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XI.

Fünf Jahre nun schon ist Markus Paltram der Jäger, Cilgia Premont die Frau des Saumhalters Gruber zu Puschlav.

Da steht, wenn man von der Bernina herniedersteigt, links am Eingang des Dorfes ein im italienischen Stil gehaltenes palastähnliches Haus. Ueber offenen Loggien prangen die Worte »Saumhalterei von Sigismund Gruber«, auf Balkonen blühen die Oleanderstauden, vor blitzenden Fenstern die Nelken, Rosen und Geranien, und ein wohlgepflegter Garten dehnt sich mit einem Anhauch italienischer Ueppigkeit auf der südlichen Seite des Gebäudes.

Die Morgensonne rötet noch die dem Veltlin zugewendeten Gipfel der Bernina, noch ist ihr rosiger Schein erst bis zum Palügletscher hinuntergesunken und der grüne Thalkessel von Puschlav mit seinem kleinen See, in dem sich die reinen Gipfel spiegeln, liegt noch im Schatten, da herrscht vor dem Haus Grubers schon reges Leben.

Die Pferde wiehern und scharren, braune Knechte schirren die zähen, langmähnigen Bergrosse in die Stäbe, sie schnallen die Saumballen zu beiden Seiten der langen flachen Sättel, in denen die Tiere wie in den Dauben eines Fasses stecken, sie laden über die Ballen einen Sack mit Heu- oder Hafervorrat, decken die Lasten mit Wachstüchern ein, und nach einer Weile ist Stab hinter Stab, ein langer malerischer Zug, in der Richtung gegen Tirano zum Aufbruch bereit.

Unter den Knechten befindet sich der lange Hitz, der, obwohl über vierzig, sich immer noch das Ansehen eines jungen Burschen gibt.

Nebenan steht, vom alten Diener Thomas gehalten, ein edles, ungeduldiges Tier und wartet auf den Herrn der Säume.

Eben fährt der Hauderer Pejder Golzi, der mit den Seinen von der Berninahöhe heruntergekommen ist und in den Stauden am See übernachtet hat, seinen Blachenwagen an den gerüsteten Säumen vorbei, das Bild der Armut und das des Reichtums grüßen sich. Da tritt gestiefelt und gespornt Sigismund Gruber, der Saumherr, aus dem Thor. Er ist ein stattlicher Dreißiger mit hübschen blauen Augen, kurzgeschorenem Vollbart, mit einem Gesicht voll blühender Gesundheit und mit dem Gehaben eines Herrenbauers oder reichen Händlers.

Mit prüfendem Blick mustert er die Stäbe und jedes der Tiere, spricht mit ihnen, klopft ihnen auf den Hals, untersucht, wie ihre Ladungen sitzen, die Schnallen angezogen sind und gibt da und dort nach Winke und Befehle.

Seine Hantierungen verraten Sicherheit und Gelassenheit; in die Festigkeit aber, mit der er spricht, mischt sich ein leutseliger Ton, und der tirolische Klang seiner Redeweise steht ihm wohl. »Es stimmt – ab!« sagt er nach einem letzten prüfenden Blick mit einer leichten Handbewegung. Die Knechte schwingen sich auf die Vorrosse, die Glocken am Hals der Tiere erheben ihr Spiel in die Morgenluft und verhallen nach einer Weile zwischen den Waldhalden, an denen sich Bach und Straße gegen das Veltlin hinabwinden.

Sigismund Gruber hat sich zu seinem Reitpferd gewandt und tätschelt es, indem er Mantel und Geldkatze an den Sattel des Tieres schnürt.

Da tritt seine junge schöne Frau unter das Thor, sie führt einen Kleinen an der Hand, der von ihr zum Vater springt und fragt: »Darf ich einmal reiten?« Und bittend patscht er in die Händchen, und seine munteren blauen Augen betteln.

Er hebt ihn auf den Rücken des Tieres empor, überglücklich jubelt der dreijährige Knabe: »Sieh, Mutter!« und der Vater hält ihn, während der alte Knecht das Pferd ein paarmal in der Runde führt. Dann lacht Gruber: »So, Lorenzlein,« er hebt ihn scherzend vom Pferd und gibt ihn nach einer raschen Liebkosung der Frau, die an dem übermütig strampelnden Jungen genug zu tragen hat, auf den Arm.

Wie blickt Cilgia hell und froh! Der junge Mann und die junge Frau schauen sich verständnisvoll und glücklich an und die Aermchen und Händchen des Kindes langen nach beiden. »Vater – Mutter!« Und die Blumen in den Fenstern sehen auf ein glückliches Familienbild herab.

Eine Weile plaudert das Ehepaar noch, dann sagt Gruber mit einem Lächeln, das den Ernst seiner Worte verdecken soll: »Also, Cilgi, bei dem Hallo von heute streckst du den Kopf nicht zu weit vor. Uns geht die Hetze nichts an!«

Ein Schatten fliegt über ihr feines Gesicht.

»Thorheit, Sigismund!« erwidert sie erschrocken. Er lacht gutmütig und schwingt sich in den Sattel. »Also, Cilgi und Lorenzlein,« ruft er noch, »auf Wiedersehen morgen abend!«

Und in raschem Trab reitet er thalwärts, um seine Säume einzuholen.

