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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Kitty Clive

Der Inspektor nahm die Zigarre aus dem Munde, richtete sie in die Höhe und heftete seinen Blick ruhig und unbeweglich auf den Eintretenden; kein Triumph war darin zu lesen, nicht einmal ein ungewöhnliches Interesse. Und doch war dies der Mann, den er seit Wochen mit allen Mitteln und allem Aufwand von Scharfsinn verfolgt hatte und dessen er gerade noch in dem Augenblick habhaft geworden war, als die Verfolgung ganz hoffnungslos erschien! – Also dieser Herr mit den edlen Gesichtszügen war der Verfasser jener schändlichen Briefe, der verkappte Mörder, der schändliche Verbrecher – so hatte wohl der Schein noch nie betrogen!

Das Aeußere des Gefangenen kam dem Inspektor bekannt vor, er zerbrach sich den Kopf, wo er den Mann schon gesehen haben mochte. Jetzt fiel es ihm ein – es war derselbe, der ihn auf der Fünften Avenue angehalten und um Feuer gebeten hatte, an jenem Abend, als er auf dem Wege nach Mr. Owens' Haus war, wo er die erste Kunde von dem Verbrechen erhielt.

Die Polizisten statteten ihren Bericht ab, der dahin lautete, daß sie den Gefangenen ergriffen hätten, als er einen Brief an Mr. Golding aufgegeben. Auf ein Zeichen des Inspektors entfernten sie sich, den Brief zurücklassend. Zuerst wurde nun ein Bote an Mr. Golding und Mr. Owens abgeschickt, dann wandte sich der Inspektor an den Gefangenen mit der Frage, wie er heiße.

»Mein Name ist Weymouth,« war die Antwort, »ich bin General außer Dienst. Weshalb man mich hierhergeführt hat, ist mir bis jetzt noch unbekannt.«

»Ich kann Sie davon sogleich in Kenntnis setzen, General Weymouth,« sagte der Inspektor. »Alle Beweise gegen Sie liegen vor, so daß es kaum mehr Ihres Geständnisses bedarf. Sie haben heute morgen diesen Brief an Mr. Golding aufgegeben?«

»Ja, aber ich wußte nicht an wen die Adresse,« – er unterbrach sich plötzlich. »Ich wußte nicht, daß es gesetzwidrig ist an Mr. Golding zu schreiben,« sagte er nach kurzem Besinnen, »auch ist mir unbekannt, was der Brief enthält.«

»Der Inhalt dieses besonderen Briefes ist unwesentlich; er ist der letzte aus einer Anzahl von Zuschriften, die Sie während der verflossenen vier oder fünf Wochen an Mr. Golding gerichtet haben.« Dabei nahm der Inspektor die Briefe aus dem Schubfach und breitete sie auf dem Tische aus. Der Gefangene blickte in offenbarer Verlegenheit bald auf diese, bald auf den Redenden, doch war kein Schuldbewußtsein in seinen Mienen zu lesen.

»Wie Sie sehen,« fuhr der Polizeichef fort, »ist der Brief, den Sie, Ihrer eigenen Aussage zufolge, aufgegeben haben, in derselben Handschrift, wie die übrigen.«

»Das scheint allerdings der Fall,« entgegnete jener ruhig; doch habe ich bis zum gegenwärtigen Augenblick von dem Vorhandensein der anderen nichts gewußt.«

»Sie haben Sie nicht geschrieben?«

»Nein, auch habe ich keine Ahnung, was sie enthalten.«

»Auch nicht, was der letzte enthält?«

»Ebensowenig!«

»Wir werden den Inhalt desselben erfahren, sobald Mr. Golding sich einfindet, um ihn zu öffnen. Die übrigen sind, wie Sie wissen werden, Drohbriefe der schlimmsten Art, geschrieben, um Geld zu erpressen, unter Androhung, Dir. Golding im Weigerungsfalle das Leben zu nehmen. Es liegt weder in meiner Macht, noch in meiner Absicht, Sie vor der gesetzlichen Strafe für das von Ihnen begangene Verbrechen zu schützen. Da Sie aber, wie ich sehe, ein gebildeter Mann aus den höhern Ständen sind, ich auch durchaus keine feindliche Gesinnung gegen Sie hege, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie sich durch ein offenes Geständnis einige peinliche Formalitäten ersparen können. Wenn Sie dies verweigern, (wozu Sie natürlich vollkommen berechtigt sind), muß ich Sie durchsuchen und in jeder Beziehung als gemeinen Missethäter behandeln lassen.«

