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Vierzehntes Kapitel.
In der Irre

Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß Sie recht haben,« sagte Hauptmann a. D. Hamilton, der mit Inspektor Byrnes in einer bescheidenen Restauration der untern Stadt beim Frühstück saß. »Es liegt nichts gegen Cowran vor, außer seinem alten Streit mit Golding und der Sache mit den geheimen Papieren. Letztere scheint mir überdies weit eher für seine gänzliche Unschuld zu sprechen. Er hätte die Papiere unfehlbar veröffentlicht, wenn er Golding schaden wollte, oder ihm mit der Veröffentlichung gedroht, wenn sein Zweck war, Geld zu erpressen.«

»Welchen Grund für die Zurücksendung der Papiere giebt er selbst denn an?«

»Einen so alltäglichen, daß er gewiß nicht erfunden ist.«

»Wie kamen Sie denn darauf zu sprechen?«

»Ich erwähnte die frühere Unterhaltung, bei welcher er sich mir gegenüber sehr heftig und erbittert über Golding geäußert hatte, und sprach mich dahin aus, er (Cowran) sei doch wohl ungerecht gegen ihn gewesen. Nach einigem Hin- und Herreden sagte er –«

»Geben Sie die Unterhaltung in allen Einzelheiten wieder,« unterbrach ihn der Inspektor.

»Sehr wohl! – Auf meine Bemerkung erwiderte Cowran, das käme ganz auf den Standpunkt an, und wünschte zu wissen, wer mir die günstige Meinung von Golding beigebracht habe. – Ich sagte ihm, ich spräche aus persönlicher Wahrnehmung, Mr. Courtland Owens hätte mich neulich seinem Geschäftsteilhaber vorgestellt und dieser sich mit mir in ein Gespräch eingelassen.

»›Daß sich Golding nicht angenehm machen kann wenn er will, habe ich nie behauptet,‹ meinte Cowran, ›er wäre sonst weit weniger gefährlich.‹

»›Gegen mich beobachtete er nur die einfachste Höflichkeit,‹ entgegnete ich. ›Aber die Art, wie er von Ihnen sprach ...‹

»›Von mir?‹ fiel Cowran erstaunt ein.

»›Ihr Name wurde zufällig erwähnt, von wem weiß ich nicht mehr; darauf meinte Golding, er habe Sie genau gekannt und halte Sie für einen höchst bedeutenden Mann und den besten Advokaten in New-York. Durch ein Mißverständnis wegen eines Börsengeschäfts seien Sie mit ihm in Streit geraten. Bei hohen Goldpreisen habe die Regierung damals, ganz unerwartet, bedeutend gekauft, worauf die Preise so plötzlich gefallen seien, daß Golding alles Gold habe schleunig losschlagen müssen, ohne erst bei seinen Freunden die Runde machen und es ihnen anzeigen zu können. – ›Er hat Ihnen das nie verziehen,‹ bemerkte Owens. – ›Das ist gar nicht so ausgemacht,‹ gab Golding zur Antwort, ›ich will Ihnen auch sagen warum. Cowran hatte als mein vertrauter Rechtsbeistand damals Urkunden etwas verfänglicher Art in Verwahrung. Mir war das entfallen, bis er mir vor einigen Tagen das Paket durch einen besonderen Boten übersandte. Das war doch sehr freundlich und rücksichtsvoll von ihm!‹

»›Das sieht allerdings nicht aus, als hege er noch den alten Groll,‹ meinte Owens, und Golding fügte noch einiges sehr Schmeichelhaftes über Sie hinzu. Fast hätte ich mir den Spaß gemacht, Ihre neulichen Bemerkungen zu wiederholen, aber ich ließ es lieber bleiben.‹

»Cowran hörte mir kaltblütig zu; er brummte nur in sich hinein, ohne etwas zu erwidern, weshalb ich fortfuhr: ›Was Sie damals sagten, war gewiß nicht Ihr Ernst, einem Menschen, von dem Sie eine so schlechte Meinung haben, würden Sie schwerlich eine besondere Gunst erweisen.‹

»›Von einer besonderen Gunst ist gar nicht die Rede,‹ meinte Cowran, ›es war die allergewöhnlichste Ehrlichkeit, weiter nichts. Der alte Prozeß fiel mir eines Tages wieder ein und da dachte ich an die Papiere. Mein Schreiber wußte, wo sie waren, ich ließ mir Abschriften davon machen und schickte die Originale, die ich nicht mehr brauchte, ihrem Eigentümer zurück.‹

»›Wozu sollten Ihnen denn die Abschriften dienen?‹

»›Als Ausweis bei den Akten,‹ sagte er, ›Golding hätte behaupten können, ich sei auf unrechtmäßige Weise in Besitz der Papiere gelangt; die Abschrift ist ein Beleg dafür, daß dies zu einer Zeit und unter Umständen geschehen ist, die jede solche Möglichkeit ausschließen.‹ So lauten Cowrans Angaben,« fuhr Hauptmann Hamilton fort, »und sie scheinen mir ganz glaubwürdig und natürlich.«

»War seine Art und Weise dabei ebenso natürlich als die Erklärung selbst?« fragte der Inspektor.