Die einfach gekleidete Frau und der Knabe grüßen ihm nach.

Doch kränkt sich Cilgia ein wenig; sie kränkt sich, daß ihr Mann geglaubt hat, ihr wenigstens mit einem Wort andeuten zu müssen, was sie am Tage, da Markus Paltram in Puschlav ist, zu thun und zu lassen habe. Als ob sie nicht müßte, was sie nach den Geschehnissen der Vergangenheit ihrem Gatten und sich selber schuldet!

Was ist da weiter dabei, daß Markus Paltram in Puschlav ist? Für sie ist er tot! Sie wird sich um die Bärenjagd nicht kümmern, die heute den ganzen Flecken in Aufruhr versetzt, sie wird sich den Festzug nicht ansehen, der Markus Paltram, dem Bärentöter, bereitet wird! Nur für die armen Bergamasken wird sie sich freuen, wenn es ihm, der als bester Schütze und Jäger vom Gemeinderat herbeigerufen worden ist, gelingt, die bösartige Bestie zu erlegen, die aus den Zernetzerbergen herübergekommen ist und unter dem Alpvieh unendlichen Schaden angerichtet hat.

Sie tritt mit ihrem Buben in den großen schönen Garten, wo sich Blüten und anreifende Früchte mengen. Sie fährt mit der Hand verträumt durch den Lockenkopf des Knaben, lächelt ihm zu und sucht seine lebhaften, schönen Augen, als müßten sein Blick, sein Name einen quälenden Gedanken bannen.

Wie lieb ist ihr das Büblein, sein trostreiches Gesichtchen! Welch unendlichen heimlichen Kampf hat sein Lächeln und Lallen, hat sein werdendes munteres Geplauder und jetzt sein Spiel in ihrer Brust zur Ruhe gebracht, einen Kampf, von dem niemand als Gott gewußt hat! Vor diesem Kinde hat sich ihr stolzes Herz leicht und mühelos in das Versprechen gebeugt, das sie dem sterbenden alten Gruber gegeben hat, und es ist, als ob aus dem Knaben, der seinen Namen trägt, der Segen ströme, den der Großvater Lorenzchens über sie und Sigismund gesprochen hat.

Einmal freilich hat sie es anders erträumt.

»Ich meine,« sagte sie einst, von der Landsgemeinde heimreitend, zu Pfarrer Taß, »ich sollte zu einem Mann emporsehen können wie zu einem Berg, und es müßte von ihm Firneschein ausgehen für mich und viele! Dann könnte ich ihn lieben und ihm dienen wie eine Magd.«

Daran denkt sie, während sie im Garten die hängenden Blumen aufbindet und die Raupen von den Bäumchen abliest.

Sie schaut mit ihren goldbraunen Augen träumend vor sich hin.

Sigismund ist kein solcher Berg; ihm kann sie nicht dienen wie eine Magd. Er ist ein wackerer, aufrechter Mann, die Selbständigkeit, deren er sich seit dem Tode des alten Lorenz erfreut, hat ihn gereift; er führt das Geschäft nach den Grundsätzen strenger Ehrlichkeit und ist geachtet von Mailand bis Innsbruck. Aber im letzten Grund fehlt ihr doch etwas an ihm. Als sie ihm das Jawort gab, war er zufrieden; er fühlte, so oft sie ihn auch dazu reizen wollte, das Bedürfnis nie, ihr Innenleben zu ergründen; er ist eine jener einfachen Naturen, die da glauben, mit dem Ja am Altar sei die Beständigkeit der Liebe für das ganze Leben verbürgt, er weiß nichts davon, daß ein Frauenherz immer frisch gewonnen werden muß. Er spinnt für sie in zu kurzen Fäden.

Und manchmal vermißt sie an ihm eine natürliche Zartheit, jene Zartheit, die zuweilen selbst ein rauher Bergamaskerhirte übt. So heute, als er sie mit einem Wort vor Paltram warnte – wozu an der wehen Vergangenheit rühren? – so namentlich damals, als er von Mals herüber den langen Hitz als Knecht heimbrachte.

Wie hatte es damals nicht in ihrer durch gemeinsame fruchtbare Arbeit gesegneten Ehe von scharfen Worten gestoben!

»Schämst du dich nicht, Sigismund,« hatte sie ihm mit flammendem Vorwurf gesagt, »den Mann in deinen Dienst zu nehmen, der den großen, schweren Schatten über deine Jugend geworfen und sie vergiftet hat, der, so oft du ihn siehst, dich an unsägliche Schmach erinnert – denkst du nicht, daß der selige Vater sich im Grabe wendet, wenn er den unter unserem Dache weiß?«

Da war Sigismund allerdings wie aus der Befangenheit eines Traumes erwacht.

»Cilgia,« stotterte er, »du hast recht, er muß wieder fort! Aber jetzt lasse ihn eine Weile – stelle mich vor den Knechten, die auf deinen Zorn aufmerksam geworden sind, nicht bloß.«

Und sie kämpfte den tiefen Schmerz und Zorn nieder, damit niemand im Hause merke, daß zwischen ihr und ihrem Manne ein Zwiespalt sei.