Den letzten Teil der Rede schien der Gefangene wenig zu beachten. Bei dem Wort ›Drohbriefe‹ war er zusammengefahren und seine Miene hatte einen so schmerzlichen Ausdruck angenommen, als sei ihm alles, was er Liebes auf der Welt gehabt, entrissen oder vernichtet worden. Von da ab starrte er die Briefe auf dem Tisch unverwandt an, mit Blicken, in denen sich Verwirrung und Bestürzung malten. Als der Inspektor schwieg, blieb alles still.

»Zu welchem Entschluß sind Sie gekommen?« fragte dieser endlich.

Der General holte tief Atem; es kostete ihn sichtliche Anstrengung sich zu ermannen. Er hob das Haupt und sah den Polizeichef an; mehrmals öffnete er die Lippen, um zu sprechen, brachte aber keinen Laut hervor. Endlich stieß er mühsam heraus:

»Ich unterwerfe mich – der Macht der Umstände; zu meiner Verteidigung habe ich nichts zu sagen!« Dabei schwankte er und griff nach der Lehne des Stuhles, um sich aufrecht zu halten.

»Setzen Sie sich,« sagte der Inspektor, »Sie haben eine kluge Entscheidung getroffen, die Sie nicht reuen wird. Ich selbst will Ihre Aussage zu Protokoll nehmen.«

Er nahm Papier und Feder zur Hand und begann zu schreiben, als an die Thür geklopft wurde und Mr. Golding eintrat, gefolgt von Courtland Owens.

Der große Kapitalist stand noch im besten Mannesalter und schien ganz dazu angethan, die Spanne Zeit zu überdauern, die dem Menschenleben bestimmt ist. Sein Gesicht war zwar farblos, aber das feste Fleisch zeugte von Gesundheit und Kraft; kein Silberfaden durchzog sein dichtes schwarzes Haar, und die blauen, tiefliegenden Augen leuchteten hell, wie in der Frische der Jugend. Seine gedrungene Gestalt war unter Mittelgröße, aufrecht, stark in den Schultern, die Hände mit den langen, breit zugehenden Fingern schienen die Thatkraft seiner Natur zu verkörpern, seine Ausdauer, seine Hartnäckigkeit und sein wunderbares Organisationstalent. Er hatte einen einfachen grauen Rock an, der über der Brust zugeknöpft war, und einen dunkeln Ueberzieher; sein Hut, den er beim Eintreten abnahm, sah nicht gerade neu aus.

Nachdem er sich vor dem Inspektor verbeugt hatte, nickte er General Weymouth vertraulich zu.

»Ich komme,« sagte er mit tiefer, gedämpfter Stimme, »infolge Ihrer Botschaft, daß der Verfasser der Drohbriefe festgenommen ist. Befindet er sich hier in Gewahrsam?«

»Er ist zur Stelle, Mr. Golding,« erwiderte der Polizeichef mit einer Bewegung nach der stumm dasitzenden Gestalt.

»Ich sehe hier niemand,« sagte Golding im Zimmer umherblickend – »außer meinem Freunde, General Weymouth,« fügte er lächelnd hinzu.

Da der Inspektor schwieg, nahm Goldings Gesicht nach einer Weile einen harten, undurchdringlichen Ausdruck an.

»Verstehe ich recht, daß General Weymouth der Schreiber jener Briefe sein soll?« fragte er in scharfem Ton.

»Er ist auf frischer That ertappt worden, als er den letzten aufgab, auch leugnet er seine Schuld nicht,« war die Antwort.

Golding wandte sich an den General: »Verhält sich das wirklich so, Weymouth?« fragte er.

