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Das achte Abenteuer

zeigt Till wieder leidlich erholt. In Gegenwart des Kronprinzen und anderer Hochzeitsgäste erzählt er zwei Erlebnisse, die man getrost als Lügenmärchen auffassen kann.

 

Aiolsschlößchen, die liebliche Klingelpagode, sie hatte
stillgeduldig erharret die Rückkehr des lustigen Hausgasts.
Dorthin brachte man Till, und nun merkte man, daß er nicht tot war.
Zur Besinnung gekommen einmal, kam er bald auch zu Kräften,
was der Kronprinz erfuhr. Und er kam, nach dem Rechten zu sehen.
»Mensch, ich habe dich gern, und du bist auch gewißlich kein Schwindler,
bist von Adel sogar – doch kein Engel noch Teufel durchschaut dich.
Unklar bleibt, was du suchest, und unklar die Macht, die du ausübst.
Spielverderber zu sein von Beruf, solches ist dein Beruf nicht!« –
»Nein!« sprach Till, »beim allmächtigen Gotte! Nur manchmal entgleis' ich.«
Und es fügte sich so, daß, als Mitternacht lange vorbei war,
sich um Tillen ein Kreis wie am vorigen Abend gebildet.
Alles lachte und trank und inmitten der andren der Kronprinz.
Till, nun wieder erholt, saß, im Arme die Laute, am Tische,
klimpernd, lachte wohl auch, doch die Art seines Lachens bewirkte,
daß der andren Gelächter davon wie gemähet dahinstarb;
trotzdem hingen die Seelen an Till. Und vor allem der Kronprinz
hing die brennenden Augen an ihn wie an einen Geliebten.
Wieder perlte der Wein Dom Pérignons rot in den Gläsern,
von den Kerzen durchstrahlt und dem magischen Glanze des Vollmonds.
Bleich saß Till. Es beschattet ein Strähn seines Haars ihm die Stirne.
Zu dem leisen Getön seiner Laute erweckte die Gottheit,
die dem Schlößchen den Namen geschenkt, seine silbernen Glöckchen.
»Schelle, schelle, o Gott, o mein Aiolos, himmlischer Schalksnarr,
dein Gehäuse fürwahr hat den richtigen Hausherrn erhalten!« –
»Bist du krank, mein geliebtester Freund?« fragte Tillen der Kronprinz.
»Nein, mein Freund!« sagte Till. »Aber freilich, wer sollte verleugnen,
was er sah und erfuhr, der von dorther, wo ich war, zurückkehrt.«
Alles rief: »Wo denn warest du, Till?« – »In dem Reiche der Toten!«
sprach er da und erhob seinen Blick, der gespenstisch erglänzte. –
»Till, wir haben von dir schon so manches bedenkliche Stücklein
auf dem Hochzeitsgelag' meines Bruders geschluckt, und die letzte
Pille schien mir gedreht aus den stärksten Gewürzen der Hölle,
Teufelsdreck oder so! Nun, die Zunge gewöhnt sich an alles.
Haltet, Freunde, mich fest oder bindet mich fest wie Odysseus!
Dieser Mann, dieser schreckliche Scurra, er hat den Sirenen
abgestohlen ihr Lied. Wenig fehlt, und ich springe wahrhaftig
in den Wagen zu ihm, und der König erblickt mich nie wieder!« –
»Gut, mein Prinz«, sagte Till, »doch versuch es auf eigene Hand erst,
Narr zu sein! Man erklimmt die gemonischen Stufen der Narrheit
nur mit Mühe nach oftmals erneuertem, keuchendem Anlauf.
Sieh mich an und erkläre, mein Prinz, ob ich alt oder jung bin,
rosig oder gebleicht auf der nächtlichen Bleiche des Todes?« –
»Mach mich blaß, grabesblaß, wie du bist, schöner Freund!« rief der Kronprinz.