Aber nun ist bald ein Jahr vorüber – der lange Hitz, allerdings bei aller Geneigtheit zu Spaß und thörichten Streichen unter den Knechten der tüchtigsten einer, ist noch da, und Sigismund gibt ihm auffällig den Vorzug vor den anderen und wird ungehalten, wenn sie ihn leise mahnt, er möchte ihn entlassen.

Doch ist es gerade jetzt ihr besonderer Wunsch, daß der lange Hitz fortgeschafft werde! Die Knechte in der Gesindestube und die Mägde in der Küche flüstern sich Dinge von ihm zu, die ihr nicht gefallen – er ist der Unruhestifter unter den vielen braven, treuen Knechten, die Sigismund vom alten Lorenz übernommen hat, und gerade die redlichsten unter ihnen – das spürt sie – mögen ihn nicht leiden.

Dennoch ist Cilgia nicht unglücklich. Ihr gefällt die lebensvolle Welt, die sie umgibt, die Saumhalterei, in der sie sich in schöner Ergänzung zu ihrem Manne überaus nützlich bethätigen kann. Sie führt die Bücher, sie schreibt die Briefe an die Geschäftshäuser der Lombardei, der Städte Zürich, Basel, Innsbruck, Bozen, die Bestellungen der Warenfuhren gehen durch ihre Hand, gemeinsam mit Sigismund berät sie Tag um Tag, Woche um Woche, wie die Knechte und die hundertzwanzig Pferde, die in den Stallungen von Puschlav, Tirano, Bormio und Chiavenna stehen, am vorteilhaftesten auf die Straßen zu verteilen sind. Und sie muß nur zu einem Sorge tragen: Sigismund soll das glückliche Gefühl bewahren können, daß er der Herr und Saumhalter ist. Es gibt im Engadin und im Veltlin böse Zungen genug, die behaupten, sie habe eigentlich mit ihrer heimlichen Arbeit das Geschäft zu so großer Blüte gebracht.

Nein, sagt sich Cilgia, es ist gemeinsame treue Arbeit!

Ein Glücksstern steht über dem Haus Gruber. Alles, was in diesen Bergen noch zu säumen ist, fällt ihm zu. Während die Saumhaltereien im Veltlin und Engadin aus Mangel an Aufträgen die Pferde verkaufen und eingehen, weitet sich die ihre – und an Neid auf das stolze Geschäft fehlt es hüben und drüben nicht.

»Für das Engadin war es ein Unglückstag, als Ihr, Frau Cilgia, uns verließet! Ihr hättet eine der unseren werden sollen!« So hatte der Landammann mit einem bitteren Lächeln gesagt, als er kürzlich im Vorüberritt zu einem Gruße vorsprach, der alte feine Herr, der immer noch eine Schwäche für sie hat.

Sie wäre gern Engadinerin geworden – aber nun hat sie das Schicksal an die Seite Sigismund Grubers geführt.

Und im tiefsten Herzen hat sie jetzt nur noch einen großen Wunsch: daß Sigismund sich als Bürger zu Puschlav einkaufe, seine Gedanken über das eigene Geschäft erhebe und sich, wie ihr Vater, in den Angelegenheiten des Gemeinwohls bethätige.

Denn nach ihrer Meinung gehört der Sinn für das öffentliche Leben zu einem ganzen Manne.

Sie träumt – sie ist in ihrem raschen Sinnen die unverwüstliche, in die Wolken bauende Cilgia von ehedem.

Die steigende Sonne äugelt durch die Bäume des Gartens, Cilgia, selber ein Kind, spielt unter herzlichem Lachen mit Lorenzchen, sie versteckt sich, es sucht sie und jubelt laut auf, wenn es sie findet.

Da ist es Cilgia plötzlich, eine schwarze Wetterwolke fahre auf den Garten nieder, und das silberne Lachen erstarrt auf ihren Lippen. Die Mutter Pejder Golzis, das alte, hagere Weib, der wandernde Tod, tritt in den Garten. Die dünnen Haare der Alten stiegen, die Arme fuchteln in die Luft – sie stößt unverständliche Laute der entsetzlichsten Wut hervor.

»Die böse Frau – die böse Frau!« Der kleine Lorenz rennt vor ihr schreiend zu seinem Mütterchen und birgt sich in ihrem Schoß.

Die Alte aber kreischt: »Daß dein Mann ehrlos sterbe, daß sein Gebein an der Sonne dorre, das gebe der Himmel – daß sein Kind, dein Kind – –«

»Ums Himmels willen, thut meinem Kinde nichts!« schreit Cilgia erschüttert. – Sie weiß nicht, was geschehen ist – sie umschlingt schützend das blonde Haupt des Knaben, sie rafft ihn auf – sie flieht mit ihm vor der wahnsinnigen Alten ins Haus.

Da stellt sich die Wahrsagerin vor die Thüre und schreit ihre Flüche zum Fenster empor, bis der alte Thomas die Rasende mit dem Besen hinwegjagt.

Was ist geschehen? – O, Cilgia erfährt es bald genug.

Vor dem Bilde Katharina Diantis, wohin sie sich immer flüchtet, wenn der Sturm durch ihre Seele geht, schluchzt sie seit Stunden. Was hat Sigismund gethan!

