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XVIII.

Auf einem Wagen hat Markus Paltram eine Gesellschaft junger Gemsen, die er eingefangen hat und an den Tierpark einer fernen Stadt liefern will, über den Albula gefahren.

Jolande, die Siebzehnjährige, hatte neben ihm gesessen – nicht als Landolo, sondern im Mädchenkleid – in einem etwas zu eng gewordenen Kleid. In Chur ist sie ausgerüstet worden für das große eidgenössische Fest, zu dem sie den Vater begleiten soll. Sie hat einen leichten Hut aus feinem Stroh bekommen.

Und jetzt wandelt sie in neuem Gewand neben dem Vater durch die kleine alte Stadt.

Nichts Duftigeres als Jolande im einfachen hellen Sommerkleid, die dunklen Augen im schmalen Gesicht, dessen Stolz und Kühnheit weiche Züge der Jugend mildern!

Die Leute stehen still, sie flüstern: »Der König der Bernina und seine Tochter – sie ist wie eine Prinzeß.«

Jolande aber erduldet Qualen: zu lange hatte sie Knabenkleider getragen, und die Firnen und Gletscher fehlen ihr, die Hitze im Thal ist drückend, und die Neugier der Leute thut ihr weh.

Das Kind der Berge in einer Stadt – selbst nur in einer kleinen Stadt!

»Ich will heim, Vater – zwinge mich nicht! Auf das große Fest mag ich nicht gehen!«

Mit wahrer Pein sagt es Jolande.

Noch säumt der bestellte Unterhändler. – Da kommt an seiner Stelle ein Brief, Markus Paltram möge die Gemsen an den Bodensee bringen.

»Gut – so gehe heim, Jolande!«

»Darf ich die schönen Kleider tragen?«

»Die anderen sind zu schlecht – trage sie.«

Es fand sich für sie Gelegenheit, ein Stück Weges zu fahren. Und der Wagen rollte in herrlicher Sommerfrühe über Churwalden zum Lenzerheidsee, dann bergab.

Da holte er einen jungen Wanderer ein, der, das Ränzlein auf dem Rücken, voll Fröhlichkeit am Knotenstock fürbaß schritt.

Er war gut gekleidet, die Mütze und das farbige Band über der Brust verrieten den Studenten.

Er rief den alten Fuhrmann an.

»Hättet Ihr etwas Raum für mich bis Tiefenkastel? Ich kann sonst noch genug gehen – mein Ziel ist Puschlav. Es kommt mir auf einen Neunuhrschoppen mit Imbiß nicht an!«

Und halb verlegen, halb keck grüßte er das schlanke Mädchen mit großer Höflichkeit.

Seine blauen treuherzigen Augen und sein frisches, fröhliches Gesicht gefielen ihr. Eben darum wollte sie seine Gesellschaft nicht, und ihre Augen baten den Fuhrmann, daß er den Jüngling abweise.

Aber der alte Fuhrmann hieß ihn aufsteigen, und schweigend ging die Fahrt eine Weile. Wie sie jedoch um eine Felsenecke kamen, stieß der Student einen Jauchzer aus. Denn vor ihnen lagen in Glanz und Gloria die Albulaberge und hoben die weißen Häupter in den blauen Himmel.

»Alt frei Bündnerland – was geht darüber!«

Da zog der alte Fuhrmann die Pfeife aus dem Mund, klopfte die Asche daraus und begann zu plaudern.

Und heimatfroh erzählte der Jüngling, der gewiß das zwanzigste Jahr noch nicht überschritten hatte, von langen Wanderfreuden.

Jolande mischte sich nicht in das Gespräch – in herber Unnahbarkeit blickte sie streng und stolz.

Und der Jüngling wagte, obgleich er große Lust dazu zeigte, nicht, das stolze Mädchen anzureden.

Da fragte der Fuhrmann: »Und wen habt Ihr in Puschlav zu besuchen?«

»Meine Mutter – Frau Cilgia Gruber, oder wie sie das Volk nennt: Frau Cilgia Premont!«

Schöne Sohnesfreude klang aus seinen Worten.

