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Das achtzehnte Abenteuer

zeigt zum Beginn einen wilden Zornesausbruch der Gule: sie weiß sich wirklich keinen Rat mehr mit Till. Von einem Steinwurf, mit dem sie den Brustkorb des Pudels trifft, behauptet Till, er habe ihn selbst noch schwerer verwundet. Irgendwie scheint er in der Tat lädiert zu sein. Er hat Todesgedanken. Darüber gerät nun wieder die Gule, die ihn ja schließlich liebt, außer sich. Eine innige Versöhnung kommt zustande. Trotzdem sieht sich das Mädchen am nächsten Morgen allein und verlassen. Als einsamer Pilgrim überschreitet Till die Grenze der Schweiz. Er trifft dort auf dunkle Gestalten mit schlechtem Gewissen, die er nicht ohne Mitleid zurückläßt, später, in der Nähe von Ponte Brolla, in einer Herberge Zum Heiland, einen wirklich überaus seltsamen Hirten, der ihm bald wieder entschwindet. Im Suchen nach ihm stürzt der Vagant bei einer waghalsigen Bergpartie ab. – Finis.

 

»Nein, du wirst solchen Unsinn nicht wieder erzählen!« Die Gule
rief das wütend ihm zu. »Oder aber ich geb' dir den Laufpaß.
Narr ist Narr, und Hanswurst ist Hanswurst. Doch es hat seine Grenzen
jedes Ding. Ein Hanswurst muß noch immer ein Mensch und ein Kerl sein.
Gut, ich hatte Geduld, weil ich hoffte, er kommt zur Besinnung.
Jeder hat seine Zeit, wo er manchmal auch nicht recht gescheit ist
und auch faul. Doch es ward immer schlimmer mit dir und nicht besser.«
So die Wütende: sagt's und ergreift einen Stein von der Straße,
faustgroß, hebt ihn und trifft mit gewaltigem Bums Prinzens Brustkorb.
Schrecklich jammert er auf und entflieht. »So, Kanaille, nun hast du
von der schönen Geschichte den Schluß, und nun fehlt daran nichts mehr.«
Es war Tillens Manier, mit den Zähnen zu knirschen: das tat er.
»Fahre fort«, sprach er dann, und er pfiff durch die blendenden Zähne.
Nun, das tat sie. Sie ließ sich nicht bitten: »Der erste dem Köter
und der andere dir, falls du aus der Verblödung nicht aufwachst.
Herr des Himmels, er spinnt und vergißt, daß wir beide verhungern,
wenn nicht irgendein Markt ein paar elende Lappen uns einbringt.
Alles schmeißt er hinaus, füttert Bettelgesindel und Diebsvolk,
aber denkt nicht daran, wie Verschleudertes wieder hereinkommt.
Selber betteln? Beileibe! der Herr ist zu fein. Streckt man einmal –
nun, was ist denn dabei? – seine Hand einem Protzen entgegen,
hagelt's Schimpfe und Gott weiß was, wenig fehlt da zu Prügeln.
Dabei lebt man dahin, wie im Wagen des Schlachters das Kalb lebt:
angebunden, man darf sich nicht rühren, man darf niemand ansehn.
Augen hast du gemacht, heißt es dann. I, für was sollt' ich treu sein?
Für die Ehre, zu frieren, zu hungern, das Feuer zu schüren
und von nichts eine Suppe zu kochen? Da schlag' doch der Blitz drein!
Überhirnisches Zeug soll man glauben. Er tut sich! Er hat sich!
Königinnen ernennt er und setzt sie auf Throne von Reichen,
ja, wahrhaftig! Er selbst aber findet sich kaum noch zum Nachtstuhl.
Puppen hat er besessen und hat sie vertauscht gegen Rheinwein,
einen Becher aus Gold um Gott weiß was im Städtchen verkümmelt,
Busennadeln versetzt, dicke Perlen, und alles verfumfeit
und von alle dem Schmucke mir auch nicht ein Ringlein gelassen.« –
»Kind, hier hast du fünf alte Dukaten, mein letztes Besitztum,
und die Börse dazu, 's ist der Rest meiner Großmuttererbschaft.
Nimm sie hin! Aber höre nicht auf, lustig weiter zu zetern.«
Dies war Ernst. Doch die Gule vermeinte, er wolle sie foppen,
und sie kannte sich nicht mehr fortan vor blind rasendem Jähzorn:
»Ach, behalt dein Gelump', die Dukaten aus Pappe, den Steinkauz,
der das Haar mir besudelt des Nachts! Und da nimm deinen Spiegel,
diese Scherbe, da, da!« Sie ergriff einen Stein und zerschlug ihn. –
Plötzlich scholl da der schreckliche Ruf des revierenden Uhus
durch den Dämmer des Abends. Fast streifte die Plane des Wagens
sein gewaltiger Schatten, der lautlosen Fluges dahinstrich.
Mächtig klang es »Uhu! Uhuhu!«, und das Mädchen verstummte.
Lange sprach sie kein Wort, fast als wie vor sich selber erschrocken.