Er kam, als er am Morgen vom Hause ritt, eben an die Grenze des Veltlins in der Thalschlucht von Campocologno, als dort die Zöllner sich anschickten den Wagen Pejder Golzis zu untersuchen. Der Hauderer aber führte Contrebande, und wie er und sein Weib die Absichten der Gendarmen merkten, wollten sie mit einem raschen Ruck das Fuhrwerk auf Bündnergebiet zurückziehen. In diesem Augenblick sprengte Sigismund heran und stellte sein Pferd so quer über die Straße, daß der Wagen des Hauderers in der Gewalt der ihn verfolgenden Gendarmen blieb. Die Frau und die Bettelkinder jagten sie über die Grenze zurück, Pejder Golzi aber führten sie gefesselt nach Triano.

Das ist das Ereignis, weswegen die alte Wahrsagerin den Fluch über das Haus gerufen hat.

»Und er ist ruhig weiter geritten!« stammelt Cilgia in brennendem Leid, sie empört sich über Sigismund immer stärker. Sie weiß wohl, warum er es that! Er hat sich bei den Zollbeamten, die ihn und seine Säume selbst nicht immer freundlich behandeln, in Gunst setzen wollen. Aber sie spürt es: was Sigismund gethan, ist eine Gemeinheit. Der reiche Gruber hat den Hauderer, den armen Teufel, der ihm das Leben aus den Händen der Franzosen rettete, ins Unglück gestürzt! Und sie denkt an die acht hungernden Würmer des fahrenden Glockengießers.

Sigismund hat es gethan ohne zwingende Not – er hätte, ein Geschäft vorschützend, sein Pferd leicht bei Campocologno anhalten können – nur um eines kleinen Vorteils willen hat er es gethan! Cilgia knirscht vor Zorn über ihren Mann.

Da kommt der kleine Lorenz ins Zimmer gesprungen: »Mutter, Mutter, sie kommen, hörst du die Trompeten? Der Jäger hat den Bären getötet!« Und sein Gesichtchen glüht vor Freude.

Von fernher tönt die ländliche Musik durch den in den Abend versinkenden Tag und von den Bergwäldern erklingt das sanfte Echo. Die lustige Jägermelodie nähert sich.

Da erhebt sich Cilgia, sie herzt ihren Buben, und in wehem Trotz gegen ihren Mann thut sie, was sie am Morgen noch um ihr Leben nicht gethan hätte: sie stellt sich auf die Altane hinter die blühenden Oleander; den Buben im Arm will sie in einem Anfall von Heimweh nach glücklicheren Tagen Markus Paltram sehen.

Den altertümlichen, malerischen Flecken hinab bewegt sich der Festzug. Voraus mit geschmückten Hüten die Pfeifer und Bläser. Auf dunklem Tannenreisig, das einen vierspännigen Wagen bedeckt, ruht der tote gewaltige Bär. Hinter diesem Gespann fährt in offener zweispänniger Kalesche Markus Paltram, der Jäger, der Triumphator, das Gewehr über den Knieen. Grau wie der Fels ist sein Kleid, düster wie immer blickt er vor sich hin, er ist ein Einsamer mitten unter den Menschen, er übersieht und überhört die Huldigungen der ländlichen Menge, die, Tücher und Hüte schwenkend, in den Fenstern der altertümlichen Häuser und auf der Straße steht.

Aber etwas Würdiges, Hoheitsvolles, Bezwingendes liegt in der kraftvollen Gestalt.

Hinter ihm in offenem Wagen folgt der Gemeinderat in würdigem Sonntagsstaat, die harten Filzhüte auf den scharfgeprägten Köpfen, und das malerische Volk der Bergamasken, das den rauhen Mantel um die Schultern geschlungen hat, schließt das Gepränge.

So naht sich der Zug der Saumhalterei Grubers und die Spitze hat sie schon erreicht.

Mit hochwogender Brust steht Cilgia hinter den Oleandern.

Da klatscht der kleine Lorenz in die Hände, er zappelt und schreit: »Mutter, Mutter – der Jäger!«

Im gleichen Augenblick hebt Markus Paltram sein wuchtiges Haupt – eine Lohe übergießt sein Gesicht – und mehr erlebt Cilgia nicht. – Sie flüchtet in das Halbdunkel des gegen die Sonne abgesperrten Gemachs – sie bedeckt das vor Scham glühende Angesicht – sie hört es nicht, wie ihr Bube »Mütterchen – Mütterchen!« bittet.

Sie hat Markus Paltram wiedergesehen, den Mann, der sie in die tiefste Seele beleidigt hat – den Mann, den sie doch nie, nie hat vergessen können!

Mit gefalteten Händen sitzt sie wie eine Statue da.

Hat auch er sie gesehen? – Hinter den dichten, reichblühenden Oleanderbüschen wohl nicht – aber durch den Schrei des Buben weiß er, daß sie dort gestanden hat. Er hat sie schwach gesehen – darüber ist sie unglücklich.