»Aber würdige mich zu erfahren, was jüngstens dein Tod dir
offenbarte. Ich schwöre, zu glauben und nichts zu bezweifeln.« –
»Ja, so war's, ich war tot«, sagte Till, »doch im Hades lebendig
war ein Echo, nicht mehr, von mir selbst, ein empfindender Nachhall,
war ein Nachhall, mit Sinnen begabt allerdings, und mit solchen
zwar, wogegen durchaus jeder irdische Sinn weit zurücksteht.
Was mit diesen Organen ich aufnahm, indes hier mein Leib lag,
nicht vermöcht' ich es je, und durchlebt' ich drei Leben, zu künden.
Denn ich bin ja nicht Herr mehr von diesen Organen: verstrickt ist
wiederum beinah ganz in dem atmenden Windfang des Leibes,
was ich sehend und hörend und riechend dort unten erkannte.
Was Erinnerung trotzdem bewahrt, mögt ihr, Freunde, nun hören:
Furchtbar fand ich erreget die Nacht in den Tiefen des Abgrunds,
nicht von Klagen, wie Aïdes' Reich sie gewöhnlich durchzittern,
sondern ähnlich wie hier, so, als wär' es vielmehr mit sich uneins.
›Wär' es eins, dieses Reich, mit sich selber‹, so sprach eine Stimme,
›Till, du wärest nicht hier aus dem Reich, das den Tag usurpiert hat!‹ –
›Was bereitet sich vor‹, also fragt' ich, ›im Bauche der Erde?‹
wie ein Blinder und doch von gefühlten Gestalten umgeben.
Kann ein Blinder Gestalten erkennen? Ihr Herren, ich konnt' es,
ich erkannte genau meine schrecklichen Opfer im Luftkampf.
Wär' ich etwa erschrocken, mich hätte ihr Flüstern besänftigt.
Fort inmitten der Scharen gerissen, durchschritten wir Täler,
deren Hügel ein sterbendes Licht, wie vergessen, erhellte:
nirgendwo war sein Quell zu entdecken, dieweil es der Tod war.
Weithin wölbte und hoch sich ein steinerner Himmel, der salzig
Regen tropfte und so diese stygischen Auen ernährte.
Ach, es formten sich hier nur Kristalle, sie logen hier Felder,
logen Gärten, von Mauern umzirkt, logen Büsche und Wälder.
Höhen schienen mit Burgen gekrönt, und entlegene Dörfchen
winkten da, winkten dort, und es schienen aus Fernen zu locken
Türme mächtiger Städte: so bot sich's dem inneren Sinn dar.
Und wir schritten und schritten, als gälte es, nicht zu versäumen,
was in dieser gewaltigen Gruft irgendwo heut im Gang war.
Was denn mochte es sein? Schnell genug sollt' ich's, Freunde, erblicken,
als der Pfad einen Hügel erreicht, wo ein weites Gesenke
bis zum fernesten Grau der entferntesten Höhen sich auftat.
Es erbrausete dumpf die unendliche Ebne. Was war es,
was den Grund überzog, einer schwärzlich hinwudelnden Schicht gleich?
›Till, wir sind hier nicht ganz ohne Licht, auch nicht ganz ohne Körper.
Doch nur weniges braucht man davon, wie das Pflänzlein der Wüste
wenig Wassers bedarf. So auch sind wir nicht ganz ohne Stimme,
wie du hörst!‹ Der es sprach, hing mir raunenderweis am Gehörgang.
›Was du siehest da unten, sind wimmelnde Tote des Weltkriegs«,
fuhr die Stimme nun fort, ›diese haben sich alle vereinigt,
und mit ihnen, was je vor der Zeit in den Abgrund gestürzt ist,
jene uferlos mächtige Zahl, die der Wahnwitz der Menschheit
um ein Leben betrog, das nur erst einer Sehnsucht Besitz war.
Und sie haben den Herrn dieser Nacht von dem Throne gerissen,
ihn, geknebelt, in Ketten geschlossen zutiefst in der Urnacht.