Doch nun redete Till: »Du hast richtig erkannt, liebe Gule,
welches Zeichen der furchtbare Vogel uns eben gegeben,
hast ihn vorher geahnt, jenen Schatten, der über uns hinflog,
denn du redetest Angst. Nur ein Abschied ist selten ein Abschied,
und wir nahmen ihn oft, und der heutige ist nun der letzte.
Sei gescheit, liebes Kind, denn wir sind unterm Anhauch des Schicksals,
dessen Macht uns nicht kennt, unterm sinnlosen Muß der Bestimmung.
Und so sei nicht gekränkt, wenn ich Schmerzendes jetzt dir bekenne:
Mich, nicht ihn, unsern Pudel, traf, Gule, dein garstiger Steinwurf,
traf mein Herz, wo die Rippe mir fehlt, die der Herr einst dem Adam
nahm, um Eva daraus zu erschaffen. Es mußte so kommen,
und ich werde ihn nicht mehr verwinden, o Gule, den Steinwurf.
Aber gräme dich nicht, denn er ist nur der letzte von vielen,
und ich wußte von ihm, ja, ich habe ihn lange erwartet.
Andre Zeichen sind da, mit Frau Welt meine Rechnung zu ordnen.
Nicht umsonst hab' ich Blicke getan aus dem Diesseits ins Jenseits.
Weder bin ich umsonst durch den Garten Admetens gegangen,
noch auch werd' ich die Schule des Cheiron je wieder vergessen.
Und du hast – dies der deutlichste Wink – meinen Spiegel zertrümmert.
Was nun kommt? Daß ich doch, ein verspätetes Opfer des Krieges,
jetzt beschließe, bewußt auf dem Weg des Vergessens zu wandern,
stimmt mich heiter, nicht trüb: 's ist ein Weg, dessen Ende der Tod ist.
Ist mein Weisel doch da: er, mein innerer Lenker, Hetairos.
Und der lieblichste Ton seines zartesten Silbers beglückt mich,
jenes Glöckleins, das, wie du ja weißt, der Erlauchte am Hals trägt.
Und gewißlich, er wird auch durchs düstere Tor mir vorangehn,
dem kein Sterblicher sich völlig furchtlos zu nahen die Kraft hat.« –
»Schuft«, so schrie da die Gule und weinte, »ich komme von Sinnen
bei dem allen. Was quälst du mich denn immer wieder mit solchem
ungewaschnen Geschwätz? Trinke Wein, iß gepfefferte Brühe,
tolle mit mir herum, wie du's manchmal getan, kriech auf Bäume,
praatsche dich auf den Rücken und mach mit dem Kamme der Zähne
Meisen nach oder Sprosser! Ja, überhaupt tu, was dir einfällt,
schlafe, rülpse, erzähle meintwegen dem Pudel Geschichten,
nur verlasse mich nicht!« Und sie hing Tillen schluchzend am Halse.
»Ich verlasse dich nicht«, sagte Till, »nur Frau Werlde verläßt mich,
und ich muß durch das Tor. Gule, nimm die Dukaten, da sind sie,
zier dich nicht! Und das andre nimm alles, was auf den vier Rädern
hüpft und knistert und knackt, und die Ponys dazu! Nimm den ganzen
Leierkasten dahin, der mir lange genug musiziert hat!
Alles schenk' ich dir hin, ich vermache dir alles und alles,
den verstecktesten Floh im Geniste, die einsamste Filzlaus.
Nichts dergleichen bedarf ich fortan, denn bald wühl' ich in Reichtum.« –
»So, in Reichtum? Das ist ja das Neuste. Ich ahnt' es ja längst schon:
tut sich arm und ist reich, hat am Ende gar Schlösser und Güter!
Nun erst recht nicht: bevor du geblecht hast, Mensch, wirst du nicht abziehn.
Und nun nehm' ich auch weiter kein Blatt vor den Mund, und du sollst es,
Lotterbürschchen, denn kurzweg erfahren, woher jetzt der Wind weht.
Ist dann irgendein Funke von Anstand und Ehre noch in dir,
bin ich sicher, es wird dir nicht zweifelhaft sein, was du tun mußt.
Ja, nun ja: ich bin Mutter, mein Freundchen, und bin es von dir, Till!«
Da nun lacht der Vagante auf seine weitschallende Weise,
die gemacht war, in jedem die Geister der Freude zu wecken.
»Herrlich!« ruft er. »Und her mit dem Bamsen! Ein Spaß für die Baubo,
zu ihr bring' ich ihn hin. Sie vermag's und beweget die Götter,
und man brennt ihn am heiligen Feuer und macht ihn unsterblich.
In den Wagen, mein Kind, hurtig unter die Plane, es regnet!
Ach, der nordische Himmel beginnet recht merkbar zu grämeln.
Was nicht ist, kann am Ende noch werden, du Racker und Liebling.
Einmal wollen wir uns vor dem Frost aneinander noch wärmen.«
Wie gesagt, so getan. Es war tief in der Stille der Wälder
wiederum, die sich wiegten in triefender Nässe und Nachthauch.
Eng verschlungen lag Till und die Gule, tief atmend, im Halbschlaf.
»Wachst du?« fragt den Geliebten das Mädchen. – »Ich wache«, spricht Till da
und umschlingt mit den Armen die Dirne noch einmal zum Abschied.
