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XII.

Es ist Spätherbst. Im Thal von Pontresina ächzen die Arven im Sturme; er rüttelt an den mit Brettern vernagelten Fenstern der Häuser, deren Bewohner in die Ferne gezogen sind.

Nur wenige Lichter schimmern.

Durch das Grauen der Sturmnacht schleppt sich ein Mann zu Thal – wo ein Lattenzaun ist, hält er sich daran und stöhnt – und neben ihm wartet geduldig sein Wolfshund.

»Malepart,« keucht der Mann, »das war kein leichter Tag – es ist doch ein Unterschied – ein Mensch ist kein Bär!«

Er wankt hinkend vorwärts; er tritt wie ein Trunkener in sein Haus.

»Markus!« – Und Frau Pia, die ihm mit dem Lichte entgegenkommt, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

Ihr felsenfester Mann ist blaß wie der Tod und die Zähne des Erschöpften klappern.

»Still, Pia, still!« stöhnt er, sich mit der letzten Kraft an den Wänden vorwärts tappend. »Ich bin angeschossen, das Blut rinnt mir am Bein.«

Eine weitere Auskunft gibt er der erschrockenen neugierigen Pia nicht. Sie jammert, sie hilft dem Verwundeten; sein düsterer Blick schließt ihr den Mund. Doch hätte auch sie ihm etwas zu erzählen, was ihre Gedanken gefangen hält! Ihr Bruder Orland hat ihr geschrieben und ihr ein buntes Tuch geschickt.

Das beschäftigt sie ebenso stark wie die Wunde ihres Mannes. Er sagt ja selbst, es sei nur ein Streifschuß, gefährlich bloß durch den Blutverlust auf mehrstündigem Weg.

Aber Markus hat sich kaum niedergelegt, so verwirren sich seine Gedanken, die Fieberrosen treten auf die bleichen Wangen. Und mitten in der Nacht beginnt er zu reden.

»Malepart, faß an!« ruft er schweißgebadet. Der treue Hund kommt ans Bett geeilt und beschnuppert seinen Herrn. Markus Paltram erwacht, er streichelt das struppige Tier. »Du hast den rechten Namen,« stöhnt er finster. Da sieht er sein Weib an seinem Lager. »Pia, du darfst nicht hören, was ich rede!«

»Du hast ja noch gar nichts gesagt, als den Hund gerufen,« erwidert sie mit jener Sanftmut, die an ein glattes Raubtier erinnert.

Da rollt er seine brennenden Augen. »Doch, doch – aber der Schuft hat mich von hinten angeschossen!«

Die folgenden Tage bebt er im Fieber, der Schweiß perlt an seiner Stirn, unablässig geht seine Rede – doch nur das wenigste versteht die horchende Pia, die eine bessere Krankenpflegerin ist, als man von der ehemaligen Ziegenhirtin erwarten würde. Was sie aber von seinen Lippen hört, das schleicht wie Grauen in ihre schwache, abergläubische Seele.

»Mutter,« keucht der Fiebernde, »die Schmerzen stillen, ist nichts – aber töten, Mutter – töten in der großen Gletschereinsamkeit – doch hat er zuerst und hinterhältig geschossen!«

»Wer hat auf dich geschossen?« flüstert ihm Pia zu.

Aber die Gedanken des Fiebernden gehen einen anderen Weg.

»Ja, ja, ich spüre es, wer getötet hat, ist ein starker Mann – stark bin ich wie der Ritter von Guardaval, stark wie ein Berg – ich hole für sie die Flamme vom Piz Bernina!«

»Für wen?« flüstert ihm Pia mit lauernden Augen zu.

Es ist, als merke der Kranke, daß ihn sein Weib ausfragen will; er fährt mit der Hand über das Gesicht, als ob er etwas wegwischen wolle, seine Rede stockt – dann beginnt er wieder:

»Das Geschlecht Paltram muß untergehen – im Gletscher untergehen – was thut's? – ein treuloser Camogasker! – Nein, ein Camogasker ist stark genug – ich erlöse das Engadin – die Berge flüstern es mir nicht zu, aber auf der Spitze der Bernina werde ich es von der Sonne hören! – Man kann nicht hinaufsteigen – aber im Wagen kann man fahren – es sinken die Gipfel – – Horch, horch! – Nein, Sonne, du erzählst nicht gut! – Einen Tag, einen ganzen Tag haben Aratsch und seine Geliebte zu wandern – dann erst stürzt die Bernina ein. – Doch sage, warum friert der schöne Jägerknabe und die Pia liegt auch im Schnee – und die vielen Flocken fallen – ich aber verbrenne vor Durst.«

Und der Fiebernde fährt erwachend auf: »Pia, Wasser – Wasser!«

Er schlürft den Trank gierig.

