Ulrich Hegner
Saly's Revolutionstage
Ulrich Hegner

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Das Haus war so voll, daß ich kaum eines Aufwärters habhaft werden konnte, welcher uns zwar ein Nachtessen versprach, aber kein anderes Lager als auf frischem Stroh gewähren wollte. Zum ersten wurden gleich Anstalten gemacht, und zwey lange Tische in's Kreuz nach allen vier Weltgegenden hin gedeckt, die sich bald mit Landleuten aus der ganzen Eidgenossenschaft, so auch mit Weibern und Kindern, Kutschern, Fuhrleuten, Bedienten und andern nicht zu den obern 212 Ständen sich zählenden Menschen anfüllten; denn mehrere hatten wieder von Arau zurückkehren müssen, weil sie daselbst keinen Platz mehr gefunden; es war ein seltsames Gemisch von Landestrachten, Sprecharten, Berufs- und Gemüthseigenheiten. Die auffallende Verschiedenheit der Schweizer, oder vielmehr der Einfluß der Regierung auf die Denkungsart des Volkes – denn im Grunde haben wir doch Einen Nationalcharakter – zeigt sich nirgends auffallender, als wo Landleute verschiedener Bundesorte bey einem Gelage zusammen kommen. Wie keck und offen ist da der suveräne Ländler gegen den verschlagenen Thurgäuer und andre Bewohner gemeiner Herrschaften; wie geduldig horcht der arbeitsame Zürichbiethler; wie breit sitzt der sinnlichglatte Berner da; wie eigen benimmt sich der witzfertige Schalk aus dem Lande Appenzell; wie deutlich zeichnen sich auch die verschiedenen Glaubensbekenntnisse in den Manieren aus, wer erkennt nicht die Klosterleute; wie sittlich und bürgerlichduldsam ist der deutsche Grenzbewohner! Ich glaube, alle Weissagungen Jakobs, von dem Löwen Juda bis zu Isaschars Lastthier, könnte man an uns und unsern Zugewandten noch besser als an den Juden in Erfüllung sehen.

Das Tischgespräch war, so weit ich hören konnte, anfänglich einerley Art. Jeder rühmte seinen Repräsentanten in Arau; diesen wegen seines Reichthums, indem er so viele Arbeiter in den Fabriken nähre, 213 jenen, daß er hundert Kühe auf den Alpen habe; an einem andern wurde seine Wohlredenheit gepriesen, die er bey Landsgemeinen und Eidgenössischen Grüßen hören lasse; unser Landamman, schrie einer, kann reden wie ein Kapuziner! – Aber Pferde im Stalle, sagte ein Fuhrmann, hat keiner wie unser Herr, er ist aber auch der beßte Reiter im Lande! – Mein Gesandter hat es wie die Alten, er findet den Weg zu Fuß, versetzte ein Appenzeller, der sich mit beiden Armen auf den Tisch stützte. – So fand jeder sein Lob, sollte es auch nur darin bestanden haben, ein »toller« HerrToll heißt in der Schweiz: groß und schön (englisch tall) zu seyn. Mich freute diese Anhänglichkeit, die bey den feyerlichen Auftritten gewiß in frohen Jubel ausbrechen und manches sinkende Herz wieder heben wird.

Als das Gespräch mehr auseinander ging, bemerkte ich, daß sich auch hier einige Anhänger des neuen Glaubens, dessen unwürdiger Bothe ich jetzo war, eingeschlichen hatten, die unter allerhand Reden, Zweifeln und Fragen den Samen ihrer falschen Lehre leise auszustreuen suchten; sie fanden aber wenig empfänglichen Boden, weil alles um sie her zu dicht mit Kraut und Rüben des alten Herkommens bewachsen war. Das war mir lieb, denn es thut mir immer wehe, wenn jemand, sollte es auch das Vorurtheil selbst seyn, in unschuldiger Sorglosigkeit gestört wird.