Und sie spürt es und weint. Sie beginnet zu flüstern, zu betteln:
»Till, verstoße mich nicht, denn ich habe nur dich noch, sonst nichts mehr.«
Einmal noch ward aus zweien ein Leib, dann entschliefen sie beide. –
Morgens wachte sie auf so wie immer, die Gule. Sie blickte
um sich: Till! Wo war Till? Hatten eben nicht noch ihre Arme
ihn umschlungen gehalten, so daß ihr die Form seines Leibes
noch erfühlbar – dies Ebenbild Gottes – und warm an der Brust lag?
»Till, wo bist du?« so gillte ihr Ruf. Nirgendher eine Antwort.
Von der Stange gestürzt war der Kauz, und die Gule ergriff ihn.
Doch er krallte und biß, ihrer Hände sich fauchend erwehrend,
und da ließ sie ihn fahren, worauf er vom Eingang des Wagens
in die morgendlich-grämlich verdüsterte Landschaft davonstrich,
um, ein lautloser Schatten, im Orkus der Wipfel zu schwinden.
»Prinz, bist du da? bist wenigstens du da?« so flennte das Mädchen.
Ja, da saß er und blickte sie an. Welch ein Blick – sie erschrak fast –,
wie vom Ätna gespeist. Ja, des Berges dämonischer Auswurf
schien der Pudel zu sein und von tückischem Wissen gesättigt.
Nun, die Gule, sie rennt, und sie ruft, und der Pudel umspringt sie,
bis es Tag wird: vergeblich, denn Till wurde nirgend gefunden. –
Wo war Till? In den schönen Gebieten des oberen Rheinstroms.
Überschritten bereits ist die Grenze des Schweizer Bereiches,
dieses Landes, wo Friede und Freiheit wie nirgend geehrt wird
und bewahrt. Till ist einsam, ist wirklich und wahrhaft ein Pilgrim,
der den Anfang der Wallfahrt zum Orte der Ruhe gemacht hat,
heitren Herzens, bewußt seinem irdischen Ende entgegen.
Bin ich nahe dem Ziele? Vielleicht! spricht ein wonniger Anhauch,
und Till lacht. Ohne Bitterkeit lacht er, wie kaum je im Leben.
Irgendwie sieht der Pilgrim sich nackt, was ihn herzlich belustigt.
Niemand sagt zu ihm Till, niemand nennt ihn Geliebter, auch Sohn nicht.
Keine Mutter ist da und kein Vater, von ihm so zu nennen,
denn er ist ja allein. Ist er Flieger und Kriegsmann? Gewiß nicht.
Niemand zeigt sich, vor dem er es wäre und der ihn so nennte.
Ist er arm oder reich? Je nachdem und so, wie er es selbst wünscht.
Andre sind ja nicht da, um für arm oder reich ihn zu schätzen.
Bin ich weise? denkt Till. Oder bin ich ein Schalksnarr? Das eine
nicht und so nicht das andre und außer mir selber durchaus nichts.
Namenlos, ohne Freund, ohne Feind, ohne Vater und Mutter,
ohne Haus, ohne Land, ohne Volk, ohne Pflicht, ohne Bindung,
ohne Schuld und Verdienst. Nicht von Lappen und Flicken umklunkert,
schnörkellos schreit' ich hin mit dem einz'gen Besitz meiner Nacktheit.
Unbelastet wie nie ist mein Schritt, kaum berührt er das Erdreich.
Götter? sind sie mit mir? Ich bedarf ihrer nicht, meinethalben:
selber bin ich ein Gott, der sich eben sich selber enthüllt hat.
Gibt es Priester? Ich weiß nicht. Die römisch-katholische Kirche?
eine andre und noch eine andre? Mag sein, doch ich weiß nicht,
und mich geht es nichts an. Gibt es Völker, und haben sie Namen?
führen Kriege und schneiden einander mit Worten den Hals ab?
Ist es so, nun, dann kenn' ich sie nicht oder hab' sie vergessen.
Welche Wandlung! Schon bin ich beinah wie mit Flügeln behaftet,
und es lächelt mein Herz. Ohne Eule und Spiegel zu leben
heißt, im Eden zu sein. Wer dereinst mich zu beidem verführte,
war mein Feind. Jetzt erst bin ich! Ich bin, und ich kenne mich selbst nicht.
Ich besitze nicht Haut und nicht Knochen, und was sonst für Teile
sich im Spiegel gespiegelt. Ich bin nur die Kraft eines Daseins,
ganz harmonisch, ganz einig mit sich und sich selber genießend.
Und nun sing' ich ein Lied, denn nun bin ich wahrhaftig gewürdigt,
Propyläen der seligsten Zukunft geheim zu betreten.
Und man liebte ihn sehr, wo Till irgend erschien. Die Frau Wirtin,
welches Wirtshaus er immer betrat, kargte weder mit Blicken
noch mit Wein und vergaß nie, das Mahl ihm besonders zu würzen.
Wandernd schritt er dahin durch die sonnigste Gegend am Rheinstrom,
die der Herbst mit dem heitersten Tage so spät noch beglückte.
In die Taschen die Hände versenkt und die Mütze im Nacken,
ging er schlendernd und nicht übereilt und in vornehmer Haltung.