Pia aber, wie sie diesen Fieberreden lauscht, schleicht das Grauen in Knochen und Gebein.

Und wieder fabelt er in langen Selbstgesprächen.

Da reicht sie ihm die kleine Jolande ins Bett – und siehe da, das Kind schlummert an der Brust des Vaters ein, und bei den regelmäßigen Atemzügen des süßen Mündchens findet er selber das Glück eines friedlichen Schlafs.

Es ist, als würde die Kleine mit ihrem Geplauder sein Arzt. – – –

In diesen Tagen – der erste Schnee ist eben im Thal gefallen – erschreckt eine merkwürdige Kunde das Bergland.

Sigismund Gruber, der reiche Saumhalter, ist geheimnisvoll am letzten schönen Herbsttag verschwunden – auf offener Straße, am hellen Tage verschwunden.

Er begleitete in erster Morgenfrühe einen Saum aus den Thoren von Bormio, ein Stück gegen das Stilfserjoch. Plötzlich trennte sich der verdüsterte Mann ohne ein Wort des Abschieds von seinen Säumern, stellte zu Bormio das Pferd ein und ward nicht wieder gesehen.

Weil es in der Art seines Geschäftes lag, daß er oft einen, zwei Tage ausblieb, vermißte man ihn erst am dritten Tage – und bis man Nachforschungen begann, war Schnee gefallen, der sie erschwerte.

Von da und dort kamen Gerüchte, man habe ihn erst noch kürzlich getroffen, sie machten sein Verschwinden nur noch geheimnisvoller.

Tage kamen. Tage gingen und Vermutungen bildeten sich. – Er hat sich aus dem Staube gemacht, weil ihn das Gewissen wegen Pejder Golzi quälte. – Aber glaubwürdig war das nicht! Gruber war kein Abenteurer, und ein so blühendes Geschäft, eine so herrliche Frau, einen so prächtigen Buben läßt man nicht leichten Herzens im Stich. – Zuletzt bildete sich die bestimmte Annahme, er sei einer Rachethat des fahrenden Volkes zum Opfer gefallen, und es liefen Sagen genug, mit was für furchtbaren Eiden die fahrenden Leute aller Länder verbunden seien, wenn es sich darum handle, eine Missethat, die an einem der Ihrigen begangen morden sei, zu vergelten.

Selbst die Behörden suchten hier die Spur.

Das Ereignis erschütterte – aber die Nachreden auf Sigismund Gruber waren kühl – nur das Mitleid mit seiner Frau und seinem Knäblein groß – die Familie hatte ja, so bezeugten alle, die sie kannten, in innigstem Glück gelebt.

In dieser schweren Zeit war Pfarrer Taß häufig zu Puschlav.

»Wie ertragt Frau Cilgia den Schlag?« fragten die Freunde.

»Stolz wie immer – sie führt das Geschäft weiter, damit die Knechte nicht auf den Winter brotlos werden – sie ist blaß, sehr blaß – aber gefaßt.«

»Hat sie keinen bestimmten Verdacht?«

»Keinen!«

»Und die Knechte?«

»Sie trauen es dem langen Hitz zu. Doch dagegen spricht Cilgia mit aller Festigkeit, und die war seine Freundin nie.«

Und das Rätsel blieb – die Untersuchungen gingen ihren Weg. – – –

Langsam erholt sich Markus Paltram, und wie er sein Weib fieberfrei anblickt, da fragt er verwundert: »Was ist das?«

Er meint das bunte Tuch, das sie um die Schultern geschlungen hat.

»Es ist ein Geschenk von meinem Bruder Orland, es ist das Zeichen, daß ich zu ihm gehen muß!«

Pia sagt es so überzeugungsvoll, daß Markus Paltram sie erstaunt ansieht.

»Warst du krank?« sagt er, »hattest du das Fieber, nicht ich? Sei kein Narr, Pia!«

»Aber ich habe es ja immer gesagt, daß ich einmal zu meinem Bruder gehe,« versetzt sie ruhig, fast demütig.

»Und unsere kleine Jolande?« fragt er mit finsterem Hohn.

»Ja, unsere kleine Jolande!« erwidert sie gedankenvoll. »Aber ich muß doch zu meinem Bruder gehen.«

Und der Trotz schürzt ihre Lippen.