»Gewiß, sie überzeugte mich noch mehr als seine Worte.«

»Wie steht es denn mit Cunliffe?«

»Ueber ihn habe ich mancherlei in Erfahrung gebracht: nicht genug um ihn zu überführen, aber doch allerhand Verdächtiges. Er hat vor etwa einem Monat in Golding's Eisenbahnaktien spekuliert und dabei große Verluste gehabt.«

»Ist das eine verbürgte Nachricht?«

»Ja, sie stammt von seinen Maklern. Es handelt sich um etwa zwanzigtausend Dollars. Viel mehr kann sein Vermögen überhaupt nicht betragen haben.«

»Mißt er Golding die Schuld an seinem Mißgeschick bei?«

»Er scheint zu meinen, Golding könne ihm leicht Ersatz dafür leisten,« lautete die Antwort.

»Wissen Sie sonst nichts über ihn?«

»Nur daß er aufs freundschaftlichste mit einer jungen Dame verkehrt, einer Opernsängerin, von sehr gutem Ruf so viel ich weiß, die er beim Publikum eingeführt hat. Sollte er beabsichtigen zu heiraten, so braucht er Geld – mindestens noch einmal so viel als für sich allein,« fügte der Hauptmann mit schlauem Lächeln hinzu.

»Daß er überhaupt spekuliert hat, läßt auf einen besonderen Zweck schließen, es scheint sonst nicht seine Gewohnheit zu sein. Der Wunsch zu heiraten, wäre eine genügende Veranlassung.«

»Dazu kommt noch eine weitere Thatsache,« fuhr Hamilton fort, »welche die Andeutung über die geheimen Papiere erklären würde, die der letzte Brief enthielt: Cunliffe ist mit Cowran's Maschinenschreiberin Miß Claverhouse in Talbot's Wohnung an dem Tage zusammengetroffen, als sie die Abschrift gefertigt hatte. Die Dame ist sehr gesprächig und kann leicht Cunliffe gegenüber eine darauf bezügliche Aeußerung gethan haben. Dadurch würde die Sache weniger rätselhaft.«

»Unmöglich ist das nicht,« meinte der Inspektor, aber ich habe das unbestimmte Gefühl, als wären wir noch nicht auf der richtigen Spur. Ich kann Ton und Schreibart der Briefe weder mit Cowran, noch mit Cunliffe zusammenreimen. – Scheint denn Cunliffe noch in Geldverlegenheit zu sein?«

»Ueber seine Vermögensumstände weiß ich nur, was mir die Makler gesagt haben. Aber er macht allerdings den Eindruck großer Niedergeschlagenheit.«

»Wir wissen jedoch, daß der Verfasser der Drohbriefe nach Goldings Anweisung zweimal mit Glück spekuliert hat,« bemerkte der Inspektor. »Die betreffenden Angaben wurden ihm durch die Zeitung in der von ihm gewählten Geheimschrift mitgeteilt, auch hat er im nächsten Brief den Empfang bescheinigt. Wäre Cunliffe der Schreiber, so müßte seine Stimmung sich etwas aufgeheitert haben.«

»Die Spähmannschaft beobachtet ihn unablässig, aber man hat ihn weder Briefe forttragen sehen, noch ist er in die Nähe von Wall-Street gekommen.«

»Die polizeiliche Ueberwachung darf ja nicht zu auffällig betrieben werden; ich halte Cunliffe für argwöhnisch und leicht erregbar; schöpft er Verdacht, daß man ihm folgt, so ist alles vergebens. – Ein Brief, den er aufgiebt, beweist noch nichts, solange wir nicht die Adresse gesehen haben. Daß er weder an der Börse, noch bei einem hiesigen Makler gewesen ist, wußte ich schon; meine Maßregeln waren derart getroffen, daß ich Nachricht erhalten hätte, wenn die bewußte Spekulation in Goldings Aktien in hiesiger Stadt ausgeführt worden wäre.«

»Er war also klug genug, sein Geschäft an einem andern Ort zu besorgen?«

»Ja, offenbar!«

»Wahrhaftig ein schlauer Bursche! Aber könnte man denn nicht einen Blick auf die Adressen seiner Briefe werfen, ehe er sie abschickt – im Fall nämlich Cunliffe der ist, welchen wir suchen?«

»Das wäre wohl thunlich,« meinte der Inspektor achselzuckend.