Der alte Mann heftete seine dunkeln Augen auf den Kapitalisten: »Der Inspektor hat für mich gesprochen,« sagte er nach einer Pause, »ich habe nichts hinzuzufügen.«

Golding preßte die Lippen zusammen und sah düster vor sich hin. »Das kommt mir unerwartet,« bemerkte er endlich. »Vor ein bis zwei Monaten besuchte mich der General, den ich früher gut gekannt habe, und bat mich, ihm zu einer Anstellung zu verhelfen. Ich antwortete, daß ich dies nicht könne, bot ihm aber eine beträchtliche Summe aus meiner Privatkasse zur Unterstützung an. Ist dem nicht so, Weymouth?«

»Sie boten mir 100,000 Dollars,« erwiderte dieser, »und ich schlug sie aus.«

»Bei dieser Sachlage,« fuhr Golding fort, »begreife ich nicht, wie Sie später darauf verfallen konnten, auf gesetzwidrige Weise Geld von mir zu erpressen. Aus welchem Grunde thaten Sie es?«

»Ich kann keinen Grund angeben!« entgegnete jener.

Jetzt näherte sich Owens dem Inspektor und fragte in leisem Ton, ob sich überführende Beweisstücke im Besitz des Generals gefunden hätten.

»Die Untersuchung hat noch nicht stattgefunden; ich wartete damit bis zu Mr. Golding's Ankunft,« entgegnete der Polizeichef, der sich nun zu dem Gefangenen wandte: »Im Namen des Gesetzes fordere ich Sie auf, die Papiere und sonstige Gegenstände vorzuzeigen, welche Sie bei sich führen!«

Bei dieser Anrede geriet der General sichtlich außer Fassung.

»Ich habe nichts bei mir,« sagte er mit erregter Stimme, »was mit dem vorliegenden Fall in Zusammenhang steht. Das Verbrechen begangen zu haben, dessen man mich beschuldigt, leugne ich nicht; aber ich bitte dringend, daß meine Papiere nicht untersucht werden. Verlangen Sie es nicht, Mr. Golding, ich beschwöre Sie! Genügt Ihnen denn mein Geständnis nicht?«

»Ich kann den Lauf des Gesetzes nicht hemmen,« erwiderte der Kapitalist, »wenn Ihre Papiere nicht belastend sind, liegt kein Grund vor, die Einsicht derselben zu verweigern.«

»Stehen Sie davon ab, hören Sie auf meine Bitte!« wiederholte der alte Mann.

»Mr. Golding hat hierüber nichts zu bestimmen,« fiel der Inspektor ein. »Ich verlange, daß Sie Ihre Papiere vorzeigen. Weigern Sie sich nicht, dem Gesetze zu gehorchen!«

Der General fuhr mit der Hand in die Brusttasche, zog mehrere Dokumente heraus und legte sie auf den Tisch.

»Nehmen Sie, wenn es Ihre Pflicht heischt; ich habe gethan, was ich konnte!« Er kreuzte die Arme über der Brust, senkte den Kopf und schien unempfindlich für alles, was um ihn her vorging.

Der Inspektor faltete die Papiere auseinander und betrachtete sie, dann gab er Golding und Owens ein Zeichen näher zu treten.

»Dies scheinen Belege und Quittungen zu sein,« sagte er, »über die Summe von 150,000 Dollars, welche zu Gunsten einer gewissen Kitty Clive bei der amerikanischen Bank hinterlegt worden sind. Die Einzahlung ist gestern durch General Weymouth erfolgt, nur die Unterschrift der Kitty Clive fehlt noch, um das Geschäft zum Abschluß zu bringen. Ist vielleicht einem der Herren eine Person dieses Namens bekannt?«

Golding schüttelte den Kopf, aber Owens sagte:

»Wenn ich nicht irre, giebt es eine Sängerin des Namens; mir ist, als hätte ich sie in einem Konzert gehört.«

»Die natürlichste Erklärung der Sache würde sein,« bemerkte der Inspektor, »daß der General ihr, aus Gründen, die wir dahingestellt sein lassen, das Geld übermacht hat, entweder als wirkliches Geschenk oder zu seiner eigenen Sicherung. Woher das Geld stammt, wissen wir nicht; aber die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß es der Ertrag der Aktienspekulation ist, welche der Schreiber der Drohbriefe durch Ihre Vermittlung gemacht hat.«

»Soviel kann wohl kaum dabei herausgekommen sein,« meinte Golding.

