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Viertes Kapitel.
Beratschlagung

Gilbert Cowran?« wiederholte der Inspektor überrascht. »Sprechen Sie von dem Rechtsgelehrten dieses Namens?«

»Ganz richtig. Den meine ich.«

Es entstand eine kurze Pause. Inspektor Byrnes lehnte sich in den Stuhl zurück und schaute gedankenvoll nach der Zimmerdecke. Owens blickte in's Feuer und stieß mit dem Fuß nach einem der brennenden Scheiter im Kamin, dann wandte er sich wieder um.

»Sie begreifen nun wohl selbst, wie abgeschmackt die Vermutung war,« sagte er.

Auf diese Bemerkung gab der Geheimpolizist keine direkte Antwort.

»Ich kenne Mr. Cowran dem Namen und Rufe nach,« versetzte er, »auch habe ich ihn gelegentlich auf dem Gericht gesehen. Seine Beziehungen zu Mr. Golding sind mir unbekannt. Die beiden waren Freunde, sagen Sie, und haben sich entzweit?«

»Die Geschichte ist ein offenes Geheimnis; ich trage kein Bedenken, sie Ihnen mitzuteilen. Bald nach seiner Ankunft in New-York trat Golding mit Cowran in Verbindung. Letzterer war damals noch ziemlich unbekannt. Zwar galt er für einen vielversprechenden jungen Juristen, aber die Zahl seiner Klienten war noch gering und seine Mittel unbedeutend. Golding suchte damals einen geschickten Verteidiger in einem Prozeß, da war Cowran gerade der Mann für ihn. Andere Prozesse folgten und Golding gewöhnte sich bald daran, Cowran's Rat bei allen Rechtsfragen einzuholen. Beide fühlten sich zu einander hingezogen. Schon nach wenig Jahren war Cowran Golding's Agent und vertrauter Ratgeber. Ihn selbst förderte diese Verbindung in seinem Beruf. Er bezog nicht nur als Geschäftsführer des Kapitalisten ein bedeutendes Einkommen, sondern erwarb sich auch sonst schnell eine große und einträgliche Praxis. Seine ungewöhnliche Begabung fand Anerkennung und eine glänzende Zukunft lag vor ihm.

»So standen die Sachen, bis vor einigen Jahren die große Börsenpanik ausbrach. Cowran's jährliches Einkommen muß damals schon beträchtlich gewesen sein, trotzdem hatte er wohl noch keine großen Kapitalien gesammelt. Er war eine freigebige Natur und ziemlich anspruchsvoll in seinen Lebensgewohnheiten. – Golding galt schon damals für den kühnsten und mächtigsten unter den Börsenspekulanten.

»Wie die Sache sich eigentlich zugetragen, wissen die beiden Beteiligten allein. Ich habe keinen von ihnen darum befragen wollen, da ich mit beiden befreundet war. Den Fernerstehenden erschien der Sachverhalt etwa wie folgt: Golding wünschte über gewisse Aktien uneingeschränkt verfügen zu können und hatte seine geheimen Maßregeln danach getroffen. Er beriet mit Cowran über die am besten einzuschlagenden Mittel und Wege, und dieser erteilte ihm Rat, natürlich vom juristischen Standpunkte aus; von Geldgeschäften verstand Cowran nicht viel, er wußte jedoch, was Golding in diesem Fall zu thun gedachte.

»Ich glaube nicht, daß Cowran je zuvor an der Börse spekuliert hatte. Weshalb er es damals that, weiß ich nicht. Vielleicht brauchte er Geld zu irgend einem besondern Zweck und meinte, er könne ganz sicher gehen. Ob er Golding von seinem Vorhaben unterrichtet hatte, weiß ich nicht zu sagen. Gewiß ist nur, daß er sich stark beteiligte und in den betreffenden Aktien immer mehr Kapital anlegte, in der sichern Erwartung, daß sie bald ungeheuer steigen müßten. Nicht lange, so steckte sein gesamtes bares Geld in den bewußten Effekten.

»Golding hatte unterdessen aus irgend einem Grunde seine Pläne geändert. Er hatte die Aktien in die Höhe treiben wollen und beschloß jetzt, sie fallen zu lassen. Cowran teilte er nichts davon mit, und dies war – soviel mir bekannt – die Veranlassung ihres Zwistes. Doch ist es sehr gut möglich, daß Golding überhaupt von Cowran's Spekulation nichts gewußt hat oder ihm aus geschäftlichen Gründen nichts von der Veränderung seines Schachzuges voraussagen konnte. Darüber weiß ich nichts Näheres. Daß er Cowran absichtlich zu Grunde richten wollte, ist höchst unwahrscheinlich und lag durchaus nicht in seinem Interesse. Als nun der Krach kam, sah sich Cowran gänzlich auf dem Trocknen. Es stand sehr schlecht um ihn; nachdem alle seine Verbindlichkeiten erfüllt waren, behielt er kaum tausend Dollars im Vermögen.

