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Fünftes Kapitel.
Im Klub

Am nächsten Tage erschien in den Spalten einer New-Yorker Zeitung folgender Aufruf:

»Werkzeug der göttlichen Vergeltung! Kann M. G. mit Dir in Verbindung treten? Schlage ein Mittel vor; Deine Bedingungen sollen genau beobachtet werden. Begehe keine Ungerechtigkeit. Der Herr hat's gegeben, der Herr kann es nehmen! Antwort durch Brief!«

Der amerikanische League-Klub, eine sehr große geschlossene Gesellschaft, zu deren Mitgliedern die angesehensten und reichsten Bewohner New-Yorks gehören, besitzt ein stattliches, aber etwas düsteres Haus in einer der Avenuen. Die Stammgäste bewahren ihre unnahbare Würde und zeigen sich nicht gerade von der geselligen Seite. Sie durchwandeln einzeln oder zu zweien die großen Räume, selten sieht man drei beisammen; daß vier sich vereinigten, wäre schon ein Verstoß gegen die Sitte. Kein Mitglied kann behaupten, auch nur den zehnten Teil von den in der Liste Verzeichneten dem Ansehen nach zu kennen. Mehrmals im Jahr veranstaltet der Klub zahlreich besuchte Empfangsabende; in politisch bewegten Zeiten werden bei dringenden Fällen Versammlungen gehalten und Beschlüsse gefaßt, denn auf seine gewichtige Stimme in Sachen der Politik ist der Klub stolz. Auch als Beschützer der Kunst will er gelten und hält alljährlich eine Ausstellung von Gemälden amerikanischer Künstler in seinen Gesellschaftsräumen. Seine Mitglieder betrachten ihn überhaupt als eine Musteranstalt und zeigen seine Einrichtung gern fremden Gästen, besonders solchen aus dem Mutterlande, um Vergleiche mit den vornehmen Klubhäusern Londons in St. James-Street und Pall-Mall anzustellen.

Zur Zeit, von der wir schreiben, befand sich unter den im Klub neu eingeführten englischen Gästen ein gewisser Hauptmann Raleigh Hamilton, wie es hieß ein Verwandter des berühmten Afrikaforschers, dessen Verschwinden oder Tod am oberen Nil ganz Europa in Aufregung versetzt hatte. Aber auch abgesehen von dieser ruhmvollen Familienbeziehung – auf welche der Hauptmann aus angeborener Bescheidenheit nicht gern zu sprechen kam – galt er für einen prächtigen Kameraden, der ein munteres, angenehmes Wesen mit äußerer militärischer Artigkeit und Pünktlichkeit verband. Er war überall gewesen, hatte alles gesehen, besaß mancherlei Kenntnisse und vielseitige Bildung. Wie sein berühmter Vetter hatte er, eine Art Landsknechtleben führend, unter den Fahnen verschiedener Völker gefochten, doch beobachtete er ungewöhnliche Zurückhaltung in Betreff seiner Kriegszüge und ergriff nie die Gelegenheit, mit seinen Thaten zu prahlen. Der Hauptmann war ein guter Billardspieler, doch mußte er sich erst an die drei Kugeln der kleinen amerikanischen Tafeln ohne Beutel gewöhnen; im Whist konnte er es mit jedem aufnehmen und auch für Poker zeigte er ein angeborenes Talent. Er war übrigens kein leidenschaftlicher Spieler, von hohen Einsätzen wollte er nichts wissen, weil sie seine Mittel überstiegen, wie er mit der ihm eigenen Freimütigkeit offen bekannte. Gleich allen Engländern, die an das Klubleben gewöhnt sind, verkehrte er ungern in gemischter Gesellschaft, unter dem Vorwande, daß er sich Damen gegenüber nicht zu benehmen wisse. Dagegen teilte er die Vorliebe seiner Landsleute für Wettrennen und Pferde und ließ sich von seinen neuen Bekannten gern zu einem Spazierritt im Park mitnehmen, wobei er die erstaunlichsten Berichte über die Großthaten der kühnen Reiter und Reiterinnen Amerika's zu hören bekam.

Einer der ersten Klubgenossen, mit dem Hauptmann Hamilton in nähern Verkehr trat, war Gilbert Cowran, weil er entdeckte, daß schottisches Blut in seinen Adern floß.