»Wer denn kommt dort?« so sprach unterm Nußbaum des Kruges die Wirtsfrau,
als der schlanke, still-selige Pilgrim die Straße herabkam.
Er gefiel ihr, je näher, je mehr. Nun, ich wische den Tisch ab,
mach' er Rast oder nicht. Etwa kriegt er doch Lust auf ein Schlückchen,
spricht sie stumm zu sich selbst. Und so war's: er nimmt Platz, und er lächelt
in sich gleichsam hinein, und er pfeift durch die blendenden Zähne.
»Wirtin, gebt mir ein Maß und ein Fischchen dazu, wenn es sein kann,
aus dem Strom, dessen Jugend so friedlich und heiter dahinfließt.
Bin ich selbst doch wie er, denn ich trachte durchaus nur nach dem noch,
was im sonnigen Stande der ewigen Jugend erreichbar.« –
»Gern«, so sagt sie betreten und geht, das Gewünschte zu schaffen,
in das Haus, während Till in den Wipfel des Nußbaums hineinsinnt:
Ja, wir lieben das Spiel, wir lieben es, immer dasselbe.
Alle tun wir das gleiche und immer das gleiche, wir Menschen,
essen, trinken, vermehren uns, lachen und weinen und wandern,
überliefert dem Tod jede Nacht und ihm wieder entrissen
von dem allgewaltigen Ruf Fiat lux! jeden Morgen.
Wir vermessen uns hoch, Kinder Gottes und Herren des Weltalls,
was nicht sonst noch zu sein – und wir leeren den Leib aus am Wegrand.
Trotzdem! trotzdem! was tut's, wenn we like it, this game und we like it,
lieben es, wie es ist, unser närrisch-glückseliges Dasein:
ja, wir achten uns nicht als geneppt, wenn die Rechnung gereicht wird
von dem Gläubiger Tod, den noch niemals ein Schuldner geprellt hat.
Till erhält seinen Fisch und erhält seinen Wein. »Es sieht arg aus«,
sagt die Wirtin, »im Reich: 's ist bankrott, und man hat schon ein Einsehn.« –
»Euer Inselchen hielt sich recht gut, beste Frau, in dem Blutmeer,
und ein Gott muß es sein, der vor Sturmflut es wieder bewahrt hat.
Jahve fürchtet der Mensch, den zornschnaubenden Herrgott der Juden.
Doch besonders geeignet erscheint mir der Hengott der Schweizer,
dieser starke Erhalter der Wohlfahrt, des Friedens, der Eintracht,
aufzurufen den Dank und die herzlichste Liebe der Menschheit.«
Lächelnd spricht er's und kauend und sinnend dazu bei sich selber:
Sterben geh' ich, ich suche den Tod. Fragt sich nur, wo ein Busch ist,
dicht genug, einen sterbenden Narren der Menge zu bergen.
Überlaß ich das Leben den andern? die Sorge um Deutschland?
seine Wiedergeburt? seine Wohlfahrt? des Reichs Wiederaufbau?
Ja und nein, denn ich denke von drüben noch lange zu spuken.
Plötzlich sitzt da ein Mensch neben Till und danach bald ein zweiter.
Auch ein dritter, ein vierter erscheint, alle sind sie aus Deutschland,
alle jung, auch die Wickelgamasche ist ihnen gemeinsam
und ein furchtbares Zeichen dazu auf der Stirne: das Kainsmal.
Nun, euch grade, beim Hunde! euch dachte ich nicht hier zu treffen,
Schuldbeladne, Erinnyengehetzte! denkt Till, schrecklich lächelnd.
Grausam ward eure Jugend zerstört durch den Geist der Verblendung.
Eure Taten, von andren gedacht: so gedacht als vollbracht, sind
darin undeutsch durchaus, und man muß euch und muß sie vergessen.
Doch so schwer eure Schuld, eure Reue und Strafe sind schwerer,
und ich richte euch nicht, meine Trauer gehört euch. Sic dixi.
Sie verschwanden. Und Till, er brach auf, denn er wollte die Maggia
sehn. Es trieb ihn, den Ort seines nahenden Tods zu erreichen.
Oh, Till sieht dich, Till sieht dich im Geist, heil'ge Wiege der Maggia,
drin du lächelst und schläfst, nicht von Ammen und Müttern vergessen,
die, in seligen Fällen und Stürzen, die Milch ihrer Brüste
spenden, ob auch verbergend die Quellen der silbrigen Güsse.
Wer versteht deine Sprache, du gletschergesäugeter Urstrom,
Sohn des Himmels und Sohn der Berge? In mächtiger Wanne,
die dein altes Gigantengeschlecht und du selbst dir gehöhlet,
dehnst du, lieblich geschlängelt, dich hin, heute nur noch ein Knäblein,
das im Grase der Wiesen, unschuldigen Lächelns, sich sonnet.
Ruhig rinnt noch dahin das Geström über klaren Gesteinschutt,
wenig Schritte, bevor es zu wütendem Schrecken geweckt wird.
