Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

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Mich störte nun kein nächtlicher Liebhaber mehr im Schlafe; aber die Erfahrungen des Tages drehten sich die ganze Nacht in meiner Einbildung herum, wie die bunten Bilder der Seifenblasen in den Augen eines Kindes. Doch als die Ruhe des Morgens kam, blieb mir nichts mehr wünschenswerthes übrig, als der Seelenfrieden meines Wiedertäufers, den ich jetzt gern auf ewig mir zu eigen gemacht hätte. Allein nähere Ueberlegung belehrte mich bald, daß dieser Friede in der innern Kraft des Mannes selbst liegen müsse, und die Sekten gewöhnlich nur den äußern Schein desselben geben; ich blieb also wie zuvor.

Als ich zum Morgenessen hinunter kam, war Klare schon für die Reise angezogen; zwar sehr bescheiden, aber sie hatte in ihrem Anzuge so viel möglich das Steife und Eigene der Glaubenszunft vermieden. Der Vater bemerkte es auch, sagte aber weiter nichts, als: Klare wird wollen incognito reisen.

Sie verstand ihn; und da auch die Klügste vom weiblichen Geschlechte unerwartete Bemerkungen über ihren Anzug selten mit Gleichmuth anhören kann, so erröthete sie, und gerieth in einige Verwirrung. Endlich gab sie zur Antwort: Ich wollte nur die Auszeichnung vermeiden. Bin ich unter den Meinigen, so 142 wäre ich zu tadeln, wenn ich mich anders als sie kleidete; gehe ich aber unter fremde Leute, so halte ich es für schicklich, mich nach ihrer Weise zu bequemen. Ihr habt mich ja selbst gelehrt, lieber Vater, ein Mädchen, das durch seine Kleidung Aufsehen machen wolle, sey nicht auf dem rechten Wege.

Wenigstens nicht auf dem Wege der Bescheidenheit, sagte die ältere Schwester, die den veränderten Anzug auch nicht gerne zu sehen schien.

Schon gut, Kinder, rief der Vater, Ihr verwirrt Euch sonst in Euern Meinungen! – Du hättest mit deiner gewöhnlichen Kleidung unter Fremden nicht mehr Aufsehen gemacht, als so; doch ich scherzte ja nur, ich weiß ja, liebes Kind, daß du ein bescheidenes Mädchen bist, und deine Gesinnungen nicht mit den Kleidern ändern wirst. Trage dich auswärts wie du willst, nur immer in den Schranken der Ehrbarkeit!

Er reichte ihr die Hand: nicht wahr wir wollen im Frieden scheiden? – Sie küßte sie und weinte.

Und wenn du wieder heim kömmst, so finde ich mein Herzenskind, und du deinen ehrlichen Vater wieder!

Sie fiel ihm um den Hals, und schmiegte sich an seine Brust. – Kein reinerer Anblick ist unter der Sonne, als die Umarmung eines edeln Vaters und einer sittsamen Tochter. 143



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