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Sechstes Kapitel.
Nachrichten

Vor dem großen Gebäude in der Mulberry-Straße, welches, wie die Inschrift an der weißen Steinfassade besagt, als Hauptquartier der städtischen Polizei dient, hielt gegen Abend des nächsten Tages ein eleganter Schlitten. Ein Herr im Pelzrock sprang heraus, stieg eilig die Stufen hinauf und ließ sich von dem Pförtner nach dem Bureau der Geheimpolizei weisen.

Durch verschiedene Zimmer, Gänge und Gitterthüren gelangte der Besucher zuletzt in das Vorgemach, aus welchem er nach kurzem Warten in ein hübsches Wohnzimmer geführt wurde. Hier trat ihm Inspektor Byrnes mit freundlichem Willkommen entgegen.

»Ich freue mich, Sie so bald wiederzusehen, Mr. Owens,« sagte er. »Sie kommen doch wohl nicht in Geschäften? Unmöglich kann ja bis jetzt etwas Neues geschehen sein.«

Owens nahm Platz und knöpfte seinen Pelzrock auf. »Es scheint, Sie brauchen eine Sache nur in die Hand zu nehmen, Herr Inspektor, um ihr eine neue Wendung zu geben. Ihr ›Aufruf‹ war ganz vortrefflich abgefaßt.«

»Ist denn schon eine Antwort erfolgt?«

»Freilich! Der Unbekannte muß wohl zu den Lesern jener Zeitung gehören. Ich komme geradeswegs vom Comptoir hierher, um keine Zeit zu verlieren. Golding hat wieder einen Brief erhalten; er bezieht sich auf die Anzeige.«

»Wahrhaftig! – was steht denn darin?«

»Ich habe das Schreiben mitgebracht, hier ist es.«

Der Inspektor nahm den Brief und las wie folgt:

»Mr. Golding! Aus Zufall ist mir Ihr Aufruf in der Zeitung zu Gesicht gekommen. Sie hoffen vergebens, durch solche Mittel zu erfahren, wer ich bin, oder den rächenden Arm zurückzuhalten, den ich auf des Herrn Befehl gegen Sie erhebe. Zwar sehen Sie mich täglich und ich weiß um jeden Ihrer Schritte, doch werden Sie in mir den gottgesandten Vergelter erst dann erkennen, wenn der Todesstreich Sie trifft, um Sie für immer zu vernichten. Erwarten Sie keine Schonung von mir. Schmeicheln Sie sich auch nicht damit, daß Sie, weil Sie reich sind und ich arm, Ihr Leben von mir mit Geld erkaufen könnten. Das wäre eine vergebliche Hoffnung. Ihr Schicksal ist besiegelt. Sollte ich aus irgend einem Grunde den Willen des Herrn nicht vollziehen, so würde Er ein anderes Werkzeug berufen. Aber lieber wollen meine Frau und meine Kinder Hungers sterben, als daß ich meinem hohen Auftrag untreu werde. Bereiten Sie sich auf die Ewigkeit, denn ich bin des Zauderns müde, Ihre Zeit ist gekommen. – Haben Sie noch eine letzte Bitte auszusprechen, so thun Sie es in derselben Zeitung. Ich will Ihnen gern jede Gunst gewähren, an der Ausführung meines Plans soll mich jedoch nichts hindern.«

Der Inspektor faltete den Brief zusammen und brach in ein schallendes Gelächter aus. »Das nenne ich die Sache verständlich betreiben,« sagte er, »wie sich's zwischen Geschäftsleuten gebührt.«

»Glauben Sie denn, daß er sich auf Verhandlungen einlassen wird?«

»Verhandlungen? – Man hört ihn ja schon förmlich mit dem Geld in der Tasche klimpern! In unserer Anzeige stand nichts von einem Kaufpreis; er legt uns die Worte in den Mund; ja, ich hätte nicht einmal gedacht, daß er so gierig darauflosfahren würde. Doch fädelt er es recht schlau ein, er bleibt bei seinem religiösen Kauderwelsch und will nicht länger zaudern. Der Brief ist gar kein übles Machwerk!«

»Aber meinen Sie denn wirklich, daß er nach Geld verlangt?«

»Wie der Fisch nach Wasser.«

»Und daß er Golding in Furcht setzen will, damit er ihm ein Anerbieten macht?«

»Ja, und er ist überzeugt, daß ihm der Anschlag geglückt ist. Seien Sie aber versichert, Mr. Golding könnte hundert Jahre alt werden, wenn sein Leben von diesem Manne allein abhinge. Sein eigenes würde er weit lieber in Gefahr bringen, als ihm ein Haar krümmen lassen. Er denkt nicht daran, die Henne umzubringen, die goldene Eier legt. Es ist die reinste Gelderpressung, und damit ist alles gesagt.«

»Aber Leute wie diesen Briefschreiber wird man nie wieder los! Giebt man ihnen Geld, so fordern sie mehr und mehr und sind nicht zu befriedigen.«

»Freilich, aber doch weiß ich kein anderes Mittel, um sich von dem lästigen Menschen zu befreien, als ihm Geld zu bieten oder vielmehr ihn in den Stand zu setzen, sich eigenen Gewinn zu verschaffen und zwar einen recht beträchtlichen.«