Ponte Brolla! hier raset das Kind, und es tobet heraklisch
durch das zwängende Tor, weiterhöhlend die Höhlung des Flußbetts,
das, zu bleichem Gebein urweltlicher Wesen gedrechselt,
das Geschäume bald teilet, bald hemmt und dann wiederum freigibt.
Und so wühlt es und suchet die Freiheit und stürmet den Ausgang
in ein weiteres Tal. Alles dieses steht Till vor der Seele.
Weit entfernt von den Strudeln und Fällen und Schnellen der Maggia,
liegt er gleichsam betäubt an der Klamm und berauscht von dem Mahlstrom.
Er vernimmt ein Gebrumm in den Tiefen und, unter dem Brummen,
jetzt Musik! 's ist die heilig erhallende Sprache des Äthers,
welche alles durchdringt. Tillen klingt es wie Orgeln des Abgrunds.
Saiten schluchzen dazu und erfüllen die Allheit des Äthers
mit Pylonen, Gewölben und heilig erhallenden Türmen.
Und darüber erhoben, wie hoch jubiliert es und jauchzt es
von Gewißheit des Heils und dem Nahsein glückseliger Welten!
Dort, wohin es ihn zog und von wo ihn der Anhauch beglückte
und erhöhte bereits und wohin seine Seele vorausflog,
dort erlebte und feierte Till endlich auch seine Ankunft.
Hinter ihm schwand der Wust. Und der schneeichte Wall des Gebirges
trennte Till von dem niederen Himmel voll Schatten des Krieges,
der ihn lange bedrückt und mit schrecklichen Bildern beängstigt.
Unter ihm lag der glitzernde See, freilich wieder ein Spiegel,
doch kein Tändlergerät, sondern weit dem Unendlichen offen,
überfließend von Licht und entbrannt von dem Glanze der Himmel.
Unter Reben gelagert saß Till, mit schwarzbeeriger Traube
vom freigebigen Winzer beglückt. So genoß er sein Dasein.
Er genoß es, sonst nichts. Und ein holdes Vergessen beschlich ihn
allen Leides, das je er erlitt, allen Glücks, alles Irrtums.
Eine Ahnung erfuhr er des Friedens, das tiefste Geheimnis.
»Gott ist groß«, sprach er dann. »Er ist groß in der Macht seiner Berge,
groß im großen und groß auch im kleinen, in allem und allen,
im unendlichen Raum und im Raume der kleinsten Umengung.
Aber größer noch hinter dem allen als in ihm: sic dixi!«
In die Stadt stieg der Pilgrim hinab, die den nördlichen Zipfel
schmückt und lockend bekränzt des so mächtig gebetteten Alpsees.
Frei und hell boten Gassen und Platz sich dem dankbaren Blick dar.
Till verbrachte die Zeit bis zum Abend, als wär' er nicht Till mehr,
sondern etwas, erst heut zwischen Morgen und Abend geboren.
Wo verschlaf ich die Nacht? sinnt er endlich. Der Herbergen bieten
viele sich, und sie haben vertrauenerweckende Schilder:
Haus zum Frieden, Herberge zum Freunde, zum guten Kam'raden.
Eine nennet sich: Sprung in den Himmel und eine: Zum Heiland.
Nun, der Sprung in den Himmel hat Zeit, denkt der Pilgrim und bückt sich
allbereits in der Tür, die ins Wirtshaus Zum Heiland hineinführt.
Und er findet Quartier. Dann betritt er die dunstige Schenke,
die ein flackernder Kloben vom hohen Kamin aus beleuchtet.
Niemand achtet auf ihn, er nimmt Platz, und man bringt ihm die Zehrung.
Seltsam ist dieser Raum, den die Wirtsfrau fast lautlos durchwaltet.
Schwere Müde erfüllt ihn. Es sitzen im Scheine des Feuers
unterm Sims des Kamines zwei Männer: Hausierer der eine,
und der andre, so scheint es, ein Bauer der Gegend. Er stochert
an dem Kloben herum, seine Lage jeweilen verändernd.
Unweit Till liegt der mächtige Ballen des reisenden Händlers
und, den Rücken dawidergelehnet, sein schlafendes Eh'weib.
Beide haben sich müde geschleppt in zwölfstündigem Tagwerk.
Und Till schläfert's, auch ihn. Schwer verdienete Ruhe der Arbeit
steckt ihn an, und er stützet sein müßiges Haupt in die Hände.
Da vernimmt er, geflüstert, den Namen Calvin vom Kamin her,
und aufs neue: Calvin! und: Calvin! Hingegebenen Blickes
horcht die Wirtsfrau auf das, was der Händler vom Worte Calvins sagt.
Dieser Händler ist Sanftheit durchaus und sein Wesen ganz Demut.
Duldend-gütig erbebt jedes Wort, das er redet, von Mitleid.
Immer wieder Calvin und Calvin: flüsterhauchend ertönt es,
so als wäre der Träger des Namens das sel'ge Lamm Gottes.
Lamm und Lämmer? Mag sein! Doch ihr könnt euch in Wölfe verwandeln. –
Was mit Tillen geschah und nun wieder geschah, war das alte,
war die Erbschaft des Bluts, die auch hier ihn noch immer nicht freigab.
Denn er sah einen Mann, einen Hirten, der schweigend hereintrat.
