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Zweites Kapitel.
Ein moderner Finanzmann

Der Chef der New-Yorker Geheimpolizei entledigte sich seiner warmen Hüllen und ließ sich mit der ihm eigenen ruhigen Heiterkeit am Kamin nieder, während Courtland Owens ihm gegenüber Platz nahm, neben einem Mosaiktischchen mit verziertem Bronzeschloß.

»Wir sind besorgt und unruhig,« begann Mr. Owens, das heißt ich bin es, um Goldings willen.«

»Golding – Ihr Teilhaber! – Um ihn machen Sie sich Sorge?«

Der Gedanke schien den Inspektor förmlich zu belustigen. Maxwell Golding Mit diesem Namen ist in Wirklichkeit Jay Gould gemeint, der bekannte, jetzt gestorbene New-Yorker Krösus., der Eisenbahnkönig, der Mann der Telegraphen und Bergwerke, dessen Glück bei allen Unternehmungen sprichwörtlich geworden, dessen Reichtümer sich nicht schätzen ließen, war nach der allgemein herrschenden Auffassung allerdings kein Gegenstand für teilnehmende Sorge, solange er nicht selbst nach dem Zuspruch seines Arztes oder vielleicht seines Pfarrers begehrte. Als der Inspektor jedoch Goldings Freund mit so bekümmerter Miene sah und erkannte, daß es sich um keinen Scherz handle, nahm er gleichfalls eine ernste Haltung an und lieh Mr. Owens' Mitteilungen ein aufmerksames Ohr.

»Ich will gleich von vornherein bemerken,« begann dieser, »daß Golding um unsere Unterredung weiß. Freilich hatte ich Mühe, seine Einwilligung zu erlangen. Es liegt nun einmal in seiner Natur; er kennt keine Furcht! Persönliche Bedenken spielen in seinem Leben keine Rolle; durch alle Hindernisse hindurch steuert er gerade auf sein Ziel. Dabei dient ihm als Werkzeug das Geld, das niemand so kühn und am rechten Ort zu gebrauchen versteht wie er. Das Geld ist in seiner Hand weit mehr als ein bloßes Tauschgut, es ist das Mittel, neue Werte zu erzeugen, weitschauende Berechnungen zu verwirklichen, jeden Widerstand zu entkräften. Mit diesem mächtigen Zauberstab beschwört er jedoch nicht allerlei Wahngebilde herauf, wie Prospero auf seiner fernen Insel, in Shakespeare's Sturm, sondern ruft höchst greifbare und wesentliche Güter und Dinge ins Dasein an allen Orten und Enden unseres Weltteils.«

»Und ist er dabei auf ein Hindernis gestoßen?« fragte der Inspektor.