Doch sie wollen weit mehr, armer Till, und dies war nur ein Vorspiel.
Es durchwühlt sie ein höllischer Grimm, eine Wut, die sie antreibt,
auszubrechen und, gleich den Titanen, zu ändern den Weltlauf.
Denn sie sagen, es sei ganz entartet, was droben im Lichte
Mensch sich nenne, Gezücht, das des himmlischen Tages nicht wert sei!
Immer ward dies Geschmeiß von der Gottheit zu Unrecht begünstigt,
dafür hat es zum Dank die Altäre der Götter zerstampfet.‹ –
›Gut!‹ so sprach ich. ›Allein, was soll nun geschehen, was meint ihr,
liebe Freunde, zu tun, um den Aussatz der Erde zu tilgen?‹ –
›Bleibst du länger hier unten, so wirst du auch dieses erfahren.
Freilich kannst du nicht hoffen, die Reiche der Nacht zu durchmessen,
noch vermögen dir Zahlen zu nennen die Zahl der Bewohner.
Alle aber, erschaudere, Till! sind Rebellen. Nicht einer,
der, stillbrütenden Sinns, nicht den Grimm des Empörers im Blick trägt.‹ –
›Wehe‹, sprach ich, ›was wird dann aus mir, der ich einer der Euren
noch nicht bin und ein Glied der von euch so gehaßten Geschlechter?‹ –
›Till, du bist nur ein Narr‹, hieß es da, ›und der Freibrief des Narren
schützt auch hier, wie er schützt an den Stufen des Throns und des Altars.«
Brummen brachte mich wieder zurück auf den Weg meiner Füße,
ein Geräusch, das, den Boden erschütternd, von überall herdrang.
Niemand achtete sein in der wimmelnden Masse Gestorbner,
wie der Fisch nicht des Wassers mehr achtet, in dem er umherschwimmt.
›Kameraden‹, so nannte ich die, die ich einstmals getötet,
›nie‹, so sprach ich, ›durchdringen wir je diese Massen von Toten.‹ –
›Ei, nichts leichter als das!‹ scholl die Antwort. ›Du bist, wo du sein willst!‹
Was uns ahnendes Grauen erreget, das ist's, was uns anzieht.
Und so stand ich urplötzlich, wo Brummen zum Brüllen verstärkt war.
Solfataren entquollen dem Grund, welcher heiß war und einbrach
unterm Tritt, und wir standen am Rand eines brodelnden Schlammsees.
Ihm entstiegen Geysire, schneeweiß, weißen Palmen vergleichbar.
Furchtbar herrlich erschien dieser Wald auf dem endlosen Schlammpfuhl,
jenseits dessen ein Ätna den Schnee seines Haupts in die Nacht hob.
Und das Brüllen entquoll diesem Schnee und lautdonnernder Rauchdampf.
Dieses zahllose Volk der Gestorbnen, bestand es aus Schatten?
Ja und nein! Denn ich sah sie als Hauch, und ich sah sie verkörpert,
sah sie fischen und waten im Schlamm, Männer, Weiber und Kinder,
hörte reden und lachen sogar. Doch es war immer eines
und dasselbe, um das die Gedanken der Toten sich drehten:
nämlich daß ein gewaltiger Umsturz nunmehr an der Zeit sei.
Davon scholl es aus eilenden Trupps, aus beratenden Haufen.
Durch den einzelnen ging wie durch jede herwandernde Gruppe –
solche zogen heran überall – eine stete Bewegung.
Alle, fühlte man, hatten ein Ziel, und zwar alle das gleiche.
Hier war nichts, weder Mensch noch Gestein, weder Pflanze noch Tierleib,
weder Wasser noch Schlamm, noch auch Eis oder knisternder Glutstrom,
kein Partikelchen Rauchs noch Gestanks, Flämmchen weder noch Flamme,
weder Staub noch Getöse des Schalls, Wutgewimmer noch Wehlaut,
was unzählbar den Tod nicht, unendliche Male, erlitten!