Er allein, niemand sonst, sah den Gast. Denn als dieser sich wieder
mit dem schlichtesten Gruße entfernt, als er lange geweilet,
wußte niemand von ihm, den Till innig bewegt darum fragte.
Eigen schien dieser Fremde, schon als er zu ihm an den Tisch trat,
nach den Jahren nicht älter als Till. Es umgab ihn ein Lichtschein.
Oder täuschte sich Till? Sicher ist, daß der Schimmer nur schwach war.
Was sie sprachen, die zwei, als der Hirte sich niedergelassen,
war verschwiegenster Art. »Ich bin der, den du kennst«, sagt der Fremdling,
»dessen Name dich lud, hier im Hause dein Nachtmahl zu essen.
Wunden weis' ich dir nicht oder Narben an Händen und Füßen,
kein zermartertes, blutendes Haupt, das, von Dornen zerrissen,
eitrig starrt, noch den schwarzen, von Striemen geborstenen Rücken.
Alles dieses ist lange verheilt und verharscht und vergessen.
Bester, sei mir willkommen, und morgen dann gehst du den Weg wohl
nach der Klamm deines Stroms, nach den brausenden Schnellen der Maggia,
wenig Schritte von hier. Und darüber hinaus in die Höhen,
eines Tages, wo still meine Lämmer Jahrtausende weiden.
Sieh, es geht ein Gerücht, Till, ich sei nicht am Balken gestorben,
sondern lebend von liebenden Händen heruntergenommen.
Es mag sein oder nicht: denn das Opfer bleibt immer das gleiche.
Jeden Falles verschied ich im Tode, vermeinend zu sterben.
Hätt' ich's anders gewußt und gewiß meines Aufstiegs gen Himmel,
dann, Till, wäre durch mich so die Welt als die Gottheit betrogen.
Ja, ich schenkte mich hin an den Tod, um mein Leben zu geben
zur Errettung für viele aus schrecklichen Banden des Kainfluchs.
Ob mein Opfer die Bande gelöst, Till, du magst es entscheiden.
So verschied ich und wachte dann auf und erstand in das Ew'ge.
Doch dem Zeitlichen blieb ich gestorben: hier liegt das Geheimnis.
Auch du, Till, stirbst der Zeit. Wer allein in ihr lebt, lebte niemals:
und wer tot ist, vermag auch in ihr, in der Zeit, nicht zu sterben.
Der nur stirbt ihr, der, dienend im höheren Dienst, ihr gedient hat
und sein Opfer gebracht. Und so sei mir willkommen im Ew'gen!
Diesem hab' ich und dem, wie sie unten im Zeitlichen wandeln,
hie und da mich noch einmal gezeigt, doch sie sahn nur ein Schemen,
wie sie selbst mir, die einstigen Brüder, als Schemen erschienen.
Und doch blieb ich ein Mensch und besuche auch hier noch als Mensch dich,
fegefeuerentrückt allerdings, nach dem Bade der Läutrung
schlackenlos und zur stillen Entsagung im Ew'gen gekühlet.
Willst du mehr von mir wissen, besuche mich, Till!« Dies gesprochen,
schwand er hin. Er entwich durch die Tür, Till zum Abschiede winkend.
Der Verlassene sprach zu sich selbst: Alles geht, wie es sein soll,
morgen werd' ich den Hirten in seliger Höhe besuchen. –
Dieses Morgen erschien. Till erreichte die Tobel der Maggia
und erquickete Augen und Herz. Danach ließ er die Blicke
kreisen über den weiten und über den engeren Talgrund,
wo der Ort für ein Hüttchen sich böte, die kleine Behausung,
drin der seltsame Klimprer und Klingler und Träumer und Gaukler
mit dem Tode die Reise des Lebens gedachte zu krönen.
Fand er eigentlich hier, was er suchte: den seligen Stillstand,
welcher schweigend und ohne Bewegung im ewig Bewegten
ruht? Erahnte er ihn, oder traf seine Seele Enttäuschung?
»Hört«, so fragt er den Landmann, der tief seine Hacke hineinschlägt
in den knirschenden Grund, »hört und sagt mir, wo ist hier ein Hirte,
so und so von Gestalt? Und wo weidet der Hirt seine Herden?« –
»Herr, das wüßte ich nicht«, gab der Bauer dem Frager zur Antwort.
»Unten sah ich ihn nicht, und das nackte Gestein unsrer Talwand
bietet nur der waghalsigen Ziege vielleicht einen Grashalm.«
Kaum verhallte das Wort, so erschrak Till. Er hörte ein Klingeln,
das, er schwor es bei sich, dem Geschmeide des Lenkers entstammte.
Nahe klang es und rückte, wie schrittweis, hinweg in die Ferne.
»Ja, ich weiß es«, frohlockte der Pilgrim, »du führest mich zu ihm,
o Hetairos, mein himmlischer Glöckner!« und folgte dem Laut nach,
wie dem Schäfer das Schaf. Ach, es war in dem Narren ein Wille
aufgebrochen, womöglich am Feuer des Hirten zu schmelzen
und sein heitres und letztes Geheimnis von ihm zu erfahren.
