wollen; wie hatte er immer die Denkungsart seines Volkes im Auge; wie strebte er das Einzelne aufzurichten, um das Ganze zu Stande zu bringen, da man hingegen jetzt allein aus der gährenden Fäulniß der Individuen ein neues Menschengeschlecht hervorrufen zu können glaubt; mit welcher Selbstverläugnung hielt er seine großen Kräfte vor jäher Einwirkung auf die schnellaufbrausende Menge zurück; und es war Weisheit, die ihn zurückhielt, wahrlich nicht Furcht, er hatte sich ja dem Tode geweiht, um sein Geschlecht zu befreyen! – Warum soll nun heut zu Tage alles mit Einem Mahle über den Haufen gestürmt werden? Wozu eine verderbliche Sündfluth von außen, wo nur ein wohlthätiges Evangelium von innen helfen kann? Jener weise Menschenkenner hat doch dadurch allein das Größte vollbracht, und wird nach Jahrtausenden noch als ein Erlöser gepriesen.

Es ist aber nicht nur thöricht, sprach er weiter, es ist auch ungerecht, das alte Staatsgebäude auf Einmahl umzustürzen. Wir haben Obrigkeiten, die von 124 jeher als rechtmäßig anerkannt worden, denen wir mit Eid und Pflicht zugethan sind; nennt sie nun meinetwegen kleinstädtisch und beschränkt, oder herrschsüchtig und stolz; ich will beydes gelten lassen, sowohl daß sie in der neuen Politik zurück seyen, als daß einige unter ihnen allzuviel Anmaßung zeigen; wiewohl es mir nicht schwer fallen sollte, zu beweisen, daß aristokratische Herrschsucht vor hundert Jahren weit größer gewesen als jetzt. Aber sie sind nun doch einmahl unsre Obrigkeiten, die wir bisher als einen Gegenstand unserer Ehrerbietung und unsers Gehorsams angesehen haben, denen wir im Durchschnitte Gerechtigkeitsliebe, Ehrgefühl und Uneigennützigkeit gewiß nicht absprechen können, und die nun plötzlich in den Koth getreten werden, und die Schuld aller der Mißbräuche tragen sollen, welche schon seit Jahrhunderten da sind, bloß weil eine fremde, ihr eigenes Vaterland zu Grunde richtende Regierung reiche Bauern und halbaufgeklärte Fabrikanten zur Unzufriedenheit aufzureizen gewußt hat.

O Gott! rief er bekümmert, wir werden in saubere Hände fallen! Laßt auch die neue Verfassung, wie Ihr hofft, nicht mit Menschenblute geschrieben werden, laßt unsre alten Herren nicht von ihren kleinen Thronen herabgestürzt, sondern glimpflich entfernt werden, so müssen doch wieder andre oben an; und wer wird das seyn? Wer anders als die, welche die Revoluzion machen, die, welche den Erwartungen des 125 wählenden Volkes am meisten schmeicheln werden; also, das erfahrt Ihr schon jetzt täglich, für Einen ausgebildeten, vollendeten Mann zehen Unwissende, Halbgelehrte, Egoisten und eitle Pfuscher. Diese werden sich in die neuen Gewalten theilen, und schwerlich wird dann, so wenig als in Frankreich, das philosophische Salz, womit die Verfassung gewürzt ist, stark genug seyn, um die Würmer niedriger Leidenschaften davon abzuhalten.

Mit unsrer Unternehmung helfen wir das Vaterland unglücklich machen, das ist der Schluß meiner ernsten Prüfung, die ich seit einiger Zeit mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit vorgenommen habe. Anfänglich glaubte ich mit Euch, dem Vaterlande auf dem eingeschlagenen Wege zu nützen, aber seitdem ich die Karten genauer kenne, oder vielmehr die, welche sie mischen, fürchte ich das Spiel! Aus eigener Kraft vermag die neue Freyheit schwerlich durchzudringen, und geschieht es mit fremder Hülfe, so bleiben wir auf immer Knechte unsrer Befreyer. Ihr stellt Euch das neue Staatsgebäude als die felsenfeste Wohnung der Weisheit und Eintracht vor; ich sehe es als eine Gefangenschaft an, die mit täuschenden Mahlereyen behängt ist. Ihr glaubt Euch zur Rettung berufen; ich ehre Eure Absicht, aber guter Wille ist noch kein Beruf. Kurz, meine Freunde, wir gehen zu sehr aus einander, als daß ich länger unter Euch bleiben könnte; ich ziehe mich zurück, eben so aufrichtig und 126 freundschaftlich als ich zu Euch trat, aber mit schwerem Herzen um Eurer und des Vaterlands willen! Ich werde nichts vor der großen Gesellschaft sagen, weil Ihr es nicht haben wollt, sondern schweigend abtreten.

Er umarmte sie mit Wehmuth, und wollte gehen. Aber sie standen um ihn herum und ergriffen seine Hände: Du willst uns verlassen, Bruder? Uns in den heißesten Momenten verlassen, und weißt doch unsrer Vaterstadt wartet Verderben, wenn wir nicht ausharren!