Doch sie wußten es nicht, in den hallenden Grüften des Schicksals,
die Geschöpfe: nicht nur, was dort unten der toten Natur glich,
sondern auch, was dort unten mir armem Verschlagenen Mensch schien.
Diesen war ich vielmehr ein Gespenst, sie umgingen mich furchtsam,
sahn voll Grausen mich an und verschlossen mit Fingern die Nase.
Und sie krächzten mir zu und so meinen Begleitern: ›Wohin denn
schleppt ihr diesen Schmarotzer des Lichtreichs, den stinkenden Leichnam?
Laßt ihn liegen! Ihr seht, wie die Geier des Abgrunds sich sammeln.‹
Niemals hab' ich zuvor etwas Ähnliches, Freunde empfunden,
wie's geschah, als dies Wort aus dem Munde der Toten hervorbrach.
Denkt, ihr lebtet und fühltet euch selber als wandelnden Leichnam,
hättet endlich erkannt, was ihr seid, und die Täuschung ergründet,
der die Welt unterliegt, wenn sie meinet, sie wäre lebendig.
Denkt euch ferner: es schwebten heran durch den Lichtkreis des Glutbergs,
schwebten überallher durch die Höhlung der steinernen Himmel
Schatten riesiger Art, vom selbstleuchtenden Grund matt erhellet,
Riesenvögel, dem Kondor verwandt, der auf Meilen das Aas riecht.
Und es säßen die gleichen am Schlammpfuhl, auf Klippen von Porphyr,
plump und dick, und sie blinzten nach euch, der erwarteten Mahlzeit.
Und sie lösten sich los und geselleten sich zu den andern,
in gewaltiger Höh' über mir ungeduldig zu kreisen!«
Till, er hob an den Mund eine Schale rotschäumenden Trankes,
goß sie aus in den Schlund und fuhr fort: »Oh, da schwitzte ich Angstschweiß!
Ich war schuldig, das fühlt' ich genau, und wir waren es alle
hier, hier oben, als Leichen unwürdig des Lichtes der Sonne.
Trotzdem schritt ich fürbaß, im Geleit der erschlagenen Brüder,
mit dem Passe Hanswurstens bewehrt und mich seiner getröstend.
Furchtbar wuchs der Tumult in der Nähe des zitternden Glutbergs,
Laven rollten, weißglühender Flut, gleichwie Bäche zur Felswand,
um vom Rande hinab in gewaltigem Flug zu zerflattern.
Nun, ich dachte, es naht sich die Hölle, zu der du verdammt bist.
Und wir schritten entlang dem Gestad' eines brodelnden Glutsees,
der die hellen Kaskaden des flüss'gen Metalls in sich aufnahm.
Welche Schrecken! Allein, wie auch über die Maßen erhaben
war das Graun, das mich traf im Entsetzen des furchtbaren Anblicks!
Wie ertrug ich es nur, dieses Licht, über solchem Avernus,
dem von düsteren Höhen sich Stürze von Magmen vereinten,
vielfarb, jeder für sich, überherrlich, ein schreckliches Wunder!
Doch was schwatz' ich so viel?! Als ich wieder erwachte hier oben,
dacht' ich, Jahre gewandert zu sein in den gärenden Tiefen:
soll ich Jahre hier sitzen und weitererzählen? Das geht nicht!
Leb' ich länger und lange, so mögt ihr noch manches erfahren,
wie es etwa der Tag und die günstige Stunde heraufträgt.
Eines nur noch vernehmt, eh am Schloßturm es rasselt und zwölf schlägt:
›Also wird es geschehn!‹ solches schrie eine Stimme ins Ohr mir
beim Erwachen. Es war aus dem Reiche der Tiefe ein Nachruf.
