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Neunzehntes Kapitel.
Ungewißheit

Von diesem Briefe Cunliffes hatte Talbot der Herrin seines Herzens, Betty Claverhouse, im allgemeinen erzählt, und diese wiederum dem interessanten Fremdling, Mr. Hamill. Infolge der hierdurch erlangten Winke war Mr. Hamill sofort nach Boston abgereist und daselbst eingetroffen, als sich Cunliffe eben auf der Rückfahrt nach New-York befand, nachdem er Morgans Begräbnis beigewohnt hatte. Seine Erlebnisse während des Aufenthalts in Boston waren nicht ohne dauernden Eindruck auf sein Gemüt geblieben.

Unmittelbar nach seiner Rückkunft suchte er Kitty Clive auf, um ihr zu berichten, was sich mit ihm zugetragen. Sie erkannte in Fowler Morgan ohne Schwierigkeit jenen Mr. Fowler wieder, welcher in General Weymouth's Lebensgeschichte eine so unheilvolle Rolle gespielt hatte. So war also Morgan wenigstens mit der Absicht umgegangen, dem General Ersatz zu leisten und hatte aus Zufall oder vielleicht von einer plötzlichen Grille getrieben im Augenblick des Todes den schwankenden Vorsatz wirklich ausgeführt! General Weymouth wurde dadurch um mehrere hunderttausend Dollars bereichert. – »Aber,« meinte Cunliffe, nachdem ihm Kitty über Morgans Verhältnis näheren Aufschluß erteilt, »ich habe eine Lehre erhalten, die mir von unendlich höherem Wert ist!«

»Das ist mir lieb,« erwiderte sie, »auch freut mich's, daß dem General sein Geld zurückerstattet wird, aber es wäre doch schön gewesen, wenn du wenigstens die Hälfte bekommen hättest.«

»Solches Geld, das weiß ich jetzt, kann keinen Segen bringen,« versetzte er. »Nur was man selbst auf ehrliche Weise verdient – oder wenigstens rechtmäßig erbt – ist wert, daß man es besitzt. Hätte ich Morgans Vermächtnis angenommen, ich müßte mich als mitschuldig an seiner Schurkerei betrachten. Ich bin froh, daß die Versuchung gar nicht an mich herangetreten ist, wenn ich auch hoffe, ich wäre Mannes genug gewesen, um ihr zu widerstehen.«

»Durch meine zufällige Bekanntschaft mit dem General hast du erfahren, auf wie schmähliche Weise Morgan in den Besitz des Geldes gelangt ist, sonst wäre doch nicht der geringste Grund vorhanden gewesen, die Erbschaft zurückzuweisen!«

»Es mag lächerlich klingen, wenn ich sage, ich hätte es doch gethan – auch sind meine Gründe rein persönlicher Art und haben nichts mit den allgemeinen Rechtsbegriffen zu thun,« gab Cunliffe zur Antwort. »Hättest du erlebt, was ich in den letzten Tagen gesehen und empfunden habe, du würdest mir beipflichten! In meinem Charakter liegt manches, was an Morgans Wesen erinnert, nur die Umstände haben mich davor bewahrt, auf ähnliche Wege zu geraten. Wirkliches Unheil wie jener Bösewicht habe ich zwar nicht in der Welt angestiftet, aber auch nichts Gutes gethan. Müßiges Behagen war bisher mein einziges Ziel auf Erden. Für mich allein habe ich mein Einkommen verbraucht und als ich es verlor, that ich nichts als wünschen und hoffen, es möchte mir durch irgend einen Glücksfall wieder aufgeholfen werden, statt daß ich mich kräftig emporgerafft und eine rechtschaffene Berufsarbeit ergriffen hätte! Wenn ich jetzt daran zurückdenke, scheint es mir, als habe nicht viel gefehlt, um mich zum Verbrecher zu machen. Wäre mir Morgan damals begegnet und mit irgend einem zweideutigen lichtscheuen Unternehmen an mich herangetreten, dessen Schändlichkeit nicht gerade augenfällig war, ich hätte schwerlich der Versuchung widerstanden, ihm die Hand zu reichen. Einmal auf abschüssigem Wege, wäre ich dann – wie ich mich selber kenne – sicherlich nicht wieder stillgestanden.«

»Du kennst dich selber sehr wenig, wenn du dir so etwas zutraust,« entgegnete Kitty, der die Röte langsam in die Wangen stieg.

»Dir sind verbrecherische Gelüste fremd, du kannst nicht darüber urteilen,« versetzte Cunliffe. »Ich dagegen habe in den letzten Wochen das deutliche Gefühl gehabt, als stünde ich auf dem Punkte, eine Missethat zu begehen; wahrscheinlich hängt damit auch die Vorstellung zusammen, von der ich dir sagte, daß mich die Geheimpolizei verfolgt.«

Kitty öffnete den Mund, als wolle sie reden, schien sich aber eines andern zu besinnen. Sie sah Cunliffe mit ängstlichen Blicken an.