»Es kam zu einer Unterredung zwischen ihm und Golding, kein Dritter war zugegen. Dabei mag es wohl ziemlich stürmisch hergegangen sein. Cowran kann sehr heftig werden und Golding ist bei solcher Gelegenheit eiskalt und hart wie Stein. Sie trennten sich im Zorn und haben seitdem alle Verbindung abgebrochen. Nun sind sie zwar Gegner, aber in ehrlicher Feindschaft. Cowran besitzt unter seinen Akten gewisse Urkunden, deren Veröffentlichung Golding empfindlichen Schaden zufügen würde, aber er hat sich ihrer nie bedient. Golding seinerseits konnte Cowran unübersteigliche Hindernisse in den Weg legen, sodaß sich dieser nie wieder von seinem Verlust erholt hätte – so viel ich weiß, hat er gerade das Gegenteil gethan. Cowran's Mißgeschick war nur wenigen bekannt geworden. Er verkaufte sofort sein Haus und bezog eine billige Etagenwohnung. Sein Bureau in der Stadt konnte er beibehalten, obgleich er Mühe hatte, das Geld für die Miete aufzubringen. Mit der ihm eigenen Entschlossenheit ging er gleich ans Werk, um sich wieder in die Höhe zu arbeiten. Es dauerte aber länger und fiel ihm schwerer als das erste Mal. Die Konkurrenz war größer geworden und allein mit Golding's Kundschaft büßte er jährlich viele Tausende ein. Trotz alledem ist es ihm schließlich geglückt und er steht jetzt in so hohem Ansehen wie je zuvor. Ich hatte mir längst vorgenommen, die beiden Männer einander wieder zu nähern und eine Versöhnung zwischen ihnen zustande zu bringen. Unmöglich kann Cowran seinen Charakter, seine ganze Natur so verändert haben, daß er sich in der Rolle eines verkappten Meuchelmörders gefällt. Sie werden sich auch bald davon überzeugen, wenn Sie wirklich auf diesem Felde Nachforschungen anstellen sollten.«

»Soweit mein Einblick in die Geschichte bis jetzt reicht, bin ich Ihrer Meinung,« entgegnete der Inspektor. »Aber Sie sagen selbst, daß nur die Beteiligten über den wahren Sachverhalt unterrichtet sind. Leicht kann etwas vorgefallen sein, was Cowran weit mehr erbittert als der bloße Verlust seines Vermögens. Bis ins innerste Herz können wir keinem Menschen sehen, oft überraschen uns die seltsamsten Enthüllungen. Ich habe übrigens noch ein wichtiges Verlangen an Sie zu stellen.«

»Und das wäre?«

»Daß Sie gegen Cowran nicht das mindeste von dem erwähnen, was zwischen uns verhandelt worden ist. Sonst wäre jede Aussicht auf Erfolg abgeschnitten.«

»Versteht sich! Ich werde über die ganze Sache gegen niemand auch nur eine Silbe laut werden lassen.«

»Danke bestens! Das Schweigen ist die erste Bedingung für eine erfolgreiche Wirksamkeit der Geheimpolizei; man darf nicht einmal ahnen, daß ihre Hilfe überhaupt in Anspruch genommen worden ist. Auch von meinem Besuch bei Ihnen muß womöglich nichts ruchbar werden.«

»Ich schätze Ihre Vorsicht und will auf meiner Hut sein. Aber kann ich Ihnen sonst keine Hilfe leisten außer der negativen, meine Zunge im Zaum zu halten?«

»Sie ist am nützlichsten und wird uns höchst selten zu teil,« entgegnete der Polizeichef. »Ich wüßte nicht, wie Sie mir sonst beistehen könnten, wenn Sie nicht etwa noch eine Person bezeichnen wollen.« – –

Owens schüttelte verneinend den Kopf.

»Ich hege keinen Verdacht gegen Cowran,« sagte er, »wüßte aber auch niemand anders zu nennen.«

»Sie sagten, daß Golding in glücklichen häuslichen Verhältnissen lebt.« –

»In jeder Beziehung.«

»Er kann auch nicht etwa irgend eine Verbindung angeknüpft haben – –«

»Nein, bester Herr Inspektor, etwas derartiges ist vollständig ausgeschlossen. Golding hat in seinem Leben vielleicht kaum mit einem Dutzend Frauen gesprochen. Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks begiebt er sich von seinem Haus ins Bureau und kehrt nach beendeter Arbeit wieder heim. Er trinkt nicht, er raucht nicht, er ist die Enthaltsamkeit selbst; ein alter Säulenheiliger wäre eher auf leichtfertigen Wegen gegangen.«