Was sie meinte, die Stimme, ich wußt' es sogleich, und es ist mir
fast, als sollt' ich zum Zitterer werden, sofern ich dran denke.
Also wird es geschehen! Nun, was denn? Das, was ich erlebte
in der unteren Welt, bevor ich zur obren zurückkam!
Hört: Es war die Empörung dort unten zum Gipfel gediehen,
allgemein in den Reichen des Abgrunds der furchtbare Aufstand.
Und er riß mich nach oben. Unmöglich zu sagen, auf welche
übermächtige Weise. Es brachen hervor aus den Schlünden
banger Nacht, aus den leidvollen Höhlungen tiefsten Verzichtes
die unendlichen Fluten der wissend gewordenen Menschheit:
wissend, doch nicht durch Wissen erlöst, nein, nur tiefer geknechtet.
Menschheit, sag' ich: sie war es nicht mehr! Ja, solange ich träumte,
wußt' ich wohl diese Art von Geschöpfen mit Namen zu nennen.
Alles schloß er in sich, was sie sind, doch ich hab' ihn vergessen.
Diese brachen empor durch die lastende Kruste des Erdballs,
keinesweges verschütteten Meeren im Durchbruch vergleichbar,
eher einem zähflüssigen Stoff, welcher überall hindringt,
einer Lava, die lebt und, im winzigsten Teilchen lebendig,
schwärzlich krabbelt. Euch diene Termitengewimmel als Beispiel!
Diese Flut nun durchschwor, unaufhaltsamen Druckes, den Erdschutt,
quoll zutag, wie der Schweiß aus den zahllosen Poren der Haut näßt.
Nein, es war dieser Traum kein befreiender, eher ein Alpdruck,
als der chthonische Schweiß durch die Schale des Erdtiers hervorquoll.
Vom Geraspei des grauen Insektes erbrauste der Luftraum.
Kochend stieg dieser Sud, und kein ärmliches Gräslein entging ihm.
Bis zur Ähre des Halmes hinauf war die Flut schon gewachsen.
Plötzlich schienen die obersten Schichten der Masse beflügelt:
so beflügelt sich auch die Termite zur Zeit der Begattung.
Bittrer, tückischer Flügel der fiebernden Schwärme, der alle
Seligkeiten befreit, jede Hoffnung im Reiche der Toten,
den holdseligsten Wahnsinn beschwingt und ans goldne Gestirn reißt,
wollustbebenden Flügelgedampfes den Luftraum verfinsternd,
um mit dem, was er trägt, an der Sonne sogleich zu verkohlen.
So geschah es auch hier. Es erstürmten die Völker der Tiefe,
schon erblindet im Nahen des Lichts, aus den Karzern entlassen,
gen die Sonne hinan, ihren Glanz wie mit Schleiern verdämmend,
immer dickeren Rauchs, sie mit werbender Wollust umhüllend.
Und ich glaubte die Mächte des Todes zu sehn, mit den Armen
greifend nach dem glückseligen Quell paradiesischen Lebens,
tödlich hauchend dawider hinan und das Gift der Verwesung
schleudernd. Aber ich selbst war ein Teilchen des chthonischen Rauchdampfs,
von der gläubigen Sucht nach Erlösung zum Himmel geschleudert.
Nein, sie wollten das Licht nicht ermorden, die Toten: besitzen
wollten alle die Toten den Tag, des die Menschheit nicht wert war.
Und auch ich wollte nur, was sie wollten, als jäh mich ein Licht traf,
wie ein mächtiger Blitz, dessen Donner nicht mehr an mein Ohr schlug,
weil ich lag, wie ich lag, als ihr tot vor der Bude mich aufnahmt.«
Hier verstummte nun Till, und er wischte den Schweiß von der Stirne.