Und zu trinken begehrete er aus demselbigen Quellbrunn,
der die Herden des Hirten mit ewiger Wonne beglückte.
Till, du wolltest der nutzlosen Narrheit entfliehen, so spricht er
zu sich selbst, und schon treibst du von neuem in nutzloser Narrheit.
Liebe schwinget in dir. Doch zu wem und zu was? Gib dir Antwort:
jenem Hirten, dem Schemen, so wie er sich selbst ja genannt hat?
Ewigkeit liebt ein deutscher Hanswurst: nun, ich gönn' ihm das Wörtlein,
sei's geschrieben, gesprochen, gedacht, doch mir lockt's keinen Kuß ab.
Ist es Gott, den ich liebe vielleicht, oder wenigstens ein Gott?
Oder lüg' ich mich selber zum Gott, um mich selbst mehr zu lieben?
Mehr zu sein, immer mehr, als ich bin, treibt ein wildes Verlangen
mich auch dann, wenn ich Torheit und Narrheit und Armut bekenne,
und das macht meine Narrheit so groß, daß sie nichts überbietet.
Klinglingling, scholl das Glöckchen des Dämons. Till folgte dem Klang nach,
was auch immer sein ruhlos unzähmbarer Geist meditierte.
Aufwärts ging es in langsamer Steigung, dann steiler und steiler.
Nahe bald war der lockende Ton und bald wieder entfernter.
Müde rastete Till. Ja, so denkt er, ich lebe aus Müde.
Alle Müden sind meine Verwandten. So war's gestern abend
in der Schenke Zum Heiland, weshalb mir's darinnen so wohl ward.
Und der Hirt war vielleicht eine Ausgeburt auch meiner Müde.
Ich bin müde, bin müde. Ist das wohl der Kern aller Weisheit,
die so wichtig und übereindringlich und mystisch sich dargibt?
Leblos waren wir, ehe wir waren, und dann erst lebendig.
Ist das Leben vielleicht eine einz'ge Ermüdung vom Leben
und auf langen, verschlungenen Wegen mühselige Rückkehr?
Soll ich gähnen, hojahnen? Gut' Nacht! Gute Nacht! – Doch es klingelt
wiederum, und Till raffet sich auf und verfolgt seinen Glöckner.
Welch ein Spiel, lacht er jetzt, das ich Jahre um Jahre nun treibe:
immer schleudr' ich die Kappe mit Schellen voraus auf den Weg mir,
und dann hol' ich sie ein. Und der Fund, den ich jedesmal mache,
wie der glücklichste Finder beseligt, es ist meine Kappe,
meine Kappe, die alte, mit Schellen behangen und langen
Eselsohren geschmückt. Und Till hält eine Rast, um zu lachen:
Großer Gott, Eulenspiegel, erhabener Gaukler des Weltalls,
lüpf ein wenig den Vorhang der Bude, in der du versteckt bist
und dein Lachen. Ein wenig davon, und ich stürbe am Lachkrampf.
Da! da rutschte Till aus. Wenig fehlte, er wäre gestolpert
und gestürzt und im lieblichen Tale der Maggia zerschmettert.
Doch er hielt sich und fand einen Sitz, der ihm fast wie ein Thron schien,
wohlgeneigt und gelaunt, mit dem Himmel die Rechnung zu machen.
Lange hab' ich gelebt und hab' vieles genossen. Wo ist es?
Nun, es ist, weil es war, und ich brauche mich nur dran erinnern.
Lange hab' ich gelebt, o wie lange! Allein mit der Baubo
tausend Jahr, tausend Jahre des Glücks: sollten diese nicht wert sein,
hie und da auch ein weniges Galle und Gift in dem Kreislauf
seines Blutes zu dulden? Und Stella: ist Stellas Umarmung
nicht inwendigster Inhalt der je zu erschließenden Himmel?
Und wenn nicht, so versaget die Hoffnung, auch nur ihn zu hoffen.
Um so besser für mich. Und der Ritt auf dem Rücken des Cheiron,
ging er vor sich im Rahmen der Zeit oder aber im Ew'gen?
Das Unendliche war und das Ewige, scheint mir, sein Schauplatz.
Oder gibt's das Unendliche nicht im Bereiche der Kräfte?
Dann ist alles begrenzt, und die Grenze ist gleich mit der Wirkung,
dann ist Cheirons und jegliche Bahn ein nie endender Kreislauf.
Worte, Worte: nur das und nichts weiter. Es gibt nur ein Werden
und kein Sein? Also herrlich: es gibt nur ein Sein und kein Werden!
protz' ich auf. Weshalb nicht? Mir gefällt das so gut als das andre.
Dreh dich, Rad, sinnet Till, wenn nicht unter mir mehr, so doch mit mir.
Und er fühlt seinen Sitz auf dem kreisenden Steine im Weltraum.
Ich bin klein auf dem Stein, und es könnte mich wiederum lächern,
einen Narren zu sehen wie mich, an den Rollstein geklammert:
welcher Hochmut! Die Macht, die uns will, sie verbirgt uns den Anblick,
eben weil sie uns will: wer vermöchte ihn auch zu ertragen?