»Ein Mann wie ich,« fuhr dieser fort, »darf sich keiner moralischen Gefahr aussetzen; ich bin entschlossen, ein neues Leben zu beginnen, solange ich noch unter dem Einfluß meiner jüngsten Erlebnisse stehe. Meinen Austritt aus dem Klub habe ich bereits erklärt und gleich morgen werde ich mich nach Beschäftigung umsehen. Auch bin ich sicher, etwas zu finden, und wäre es nur eine Stelle als Hausverwalter.«

»Ich sage nicht, daß du müßig gehen sollst,« erwiderte Kitty nachdenklich. »Eine Thätigkeit, die dir zusagt, würde dich glücklich machen, ob du eine Einnahme brauchtest oder nicht. Aber das ist doch kein Grund, Geld auszuschlagen, welches dir zufällt, ohne daß du es gerade erworben hast. Wenn zum Beispiel Maxwell Golding genötigt wäre, dir zurückzuerstatten, was du an der Börse verlorst, so könntest du es doch als dein rechtmäßiges Gut betrachten.«

»Ich brauche nichts von Maxwell Golding noch sonst jemand!« erklärte Cunliffe mit heiterer Miene. »Mein Geld habe ich verspielt, und Golding darf es mit Fug und Recht behalten. Aber alle Schätze der Welt haben für mich jetzt nur sehr geringe Bedeutung, obgleich mich's nicht wundert, Kitty, wenn du das Gegenteil glaubst. Schon seit einiger Zeit liegt mir etwas ganz anderes auf dem Herzen, aber ich hätte wohl ohne die letzten Ereignisse kaum Mut und Selbstvertrauen genug besessen, um es mir selbst einzugestehen und – mit dir davon zu sprechen!«

Halb ungläubig, halb erstaunt sah ihn Kitty an; es lag etwas in seiner Stimme, was sie erschreckte, und wie abwehrend erhob sie die Hand.

»Du mußt mich hören, Kitty,« rief er in großer Erregung, »es duldet keinen Aufschub: Ich liebe dich und bin dein eigen, auf immer und von ganzem Herzen. Sage nicht, daß du mein Gefühl nicht erwiderst – du weißt das nicht, du hast es nicht versucht. Ich muß dich zum Weibe haben – weise mich nicht ab, ich will alles thun, was menschenmöglich ist, um deine Liebe zu erwerben! Meine Seele verlangt nach dir, ich bedarf deiner wie sonst nichts im Himmel und auf Erden! Sage mir, daß ich voreilig gewesen bin, daß ich dich überrascht habe, fordere Zeit zur Ueberlegung – aber sprich nicht, daß du mich nicht lieben kannst!«

Sie sank in den Stuhl zurück und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen: »O Frank, Frank!« rief sie.

»Ich dränge dich nicht,« fuhr er fort, »nur laß mich hoffen! Dies ist der Anfang meines neuen Lebens, wie ich dir sagte. Ich will ein Mann werden, und sobald ich es zu etwas bringe, dich mein eigen nennen dürfen! Was ich auch erreichen könnte, es hätte keinen Wert für mich, ohne deinen Besitz. Nur Hoffnung auf die Zukunft begehre ich, du kannst sie mir nicht verweigern! Es muß sein!«

»Wehe,« murmelte sie, ohne ihn anzublicken, »es kann nicht sein – ich kann es dir nie gestehen!«

»Was kannst du nicht gestehen?« fragte er, sich über sie beugend und ihre Hand ergreifend. – »Ich erwarte jetzt keine Entscheidung, liebes Herz, wie könnte ich das? Sage nur, daß du versuchen willst mich zu lieben! Ich werde dich nicht zum Weibe begehren, Kitty, bis ich im stande bin, für deinen Unterhalt zu sorgen, und das ist vielleicht noch lange nicht der Fall!«

»Rühre mich nicht an!« rief sie mit unterdrückter, aber heftiger Bewegung, »ich muß mit mir zu Rate gehen, muß überlegen – ich weiß nicht, was ich thun soll!«

Cunliffe trat betroffen einen Schritt zurück, unfähig zu ermessen, was in des Mädchens Seele vorging. Ihn selbst durchschauerte noch die Leidenschaft des Gefühls, das er soeben ausgesprochen und das sich ihm erst jetzt in seiner ganzen Stärke offenbart hatte. Wir erlangen einen tiefern Einblick in unsere Seele nur in Augenblicken, da sie sich von den Fesseln der schlaffen Gewohnheit löst, die sie im Alltagsleben gebunden halten! Daß sich die Geliebte unter dem Einfluß einer erschütternden Gemütsbewegung befand, die er selbst hervorgerufen, erkannte Cunliffe wohl, ob er aber der Gegenstand derselben war, vermochte er nicht zu unterscheiden.

Nach einigen Minuten erhob sich Kitty von ihrem Sitz, schritt mehrmals erregt im Zimmer auf und ab, trat dann auf Cunliffe zu und ergriff seine beiden Hände.