Jolande Paltram erglühte bei diesem Namen. Sie dachte an das Bild der Frau, das der Vater wie das einer Heiligen verehrte.

O, sie wußte es wohl, mitten in der Nacht trat er manchmal vor dieses Bild. Das Geheimnis seines Lebens hing mit ihm zusammen. Was für ein Geheimnis das war, darüber hatte sie sich manchmal den Kopf zerbrochen – es mußte ein schönes sein!

Sie sah in Gedanken die herrliche Frau, die einst am Thor von Santa Maria gesessen, die sie geliebkost und von der sie in kindlicher Einfalt gewünscht hatte, sie möchte ihre Mutter sein!

Und das war der Sohn, das war der Knabe, mit dem sie einst zu Pontresina gespielt.

Die Herbigkeit auf dem schmalen Mädchengesicht verlor sich.

»Ludwig Georgy, der Maler, hat mir viel Schönes von Eurer Mutter erzählt.«

Das bebte silberhell hervor, und das kleine Lächeln, was das Lieblichste an Jolande war, spielte um ihr Mündchen.

»Wer seid Ihr, daß Ihr Ludwig Georgy kennt?« fragte der Jüngling etwas verlegen.

»Jolande Paltram!«

Da wurde er erst recht neugierig und teilnahmvoll. Das Eis war gebrochen – die jungen Reisenden plauderten und waren überrascht, als sie schon in Tiefenkastel anlangten.

Sollten sie sich trennen, da nun ein so langer gemeinsamer Weg vor ihnen lag?

Der Fuhrmann blieb zurück, sie aber wanderten durch den schönen Sommertag in die firnenüberleuchtete Gebirgswelt des Albula und die Wildwasser rauschten und die Blumen glänzten in den Felsen.

Und die Stimmen der Einsamkeit redeten um sie.

Seltsam schön berührt von der Begegnung, schritt Jolande rasch und leicht wie eine Gemse neben ihrem Kameraden. Sie sprach wenig, aber sie lauschte dem frohmütigen Geplauder ihres Reisegefährten mit ganzem Ohr.

Von ferner Stadt erzählte der Student, von Hoffnungen und Plänen.

»Und eigentlich ist Euer Vater schuld, daß ich Arzt werden will – Chirurg wie er! Der Gedanke kam mir, als ich von seinen Heilungen hörte.«

Mit Wärme sprach es der Jüngling – die Wangen des Mädchens erglühten, die junge Brust hob sich freudig, und verstohlen hingen ihre Blicke an ihm.

Sie wurde schweigsamer und schweigsamer, in herber Keuschheit verschloß sie ihre Gedanken. Doch das Wenige, was sie sagte, klang klug und gütig. Und Stimme und Lächeln gaben ihm Reiz.

Etwas wie Heimweh nach der sonnigen Welt der Menschen, von der ihr Gefährte plauderte, hatte sie überfallen – sie, die doch schon das kleine Chur mit den vielen Menschen bedrückt hatte.

»Ich bin nur eine Jägerin – aber wenn Ihr so redet, hätte ich auch Lust, etwas Größeres zu werden.«

Sie sagte es bitter wie in Selbstbeschämung.

So wanderten sie durch ein Meer rotglühender Alpenrosen, durch den stillen innigen Frühling des Hochgebirges, durch das Gebet der Primeln und Männertreu und der Fransenglöckchen der Soldanellen.

Und aus stahlblauem Himmel rief ein Adler sein »Pülüf – pülüf!«

Sittig wanderten sie, wie je nur zwei Menschenkinder durch Gottes strahlende Welt gegangen sind.

Und der junge fröhliche Student wollte Jolande wohl nichts mehr sein als ein guter Kamerad.

Sie aber wurde immer unruhiger – sie wußte selbst nicht, warum.

Das junge Wanderpaar rastete am »Weißen Stein«, und als das schlichte Mahl beendet war, wurden sie einig, daß sie, ob es darüber auch Mitternacht würde, bis nach Pontresina gehen wollten.

