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XIV.

»Ihr werdet von mir hören!«

Durch das verschneite Berninagebirge irrte ein Mann, der sein Weib beerdigt hatte, und schrie nach einer guten That – nach einer guten That Cilgia Premont zu Ehren. Und er meinte, er würde nie selig, wenn er den Weg nicht fände, sein Versprechen einzulösen – ihr zu zeigen, daß er der Verworfene nicht sei, für den er im Volk gelte.

»Ihr Berge, ihr wißt es – ich habe getötet – aber nur in bitterster Not! – Sigismund Gruber, werde lebendig – ich will für dich in die Spalte steigen – aber gib es zu,, daß vorher noch ein reiner Schein auf meinen Namen fällt!«

Und er besah seine Hände.

»Sie sind nicht rein genug,« spricht er kopfschüttelnd. – –

Ja, eine gute That!

Da gehört nicht nur das Wollen dazu, sondern das Erbarmen des geheimnisvollen Höchsten der Welt, daß mir die Gelegenheit zu ihr finden.

Und als es Markus Paltram selbst nicht glaubte, da erbarmte sich seiner das Geschick und schmückte den verfemten Namen des Camogaskers.

Es war an einem schönen hellen Wintertag mit Sonne und blauem Himmel. Da zog eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, die mit einem Saumzug von Chur aufgebrochen war, über den Albula. An den jähen Albulabergen glänzte viel neuer Schnee. Die Säumer waren unruhig und trieben die Pferde rasch. Da und dort an den obersten Hängen flog von Zeit zu Zeit ein Wölklein von Schnee auf, in der Höhe herrschte heftiger Wirbelsturm und kleine Lawinen rissen Furchen in die Hänge. Die Reisegesellschaft sah schon durch die Spalte des Weges einige Häuser im tiefen Grunde des Engadins. Da stoben die Wolken an den Höhen plötzlich stärker auf, die ganze Schneehalde über der Straße fing zu leben und zu rauschen an. Die Gesellschaft stürmte vorwärts und verlor den Zusammenhang. Der Schnee begann zu rieseln und zu stäuben und es wurde dunkel. Durch das Tosen hörte jeder die Schreie der anderen. Dann bedeckte die Lawine die Gesellschaft, die Verschütteten spürten mit beklemmender Angst, wie die Last über ihnen größer wurde. Dann schwanden ihnen die Sinne.

Da kam Markus Paltram vom Martinimarkt zu Chur, wo er Gemsfelle verkauft hatte. Er sah die frische Lawine – schaute sich um, Malepart schnupperte im Schnee, und plötzlich tauchte der Huf eines Pferdes aus der Wüstenei. Markus Paltram wußte, wo die Weger ihre Schaufeln und ihre Werkzeuge in den Felsen bergen. Er holte sie, und in drei Stunden grub er mit Malepart die Gesellschaft aus – zuerst eine Frau und ein Kind – zuletzt einen fremden Maler, rieb sie mit Schnee ein und brachte sie zu Atem – den Maler erst nach anderthalb Stunden.

Mit Feuereile lief durch das Engadin, durch alle Thaler des Bündnerlandes die überraschende Kunde:

Markus Paltram, der Herr der Bernina, hat am Albula sieben Menschen aus einer Lawine gerettet, und man las die Namen der dem Grab Entrissenen: Adam Näf, Seidenhändler von Aarau, Ludwig Georgy, Kunstmaler aus Leipzig, Frau Elisa Candrei, Gastwirtin von Vormio, mit ihrem siebenjährigen Söhnchen, Giulio Battisti von Bibiana, ein Italienerjunge, der mit einem Murmeltier die Welt durchzogen hatte, und die Säumer Rudolf und Thomas Calonder von Thusis.

In Samaden wurde die That zu Protokoll gegeben und von den Geretteten unterzeichnet.

Am Schluß des Protokolles steht:

»Nach drei Tagen ist die Gesellschaft heil über die Bernina gezogen.«

Die Rettungsthat ist eine der glänzendsten in den Chroniken des Gebirgs. In der steten Gefahr, selbst von neuen Lawinen begraben zu werden, hat sie Markus Paltram vollführt.

Die Kunde davon war der Reisegesellschaft nach Puschlav vorangeeilt. Die Bewohner standen am Weg und grüßten freudig – denn es ist immer etwas Großes, Menschen, deren Leben schon verloren war, in die Augen zu blicken. Es ist fast eine Freude, wie wenn man das Wunder an sich selbst erlebt hätte.