Schon der Ritt, den ich tat auf dem Rücken des guten Kentauren,
und was alles in fiebriger Helle ich drüben erschaute,
gab mich anders dem irdischen Tage zurück, als ich sein muß,
um mit festem Genügen und gutem Humor drin zu leben.
Auch was sonst ich geübt im Bereiche der Schatten und Schemen,
gaukelsüchtig und haltlos, in manchem gefährlichen Traumsturz,
hat mich nah an die Grenze geführt, wo das Auge des Sehers
für das wirkliche Leben im Dunkel des Wahnsinns erblindet.
Schlimme Erbschaft des Kriegs! Er entließ mich, er gab mir den Laufpaß.
Danke Gott, du bist frei, bliebst gesund und dem Leben erhalten!
Manchem rief er das nach, dem der schleichende Tod in der Brust saß.
Topp, er nehme mich hin! Und so werfe ich nun meine Kappe
abermals auf dem Wege voraus und hinüber ins Jenseits:
diesmal ganz und nicht träumenderweise, nein, überaus ernsthaft.
Klinglingling, lockt es wieder von oben, und Till kriecht dem Klang nach.
O Hetairos, du machst mir das Sterben nicht leicht, mein Geliebter!
Wem denn führst du mich zu? Gib mir lieber mein erzenes Eslein,
das zur Burg des Admetos mich brachte, des seligen Meisters,
der mir Eros gezeigt. Aber leider, die kleinen Dämonen
dieser Art sind hier ohne Belang und im leidigen Ernstfall.
Oder nicht? Um so besser. Dann wartet Taygeton, wartet
Baubo, wartet das himmlische Troja, in dem ich Helenen
endlich, endlich und wirklich begegne. Sie warten auf mich dann,
und dann wird man ja sehn, ob mein Lachen nicht Berge versetzet.
Klinglingling … Ich verstehe, du billigst das nicht, lieber Lenker.
Stille Wege in andere Fernen hin willst du mich führen
und zunächst einen Menschen mir zeigen, der einstmals sein Leben
zu erleiden verstand und, erleidend, verstand zu erdulden:
und es, duldend, genoß. Nun wohlan! Und Till kletterte weiter.
Sursum corda! Jetzt aber vernimmt er den Laut eines Flugzeugs,
jenes zornige Brummen, das längst ihm vertraute Musik ist.
Wo, wo ist es versteckt in den Tiefen des blendenden Lichtraums?
Dort, dort ist es! Till ruft: »Sei gegrüßt, Kamerad!«, so als könnte
der Pilot seine Stimme vernehmen. Dann lacht er sich selbst aus.
»Reise glücklich!« so schreit er dann wieder, »vielleicht bist du Deutschland,
das zum Abschied mir winkt.« Und er denkt: Nur ein Narr hofft auf Antwort.
Doch er hängt an der brummenden Hummel mit klammernden Blicken,
so als hinge sein Leben an ihr. Er erschrickt! Denn auf einmal
überschlägt sich das Flugzeug und fängt sich nach prächtigem Sturzflug,
um, ermannet, sich langsam vom Lichte ertränkt zu verlieren.
Oh, wie lachte da Till, von dem Mute der Freude erschüttert,
in der Freude des Muts. Oh, das mach' ich ihm nach! Und was weiter?
zuckt's ihm toll durch den Kopf. Ging ich immer doch gerne ins Wirtshaus:
gestern hab' ich im »Heiland« genächtigt. Der »Sprung in den Himmel«
soll mir heute Quartier und ein Bette und Ruhe gewähren.
Damit ließ er die Hand von dem Aste, an dem er sich festhielt.
Es verstummte sein Lachen, und schweigend empfing ihn der Abgrund.

 

Miles fati! so heißet die Inschrift des grauen Granitsteins,
der als Denkmal ein Grab an den Schnellen der Maggia belastet:
ihr Geräusch ist der Schlummergesang des drin ruhenden Toten.
Um den Hügel, so heißt es, erhoben sich nächtens mitunter
Laute: Echo fern streitender Stimmen, so schien es den Horchern.
»Eilt zum Feuer mit ihm!« hat der eine vernommen. Der andre:
»Vor Gericht sein Gebein, seinen Leichnam, und dann an den Galgen!«
Doch dawider ward Echo von englischen Chören vernehmbar,
jubilierend, frohlockend, als wäre der also Umstrittne
minder nicht als ein selig willkommener, himmlischer Fischzug.
Wie dem sei: dieser Spuk, so berichten die Leute der Gegend,
ebbte ab. Er ward schwächer, je länger der Tote im Grab lag.
Abgestürzt war der Mann. An der Felswand zerschmettert gefunden,
ward er still in die Erde getan – wie es öfter hier vorkam.
Fand er wirklich die Ruhe? Die Bauern im Umkreis verneinen's,
denn sie wollen ein Klingeln des Nachts um den Hügel vernehmen
und ein Lachen! Doch heißt's, daß der Tote ein gutes Gespenst sei.
Ist man näher vertraut mit dem Grabe, so kennt man auch eine
zweite Inschrift, ganz klein und versteckt, an dem Rücken des Denksteins:
sie enthält die drei Worte – Gott weiß, wer sie in den Granit schrieb? –

 

Hic fuit Till

 


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