»Pia, du bleibst da!«

Markus Paltram sieht sein Weib mit einem seiner gewaltigen zwingenden Blicke an. Sie krümmt sich unter diesem Blick, zieht aber ihr Tuch enger zusammen, als finde sie darin Schutz und Kraft gegen ihn.

Nach einiger Zeit kann er wieder auf die Jagd gehen, und die immer noch hübsche Pia hausiert mit dem Fleisch der Gemsen in den Dörfern.

Neugierig fragen die Leute: »Warum kommt Ihr erst jetzt wieder?«

Da sagt sie wohl: »Der Husten hat halt Markus für eine Weile gelegt,« aber sie läßt dabei einen Blick ihrer schönen Raubtieraugen mitgleiten, der zu sagen scheint: »Das glaubt ein Narr!« Und manchmal fügt sie bei: »Ich gehe im Frühling zu meinem Bruder Orland!«

Da und dort erkundigt sie sich um den Weg nach Hamburg – und die Leute schütteln hinter ihr die Köpfe. Ihren Plan nimmt niemand ernst als sie selbst.

Wo die Straße einsam ist, prägt sie sich an Fingern zählend die Namen der Städte ein, die zwischen dem Engadin und Hamburg liegen, und jeder Finger ist eine Stadt, und wenn sie über zehn gezählt hat, beginnt sie von neuem.

»Die verrückte Pia!« sprechen die Leute und lachen. Ein sonderbares Gerücht entsteht: sie fürchtet ihren Mann so gräßlich – sie wird wie ihre Großmutter – sie hat einen Sparren im Kopf!

Aus ihrem verschlagenen Wesen wurde niemand klug. Oft schien es, sie habe einen unbändigen Stolz auf Markus Paltram, oft blitzte etwas wie Rachsucht hervor – eine Empörung, weil er ihren Willen fesselte – und es ging keine tolle Nachrede über ihn, die sie nicht bestätigte.

»Es ist, wenn er am Abend in seiner Werkstatt die Kugeln gießt, ein anderer bei ihm. Sie zählen die Kugeln und je die siebenundsiebzigste legen sie auf die Seite. Die ist schwerer als die anderen. Die muß einem Jäger in die Brust. So lange, als das dauert, hat er Glück in den Bergen.«

Sie versicherte es allen Ernstes.

Man ist im Engadin nicht abergläubisch. Man lachte zu den Aufschneidereien der Frau Pia. Man sagte: »Markus Paltram gibt es ihr selber so an.« Je geheimnisvoller er anderen erscheint, um so weniger wagen sie es, in der Bernina zu jagen – aber etwas davon blieb, und als Pia lange genug solche Dinge erzählt hatte – glaubte sie selbst daran.

»Hat er denn schon einen getötet?« fragen neugierige Weiber.

»Er sagt es mir nicht,« versetzt sie unschuldig, »aber er träumt immer so schwer von einem Tiroler. Dann muß ich ihm das Kind ins Bett geben.«

Lügt sie oder redet sie die Wahrheit? – Allmählich horchen auch die ernsthafteren Leute darauf. – Wie man aber Pia einmal ernsthaft ausforschen will, da ist sie verschwunden, da wandert sie schon über die Berge, folgt sie dem einzigen holden Gedanken, der in ihrer niederen Stirne Raum gefunden hat: der Liebe zu ihrem Bruder – sie hat um seinetwillen selbst ihre abergläubische Furcht vor Markus Paltram besiegt.

»Mutter – wo?« fragt ein kleiner Plaudermund – die entzückende kleine Jolande. – Das zierliche, schmale Gemschen mit den Gliederchen wie biegsamer Stahl und den Augen wie Licht, mit dem Stimmchen wie Silber.

Markus Paltram ist wütend auf sein Weib, das von diesem lieblichen Schwarzköpfchen ohne eine Regung der Mutterliebe hat weglaufen können.

Aber auch das hat er wohl um Cilgia verdient!

Er geht nicht auf die Jagd, bis er eine rechtschaffene Frau als Hüterin für Landola, wie er Jolande kosend nennt, gefunden hat. Nein, dem Haupte der Kleinen, die er mehr liebt als einst Märklein, darf kein Leid geschehen!

Mit allen Fasern hängt er an dem seinen Kind, und ebenso hängt es an ihm.

Wo aber ist Pia? –

Eines Tages traf der Brief eines St. Moritzers ein, der zu Köln ein Café besaß: die ehemalige Geißhirtin von Pontresina, die er als Junge gekannt, sei auf einem Rheinfloß angekommen und ihm zugeführt worden. Mit einem Warenfuhrwerk habe er sie nach Bremen geschickt, dort werden Bündner weiter für sie sorgen.