Der andere lächelte. – »Ich muß sehr um Entschuldigung bitten,« sagte er. »Sie sind nicht hergekommen, um philosophische Betrachtungen und Shakespeare anzuhören. Also zur Sache! – Ja, Golding ist auf ein Hindernis gestoßen, obgleich er selbst es nicht zugeben will. Daß ein Mann wie er viele Feinde hat, ist begreiflich. Selbst wenn ihm darum zu thun wäre, es den Menschen recht zu machen, würden bei ihm auf einen Freund noch immer hundert Feinde kommen. Es ist ein wahres Wunder, daß er sich überhaupt Freunde erwirbt. Für die Scharen seiner Angestellten ist er kaum mehr als ein abstrakter Begriff, eine bewegende Kraft, in deren Umkreis sie zufällig mit hereingezogen werden, um sofort daraus zu verschwinden, wenn sie den an sie gestellten Anforderungen nicht genügen. Für den Lohn, den er ihnen zahlt, schulden sie ihm keinen Dank: er ist ihr gutes Recht, wenn sie die übernommenen Pflichten erfüllen; thun sie dies nicht, so werden sie entlassen. Ein solches Verhältnis schließt von vornherein alle Freundschaft aus. Auch unter seinen Nebenbuhlern und Konkurrenten zählt er natürlich nur Feinde. Er hat mehr Macht und Glück als sie, sein Verlust würde, wie sie meinen, ihr Gewinn sein. Vielen von ihnen hat er mittelbar oder unmittelbar den Untergang bereitet, ob vorsätzlich oder nicht bleibt dahingestellt – das Endresultat bleibt das gleiche. Ein Mann in seiner Stellung muß eben unaufhaltsam vorwärts, sonst kommt er zu Fall. Sein Schicksal treibt ihn weiter, er darf nicht stillstehen – wer ihm den Weg vertritt ist verloren! – Nur unter Leuten, die weder in seinem Sold stehen noch in dem seiner Widersacher, könnte er also Freunde finden. Aber auch da ist die Wahrscheinlichkeit nicht groß. Es gehört kein geringer Mut dazu, als Freund eines hundertfachen Millionärs aufzutreten, den Argwohn der Welt zu ertragen, die mit Mißtrauen auf jedes seiner Motive blickt. Bei aller Gleichheit gegen die öffentliche Kritik muß ein Mann von Selbstachtung sich sagen, daß er einen zu hohen Preis für solche Freundschaft zahlt. Das größte Hindernis aber liegt in Golding's eigenem Charakter. Ein Kapitalist wie er muß gegen lästige Zudringlichkeit auf der Hut sein, er verliert den Glauben an die Uneigennützigkeit derer, die seinen Umgang suchen. So ist ihm ihn Wahrheit die Möglichkeit genommen, Bande der Freundschaft zu knüpfen, wie sie die gewöhnlichen Sterblichen unter einander verbinden. Auf ihn läßt sich anwenden, was Mme. de Staël von Napoleon sagte: er ist unter den Mitlebenden nicht ein Mensch, sondern ein System – steht, so zu sagen, nur in sachlicher Beziehung zur Welt. Man kennt ihn nur seinem Rufe nach und niemand tritt in ein persönliches Verhältnis zu ihm – mit ein oder zwei Ausnahmen.«

»Soviel ich weiß ist er verheiratet,« warf der Inspektor ein.

»Ja, glücklicherweise. Als er seine Frau kennen lernte, war er noch ein junger Mensch, der wenig Aussicht auf seine jetzige Stellung hatte. Es lag daher für ihn kein Grund vor, an der Aufrichtigkeit ihrer Gefühle zu zweifeln. Seine Liebe zu Frau und Kindern ist wohl eine der stärksten Leidenschaften seiner Natur, vielleicht ebenso stark als sein Ehrgeiz. Daß er für die Gesellschaft im allgemeinen nicht noch weit gefährlicher geworden, ist allein dem Einfluß seiner Familie zuzuschreiben. Ohne diesen hätte er sich über alle Bedenken hinweggesetzt, wäre oft noch rücksichtsloser, noch unbarmherziger verfahren. Er ist so wie so der größte Cyniker, den ich kenne, und seine Grundsätze weichen wesentlich von den meinigen ab.«

»Und dennoch sind Sie sein Freund?«

»Das bin ich. Und ich glaube wahrhaftig der einzige, den er besitzt. Unsere Bekanntschaft stammt noch aus der Zeit vor seiner Heirat. Er hatte gerade die Kohlengrube auf seinem Grundstück in Maryland verkauft und wollte sein Glück in New-York versuchen. Damals hat ihm wohl niemand zugetraut, daß er das Zeug besäße, sich zu seiner jetzigen Größe emporzuarbeiten. In seinem Aeußern hat er sich seitdem nicht viel verändert, breitschulterig, klein von Wuchs, mit schwarzem Haar und blauen Augen. In diesen Augen aber steht das Geheimnis zu lesen – mir sind nie ähnliche vorgekommen. Für gewöhnlich haben sie einen schläfrigen Ausdruck, als wäre der Mann halb im Traum. Befindet er sich jedoch in erregtem Zustand, tritt er einem Widersacher entgegen, einer Gefahr, die jeden andern erschrecken würde, so sprühen seine Augen Feuer und Flammen. Es ist nur ein kalter Strahl, aber er geht durch Mark und Bein, es liegt förmlich etwas Diabolisches darin. Er ist ein ganz eigener Mensch!«