Sie würden nicht müde, versicherte eines das andere.

Halbwegs zwischen der Paßhöhe und dem Engadin überfiel sie die Dämmerung; über fernen blassen Gipfeln aber stieg der volle Mond auf und goß sein Silberlicht in die Berge, in den schweigsamen Hochgebirgswald, auf die rauschenden Wellen, auf den einsamen Weg.

Keine Menschenseele weit und breit, in den Adern aber singt das junge Blut sein Lied, und Wort verlangt nach Wort.

Und Jolande Paltram war nicht mehr schweigsam – um so stiller ihr Gefährte.

Mit einem Anflug von Uebermut erzählte sie von den Jagdgängen mit ihrem Vater, mit brennendem Kindesstolz von seinen Rettungsthaten, von seinen Erfolgen. »Und dennoch haben ihn böse Menschen verleumdet!«

Mit steigendem Wohlgefallen sah der Jüngling die Glut der Entrüstung in den funkelnden Mädchenaugen. Jolande Paltram war so schön in ihrem Zorn!

Aber der Weg ist weit – weit! – und als das junge Paar durch den Frieden der Dörfer schritt, schmiedete es Wiedersehenspläne.

Blaß und hoch stand die Bernina am blauen Mondnachthimmel.

»Ich raste jetzt einen Tag bei meinem Großonkel, dem Pfarrer zu Pontresina, übermorgen in der Frühe gehe ich über die Bernina nach Puschlav. Dann kehre ich zum Großonkel in die Ferien zurück und wir können uns wiedersehen!«

So der leichtblütige Student.

Das Paar dachte nicht weiter – wiedersehen und aneinander Wohlgefallen haben – das ist ja nichts Böses!

Als sie aber gegen Pontresina schritten, atmete Jolande schwer.

»Ihr seid gewiß zu müde,« meinte Lorenz teilnehmend.

»Nein,« flüsterte sie, »ich ginge noch weit mit Euch.«

Und als sie das Dorf Pontresina erreichten, der Mond durch die Waldspalte des Rosegthales leuchtete, als sie sich die Hand zum Abschied boten, da bebte die ihrige in der seinen, und sie ließ sie lange darin – etwas wie ein Seufzer ging über ihre Lippen.

»Was habt Ihr, Jolande?«

Eine heiße Flamme stand in ihrem Gesicht.

»Darf ich Euch etwas sagen?« bebte ihre Stimme. »Aber wenn Ihr deswegen übel von mir denken würdet – es wäre mein Tod!«

»Redet nur, Jolande! Euch nehme ich gewiß nichts übel.«

Da schlug sie die dunklen Augen nieder.

»Ich will Euch übermorgen, wenn Ihr nach Puschlav geht, an der Straße erwarten. Ich trage das Jägerkleid, damit die Leute glauben, ich gehe auf die Jagd, und wir können dann noch ein Stündchen miteinander wandern.«

Sie stotterte es leise in brennender Scham. Fast Verlegen nahm Lorenz das rasche Wiedersehen an – jugendliche Abenteuerlust nur besiegte die Bedenken.

Sie war so eigenartig und so schön – Jolande Paltram – die Jägerin.

Als er am zweiten Tag Pfarrer Taß verlassen hatte, gesellte sich oberhalb Pontresina in funkelndem Morgenschein zu ihm der Jägerknabe, den Filz auf dem Kopfe, das Gewehr an der Schulter.

»Jetzt bin ich Landolo!« lächelte der schöne Junge.

Der Student aber gab ihm mit einer heißen Beklemmung die Hand.

»Gefalle ich Euch so nicht?« fragte Landolo mit einem Ausdruck der Angst, und grenzenlose, glühende Scham lag in dem schmalen Gesicht.

»Ich muß mich zuerst daran gewöhnen,« erwiderte Lorenz in herzlicher Güte.

Jolande mußte plötzlich, sie hätte nicht so vor ihrem jungen Freunde erscheinen sollen – ihr war, als sei das Knabenkleid von Nesseln.