»Wir müssen zuvörderst jene Kitty Clive auffinden und verhören,« fuhr der Polizeichef fort. »Sie vermag uns vielleicht wichtige Aufklärungen zu geben; denn ich muß gestehen, allem Anschein zum Trotz glaube ich nicht, daß wir der Sache bereits auf den Grund gekommen sind. Das Benehmen des Gefangenen stimmt so wenig wie seine Vermögensverhältnisse mit den Thatsachen überein, die uns bis jetzt als Beweise dienen. Ich werde das Fräulein sofort hierher entbieten lassen.«

Er drückte auf eine Klingel, aber schon im selben Augenblick öffnete sich die Thür und Hauptmann Hamilton trat ein, in Begleitung einer verschleierten Dame. Sie schlug unaufgefordert den Schleier zurück und enthüllte ein Gesicht, das zwar nicht hübsch aber sehr ausdrucksvoll war; die grauen Augen verrieten Leidenschaft und Entschlossenheit. Der Hauptmann dagegen machte den Eindruck großer Niedergeschlagenheit, als habe er soeben auf dem Altar der Pflicht ein teueres Gut zum Opfer gebracht.

»Herr Inspektor,« sagte er rasch, bevor noch sonst jemand das Wort ergreifen konnte, »ich habe ein wichtiges Zeugnis abzugeben; es betrifft den vorliegenden Fall: Vor etwa einer Woche befand ich mich in der Wohnung dieser Dame, Miß Kitty Clive, in der Lexington-Avenue und bemerkte in einer Mappe, die offen auf dem Schreibtisch lag, den Namen Maxwell Golding verkehrt auf dem Löschblatt abgedrückt, offenbar von einer frisch geschriebenen Adresse; ich glaubte die Handschrift der Drohbriefe zu erkennen. Daß Miß Clive einen freundschaftlichen Verkehr mit Frank Cunliffe unterhielt, der damals in Verdacht stand, der Verfasser der Briefe zu sein, wußte ich, und so geriet ich auf die Vermutung, er habe sie in ihrem Hause geschrieben, ohne ihre Kenntnis und Mitwirkung. Als sich später herausstellte, daß Mr. Cunliffe aller Wahrscheinlichkeit nach nichts mit der Sache zu thun habe, gab mir der Abdruck auf der Schreibmappe viel zu denken, denn ich konnte Miß Clive nicht für die Schuldige halten. Ich beschloß endlich mir hierüber Gewißheit zu verschaffen und begab mich heute zu diesem Zwecke nach Miß Clive's Wohnung. Nicht weit davon sah ich sie in Begleitung des hier gegenwärtigen Generals Weymouth herauskommen. Sie bemerkten mich jedoch nicht und gingen zusammen bis zur Straßenecke; hier trat Miß Clive in die Kirche ein, nahm aber zuvor aus ihrem Muff einen geschlossenen Brief, den sie dem General zur Besorgung übergab. Er ging bis zur Fünften Avenue, wo bei der Ecke der 22. Straße an einem Laternenpfahl ein Briefkasten angebracht ist, in den er den Brief gleiten ließ. Ich beobachtete ihn dabei unablässig und habe nicht bemerkt, daß er die Adresse überhaupt angesehen hätte. Sobald er weiter ging, öffnete der in der Nähe befindliche Beamte den Kasten, nahm den Brief heraus, las die Aufschrift und hob den Hut in die Höhe, worauf zwei Polizisten den Gefangenen festnahmen. Ich aber begab mich, zufolge der gemachten Wahrnehmungen, nach der Lexington-Kirche zurück, wo Miß Clive mit im Chor sang, erbat mir eine Unterredung und kündigte ihr an, daß sie verhaftet sei. Als sie die eben erwähnten Thatsachen erfuhr, willigte sie sofort ein, mich hierher zu begleiten. Ich habe nun die Ehre, Ihnen meine Gefangene zu übergeben, unter der Anklage, daß die an Mr. Golding gerichteten Drohbriefe von ihr herrühren.«