Die Nacht ist eingesunken, aber es ist nicht die schweigsame Nacht des Gebirgsthales, in der man durch den schmalen Spalt der Wälder die fernen goldenen Sterne über bleiche Gipfel ziehen sieht und die fernen Bergbäche in an- und abschwellenden Tönen rauschen hört, sondern der Qualm von Lichtern und Fackeln steigt über die Dächer des Fleckens und vom Rathausplatz herüber klingen die Geigen und Pfeifen. Das Völklein von Puschlav tanzt Markus Paltram zu Ehren und die Bürger pokulieren.

Was reden die Männer, die auf dem Rathaus Becher an Becher stoßen? – O, sie weiß es, sie lassen Markus hoch leben und sie fluchen auf die Missethat Sigismund Grubers.

Cilgia kämpft vor dem Bild Paolo Vergerios und Katharina Diantis. Wie sie Markus Paltram haßt, wie sie ihn verachtet! – Was ist er? – Ein Jäger, ein Abenteurer wie der gespenstische verrufene Ritter von Guardaval, ein Mann, der sich in sträflicher Selbstherrlichkeit über die Menschen erhebt und hinwegsetzt, der nur in sich selber lebt und unfruchtbar bleibt für das Land, der mit seinen Ansprüchen keine Stätte hätte, lebte im Volk nicht unbewußt die Freude an der Romantik, sähe es den grauen Jäger nicht ebenso gern wie den kreisenden Adler über den weißen Flammen des Gebirges! Ruhelos schweift er mit seinem Stutzen und seinem Wolfshund Malepart.

In der Bernina hat er eine Gemsenheimat gegründet, wie es keine zweite gibt im Gebirge. Da weiden unter seinem Schutz an die Tausende von Grattieren, und er ist ihr Hüter und Herr. Ja, im Volk verbreitet sich die Sage, er habe sie gezählt, er kenne jedes und habe für jedes einen Namen und einen bestimmten Abschußtag. Im Rosegthal, im Thale von Bevers und Camogask, am Piz Languard und Mont Pers, an einer Menge Wände des Gebirgs hat er künstliche Salzlecken angelegt und unterhält sie, damit die Tiere gern im Revier weilen; er wildheut im Sonnenbrand an den Felsenplanken und legt in trockenen Höhlen Vorräte an; er trägt den Tieren im Hochwinter, wenn sie Mangel leiden, das Heu zu, daß sie sich sättigen; und die Jagd übt er wie eine Kunst. Er schießt nie, wenn ihn die Gemsen sehen können. Ist an einer Stelle des Gebirgs ein Schuß gegangen, dann gibt er dieser Gegend langehin den Frieden, damit die Tiere wieder sorglos werden, und im Rosegthal sind sie so zutraulich gegen ihn, daß sie alle Scheu ablegen, von den Bergen steigen und das Salz aus seiner Hand lecken. Das ist Markus Paltram, der Jäger, und die Bernina ist sein Gemsenparadies.

Ringsum im Gebirge, Tagereisen weit von Pontresina, kennen ihn die Hirten. Er ist bald in den Zernetzer- bald in den Albulabergen, er durchwandert das Bergell und streift auf den Felsenhöhen zwischen dem Veltlin und der Lombardei, ja er wandert bis ins Tirol, und nach den Grenzen der Länder und der Jagdrechte fragt er nicht. Er wird zwar nicht Frevler; aber mit Schreckschüssen treibt er aus weiter Runde das Wild der Bernina zu. Glühend hassen ihn darum die italienischen und tirolischen Jäger, Hinterhalt an Hinterhalt legen sie ihm in ihren Bergen, er fällt in keinen, nein, erhobenen Hauptes schreitet er wie zum Hohn durch die fremden Dörfer. Aber wehe dem italienischen oder tirolischen Jäger, der in die Bernina einbricht, in die gemsenreiche Bernina! Wenn es sein muß, dann eilt Markus Paltram furchtlos auf schmaler Grasplanke gegen das zum Schuß angelegte Gewehr des Wilderers, und sonderbar: vor seinen Camogaskeraugen sinkt der Stutzen, der Feind, der im Vorteil war, wird wehrlos. Markus Paltram stürzt sich auf ihn, reißt seine Waffe an sich und donnert ihm zu: »Das nächste Mal auf Leben und Tod – jetzt fort, du Halunke!« Und er schlägt sie in gräßlichem Zorn. Es kommt aber keiner wieder, der Markus Paltram in seiner Wut gesehen hat.

Die Engadiner selbst missen nicht, sollen sie sich freuen, daß ein so Gewaltiger unter ihnen ist, der für sie die scharfe Wache gegen die fremden Jäger an der Bernina hält?

Oder sollen auch sie Markus Paltram mißtrauen? Heute noch duldet er sie in der Bernina, aber morgen vielleicht wirft er sich zum Alleinherrn der weißen Gipfel auf. Das Volk sagt, er wachse und wachse im Schweigen des Gebirges, aber was in ihm lebt, was unter den schweren Brauen ruht, deutet niemand.