214 Kaum war das Nachtessen vorbey, und weggegangen wem noch ein Bett zu Theil worden, so kamen Mägde mit Besen, die Stube zu reinigen, und Knechte mit Stroh für unser Nachtlager. Das Zimmer wurde durch Tische in zwey Theile getheilt für beyderley Geschlecht; da meinte ich gut für Klare zu sorgen, und auch für mich, wenn wir uns an beyden Seiten des Tisches lagerten, weil wir dann wenigstens nur Einen Nachbar zur Seite, und den Reisebündel zwischen uns in Sicherheit hätten; in der langen Nacht wußte ich sie dann doch in meiner Nähe und konnte auf ihre Bewegungen horchen. Ich sah auch, daß andre, die zusammen gehörten, unser Beyspiel nachahmten, und glaubte schon, zwiefache Ursache zu haben, mich meiner Klugheit zu freuen, weil sich auf meiner andern Seite ein besoffener Kutscher niedergelassen hatte.

Allein als die Knechte des Hauses schon eine geraume Zeit mit den Lichtern weggegangen, und die ungezogenen Späße etlicher lustiger Brüder bereits verschollen waren, so kamen noch mehr Fremde herein, von denen sich einige, da kein Platz mehr am Boden war, auf die Tische hinwarfen. Ueber uns kam, wie ich beym Schimmer des Lichtes und aus der Sprache bemerken konnte, ein dicker Mezger vom Zürcher Seeufer zu liegen. Zum Glücke waren die Stühle einwärts an den Tisch gelehnt, deren Rücken verhinderten, daß er nicht so leicht auf uns herunterfallen konnte; zum Unglück aber drang bald hernach, als die 215 Lichter schon wieder fort waren, auch sein Hund herein, und legte sich auf sein Pfeifen gerade zwischen mich und meine Nachbarin unter den Tisch. Auf meine wiederhohlte Bitten, den Hund hinaus zu thun, erwiederte der Mann auf dem Tisch immer: er macht nichts; und zuletzt gab er mir gar keine Antwort mehr. Ich versuchte einige Mahle, die Bestie wegzustoßen, aber dann murrte er, und Klare erschrak und bath mich, ihn liegen zu lassen.

Man denke sich meine Lage! Auf der einen Seite dieser garstige Nachbar, und wenn ich mich umwandte, der schnarchende Kutscher, der mir in seinem Rausche eben so unerträglich war, und über mir die Fleischmasse des Mezgers, unter welcher der Tisch krachte! Ich mußte mich halb aufgerichtet an die Wand lehnen, um nur etwas reinere Luft einathmen zu können; saß aber nicht lange so, als ich Klare verschiedene Mahle ächzen und endlich gar stille weinen hörte. Da konnte ich mich nicht länger halten, sondern that einen so wilden Schlag mit geballter Faust auf den Hund, daß er aufsprang, und mit gräßlichem Geheul über die Leute weglief. Daraus entstand nun ein rasender Lärm; die Weiber schrieen alle, als wären sie schon gebissen, die Männer riefen aus allen Ecken, man solle den Hund wegschaffen; und mir wäre fast das Lachen angewandelt, hätte nicht der Kutscher, plötzlich erweckt von dem Tumulte und noch betäubt vom Wein, angefangen, wie toll um sich zu schlagen, 216 so daß ich genug zu thun hatte, ihn mit guten Worten und Rippenstößen zu sich selbst zu bringen. Bey dem allem gab der Mezger keinen Laut von sich.

Endlich wurde es allmählich stille; die Ruhe meiner Freundin stellte sich wieder her, und ich legte mich vergnügt auf mein Stroh hin, und lauschte halbträumend auf den sanften Hauch ihres Mundes, mit der Zufriedenheit, wie man von ferne den Klang der Abendglocke vernimmt, wenn man nach einer stürmischen Reise sich seiner glücklichen Heimath nähert.

Als man früh Morgens ein Licht brachte, pfiff der Mezger seinem Hunde, der es aber nicht mehr wagte, in die Stube hereinzukommen; worauf der Meister im Weggehen zu mir sagte, der Hund werde den schon kennen, der ihn geschlagen.



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