»Frank,« sagte sie, »wir müssen warten, bevor wir einen Entschluß fassen; ich habe nie an eine solche Möglichkeit gedacht, nie geglaubt, du könntest andere Gefühle für mich hegen, als für eine Freundin und Verwandte. So lange ich dir nur das war, lag nicht viel daran, wie ich sonst dachte oder handelte! Wählst du mich aber dir zu eigen unter allen Frauen der Welt, so ändert das die ganze Sache; ich muß dann offen zu dir reden, über Dinge, die du sonst niemals erfahren hättest. Nur soviel kann ich dir für jetzt sagen: hätte ich eine Ahnung gehabt, von dem was kommen würde, manches wäre vielleicht unterblieben oder ganz anders ausgefallen. Ich muß alles wohl erwägen, ehe ich entscheide, ob es überhaupt möglich ist! – Ich will, du sollst glücklich sein, Frank,« fügte sie mit stockender Stimme hinzu, »aber eben deshalb dürfen wir beide keinen Irrtum begehen, der nicht wieder gut zu machen ist. Nur wenige Tage laß es zwischen uns sein, als hättest du nicht gesprochen – dann komm' wieder, und wenn du noch auf deinem Sinne beharrst, sollst du alles erfahren!«

»Ich habe unbedingtes Vertrauen zu dir, Kitty,« sagte Cunliffe und versuchte ihr die Hand zu küssen, was sie jedoch nicht zuließ. »Meine Liebe zu dir ist unwandelbar. Wenn du dich anderweitig gebunden fühlst« – sie schüttelte den Kopf – »nun dann vermag uns nichts zu trennen, das heißt, – wenn du mich liebst!«

Sie gab keine Antwort, sondern entzog ihm ihre Hand und wandte das Gesicht ab. Er schritt nach der Thür.

»Lange kann ich nicht fortbleiben,« sagte er; »in Gedanken bin ich doch stets bei dir und sonst nirgends auf der Welt!«

»Es soll nicht lange währen,« entgegnete sie, ohne ihn anzublicken, »aber bis dahin lebe wohl!«

Nachdem Cunliffe sie verlassen, wandelte er eine Zeit lang in so tiefem Sinnen verloren durch die Straßen, daß er kaum wußte, wo er sich befand. Als er endlich wieder zu sich kam, belehrte ihn ein Blick auf seine Uhr, daß es bereits spät geworden war. Der Zufall hatte ihn in die Nähe von John Talbot's Wohnung geführt, der wohl schon vom Geschäft heimgekehrt sein mußte. So beschloß er denn, seinen Freund aufzusuchen und fand ihn richtig zu Hause.

»Willkommen, Cunliffe,« begrüßte ihn dieser, »mich freut's, daß du mit dem Leben davongekommen bist! Laß einmal sehen, wie du aussiehst! – Nicht viel besser, als dein Brief – und das will viel sagen!«

»Mir ist zu Mute, als wäre ich an die zwanzig Jahre fort gewesen,« lautete die Antwort; »hat sich in New-York seitdem viel verändert?«

»Nicht zum Bessern, soviel ich weiß! Aber sage einmal, bist du keinem deiner hiesigen Bekannten in Boston begegnet?«

»Nein!«

»Du kennst doch einen Mann Namens Hamilton?«

»Hauptmann Hamilton – ein Engländer, der im Klub verkehrt – jawohl!«

»Ich habe Grund anzunehmen, daß er nicht ist, was er scheint. An deiner Stelle würde ich ihm beim Wiedersehen nicht gerade meine geheimsten Angelegenheiten vertrauen, – er könnte dich verraten!«

»Wie kommst du darauf?«

»Mein kleiner Finger hat mir's erzählt! Er suchte neulich nach dir, und als er durch eine Unvorsicht meinerseits, für die ich mich hätte prügeln mögen, erfuhr, du wärest nach Boston gereist, ist er dir in solcher Eile nachgefahren, daß er vergaß die letzte Silbe seines Namens mitzunehmen.«

»Redest du im Ernst? Wie soll ich das verstehen?«

»Es ist kein Scherz. Doch du mußt selbst am besten wissen, was für Sünden du begangen hast. Beichte sie mir nur nicht, denn wenn ich als Zeuge aufgerufen werde, will ich mit gutem Gewissen sagen können, daß ich nichts davon weiß.«

»Hamilton! – wer hätte so etwas gedacht,« murmelte Cunliffe in sichtlicher Bestürzung; »ich wußte, daß hinter meinem Rücken etwas gegen mich im Werke war, aber was es sein kann und wie Hamilton darin verwickelt ist, geht über mein Verständnis!«

Unterdessen waren zwischen Boston und dem Bureau der Geheimpolizei in New-York verschiedene Depeschen gewechselt worden. Die erste lautete:

»C. abgereist. Nahm teil am Begräbnis von Nr. 2007. Verdächtige Umstände. Drahtanweisung erbeten.«

Darauf kam folgende Antwort:

»C. keinesfalls unser Mann. Brief auf Anzeige hier aufgegeben und erhalten während seiner Abwesenheit. Kommen Sie sofort hierher.«

Infolgedessen kehrte Hauptmann Hamilton mit dem nächsten Zug nach New-York zurück.


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