»Und doch sind Sie ihm zugethan?«

»Ich leugne durchaus nicht, daß er oft hart, ja grausam gewesen ist, doch hat er nie seinen Grundsätzen zuwider gehandelt. Er erwartet von den Menschen weder Rücksicht noch Schonung, auch ihnen zeigt er keine. Er schlägt seinen Gegner wie und wo er kann und verschmäht weder List noch Falschheit, um den Sieg zu erringen. So lange der Kampf währt, kennt er kein Erbarmen, scheut vor keinem Mittel zurück, das nicht geradezu ein Verbrechen ist. Hat die Schlacht ausgetobt, so bewahrt er keinen Groll, nimmt keine Rache. Er ist kein persönlicher Feind seiner geschäftlichen Konkurrenten. Hindern sie seine Pläne, so stößt er sie bei Seite oder reißt sie zu Boden. Aber sobald sie ihm nicht mehr den Weg versperren, ist er bereit, ihnen die Mittel zu geben, sich wieder aufzuraffen. Ja, mir ist oft vorgekommen, als fühle Golding förmliche Zuneigung für einen gefährlichen Widersacher. Er hat mehr Freude am Kampf als am Sieg; wenn er den Gegner in einer Schlacht geschlagen hat, möchte er ihm am liebsten helfen sich zu einer zweiten zu waffnen. – Sie haben ganz recht: ich bin ihm zugethan!« –

Der Inspektor blickte eine Weile nachdenklich auf das flammende Feuer im Kamin. »Nicht daß ein solcher Mann Feinde hat,« sagte er endlich, »darf uns Wunder nehmen, wohl aber, daß jemand kühn genug gewesen ihn anzugreifen. Ich vermute nämlich, daß dem so ist, da Sie meine Hilfe in Anspruch nehmen wollen.«

»Ganz recht. Aber Maxwell Golding offen zum Zweikampf herausfordern, würde wohl so leicht niemand wagen. Mit Geld, das wissen Sie, läßt sich in New-York alles erreichen; Golding würde kein Bedenken tragen, alles zu kaufen, was ihm zur Verteidigung dienen könnte, vom Kettenhund an bis zum Gerichtshof. Diesem Feinde aber steht selbst Golding machtlos gegenüber.«

»Wie ist das möglich?«

»Auf sehr einfache Weise, wir wissen nicht, wer der Feind ist!«

Der Inspektor richtete sich in die Höhe. »Ein heimlicher Widersacher also? Wie geht er zu Werke? Stehen ihm Kapitalien zu Gebote? Macht er seinen Einfluß an der Börse geltend?«

»Ganz im Gegenteil. Soweit bis jetzt ersichtlich, scheint der Mann über gar keine Geldmittel zu verfügen.«

»Wie zeigt er denn aber seine feindliche Haltung?«

»Auch der Schwächste vermag dem Starken gefährlich zu werden, wenn er sein Leben bedroht oder das Leben derer, die ihm teuer sind. Berge von Gold bieten keine Schutzwehr gegen die Kugel oder das Messer des Meuchelmörders. Alle vereinigten Kapitalisten des Landes vermöchten nicht Golding zu stürzen, aber irgend ein Lumpenhund, der verwegen oder wahnwitzig genug ist, die Folgen auf sich zu nehmen, kann ihm bei der ersten Gelegenheit das Lebenslicht ausblasen.«

»Derartige Vagabunden giebt es nicht viele,« bemerkte der Inspektor trocken.