Bald aber kamen sie über die Peinlichkeit der ersten Begegnung hinweg und wanderten und plauderten über die Dinge am Weg. Sie liefen über die Sprudelwellen des Berninabaches zum Morteratsch und ruhten auf den Blöcken am Fuß des Gletschers.

Die Stadt im Eise unterhalb der Verlorenen Insel strahlte im Morgenfunkelspiel. Und sie sprachen von der Sage, die im Donnern des Gletschers seufzt.

»Ich würde es nicht wie die Maid von Pontresina halten,« flüsterte Landolo, »ich würde treu warten – –aber wenn er nicht käme – – –«

Und in finsterem Sinnen brach sie das Wort ab – in ihren Schläfen hämmerte die Leidenschaft.

Sie war nicht mehr die herbstolze Jolande, nicht mehr der Jägerknabe, dessen Auge zürnte: »Wagt es nicht, mich anzurühren!« Sie dürstete nach einem guten Wort ihres Kameraden.

Er aber schwieg beklommen – nein, diesen Ausgang des Abenteuers hatte er nicht gewollt!

Sie schob seine verlegene Stille auf ihr Kleid.

Erbarmen – Erbarmen! flehten ihre Augen, sage nichts wegen meines Kleides! Und um ihren Mund zuckte es rührend.

Plötzlich erhob sie sich: »Ich gehe jetzt heim.«

Und vor den Schmerzen Jolandes wurde auch Lorenz weich. Mit lieben Worten bot er ihr die Hand.

Da lehnte Jolande das Haupt auf die Schulter des Jünglings.

Und sie stöhnte: »Lorenz – vergebt mir – in diesem Kleid werdet Ihr mich nie mehr sehen!«

Heiße Thränen rannen ihr über die glühenden Wangen. Und verwirrt suchte der Jüngling nach Trost für seinen armen Freund – ein plötzlicher Einfall – er küßte Jolande.

Da brach aus ihren Thränen hervor ein Leuchten des Glücks.

Sie stammelte in Scham und Sturm viel Thörichtes – heiliger Liebesjubel jauchzte aus den Worten, eine unheimliche Stärke des Gefühles.

Dennoch war alles, was sie sprach, von ergreifender Reinheit.

Schwer trennten sich der Jüngling und das Mädchen.

Wie geschlagen und mit wehem Herzen stieg Lorenz Gruber nach Puschlav.

Jolande in Knabenkleidern – o, sie standen ihr gut! Aber was im Mondschein erwacht war, das war weggeflogen wie ein Traum, weggeflogen vor diesem Kleid.

Sein Kuß war ein Kuß des Erbarmens gewesen.

Das Gewissen ließ ihm keine Ruhe, nach einigen Tagen beichtete er das wunderliche Reiseabenteuer seiner Mutter. Totenblaß hörte sie ihrem Sohne zu.

»Ich danke dir für dein Vertrauen,« sagte sie, »ich werde einst, wenn du ein reifer Mann bist, mit dir zu reden haben.«

Dann schwankte sie hinweg.

Wie oft hatte der alte einsame Pfarrer gewünscht, daß der muntere Lorenz nach Pontresina zu Besuch käme – sie aber hatte es immer und unter mancherlei Vorwänden abgelehnt. Seit die beiden Kinder zusammen gespielt, war sie nie ruhig gewesen.

Und nun waren sie doch zusammen durch die Nacht gegangen.

Einige Tage später wandte sie sich wieder an ihren Sohn: »Lorenz – es ist vielleicht für deinen künftigen Beruf nützlich, wenn du die Welt ein wenig ansiehst! Ziehe nach Italien! Hier hast du Reisegeld.«

*

Markus Paltram ist von Chur mit einem schönen Erlös für die Gemsen und beinahe heiter zurückgekehrt. Die Vorbereitungen für den Zug zum eidgenössischen Schützenfest sind im vollen Gang, in den Wäldern von Zernetz sind die Bären geschossen, über den Gletschern des Palü, wo die Geierhorste sind, will er einen Riesenraubvogel erlegen.