Manchmal steigt aus seiner Düsterheit ein wilder Uebermut. Die Bergamaskerhirten zittern vor ihm. Er tritt mitten in der Nacht in ihre Hütten, er heißt sie aufstehen, den Kienspan anzünden, dann setzt er sich ruhig auf einen Schemel, sagt: »Singt mir ein Lied!« – »Warum singt ihr nicht?« fährt er sie an. – Und siehe da, unter dem Blick seiner stammenden Augen beginnen die bebenden Bergamasken ihren Gesang, was ihnen eben einfällt, fromme oder weltliche Lieder, und seltsam genug mögen diese nächtlichen Vorträge sein.

Er aber nimmt aus seinem Murmeltiersack ruhig etwas Roggenbrot, er streicht aus einer Büchse etwas Berghonig darauf und schiebt die Stücke zwischen die blanken Zähne und hört dann eine Weile noch in dumpfem Brüten dem Gesang der Schafhirten zu. Dann verabschiedet er sich mit einem kurzen Dank.

Die Hütten, wo Kinder sind, verschont er mit seinem nächtlichen Besuch, am Tage aber ruht er sich gern bei ihren Spielen aus. Er hat oft kleine Geschenke für sie, er erzählt ihnen, er habe zu Hause auch ein liebes Kind, das lerne eben gehen und sprechen und heiße Jolande.

»Und was thut Ihr mit Euren vielen Gemsen?« fragen die Kinder.

»Mit denen hausiert meine Frau Pia in den Dörfern des Engadins und verkauft das Pfund zu einem Batzen.«

Noch ist Markus Paltram jung, und schon hat das abergläubische Volk der Bergamasken einen Sagenkranz um ihn gewoben:

Oft sitze er stundenlang, das Gewehr über den Knieen, unbeweglich auf einem Stein und denke nach.

Von Zeit zu Zeit suche er den Weg auf den Piz Bernina. Wenn es ihm nicht gelingt, die Spitze zu erreichen, könne er nicht selig werden.

Die oberste Spitze reinen Schnees bringe er dann einer Königin, und darauf werde sie ihn von seinem Camogaskertum erlösen.

In einer bangen, schweren Nacht denkt Cilgia an die Menge Züge, die das Volk von Markus Paltram erzählt.

Und wie Quellen aus dem Erdreich, so steigen holde Liebestage vor ihr auf. Ihre wehen Gedanken flüchten sich in die Zeiten von Pontresina, empor zum Kirchlein Santa Maria, sie denkt an die klingenden Hammerschläge Markus Paltrams – sie denkt an eine wundersame Stunde:

»Sagt, daß ich die oberste Flamme vom unersteiglichen Piz Bernina hole, und ich hole sie und bringe sie Euch in meinen Händen – ich bin stark wie ein Berg – aber Eure Augen müssen auf mir ruhen!«

Ein Wort von ihr beherrscht sein Leben. Sie ist die Königin, von der die Bergamasken fabeln.

In ihren tiefen Gedanken sieht sie zwei Bilder, zwei Männer, zwei Gesichter. Sie sieht ihren blondbärtigen Mann mit den gleichmütigen blauen Augen, mit dem trockenen, geschäftsklugen, auf den nächsten Vorteil bedachten Wesen, den Mann, der Pejder Golzi in die Hände des veltlinischen Gerichts geliefert hat, – sie sieht Markus Paltram, sein dunkles Auge, unter dem ein wallendes Meer von Gedanken und Leidenschaften flutet, den einsam Streifenden, der nicht Frieden findet.

Sie erschrickt – die Linien des blonden Hauptes verblassen und zergehen, die dunklen rätselhaften aber leuchten auf – sie brennen in camogaskerhaftem Glanz.

Cilgia Gruber taumelt auf – sie taumelt an das Lager ihres Buben, sie fährt ihm über die rosigen Wangen, sie beruhigt den erschrockenen Kleinen; an seinem Lager überrascht sie der Morgen, der an den Schneeflügeln des Piz Palü pfirsichrot erglüht.

Unter jenen Schneeflügeln, bei der gespenstischen Steinhütte von Sassal Masone, die sich im ersten Sonnenrot deutlich von den Wänden des Gebirges abhebt, ist sie einst in unendlichem Glück mit Markus Paltram gestanden.

Mit Gewalt ringt sie sich von der schönen Erinnerung los.

Am Abend kommt Sigismund! Was wird sie ihm sagen?

Scheinbar geht das Tagewerk wie sonst, denn in der Saumhalterei Grubers ist, ob der Meister zu Hause sei oder nicht, die Thätigkeit eines jeden geregelt: die Warenkarawanen kommen und gehen mit dem Schlag der Stunde, die Reisenden, die über die Pässe ziehen, schließen sich ihnen an, und wenn nicht Sturm im Gebirge herrscht, so gleicht der Betrieb des Geschäftes einem Werk, das an Schnüren spielt.

Aber eine schlecht verborgene Unruhe ist heute doch unter Knechten und Mägden.

In Puschlav spricht man von der That Sigismund Grubers, des reichen Saumhalters, der den armen Hauderer in die Hände des Gerichts geliefert hat, der Volksmund trägt die Kunde von Thal zu Thal und die Rettung Sigismund Grubers durch Pejder Golzi in der Franzosenzeit lebt wieder im Gedächtnis der Leute auf.

Um so kleinlicher erscheint Grubers That.