Dieser mit vollkommener Sachgemäßheit abgestattete Bericht brachte auf die Anwesenden einen großen Eindruck hervor; nur die Gefangene selbst blieb völlig unbewegt. Sie blickte bald auf den Inspektor, bald auf Mr. Golding, vermied es jedoch den General anzusehen.

»Bekennen Sie, daß Mr. Hamilton die Wahrheit spricht?« fragte der Polizeichef.

»Ja,« war die Antwort.

»Sie sind also die Verfasserin der Drohbriefe?«

»Ich habe sie alle geschrieben,« erwiderte sie. »In meinem Hause werden Sie hinreichende Beweise dafür finden; inzwischen ist hier der Schlüssel zu der Geheimschrift, welche bei den Verhandlungen gedient hat.«

Sie nahm einen Zettel aus ihrem Notizbuch und händigte ihn dem Inspektor ein, welcher, nachdem er einen Blick darauf geworfen, ihn Mr. Golding übergab.

»Was bewog Sie die Briefe zu schreiben?« fragte der Polizeichef.

»Der Brief von heute morgen enthält meine Gründe,« lautete die Antwort.

»Der ist noch nicht eröffnet worden; hätten Sie wohl die Güte, Mr. Golding, ihn anzusehen!«

Damit reichte der Inspektor dem Kapitalisten das Schriftstück. Dieser riß den Umschlag auf und las wie folgt:

» Mein Herr!

Dies ist der letzte Brief, welchen Sie von mir erhalten. Das Geld, in dessen Besitz ich durch Ihre Vermittlung gelangte, war nicht für mich selbst, sondern für einen teuern Freund bestimmt, den Sie um sein Vermögen gebracht haben. Ich wollte Sie dafür strafen und zwingen Ersatz zu leisten. Sobald die zwanzigtausend Dollars beisammen waren, die mein Freund verloren hatte, dachte ich sie ihm als Ertrag meiner glücklichen Spekulation zu übergeben. Den Hergang der Sache sollte er nie erfahren. Die Umstände haben mich jedoch überzeugt, daß er ein solches Geschenk von niemand, selbst nicht von mir, annehmen würde; auch bin ich zu der Erkenntnis geführt worden, daß mein Verfahren ungerechtfertigt war. Ihre Schuld ist weniger groß als ich dachte, denn Sie handelten nach Ihren Grundsätzen und glaubten im Recht zu sein. Ich habe daher das durch Ihre Hilfe gewonnene Geld auf Ihren Namen bei einer Bank eingezahlt, wie Sie aus beiliegendem Schein ersehen. Sie werden die Summe nach Ihrem Belieben verwenden, hoffentlich ohne jemand dadurch unglücklich zu machen.«

Damit schloß der Brief, welchem außerdem eine Quittung über einen Saldo von 21,500 Dollars beigefügt war, die auf Mr. Goldings Namen lautete.

»Was hat Sie veranlaßt, Ihre Meinung zu ändern und das Geld zurückzuerstatten?« fragte Golding, sich plötzlich nach Kitty umwendend.

»Hauptsächlich der Einfluß dieses Herrn hier,« erwiderte sie mit einem Blick auf den General, welcher mit völlig verwandeltem Gesichtsausdruck im Stuhl zurücklehnte. »Er ist einer der besten Menschen, die je gelebt haben; die Erkenntnis seiner Herzensgüte ließ mich meine eigene Handlungsweise im wahren Lichte sehen. Er wollte mich zur Erbin seines Vermögens einsetzen, das ihm selbst vor kurzer Zeit unerwartet zugefallen war. Als ich die Annahme verweigerte, sah er meine Unruhe und erriet, daß ich eine That begangen haben müsse, die mir auf der Seele laste. Seine Ermahnungen waren es zumeist, die mich bestimmten, mein Ziel nicht weiter zu verfolgen. – Das Schicksal hat es gefügt, daß ich dem trefflichen Mann jetzt als entehrte und überführte Verbrecherin gegenüberstehe, er selbst wendet sich vielleicht mit Abscheu von mir – aber ich fühle deutlich und er soll es wissen, daß ich ihm das Beste verdanke, was in mir lebt, und daß ich alles Leid und alle Schmach, die meiner wartet, gern auf mich nehmen wollte, wenn ich hoffen dürfte, daß er noch an mich glaubt und mein Freund ist!«