»Auch wir Hamiltons stammen aus Schottland,« bemerkte er, »wer nördlich vom Tweed zu Hause ist, verleugnet seinen Ursprung nicht.«

»Mein Vater ist in Edinburg geboren,« versetzte Cowran. »Er wanderte 1849 aus und ließ sich in New-Jersey nieder, wo er viele Landsleute traf.«

»Haben Sie Ihre Studien in Europa gemacht?«

»Nein, ich bin nie wieder drüben gewesen. Ich war in Columbia auf der Schule und studierte auch auf der dortigen Universität die Rechte. Seitdem bin ich meist in New-York geblieben.«

»Ihr Advokaten seid besser daran als wir Militärs; es fehlt euch nie an Beschäftigung. Mancher Londoner Anwalt sammelt ungezählte Schätze. Doch glaube ich, im allgemeinen ist hier mehr zu verdienen.«

»Das möchte ich nicht behaupten – eher das Gegenteil – wenigstens nach mir zu urteilen.«

»Man giebt hier freilich auch mehr aus, als in London.«

»Kann sein. Jedenfalls verliert man mehr, wenn man mit seinen Einlagen kein Glück hat.«

»Sie meinen auf dem Rennplatz?«

»Nein, ich dachte an Wall-Street.« In dieser Straße befindet sich die Börse von New-York.

»Oh, davon habe ich gehört. Ich muß mir doch einmal das Treiben auf der Börse mitansehen. Ob wohl einer der Herren sich meiner annehmen würde?«

»Nach meiner Erfahrung zu urteilen, glaube ich, daß mehr als einer dazu bereit wäre,« entgegnete Cowran mit grimmiger Miene. »Was für Sie dabei herauskommen würde, ist eine andere Frage.«

»Nun, so ganz grün bin ich in Geldsachen auch nicht gerade,« versetzte der Hauptmann in scherzhaftem Ton. »Wegzuwerfen habe ich mein Geld zwar nicht wie ich Ihnen schon sagte, aber mit ein paar tausend würde ich ganz gern mein Glück versuchen; man soll sie in wenig Wochen verdoppeln, ja verdreifachen können, wenn man die richtigen Papiere in die Hand bekommt.«

»Sie können natürlich thun und lassen, was Sie wollen, ich habe Ihnen nichts dreinzureden. Doch sollte mir's leid thun, wenn Sie sich rupfen ließen, solange Sie Gast unseres Klubs sind.«

»So gefährlich kann die Sache doch unmöglich sein! Daß es schlaue Füchse in Wall-Street giebt, wie überall, weiß ich wohl; auch würde ich mich nur mit soliden Leuten einlassen. Auf den Rat solcher Herren, die wie Golding und Vanderwick die ganze Börse beherrschen, kann man sich doch sicherlich verlassen!«

»Maxwell Golding ist ein kluger, fast möchte ich sagen ein großer Mann,« entgegnete Cowran und schlug mit dem Löffel die Spitze des Eies ab, das er eben verzehren wollte – die beiden saßen beim Frühstück. »Er ist mit Leib und Seele im Börsengeschäft, ein Meister seiner Kunst, der durch bloße Geschicklichkeit wahre Wunder verrichtet. Unter den tausend Despoten unserer freien Republik ist er der mächtigste. Für Maxwell Golding ist alles käuflich; er stellt den Satz auf, daß es für jeden Menschen einen Preis giebt, um welchen er feil ist. Kann er den Preis nicht entdecken, so vernichtet er seinen Gegner. Golding steht über dem Gesetz, dessen Vorschriften er nach Belieben beugen oder brechen kann. Auf seinen Wunsch werden neue Verordnungen erlassen, wie sie ihm genehm sind. Die Gesetzgeber, die Richter, die Advokaten beider Parteien, die Geschworenen, die Zeitungen – alles gehorcht ihm. Das Publikum muß nach seiner Pfeife tanzen, das weiß er nur zu gut und würde sich nicht entblöden, es öffentlich auszusprechen. Mit seinen Feinden macht er natürlich kurzen Prozeß, aber seinen Freunden spielt er noch schlimmer mit! Er wiegt sie in Sicherheit, bis sie glauben, daß ihm ihr Interesse ebenso sehr am Herzen liegt, wie sein eigenes, dann reißt er sie im gegebenen Augenblick mit Stumpf und Stiel aus dem Boden und läßt den Pflug über die Stelle gehen, auf der sie noch eben fest zu stehen meinten! – Gehen Sie in eine der Räuber- und Diebshöhlen unserer Stadt, lassen Sie dort Ihr Gold offen auf dem Tisch liegen, und glauben Sie mir, es ist da sicherer aufgehoben, als wenn Sie es auf Goldings Rat in seinen Effekten anlegen. Sie sind ihm mit Haut und Haar verfallen; er begnügt sich nicht damit, Ihnen abzunehmen, was Sie besitzen, er läßt sich noch eine Hypothek verschreiben auf alles, was Sie je erwerben können. Ihm gegenüber sind Sie ganz machtlos; er verfährt vollkommen regelrecht nach dem, was in Wall-Street Brauch und Sitte ist. Ich habe schon manchmal gedacht, daß bei dieser Räuberbande ein wenig Nihilismus ganz angebracht wäre. So eine Dynamitbombe würde sie besser in Schranken halten, als alle Gesetze des Landes.«