Wohlgelaunt und mit einem gemütlichen Lachen kommt Sigismund am späten Abend nach Hause geritten – er sieht nicht, wie blaß sein Weib ist – er erzählt ihr von günstigem Handeln.

»Ich wüßte dir auch ein Geschäft,« versetzt Cilgia traurig; »wir müssen einen Mann suchen, der für die ihres Ernährers beraubte Haudererfamilie sorgt – ich denke an Driosch! Ja, Sigismund – schau mich nicht so verwundert an – der Blitz hat in unser Haus geschlagen!«

Langsam dämmert es im Kopfe Grubers, daß er zu Campocologno statt eines klugen Streichs, wie er meinte, eine große Thorheit begangen hat. Ein entrüsteter Brief des Pfarrers Taß öffnet ihm die Augen vollends. Aber noch etwas anderes brennt ihn: wie er Lorenzlein auf den Knieen hält, erzählt der Knabe von dem Bären und dem Jäger. »Mit Mütterchen bin ich auf dem Balkon gestanden und habe Markus Paltram gesehen.«

Das trifft Sigismund Gruber ins Mark. Wenn sie mich noch ein wenig achtete, hätte mir Cilgia das nicht angethan! – Ja, der Blitz hat in unser Haus geschlagen, und überall grollt das Volk wegen der Gefangennahme des Hauderers!

Zornmütig, finster läßt er die Tage gehen.

»Meister, Ihr müßt Euch etwas zerstreuen,« mahnt der lange Hitz mit seinem altjungen Galgenvogelgesicht.

Gruber ist fleißiger auf den Pässen unterwegs als je, und er kehrt nicht gern heim. Denn die traurigen Augen, die blassen Wangen seines Weibes quälen ihn. Cilgia spricht ihm zu, aber er verstockt sich, und sie ahnt Unglück.

Sie ruft Thomas, den vom Vater überkommenen steinalten Knecht.

»Thomas: ich möchte den langen Hitz aus dem Hause haben – Ihr begreift mich.«

Da leuchtet das Gesicht des guten Alten verständnisvoll auf. Nach einigem Sträuben beichtet er zögernd, was er weiß. »Der lange Hitz,« erzählt er, »geht nie mit den Säumen die Windungen zur Berninahöhe, sondern steigt über die Felsen g'rad' auf gegen Sassal Masone. Kommen die Tiere dann aber auf den weiten Wegbogen langsam zur Höhe, so wartet er schon bei den Seen – er schiebt eine tote Gemse, die am Weg versteckt liegt, rasch unter die Wachstücher. Ein Gewehr trägt er nicht, und woher er die Tiere hat, weiß niemand recht. Die Knechte reden aber von einem Gatter, in dem er sie oberhalb Sassal Masone an einer Salzlecke des Palügletschers fängt, und Wirtshäuser, wo man den Säumern gern ein Grattier brät, gibt's genug an den Wegen, denn das Gemsfleisch will Veltliner Wein, der lange Hitz schlägt die Maultrommel, und ein paar lustige Weibsbilder sind bald zum Tanze da.«

Cilgia zaudert. Dann sagt sie: »Thomas, wie ich ein Kind war, habt Ihr mich auf den Armen getragen. Darum eine Gewissensfrage, die ich an niemand stellen würde als an Euch: Weiß mein Mann davon?«

In ihren goldbraunen Augen steht das Wasser. – Hilflos stammelt der Alte: »Ich denke es. – Er ist ja als kluger Herr immer da an den Straßen, wo ihn die Leute am wenigsten erwarten. Man glaubt ihn zu Eleven, dann ist er auf dem Stilfserjoch. Ich sage nichts gegen den Herrn, aber er schaut dem langen Hitz viel zu viel durch die Finger, und der Strick ist unverschämt vertraulich mit dem Herrn. Die anderen Knechte murren. Der Herr sollte es sich nicht so zu Herzen nehmen, daß ihm die Bündner das Jagdrecht verweigert haben. Er sollte das Bürgerrecht kaufen. Dann hindert ihn niemand an der Jagd.«

Zu spät!

Eines Tages bringt ein fremder Säumer Cilgia ein Paket.

»Es kommt von Markus Paltram,« sagt er und geht – und sie öffnet die seltsame Sendung mit bebenden Fingern.

Da rollt ihr unter den zitternden Händen der Ehering hervor, den sie Sigißmund geschenkt hat, er fällt über die Tischkante und klirrt auf dem Boden.

Sie schreit auf.

In dem geöffneten Paket liegt die schöne goldene Uhr Sigismunds, sein Taschenmesser mit den eingetriebenen Silberarabesken, sein Geldbeutel mit einigen Goldstücken und seine Brieftasche mit Noten – und darum her ein abgebrochenes Gemshorn.

Ist Sigismund tot?

Cilgia steht fassungslos vor den Dingen. – Da sieht sie noch einen versiegelten Brief – sie öffnet ihn.