»Er muß sie entweder im Klub schreiben oder in seiner eigenen Wohnung,« fuhr der Hauptmann fort; »leicht dürfte sich auf dem Löschpapier der Schreibmappe die Adresse verkehrt abgedrückt finden – man schreibt sie ja gewöhnlich zuletzt, ehe man die Briefmarke aufklebt. Im Klub kann ich bequem nachforschen; entdecke ich da nichts, dann verschaffe ich mir unter irgend einem Vorwand den Zutritt in Cunliffe's Wohnung. Kommt mir dort auf einem Löschblatt Goldings Namen zu Gesichte, so ist die Sache so gut wie erwiesen.«

»Der Gedanke ist so übel nicht,« sagte der Inspektor, »auch ist er schon mehrmals mit Glück ausgeführt worden – besonders in Romanen. Wahrscheinlich ist Cunliffe aber auf seiner Hut, verbrennt das gebrauchte Löschblatt, oder schreibt die Briefe in einem Hotel, auf dem Bureau eines Bekannten, vielleicht eines Mannes, der mit Golding selbst in Verbindung steht! – Möglich ist es jedoch immerhin, daß Cunliffe zu den Leuten gehört, die sich gegen alle fernen Zufälligkeiten schützen, die naheliegende Gefahr jedoch unbeachtet lassen. In diesem Falle könnte Ihr Plan zu etwas führen. Wir haben jetzt schon allerlei versucht und stets ohne Erfolg – gelangen wir nicht bald zum Ziel, so müssen wir die Sache überhaupt aufgeben und uns für besiegt erklären. In wenigen Tagen wird es zu spät sein.«

»Wie so denn, Herr Inspektor?«

»Der Bursche wird soviel gewonnen haben, als er wagen darf zu nehmen, und sich auf und davon machen. Wahrscheinlich hat er es von vornherein auf eine bestimmte Summe abgesehen. Er weiß in wie großer Gefahr er schwebt, seit er die Maske abgeworfen und eingestanden hat, daß der wahre Zweck seiner Drohbriefe der ist, Geld zu erpressen. Sobald ein Zufall uns verrät, wer ihm seine Geschäfte besorgt, ist er verloren! Darum wird er das verwegene Spiel so schnell wie möglich einstellen – er schreibt dann keine Briefe mehr und wir erfahren niemals, wer er ist. – Nein, so darf die Sache nicht enden!« –

»Wie wäre es, wenn ich ihn aufforderte, mit mir einen Ausflug in die Umgegend zu machen? Ich würde mit ihm das Zimmer teilen und stets um ihn sein. Unterdessen – –«

»Unterdessen,« fiel der Inspektor ein, »würde Mr. Golding eben keine weitern Briefe erhalten, im Fall nämlich Cunliffe der Schreiber derselben ist.«

Der Hauptmann drehte an seinem Schnurrbart. »Man könnte auch umgekehrt sagen,« meinte er endlich, »wenn Mr. Golding in der Zwischenzeit einen Brief erhielte, wüßten wir wenigstens, daß Cunliffe ihn nicht geschrieben hat.«

»Es verlohnte der Mühe, den Versuch zu machen,« sagte der Inspektor nach einigem Nachdenken.

»Während Sie mit ihm auf der Fahrt sind, rücken wir dann hier in die Zeitung eine Anzeige, die so abgefaßt ist, daß er umgehend Antwort darauf geben muß, wenn ihm nicht ein großer Nachteil erwachsen soll. Dann brauchten Sie ihn nur wenige Stunden zu beobachten, innerhalb welcher er seine Erwiderung abschicken müßte. Erhält Golding tags darauf einen Brief mit dem Poststempel des Ortes, wohin Sie sich begeben haben, dann ist der Fuchs in der Falle.«

»Wahrhaftig, Sie haben das Rechte getroffen, Herr Inspektor,« rief Hamilton mit funkelndem Blick. »So werden wir ihn fangen, er kann uns auf keine Weise entgehen!«

»Oh doch, – auf zweierlei Weise,« entgegnete der Inspektor ruhig.

»Wirklich – meinen Sie?«

»Erstens, wenn Cunliffe nicht unser Mann ist, hat der Plan gar keinen Erfolg, zweitens, wenn er es ist, wird er sich weigern, New-York zu verlassen, und wir sind so klug wie zuvor.«

Hamilton sah enttäuscht aus, er fand auf den Einwand keine Erwiderung.

»Lassen Sie den Mut nicht sinken,« sagte der Inspektor freundlich, »haben wir auch noch kein unfehlbares Mittel entdeckt, so sind wir doch vielleicht auf der richtigen Spur und wollen sie weiter verfolgen. Die Lösung des Rätsels muß in dieser Richtung zu finden sein und ist wahrscheinlich so einfach, daß wir uns später wundern werden, wie wir so lange danach suchen konnten.«

»Was meinen Sie denn, daß ich zunächst thun sollte?« fragte Hamilton.

»An Ihrer Stelle würde ich der jungen Dame einen Besuch machen und mir etwas von ihr vorsingen lassen,« sagte der Inspektor, der vom Tische aufstehend seinen Hut zur Hand nahm.


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