»Bedenken Sie,« versetzte der Inspektor, »daß Sie der einzige Mensch sind, bei dem ich direkte Erkundigungen einziehen kann. Jedes andere Zeugnis muß ich mir verschaffen, ohne daß die Leute bei ihren Aussagen eine Ahnung haben, um was es sich handelt. Sobald etwas in die Oeffentlichkeit dringt, ist alles vergebens. Daher werde ich auch die Angelegenheit nur mit Hilfe eines einzigen Geheimpolizisten betreiben, eines jungen Mannes, zu dessen Talent und Verschwiegenheit ich großes Vertrauen habe. Bis jetzt aber, das muß ich gestehen, sind die Aussichten nicht vielversprechend.«

»Ja, wir tappen noch recht im Dunkeln.«

»Ist der Schreiber der Briefe wirklich von religiösem Wahnsinn befallen, so kann uns nur ein glücklicher Zufall auf seine Spur leiten. Solche Leute antworten nicht auf verlockende Anzeigen, sie lassen sich nicht mit den Netzen fangen, die man gewöhnlich Spitzbuben stellt. Treibt den Unbekannten dagegen Gewinnsucht oder persönliche Feindschaft, so stehen die Sachen für uns weit günstiger.«

»Ich wünsche und hoffe, daß dies der Fall ist.«

»Hierüber will ich mir zuerst Gewißheit verschaffen. Inzwischen verlasse ich mich darauf, daß Sie mich von jeder neuen Wendung in Kenntnis setzen.«

»Ich werde Sorge tragen, daß alle Briefe, die noch einlaufen, sofort nach meinem Bureau geschickt werden,« versetzte Owens. »Sie haben wohl die Güte, alles öffentliche Aufsehen zu vermeiden,« fügte er nach einer Pause hinzu. »Besonders in dem höchst unwahrscheinlichen Fall, daß etwas gegen Cowran ermittelt würde. Ich kann mich hiefür natürlich nicht auf Golding berufen, denn ihm liegt nach dieser Richtung hin jeder Argwohn gewiß vollständig fern. Doch glaube ich, es würde sein Wunsch sein, die Sache möglichst geheim zu halten.«

»Ich bin Beamter,« entgegnete der Inspektor. »Mir liegt ob, den Schreiber der Briefe zu entdecken. Ist dies geschehen, so habe ich meine Pflicht gethan.«

»Sagten Sie nicht, daß Sie Cowran kennen?«

»Dem Aeußern nach – nur oberflächlich. Er ist Mitglied des amerikanischen League-Klubs, nicht wahr?«

»Ja, er ist im Vorstand, glaube ich.«

»Auf meinem Wege hieher sah ich ihn aus dem Klubhaus kommen – ein großer, starker Mann mit rotem Bart.«

»Seine äußere Erscheinung spricht sicherlich nicht zu seinen Ungunsten.«

»Er war in Begleitung eines mir unbekannten jungen Mannes mit angenehmen Zügen, kurzem Backenbart, und sah fast wie ein Engländer aus.«

»Wahrscheinlich Frank Cunliffe. Die Beschreibung paßt auf ihn.«

»Steht er zu Cowran in näherer Beziehung?«

»Nicht daß ich wüßte; aber er ist auch Mitglied des Klubs.«

»Mit Golding ist er vermutlich nicht bekannt?«

»Wer? Cunliffe? – Nicht entfernt. Er lebt wie die meisten jungen Leute der Stadt, ist nicht besser und nicht schlechter als sie. Ich weiß nichts Besonderes von ihm – etwas Böses aber durchaus nicht.«

»Ich wollte, mein künftiger Biograph, wenn ich einmal einen solchen haben werde, wäre ein Mann wie Sie,« sagte der Inspektor, seinen Ueberrock anziehend. »Es hat nicht jeder eine so gute Meinung von seinem Nebenmenschen.«

»Ich spreche von ihnen wie sie sich mir zeigen, nicht anders.«

»In meinem Beruf würden Sie manches Lehrgeld zahlen müssen. Die Liebe deckt der Sünden Menge zu, sagt die Bibel; aber meines Amtes ist es, Sünden aufzudecken, ich muß daher mit meiner Liebe recht sparsam zu Werke gehen.«

»Wer weiß,« erwiderte der andere und stieß gegen den brennenden Zedernklotz im Kamin, daß er auseinander fiel und ein Funkenregen umhersprühte, »wer weiß, ob Ihre Menschenliebe nicht dennoch mehr Wert hat, als die meine, die zum großen Teil Sache des Temperaments ist. Ich habe gern eine gute Meinung von den Menschen, weil es mir störend sein würde, Böses von ihnen zu denken. Sie prüfen alles und wenn Sie Gold finden, so wissen Sie, daß es echt ist.«

»Vielleicht ist das der Grund, warum ich meinem Bankier so wenig abzuliefern habe,« versetzte der Inspektor. Damit trennten sich beide Männer, einander lachend die Hand schüttelnd.


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