»Einer genügt dazu,« entgegnete Owens, »warum nicht unser verborgener Feind?«

»Ist denn ein Mordanschlag auf Mr. Golding gemacht worden?«

»Nein, doch man droht ihm das Leben zu nehmen!«

»Man droht?« erwiderte der Inspektor, »dann liegt gewiß kein Grund zu ernstlicher Besorgnis vor! Ein Schreckschuß – nichts weiter. Natürlich muß der Sache ein Ende gemacht werden; aber wenn mir das gelingt, habe ich Mr. Golding höchstens von einer Unbequemlichkeit befreit; als seinen Lebensretter braucht er mich nicht zu betrachten. Wer dem mächtigen Kapitalisten wirklich nach dem Leben stünde, würde sicherlich nicht daran denken, ihn vorher zu warnen. Er würde ihm auflauern und den Todesstreich führen. – Hunde die bellen, beißen selten!«

»Wohl wahr, Herr Inspektor, trotzdem – –«

»Schreibt dagegen – wie ich aus Ihrer Mitteilung entnehme – jemand an Mr. Golding anonyme Briefe, in denen er die Absicht ausspricht, ihn umzubringen, so können Sie sich darauf verlassen: er wird sich begnügen, seine Tinte zu verschreiben und denkt an kein Blutvergießen.«

»Als allgemeine Regel gebe ich das zu,« entgegnete Mr. Owens, einen kleinen Schlüssel aus der Tasche ziehend, den er in das Schloß des Mosaiktischchens steckte. »Aber es giebt doch eine gewisse Menschenklasse, für deren Handlungsweise sich kein bestimmter Maßstab aufstellen läßt, weil ihre Motive von denen der Durchschnittsmenschen abweichen. Ich meine Leute, die von religiösem Wahnsinn ergriffen sind.«

Der Inspektor schwieg eine Weile. – »Bei Personen der Art,« sagte er, »muß man sich freilich auf allerlei Absonderlichkeiten gefaßt machen. Aber doch nehmen sie ihre Zuflucht meist zu andern Mitteln als zu Mord und Totschlag.«

»Das wohl. Aber vergessen Sie nicht, was wir in Washington erlebt haben.«

»Sie meinen den Meuchelmord des Präsidenten Garfield? Dabei mögen doch politische Beweggründe mit im Spiel gewesen sein, die wir nicht übersehen können.«

»Die Politik verleitet den Menschen zu mancher Thorheit,« entgegnete Owens, »zum Wahnwitz verführt ihn aber weit eher religiöse Ueberspanntheit. Der Verrückte betrachtet sich als geheiligtes Werkzeug, um diese oder jene hervorragende Persönlichkeit aus dem Wege zu schaffen, sei es den Präsidenten der Vereinigten Staaten oder ihren größten Kapitalisten. Um Gründe, die Golding zum Tode verdammen, wäre ein solcher Mensch nicht verlegen. Er würde ihn anklagen als Verräter seines Landes, als Verderber der öffentlichen Moral, Unterdrücker der Witwen und Waisen, als Antichrist, Lucifer und was dergleichen mehr ist. Weitere Motive für seine That bedarf er nicht. Daß er sein Opfer vorher warnt ist vielleicht unklug, erscheint aber unter den Umständen nicht gerade unnatürlich. Er will sich als gottgesandter Rächer der Unschuld zu erkennen geben, den Leib will er töten, nicht die Seele; er läßt seinem Opfer Zeit, sein Testament zu machen, ein Stoßgebet zu sagen. Treibt ihn vielleicht noch außerdem persönlicher Haß zur That, so genügt seinem Rachedurst der kurze Todeskampf des Feindes nicht, er will die Angst und Qual der Erwartung hinzufügen, das Schwert des Damokles soll über dem schuldigen Haupte hängen. Ich bin begierig, wie Sie selbst darüber urteilen werden.«


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