Cilgia sah mit Lorenz vom Balkon auf den kleinen Zug.

Na rief der leichtsinnige junge Maler: »Lebt wohl, Herr Näf – gute Geschäfte im Veltlin! Wenn ich von Rom komme, besuche ich Euch zu Aarau!«

Und er grüßte zum Ballon empor und trat in das Haus Cilgias.

»Gestattet, daß ich Euch einen Gruß meines Retters zu Pontresina bringe und Euch unser Reiseabenteuer erzähle.«

Ludwig Georgy, der unter dem Mantel die Sammetjoppe des Künstlers trug, war ein starkknochiger, rauhbärtiger, herzfröhlicher Geselle, jung und voll Hoffnungen, zum Lachen und Plaudern allezeit aufgelegt. Und wenn er lachte und plauderte, so lag darin eine sonnige Welt von Treuherzigkeit.

Ihn fesselten die Bilder Paolo Vergerios und Katharina Diantis; er bat um die Bewilligung, sie nachzumalen; er schloß mit der Besitzerin der Gemälde Freundschaft; es gefiel ihm im winterlichen Puschlav überaus wohl, und als die Bilder schon lange gemalt waren, ging er nicht fort.

Dafür zeichnete er, was ihm einfiel – Bürgersleute – Ziegen – Häuser – er zeichnete auch Lorenzlein.

Und er blieb immer noch. Er wohnte im alten Gasthaus des Fleckens, aber fast den ganzen Tag war er im Haufe Cilgias, nur am Abend setzte er sich mit den Puschlavern zum Schoppen und erzählte ihnen fröhliche Geschichten.

Er wußte bald einiges aus Cilgias Leben, sie noch mehr aus dem seinen.

Sie verstanden sich gut und immer besser – die Frau und der Maler.

Ludwig Georgy war eines von vielen Kindern einer schlichten Bürgersfamilie. Er war Lehrling bei einem Schreiner gewesen. In einem Neubau hatte irgend ein adeliger Herr Zeichnungen, die er mit flüchtiger Hand hingeworfen, entdeckt, war sein Gönner geworden und hatte ihn einem Maler, einem tüchtigen Meister, zugeführt. Und auf dem Weg nach Rom hatte der angehende Künstler dann die Bekanntschaft des Seidenhändlers Näf gemacht und war mit ihm in die Bündnerberge geraten.

»Malerlein,« lachte eines Tages Cilgia, »Puschlav ist nicht Rom. – Ihr habt Euch vor einem großen Gönner zu rechtfertigen – ein Ehrenwort gegen Euern Meister einzulösen – –«

»Ihr werft mich also aus dem Hause?« fragte er lustig.

»Ja – aber hört! – ich wünsche, daß das Malerlein zu Rom seinen Studien lebt – sich nicht verbummelt, nicht um ein Butterbrot zeichnet oder malt, sondern sich erinnert, daß er im stillen Weltwinkel von Puschlav eine Freundin hat, die gern von ihrem Gelde ein weniges auf den Altar seiner Kunst legt.«

»Frau Cilgia,« stammelte der Maler hochrot, »versprecht mir nur eins – – –!« Und er stammelte etwas sehr Närrisches.

»Ihr seid ein Thor,« unterbrach sie ihn verlegen, »packt Euere sieben Sachen zusammen und werdet ein Künstler! Wer hätte gedacht, daß ein deutscher Bär so leicht Feuer fängt!«

Und herzlich, herzlich lachte sie ihn aus, den jungen Schwärmer.

Am anderen Tag ritt Ludwig Georgy gegen Tirano.

Die Erinnerung an ihn warf Sonne, viel Sonne in Cilgias Leben.

Mit warmer Teilnahme begleiteten ihn ihre Gedanken.

Ein Geretteter Markus Paltrams, ein Künstler, an dessen Bildern vielleicht die Augen Tausender von Menschen einst voll Freude hangen!

Wenigstens eine Rose blühte auf dunklem See!

Sie war überzeugt: Ludwig Georgy hat Talent – viel Talent – nur etwas ernsthafter, meinte sie, müsse er noch werden.

Und sie herzte ihren Lorenz: »Knabe, daß du mir auch etwas Rechtes wirst!«


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