Der General war ihrer Rede mit gespanntester Aufmerksamkeit gefolgt; es war jedoch peinlich zu sehen, welche Anstrengung ihn dies kostete. Als sie bei den letzten Worten zum erstenmal seit ihrem Eintritt den Blick nach ihm hinwandte, richtete er sich plötzlich in die Höhe, breitete die Arme aus und ließ einen wahrhaft herzzerbrechenden Schmerzenslaut hören, so voll zärtlicher Sehnsucht und rührendem Mitgefühl, daß mehr als einem der Anwesenden die Thränen in die Augen traten. Auf einmal brach der Schrei jedoch ab und der General sank wie leblos in den Stuhl zurück.

Ehe noch Inspektor Byrnes zu ihm geeilt war, kniete Kitty neben ihm, ihr Arm umschlang seinen Hals, sein Haupt ruhte auf ihrer Schulter. – »Mein Freund, mein Freund!« stöhnte sie, »wehe mir, ich, ich allein bin schuld daran!«

Der Inspektor fühlte nach seinem Puls und sah ihm ins Gesicht. – »Ein Schlaganfall!« sagte er endlich; »Hamilton, rufen Sie den Arzt herbei; – erlauben Sie mir, Miß Clive!«

Er nahm den starren Körper in seine kräftigen Arme und legte ihn sanft auf das Sopha am andern Ende des Zimmers nieder. Kitty folgte ihm mit wehmütigem Blicke, dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und brach in heftiges Schluchzen aus.

»Oh, und ich kann ihn nicht pflegen – ich werde ihn nie wiedersehen!« rief sie verzweiflungsvoll, »ich habe dies Leid über ihn gebracht – oh mein Freund, mein Freund!«

Owens und Golding hatten unterdessen in eifrigem Gespräch abseits gestanden. Letzterer trat jetzt näher.

»Ich habe ein Wort mit Ihnen zu reden, Miß Clive,« sagte er, ihre Schulter berührend. Sie fühlte den Blick seiner durchdringenden Augen auf sich ruhen und nahm die Hände vom Gesicht.

»Sie sind ein böses Mädchen gewesen,« fuhr er fort, »und ich muß gestehen, daß Sie mir mancherlei Unruhe bereitet haben. Doch halte ich Sie für keine verhärtete Sünderin. Außerhalb dieses Zimmers hat niemand von Ihrem unbedachtsamen Streich Kunde und ich sehe nicht ein, daß uns damit gedient sein würde, Sie ins Gefängnis zu schicken. Die Aussagen und Beweise sind zwar etwas verworrener Natur, aber so weit ich die Sache verstehe, hat ein junger Mensch, an dem Sie Anteil nehmen, sich mit Börsengeschäften bemengt und dabei sein Geld verloren; Sie wollten ihm wieder aufhelfen und mich zu gleicher Zeit strafen – nun fürchten Sie, ihn nicht heiraten zu können, weil entdeckt worden ist, daß Sie mir die schlimmen Briefe geschrieben haben. Ist das ungefähr richtig? – Nun, ich habe nicht das Vergnügen den jungen Herrn zu kennen, aber ich sage nur das eine: wenn er nichts mehr von Ihnen wissen will, können Sie froh sein, daß Sie ihn los sind! Ein Mann, der eine Frau nicht zu nehmen weiß, wenn er sie findet, ist ein Narr! Wenn er aber Verstand hat und Sie haben will, schicken Sie ihn zu mir; ich werde ihm etwas Besseres zu thun geben, als sich auf der Börse ausbeuteln zu lassen. Was übrigens die 20,000 Dollars betrifft, so gehören sie mir auf keinerlei Weise! Sie haben das Geld zusammengebracht und müssen nun schon die Verantwortlichkeit dafür übernehmen. Das Sprichwort sagt zwar: ›unrecht Gut gedeiht nicht‹, aber versuchen Sie einmal es Lügen zu strafen! – Soviel für jetzt – Wenn Herr Inspektor Byrnes nichts dagegen hat, wird es wohl am besten sein, Sie begleiten General Weymouth nach Hause und sorgen dafür, daß nichts bei seiner Pflege versäumt wird. Er ist ein guter Mann, wie Sie sehr richtig bemerkten, ich hoffe, Sie werden schon um seinetwillen ferner nicht alles Böse und faule Geschwätz glauben, das Sie über Ihre Mitmenschen hören oder in Zeitungen lesen. Selbst ein Börsenmann ist vielleicht in mancher Beziehung kein ganz herzloser Schurke!«–