Sicher und unbeirrt geht dieses merkwürdige Weib seinen Weg.

Um Markus Paltram aber weben sich die Gerüchte, die Sagen, die Anklagen dichter und dichter.

Er ist im Herbst angeschossen aus den Bergen zurückgekommen. Man spricht jetzt überall davon.

Wer kennt die Geheimnisse des großen Gebirgs? – Jahr um Jahr gehen in seinen Stürmen Menschenleben verloren, man weiß nicht, wie! – Jägertragödien, für die es keinen Richter gibt, weil kein Kläger da ist, weil die Felsen und Gletscher nicht reden, hat es, wo die Jagdreviere der Länder zusammenstoßen, immer gegeben. Sie leben in der Ueberlieferung des Volkes und werden sich ereignen, so lange die Büchse dem Widerhall in den Felsen ruft.

Im blutigen Schein jener Jägertragödie steht Markus Paltram vor der Witterung des Volkes.

Aber niemand wagt es, das Verschwinden Grubers mit dem Gerücht, daß Markus Paltram einen Jäger erschossen habe, zu verbinden.

Gruber verschwand in Bormio – er trug kein Gewehr – er ging, da er kein Recht dazu besaß, nie auf die Jagd – und sein Fall ist ja durch die Missethat, die er an Pejder Golzi verübt hat, erklärt.

Ja, vielleicht ist alles, was man über Markus Paltram sagt, nur üble Nachrede – und er hüllt sich nur in das verachtungsvolle Schweigen, damit er um so mehr der gefürchtete Herr der Bernina sei!

Und andere Dinge geben den Leuten des Engadins mehr zu sprechen als Markus Paltram.

Es ist eine bewegte Zeit der Bündnerpolitik. Eben haben es die Abgesandten des Engadins, vor allem der jugendliche Staatsmann Luzius von Planta und der stille, zähe Saratz, vor dem Rat in Chur durchgesetzt, daß man eine Fahrstraße von Chur über die Berge ins Engadin und von da nach Italien bauen will.

Ein Hoffnungsstrahl durchfliegt das sich entvölkernde Thal.

Dem Beschluß zu Ehren will man ein kleines Schützenfest veranstalten und die übliche Kehrfolge trifft Madulein, den Heimatsort Markus Paltrams.

Eines Sommertags kommt er, eine Gemse auf dem Rücken, nach Samaden. Er tritt auf den Vorplatz des Gasthauses zur Krone, wo eine kleine Gesellschaft von Bürgern Kegel schiebt, und trinkt etwas Wein, den er stark mit Wasser mischt.

Da meint einer: »Markus, Ihr kommt doch auch zu dem Schießen nach Madulein; ehe mir alle aus dem Engadin wandern, wollen wir noch prüfen, wie die Stutzen gehen.«

»Ich komme,« antwortet er gut gelaunt und ruhig.

Da fängt Doktor Troll, einer der Kegler, an zu spitzeln, denn er hat den alten Zusammenstoß am Lager Pias nicht vergessen – ein Wort ruft das andere.

»Paltram,« höhnt der Doktor, »ehe Ihr Euch mit uns zusammensetzt, reinigt Euch vor Gericht – man sagt, es klebe Blut an Euch!«

»Doktor,« lächelt Paltram, mit einem sonderbaren Aufleuchten der Augen, »dieser Schimpf bleibt nicht ungestraft – verlaßt Euch drauf!«

»Habt Ihr keinen getötet?« höhnt der Doktor.

»Doktor,« antwortet Markus Paltram ernst, »das ist zwischen Gott und mir!«

Damit geht er und läßt die anderen in grenzenloser Verblüffung, denn seine Worte klingen wie ein Bekenntnis. Aber wen hat er getötet? – wo? – wann?

Wenn er nicht selber spricht, wird es niemand erfahren – niemand wird seine Schuld, seine Verantwortung kennen.

Aber das Gerücht ist wieder frisch, und schon gellt seinetwegen wieder ein Schrei der Entrüstung durchs Thal.

Doktor Troll fährt in halbdunkler Nacht von St. Moritz nach Samaden. Er raucht und leitet sein Pferd.

Da kracht, wie er an den Häusern von Celerina vorüberfährt, ein Schuß.

Der Kopf der Pfeife ist hinweg.

Der erschrockene Doktor bändigt mit Mühe sein Roß. Markus Paltram tritt mit höflichem Gruß auf ihn zu: »Guten Abend, Herr Doktor. Es ist nur die Quittung für Samaden – jetzt Frieden!«

Die Leute des Dörfchens aber, die den Schuß gehört haben, eilen herbei.