»Alle Wetter, Cowran, das ist doch nicht Ihr Ernst!« rief der Hauptmann; »wer sprengt denn einen Menschen gleich in die Luft, der etwas bei ihm auf dem Kerbholz hat!«

Cowran's Augen funkelten, die Zornesröte trat ihm in's Gesicht, er bezwang sich aber und fuhr ruhiger fort: »Natürlich spreche ich nur im allgemeinen. Es ist eine Wahrheit, die durch die Geschichte aller Zeiten bestätigt wird, daß, wo die Gesetze nicht mehr genügen, um hochstehende Uebelthäter zu strafen, die Unterdrückten sich selbst Recht zu schaffen wissen. Vielleicht macht Golding diese Erfahrung noch in höchsteigener Person.«

»Daß die Sachen hier so stehen,« bemerkte der Hauptmann gut gelaunt, »davon hatte ich allerdings keine Ahnung. Man denkt sich immer, in Amerika kann man ein lustiges Leben führen und Geld die schwere Menge erwerben! – Was aber diesen Golding betrifft – Sie sagen, Sie sprechen nur im allgemeinen – persönlich kennen Sie ihn wohl nicht?« –

»Schon seit Jahren habe ich nichts mehr mit ihm zu schaffen. Von unsern frühern Beziehungen ließe sich freilich manches erzählen. Mir ist's jedoch nicht schlimmer ergangen als hundert andern. Bah! es verlohnt sich nicht, sein Frühstück deswegen kalt werden zu lassen! – Ich wollte Sie nur vorbereiten, was Sie zu erwarten haben, wenn Sie unter die Börsenspekulanten gehen.«

»Da sind unsere Tigerjagden in Indien vielleicht noch ein Kinderspiel dagegen,« sagte der Hauptmann und rührte in seiner Kaffeetasse. »Ich würde unter den Herren doch wohl eine traurige Figur spielen und danke Ihnen sehr, Cowran, daß Sie mir reinen Wein eingeschenkt haben.«

Cowran nickte nur stumm, der Hauptmann aber lehnte sich gemächlich in seinen Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander, griff nach einer Zeitung und ließ seine Blicke mechanisch über die Spalten gleiten, während er von Zeit zu Zeit einen Schluck Kaffee trank.

»Wissen Sie,« wandte er sich nach einer Pause wieder an seinen Gefährten, »mir macht es oft den größten Spaß, die Anzeigen im ›Briefkasten‹ zu lesen. Ob man wohl herausfinden könnte, um was es sich dabei handelt, wenn man die Andeutungen weiter verfolgte, die von denselben Personen herzurühren scheinen? Es mögen oft wunderliche Geschichten dahinter stecken. Haben Sie je darauf geachtet?«

»Ich weiß nicht; zuweilen wohl. Ist Ihnen heute etwas Besonderes aufgefallen?«

»Das nicht gerade. Aber sehen Sie einmal, hier ist so ein Beispiel, wie ich's meine: › Werkzeug der göttlichen Vergeltung!‹ fängt es an. Das ist vielleicht irgend ein Stichwort, an dem die betreffende Person den Schreiber erkennen soll. › Kann M. G. mit Dir in Beziehung treten? Schlage ein Mittel vor; Deine Bedingungen sollen genau beobachtet werden. Begehe keine Ungerechtigkeit.‹ Dabei kann man sich allerlei denken. › Der Herr hat's gegeben, der Herr kann es nehmen.‹ Das deutet auf religiöse Schwärmerei. › Antwort durch Brief.‹ Das ist alles. – Wer mag wohl M. G. sein?«

»M. G. Hm! Sonderbar! Zeigen Sie doch einmal her,« sagte Cowran und nahm die Zeitung. Er las den Aufruf und strich, in Gedanken vertieft, seinen großen roten Bart.

»Nun,« fragte der Hauptmann scherzend, »haben Sie entdeckt, wer M. G. sein kann?«

»Nein, wie sollte ich? Vermutlich irgend ein Frauenzimmer. Mir fiel nur eben dabei etwas ein.«

»Bitte, versuchen Sie doch einmal, ob Ihnen diese Zigarre schmeckt,« sagte der Hauptmann, »es ist eine neue Sorte.«


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