Landolo begleitet ihn – Landolo, der sein Knabenkleid nicht mehr tragen will.

»Thorheiten,« zürnt der Vater, »man jagt doch nicht im Weiberrock« – Und Landolo fügt sich.

Sie wandeln über Safial Masone – in senkrechten blauen Tiefen liegt Puschlav – und der verschwiegene Landolo grüßt in Gedanken Lorenz, der dort unten wohnen muß.

Wann wird er nach Pontresina kommen?

Halb in einer Gletscherspalte verborgen, lauern Markus und sein Knabe stundenlang mit jener Geduld, die der Jäger reichlich üben muß.

Im fernen Blau kreist majestätisch wie der Geist des Gebirges der Geier, er sinkt, er rauscht gegen seinen Horst in der Höhle einer Felsenwand.

Da erspäht er das tote Tier, das ihm Markus Paltram als Lockbeute auf den Gletscher gelegt, er kommt mit ausgebreiteten Flügeln – die Kugel saust – der Vogel fällt und stürzt auf den untersten Rand des Eises nahe bei der grauen Steinhütte von Sassal Masone, die den sonderbaren Schmuck von Tierschädeln trägt.

Landolo jauchzt und klettert aus dem Versteck, er schwingt sich über die Brüche des Gletschers, das Jagdfieber ist in ihm lebendig und er ist behender als eine Gemse.

Gemächlich folgt der Vater. Der Knabe ruft etwas – es tönt wie ein Schreckensruf.

Eiliger steigt Markus Paltram über die Kanten abwärts.

»Ein Gerippe – ein Gerippe, Vater!« ruft Landolo, und Markus Paltram erbebt und erblaßt.

In dem Trümmerschutt, durch den die Gletschermilch aus dem Eise strömt und wie ein weißes Band in die fernen Tiefen von Puschlav niederflattert, liegen zwischen den goldenen Sternen der Alpenprimeln gebleichte Knochen.

Nebenan ruht mit ausgebreiteten Schwingen der mächtige Geier.

Landolo zittert über den Fund am ganzen Leib – in furchtbarer Angst blickt Markus auf seinen Knaben.

»Es wird, denke ich, ein Opfer aus der Franzosenzeit sein.«

Er stößt es angstvoll hervor und der Schweiß perlt auf seiner Stirne. Seine Stimme aber klingt so seltsam erregt und unsicher, wie wenn er sagen wollte: Ich weiß, daß es kein Opfer aus der Franzosenzeit ist.

Er lügt – er lügt um Landolos willen. Sein schöner Jägerknabe soll sich nicht beunruhigen, und mit den starken Bergschuhen, die mit einem Kranz von Nägeln umgeben sind, wühlt er das lose graue Gletschergeschiebe auf, als grübe er ein Grab.

Fast rauh gebietet er Landolo:

»Wirf die Gebeine in diese Grube.«

»Sollten wir sie nicht nach Puschlav oder Pontresina bringen,« wendet Landolo schüchtern ein, »damit sie in geweihter Erde ruhen können?«

»Wirf sie in diese Grube!« befiehlt der Vater hart.

Und verwirrt sammelt Landolo die Knochen – da schreit er:

»Vater! Da liegt der Rest eines Gewehrs.«

»Wirf es in diese Grube!«

Aber neugierig nimmt Landolo eine Steinscherbe und kratzt damit den Rost von dem verdorbenen Schloß.

»Vater,« schreit er, »M. P. steht auf dem Schloß – das Gewehr ist von dir verfertigt!«

Da starrt Markus Paltram den Knaben entgeistert an – es ist ihm, die Stimme rede mit den schrecklichen Tönen des Weltgerichtes.

Und doch ist es die schöne, klangreiche Stimme seines Landolo.

»Vater, da ist Geld! – Vater, da ist eine verrostete Uhr!«

Mit fiebernden Wangen, bebend in Ahnungen steht Landolo.

»Wirf sie in diese Grube!« knirscht Markus Paltram.