»Ich habe ein Käuzchen schießen wollen,« erzählt Markus Paltram, der finstere Mann, mit schalkhaftem Lächeln, »da kam gerade das Fuhrwerk dazwischen – das Pfeifchen des Doktors ist hin.«

Dann geht er.

Ein unglaublicher Schuß im nächtlichen Dunkel! Die Leute schütteln die Köpfe: es kann nicht sein! – Aber hat Markus Paltram als Junge zu Madulein nicht oft genug seinem Bruder in brüderlichem Scherz mit der Kugel das Thonpfeifchen vom Munde hinweggeblasen?

Wer ist er, der so ein sträfliches Spiel mit dem Menschenleben treiben darf und den Gerichten mit den Worten trotzt: »Bringt Zeugen?«

Im Volke gärt es gegen Markus Paltram.

Da kommt das Schießen von Madulein, und hoch aufgerichtet, eine männlich schöne Gestalt wie die eines Helden der Vorzeit, erscheint der graue Jäger und tritt unter sein Volk.

Da gehen ihm die Leiter des Festes, seine Heimatsgenossen, entgegen:

»Markus Paltram, du bist ausgeschlossen vom Schuß!«

»Mir das?«

Er wird blaß und seine Augen haben den camogaskerhaften Glanz.

Man fürchtet ein Unglück.

»Du weißt warum – die anderen verlassen das Fest, wenn du nicht gehst.«

»Ich gehe – ich gehe!« schreit er, »auf Wiedersehen in der Bernina!«

Das tönt, wie wenn er sprechen würde: »Tod euch allen!« Das tönt finster und schrecklich.

»Bist du der Herr der Bernina – ihr König?«

»Das werdet ihr sehen!« knirscht er, richtet sich hoch auf und sieht sich mit kaltem Zorne um – mit einem Blick, der die harten Männer erschüttert.

»Ja, ich bin der König der Bernina,« sagt sein Auge.

Mitten in einer unheimlichen Stille geht er. Das Band zwischen ihm und seiner Heimat ist zerrissen, und in dumpfen Lauten und Wogen rollt der Zorn der Zurückgebliebenen, siedet das schwer erregbare Bündnergeblüt.

»Der König der Bernina! Nun, auch wir werden sehen!« Das Volk grollt in Drohungen.

Aber wohl ist keinem dabei, und das Schießen von Madulein ist ein Trauerfest. Das Lachen, das da und dort ertönt, erschreckt.

Vom Schießen zu Madulein an ist Markus Paltram der Herr, der König der Bernina, und nur ein Tollkühner wagt sich in sein Gebiet.

Er schaltet und waltet darin wie der Ritter von Guardaval – und er scherzt nicht; er sucht nach jedem Gewehr in den Hütten der Bergamasken und nimmt es an sich. Er geht mit denen furchtbar ins Gericht, die Freundschaft mit den Tieren halten und ihm die äsenden Gemsen, die kurzweiligen Spielgenossen ihrer Einsamkeit, nicht verraten wollen. Er zwingt sie, daß sie ihm dienen und das Wild zu Thal tragen, und wehe dem, der nicht gehorcht oder schwatzt – wie ein böser Geist erscheint Markus Paltram nachts in seiner Hütte.

Dunkle Sagen gehen, daß ihn auch die Sennerinnen und Wildheuerinnen zu fürchten haben – nicht seine Gewalt, aber sein Lächeln, seine weiche Rede, das hinreißend Traurige in seinem Gesicht.

Er ist wahrhaft der Ritter von Guardaval – wer mag ihm widerstehen, der Glut seiner Leidenschaft? Und immer neu erheben sich die Gerüchte von unbekannten Jägern aus Italien und Tirol, die als Wilderer unter seinem Gewehr gefallen seien – gefallen, wo es weder Zeugen noch Richter gibt.

Seine Hütte, sagt der Volksmund, sei voll von Trophäen, die er erschossenen Jägern abgenommen habe, und mit Grauen gehen die Leute an seiner Wohnung vorbei, wo doch das lieblichste Kind, die kleine Landola, aus hellen Fenstern schaut.

»Vater, komm heim!« ruft es freudvoll in die weißen Berge.

Bei diesem Kinde lächelt Markus Paltram, der Menschenfeind, der wie eine Zuchtrute über dem Bergland ist.

Die Seinen hassen ihn, den Uebergewaltigen, den keine That der Milde schmückt.

Soll ihn aber sein Volk nie lieben lernen? – ihn, den einst eine Cilgia Premont geliebt hat?


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