Etwa eine halbe Stunde später befand sich der Inspektor mit Golding und Owens allein im Bureau.

»Das war ein schwieriges und verwickeltes Geschäft, Herr Inspektor,« sagte Golding; ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet wegen der meisterhaften Geschicklichkeit, mit der Sie der Sache auf den Grund gekommen sind. Mir bleibt nur noch übrig zu fragen, wie hoch sich die Unkosten belaufen, die Sie dabei gehabt haben.«

»Es sind keinerlei Kosten zu bezahlen,« lautete die Antwort.

»Wieso?« rief Golding. »Nein, nein, das lasse ich nicht gelten; das ist kein Geschäftsbetrieb, auf solche Weise werden Sie niemals zum reichen Manne!«

Der Inspektor schüttelte lächelnd den Kopf.

»Ich bin Ihnen deshalb nicht weniger verbunden,« sagte er, »ich habe nur meine Pflicht als Beamter gethan; der Erfolg meiner Maßregeln ist meine Belohnung.«

»Mir scheint,« erwiderte der andere mit kurzem Lachen, »es herrscht ein Unterschied zwischen Mulberry-Street und Wall-Street; das Geld hat hier nicht soviel Marktwert wie bei uns. Erlauben Sie mir wenigstens Ihnen die Hand zu drücken!«

Beide Männer schüttelten einander herzlich die Hand.

»Wenn ich Ihnen je zu Diensten sein kann, Herr Inspektor,« sagte Golding mit verbindlichem Ton, »so haben Sie nur zu befehlen!« Auch Owens nahm freundlich Abschied von Inspektor Byrnes, der nun allein blieb und Muße hatte, über das Geschehene nachzudenken.

* * *

So lösen sich die Gordischen Knoten des Lebens, wenn das Schwert des Schicksals sie nicht zerschneidet!

General Weymouth starb sechs Monate nach den letzten Ereignissen, von Kitty treu und unermüdlich gepflegt bis an sein Ende. Wahre Dankbarkeit, Demut und Nächstenliebe hatten ihr Herz von seinen Schlacken befreit. Was aus des Generals Vermögen geworden ist, weiß ich nicht, habe aber meine Vermutungen. John Talbot heiratete Betty Claverhouse im folgenden Herbst. Als Hochzeitsgeschenk von einer Freundin erhielten sie die Summe von 21,500 Dollars ausbezahlt. Betty hält ihre Zunge etwas mehr im Zaum als früher, aber Schlittschuhlaufen hat sie noch nicht gelernt.

Hauptmann Hamilton hat New-York verlassen, man sagt, er sei jetzt in Afrika. Ein gewisses Fischerlied kann er nie ohne tiefe Gemütsbewegung singen hören.

Cunliffe hat eine gute Anstellung bei einer Eisenbahn; noch ist er unverheiratet, aber er hat in seinem ganzen Leben nur für ein Mädchen Neigung empfunden und wird nie eine andere lieben. Wir wären nicht überrascht, bald seine Verlobungsanzeige in der Zeitung zu lesen.

* * *


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