Leider drohet uns Unglück, wir mögen es machen wie wir wollen, erwiederte er; aber nicht alle Drohungen gehen in Erfüllung, und Gott im Himmel weiß den Gerechten zu schützen.

Gott hilft nur dem, der sich selbst zu helfen sucht, sagte Q. etwas unwillig; soll man sich zu Bette legen, wenn des Nachbars Haus brennt? Zeigt der gute Wille den Beruf nicht, so zeigt ihn doch das Gelingen der That; wir wollen sehen! Von dir aber, mein Lieber, dürfen wir doch wenigstes noch Rath erwarten, wenn du mit der That nichts mehr zu thun haben willst.

Ruhig versetzte der Geistliche: Wäre es noch Zeit, so wünschte ich zwischen der Tagsatzung in Arau und ihren Gegnern eine dritte Partey sich erheben zu sehen, die Stimme freymüthiger Wahrheit, die ohne Zorn und Eifer alles beym rechten Nahmen nennte, und jedem das Seinige gäbe. Sie sollte sich bloß auf 127 geschichtliche Publicität gründen; ein Richterstuhl, den alle scheuen. Sie sollte die alten Mißbräuche aufdecken, aber eben so unpartheyisch die neue Arglist enthüllen. Durch sie sollte aus Beyspielen der Geschichte die Obrigkeit zum Nachgeben belehrt, und das Volk vor Staatsumwälzung als dem größten Uebel gewarnt und zu duldender Treue vermahnt werden. Alle Arbeiten und Nahmen dieser Gesellschaft (Partey soll sie nicht heißen) müßten öffentlich seyn, weil jedes Geheimthun auf Nebenabsichten schließen läßt, diese Verbindung aber keine haben sollte. Nur Thatsachen sollten von ihr aufgestellt, nichts entschieden werden, damit sie auch den Schein nicht von einer Faction hätte; denn vor Vervielfältigung bürgerlicher Factionen wolle uns der Himmel bewahren! Aber wo zwey Enden gegen einander in Wuth aufzustehen drohen, da darf sich wohl die ruhige Weisheit in's Mittel legen. Die Unternehmung könnte aber nicht von einem allein, noch einigen wenigen unternommen werden; denn eine geringe Zahl würde gleich anfangs von den schäumenden Wogen der andern Parteyen verschlungen; sondern aus allen Landen und Herrschaften sollten diejenigen kühn in die Mitte treten, welche Ordnung, Wahrheit und Gerechtigkeit noch über örtliche und häusliche Verhältnisse schätzen.

Wenn von da aus nun öffentlich und vor den Augen der Welt jedem Unrecht sein Spiegel, und jeder selbstsüchtigen Leidenschaft ihre Geisel vorgehalten 128 würde, wenn auch die Kunstgriffe der Nachbarn ungescheut und mit Wahrheit aufgedeckt würden, so sollte doch wohl manches Gute erzweckt und manches Böse verhindert werden; wenigstens müßte Welt und Nachwelt gestehen, das Vaterland habe noch Männer unter sich gehabt, die die Ehre, welche in der Wahrheit ist, liebten, und weder dem Götzen der alten noch der neuen Zeit opferten. Laßt dann in Gottes Nahmen die Unholden kommen, wenn es nicht anders seyn kann; besser ist's, mit der Gerechtigkeit zu Grunde gehen, als mit bösem Gewissen leben!

Sey Du der Mann, der diese Gesellschaft stiftet, riefen sie alle aus Einem Munde; wir wollen Dir gerne helfen, wir sind zu allem bereit, was dem Vaterlande dienen kann! – Und können dieß vielleicht noch besser, fügte Q. hinzu, wenn wir auf unserm Wege fortgehen, als wenn wir es geradezu mit Dir hielten.

Nein, ich bin es nicht, antwortete er; meine Kräfte reichen nicht hin. Und was wäre Euer Beystand, so lange Ihr noch die Umwandlung des gemeinen Wesens befördert? Ein Geheimniß gegen die Aufrichtigkeit der Verbindung, das, wenn es offenbar würde, alle Wirkung mit Einem Mahle vernichtete. Schwerlich wird auch die Sache nach meiner Vorstellung zu Stande kommen; es ist zu spät. Der Zeitgeist verlangt geheime oder glänzende Maßregeln, und verschmäht die Einfalt der Wahrheit. – Was Du im 129 Hochgefühle Deines reinen Herzens wünschest, Lieber, sagte Q. mit sanfter Stimme, dazu ist keine Gegenwart lauter und stark genug; kaum wird es je ein nachkommender Geschichtschreiber vermögen.

Jetzt kam ein Abgeordneter von der Gesellschaft, um der Zuschrift an das Volk nachzufragen; denn über dieser Unterredung war die Zeit vergessen worden. Der Geistliche umarmte noch einmahl alle, auch mich Unbekannten, dem Thränen menschlicher Freude in den Augen standen über die edeln Gemüther, die entzweyt waren, und doch ihre Vaterlandssorgen einander in den Schooß schütteten. Er ging weg, und die andern kehrten schweigend in die große Stube zurück.



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