Markus Paltram schreibt in kraftvollen Buchstaben:

»An die hochzuverehrende Cilgia Premont! – Ihr wünschtet einmal, daß ich nicht schuldbeladen aus den Bergen komme, und Ihr habt einem Unwürdigen zu Puschlav die Ehre erwiesen, daß Ihr vom Balkon auf ihn niedersaht. Darum habe ich Euern Mann, der jagte, ohne ein Recht dazu zu haben, unter vier Augen gewarnt und ihm kein Haar gekrümmt, obgleich ich ihn hasse wie den Tod. Damals trug er ein Gewehr, das zweite Mal überraschte ich ihn mit dem langen Hitz vor einer Gemsfalle am Palügletscher. Vor einer Gemsfalle! Meine Jägerpflicht wäre gewesen, beide zu erschießen. Und das Gewehr lag an der Wange – und das Blut war heiß – Ihr kennt mich ja! – Aber ein Wunder begab sich – ein als Camogosker Verschrieener hat den Jähzorn bezähmt – bezähmt wegen einer Frau, die er anbetet in der Einsamkeit der Wildnis – für die er immer noch bereit ist, die Flamme vom Piz Bernina zu holen – die er um ein einziges Wort bittet: Markus, ich vergebe dir!'

Ich schüttelte den Wehrlosen, ich zeigte ihm von der Höhe des Gletschers Euer Haus, ich sagte ihm: ›Geht dort hin und kniet nieder vor Eurem herrlichen Weib! – dankt ihm das Leben.‹ Und ich ließ ihn. Da wandte sich der Elende: ›Einer von uns muß doch sterben!'‹Da machte ich ihn ehrlos. Ich lege die Zeugen in Eure Hand! Mögt Ihr ihm die Ehre wiedergeben, wenn Ihr es für gut findet!«

Der Brief zittert zu sehr in Cilgias Händen, als daß sie ihn hätte fertig lesen können. Sie schwankt zum Schreibtisch – sie zündet eine Kerze an – sie verbrennt ihn – und ob alles an ihr bebt, sie schreibt mit fliegender Feder einen Brief an Sigismund. – Sie siegelt ein frisches Paket – sie ruft Thomas.

»Wißt Ihr, wo der Saumhalter ist?«

Der Alte kraut sich im Haar und will mit der Sprache nicht heraus. Erst als er die Seelenangst im Gesicht Cilgias sieht, beichtet er: »Es ist ein Getuschel und Geflüster unter den Knechten und Mägden, der Saumhalter sei gestern spät, ohne einzutreten, am Haus vorbeigeritten. Er liege krank zu Tirano.«

»Gut. Dann bringt ihm diesen Brief und dieses Paket – ohne Aufsehen. Sagt ihm, ich lasse ihn herzlich grüßen.«

Wie der alte Thomas aber gegangen ist, bricht Cilgia zusammen.

Unergründlich ist das Frauenherz. Sie hat Gruber einen schönen Brief geschrieben: »Sigismund! – Nimm die Sachen zu Dir und kehre heim. Ich halte auch in dieser schweren Stunde das am Altar versprochene Wort, ich werde Dich ohne Vorwürfe empfangen. Retten wir um Lorenzleins willen, was zu retten ist, den langen Hitz aber schicke noch in Tirano von Dir. Gib ihm Geld und lasse ihn vor einem Priester schwüren, daß er fürder wenigstens acht Tagereisen weit von unserem Berglande bleibe und schweige. Deine trauernde Cilgia.«

In der Nacht schleicht ein Unglücklicher in sein stolzes Heim – und ein Verführter weint auf den Knieen vor seinem Weib: »Es ist erst wenige Male, daß ich mit dem langen Hitz gegangen bin. – Cilgia, Cilgia, vergib mir und verlasse mich nicht.«

Sie hebt ihn auf – und das junge Paar versucht ein neues Glück zu bauen. – Der lange Hitz ist fort – die rechtschaffenen Knechte freuen sich – aber der erste, der einsieht, daß es kein Glück mehr gibt, ist Gruber. Die Güte seines Weibes ist, wie sie es verberge, ohne Achtung, ihr freundliches Wort bleibt auf halbem Weg stecken. Sie kann nicht heucheln – auf ihren Wangen stehen schlecht getrocknete Thränen und ihr heimlicher Kampf ist Feuer auf sein Haupt. Auch die Plauderworte Lorenzleins verlassen ihn nicht – Cilgia hat Markus Paltram wiedergesehen.

»Sie liebt ihn – tief unter der Hülle ihres Stolzes liebt sie ihn – und für mich hat sie nur Güte!« Das quält Gruber.

Im Volk aber wütet der Groll wegen des Hauderers, der zu drei Jahren Kerker in Bormio verurteilt ist.

Da beherrscht den unglücklichen Sigismund Gruber nur noch ein Gedanke – – – Rache an dem, der ihn entehrt hat vor seinem Weib! »Einer von uns muß sterben!«

Er weiß wohl, wo er Markus Paltram zu suchen hat. Immer wacht der graue Jäger jetzt an den milden jähen Eisabstürzen des Palügletschers hoch über Sassal Masone, wo der lange Hitz die Gemsgabel gestellt hat.

Dort liegt auch das Gewehr, das der selige Vater von Markus Paltram hat verfertigen lassen, im Versteck.

Auf weiten heimlichen Wegen, durch menschenverlassene Thäler, über öde Grate treibt es Sigismund Gruber die herbstlichen Berge dahin in die Einsamkeit des Palügletschers.

Und die Geschicke erfüllen sich!


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