»Vater, um dieses Knöchelchen ist ein schöner goldner Ring.« Aber der Knabe läßt den Ring, als wäre das Gold feurig geworden, fallen – klirrend hüpft der Reif von Stein zu Stein.

Und der Knabe hat sich auf das Geschiebe geworfen – er schluchzt herzzerbrechend.

»Sei ruhig, Landolo!«

Markus Paltram streichelt in unendlichem Mitleid sein Kind, dem die prächtigen weichen Zöpfe unter dem Hut hervorgeglitten sind.

»Vater,« wimmert es, »der Name ›Cilgia Premont‹ steht in dem Ring.«

»Landolo – Landolo!« stammelt er und hebt den halb ohnmächtigen Knaben empor.

Der taumelt.

»O Vater – fort – fort!« Halb bewußtlos stöhnt es Landolo.

Sein Kind im Arm, schiebt Markus Paltram mit dem Fuß den Gletscherschutt über die Knochen und Funde. Dann spricht er mit gebrochener Stimme:

»Landolo – sei ruhig – der auf dem Gletscher gerichtet worden ist, ist gerecht gerichtet – so wahr mir Gott helfe – er ist gerecht gerichtet! Er ist der einzige. Er hat mich aus dem Hinterhalt angeschossen – und ich that, was keiner sonst gethan hatte, ich ließ ihm auch den zweiten Schuß. Wenn es einen höheren Richter gibt, dann wird Gruber zeugen müssen, daß er den Tod gewollt hat.«

»Gruber!« Landolo wiederholt das Wort und seine Augen sind schreckhaft weit.

Es ist, als ringe das Kind mit seinem Leben.

»Vater, gelt, ich darf das Knabenkleid ablegen? Es ist nicht gut, daß ich es trage!«

»Lege es ab!« erwidert Markus Paltram milde, und bittend fährt er fort: »Jolande – sieh mich nicht so schrecklich an! Weiß Gott, ich habe wegen Gruber ein ruhiges Gewissen – brich mir das Herz nicht mit deinen Augen – brich mir es nicht!«

Gräßliche Angst bebt in seinen Worten.

Da neigt Jolande das junge schöne Haupt an seine Brust und legt in einer unbewußten Liebkosung den Kinderarm um seinen gewaltigen Nacken.

Glockenrein klingt ihre Stimme:

»O Vater –ich weiß, daß du gut bist!« Und mit einem schmerzlichen Lächeln hebt sie die Augen zu ihm.

Da küßt der graue Jäger sein Kind. Er, der bisher trotz aller brennenden Liebe zu hart war, sein Kind zu küssen.

»Nur von dir, Jolande, möchte ich gut genannt sein, was die Welt von mir spricht, ist mir eins!«

»Vater!«

Und Paltram ergreift die Beute und sie scheiden von dem traurigen Ort – und sie sprechen nicht mehr von dem, was sie gesehen haben. Jolande ist stark. Sie drängt die Thränen zurück und bezwingt das weinerliche Zucken um den Mund, aber sie geht so matt – so matt!

Heute noch Landolo – dann immer Jolande! Und auf die Jagd wird sie nie wieder gehen!

»Auf das Fest kommst du mit – ich kann mich nicht mehr losmachen und noch weniger ohne dich sein!«

»Nein, ich komme nicht, Vater! – o Vater, quäle mich nicht!«

Und alles freundliche Zureden am folgenden Tag ist umsonst, umsonst sein Grollen – er spürt es wohl, das Kind ließe sich eher töten als ein Ja abringen.

Sie hat einen so starken Willen wie er.

Und doch muß er sein Wort halten und mit den anderen gehen.

In einer Sternennacht kommt der Abschied. Jolande tritt mit dem Vater noch ins Freie – in heißem Kummer kann er kaum weg von ihr.

Ein herzzerbrechender Abschied! – Warum nur? – In einer Woche wird er wieder da sein.

Aber nun kommen seltsame Tage, so seltsam, daß er kaum den stillen Augenblick findet, an sein Kind zu denken.

Denn das Fest ist seine Ehrung.


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