»Ich verstehe nicht, was uns das nützen soll.«

»Nun, wenn er nicht klüger ist, als die meisten seines Gelichters, so müssen wir dabei unser Ziel erreichen. Ich will Ihnen kurz sagen wie ich's meine: Wenn er das Geld, das wir ihm bieten, nehmen will, muß er es entweder selbst holen oder jemand danach schicken. Haben wir hierdurch nur erst einen bestimmten Anhalt, so wird es meine Sache sein, den geheimnisvollen Briefschreiber zu entdecken.«

»Wird er aber diese Gefahr nicht selber wittern, wenn er den Kopf auf dem rechten Flecke hat?«

»Leidenschaftliche Begierden schwächen fast immer die Urteilskraft! Wahrscheinlich wird er selbst ein Verfahren vorschlagen, bei dem er sich sicher glaubt. Er weiß ja nicht, daß mir die Angelegenheit übergeben worden; für mich aber ist die größte Schwierigkeit überwunden, nun ich herausgefunden habe, zu welcher Sorte von Menschen er gehört.«

»Wie werden Sie den Brief beantworten?«

Statt der Erwiderung griff der Inspektor nach Papier und Feder, überlegte einen Augenblick und schrieb dann einen Entwurf nieder, den er seinem Besucher hinreichte. Er lautete etwa wie folgt:

»Werkzeug der göttlichen Vergeltung! M. G. weiß, daß kein Mensch seinem Schicksal entgeht. Ihre Worte haben ihn erschüttert. Er wünscht das Unrecht, das er etwa begangen hat, wieder gut zu machen. Wie ließe sich für Ihre Frau und Kinder sorgen? Machen Sie ihm einen Vorschlag, er wird darauf erwidern wie bisher. Die Absicht seiner frühern Mitteilung haben Sie mißverstanden. Teilen Sie Ihre Wünsche offen mit, sie sollen Gewährung finden. Nur muß die Sache geheim bleiben.«

»Ich wüßte keine Verbesserung anzugeben,« bemerkte Mr. Owens nachdem er gelesen. »Die Hinweisung auf Frau und Kinder scheint mir besonders wirkungsvoll.«

»Es ist die reinste Form,« entgegnete der Inspektor. »Der Unbekannte liest natürlich ebensogut zwischen meinen Zeilen als ich zwischen den seinigen. Ich wette, wir werden bald deutlicher mit einander reden, sodaß ich hinter seine Schliche kommen kann.«

* * *

Während diese Unterhaltung auf dem Polizeiamte stattfand, saß Gilbert Cowran auf seinem Bureau in der Stadt, mit Briefschreiben beschäftigt. Die Geschäftsstunden waren bereits vorüber, die Schreiber nach Hause gegangen, außer einem, der Cowran's besonderes Vertrauen genoß und schon seit Jahren bei ihm in Diensten stand. – »Talbot,« redete Cowran den Schreiber an, der noch über die Akten gebeugt war, »erinnern Sie sich an den letzten Prozeß, in dem wir Golding verteidigt haben?«

»Ich glaube ja, Mr. Cowran,« erwiderte Talbot aufblickend. »Er war der vorsätzlichen Täuschung angeklagt; der Kläger legte es besonders darauf an, die bei dem Unternehmen gepflogenen geheimen Verhandlungen öffentlich vor Gericht zu bringen. Ihr Klient wandte sich an Sie und schickte Ihnen die zur Verteidigung nötigen Privatpapiere und Notizen ein. Sie beschlossen darauf –«

»Schon gut. Was ich wissen wollte war, ob die Privatpapiere und Notizen noch in unserm Besitz sind.«

»Ja, wir haben sie in Verwahrung.«

»Weiß Mr. Golding darum?«

»Das kann ich nicht sagen. Er hat sie nie zurückverlangt. Mich nimmt das Wunder, denn dergleichen giebt man überhaupt nicht gern aus den Händen.«

»Freilich. Das Geheimnis seiner Geschäftspraxis könnte verraten werden. Wissen Sie, wo die Papiere sind?«

»Jawohl, in dem alten Aktenschrank. Der Kasten steht links in der zweiten Reihe von oben.«

»Legen Sie mir die Sachen morgen vor; ich wünsche sie durchzusehen.«

»Sollen sie an Mr. Golding zurückgeschickt werden?«

»Hm – ja – vielleicht! Zuerst lassen Sie Abschriften davon anfertigen.«

»Mit der Hand oder Schreibmaschine?«

»Schreibmaschine genügt. Miß Claverhouse besorgt das wohl?«

»Ja, für gewöhnlich.«

»Man kann sich doch auf sie verlassen – ich meine, daß sie nichts ausplaudert?«

»Für ihre Verschwiegenheit verbürge ich mich, Mr. Cowran.«

»Sie würden sich wohl auch dafür verbürgen, daß sie alle andern weiblichen Tugenden besitzt? Nicht wahr, Talbot?« sprach lächelnd der Advokat. »Nun gut, übergeben Sie ihr die Arbeit. Mehr als einen Tag braucht sie wohl nicht dazu? Sie kann die Abschrift morgen machen.«

»Sehr wohl, Mr. Cowran.«

Hier endete das Zwiegespräch. Der Schreiber blätterte weiter in den Akten, während Cowran Hut und Stock nahm und gedankenvoll mit finster gefalteter Stirn das Bureau verließ.


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