Es verglaste sein Blick, wie von Blindheit geschlagen. – »Gott helf' uns!«
rief der Kronprinz und trank. »Was denn ward aus der Sonne?« – »Ich weiß nicht!« –
»Starb sie hin? oder ward sie nun doch in den Hades gezwungen?« –
»Schweigt und höret noch dieses Geschichtchen, bevor wir nach Haus gehn!« –
»Freund, du lehrst uns das Gruseln«, sprach wieder der Kronprinz. Er lachte
leicht betreten und fügte hinzu: »Doch es mag uns wohl recht sein!«
Jedermann seufzte auf, rückte näher an Till, um womöglich
nicht das Allergeringste von dem zu verlieren, was diesem
Fabulierer und Schelm so bezaubernd aus tiefstem Gemüt drang.
»Wein!« so rief er und reichte sein Glas, trank es aus und begann dann:
»Eines Morgens erwachten die Menschen wie immer. Sie machten
Licht. Es leuchtete auf an den Betten und Tischen. Wie kommt das?
denkt zuerst jedermann, der von ungefähr schnell auf die Uhr blickt,
und er spricht gleich darauf: Sie ist stehengeblieben! Der Zeiger
ruht auf zehn, eine Zahl, welche abends im Dunkel erreicht wird,
morgens aber im Licht: trotzdem, überall herrschet die Nacht noch.
Und es tritt nun zum Gatten das Weib, und sie sagt: ›Mann, was ist das?
Meine Uhr ist mir stehengeblieben auf zehn, wie spät ist es?‹ –
›Auch die meine‹, so sagt er, ›weist zehn.‹ Und man sieht sich verdutzt an.
›Seltsam ist dieser Zufall!‹ Er spricht's und zugleich sie das gleiche.
Es ist Winter und nahe Weihnachten. Der nordische Tag ist
düster meist um die Zeit und verdämmert im gelblichen Halblicht.
Heute aber ist Nacht! Oder aber, so denken die beiden
Menschen, hat uns am Ende ein Wahnsinn zu zweien befallen?
Doch da klopft es schon laut an die Tür. Es erscheinet verfallnen
Angesichts der Verwalter des Hauses, bevor noch der Hausherr
ihm den Eintritt erlaubt mit dem Rufe: Herein! Er will wissen,
was es gäbe: ob Krieg, ob Gewitter, ob Sintflut, ob Ausbruch
etwa eines Vulkans, dessen Asche die Sonne verfinstre?
denn sie gehe nicht auf! Wirklich wiesen bereits alle Uhren
auf halb elf, und noch fehlte am Himmel der leiseste Lichtschein,
außer dem, den die Stadt durch das Licht ihrer Lampen erzeugte.
Und es öffnete jetzt, fast von Sinnen, ein Fenster der Hauswirt.
Trupps von Menschen durcheilten die Straßen, die meisten im Laufschritt.
Überall brannten Lichter. Die endlosen Reihen der Fenster
strahlten hell, doch dahinter bewegten sich ruhlose Schatten,
aufgestört von dem völlig unglaublich-unmöglichen Vorfall.
Was war das? Eine Glocke erscholl, eine zweite. Es rasten
Klöppel. Feuer! Getrappel von Pferden! Die Feuerwehr rasselt,
rattert, tobt um die Ecke heran. Ein Fabrikbrand! Wo brennt's denn?
Ah, so hängt es zusammen! denkt jeder. Dies Denken ist Schwachsinn,
weil der Schrecken inzwischen die Denkkraft der meisten verwirrt hat.
Fast wie immer scheint Handel und Wandel im Gang auf der Zeile.
Doch es scheint nur: der Kutscher vergißt, wo er hin will und hin soll.
Er vergißt seine Fracht, seine Kohle, sein Bier und sein Schlachtfleisch,
und er denkt nur des fernen Gestirns und des himmlischen Tages,
der nun zögerte, sich zu verkünden. Unglaublich: wie hatte
man den herrlichen doch oft so teilnahmslos können empfangen
manchen Morgen vordem?! Und wie würde man heut in Begeistrung
jauchzen, rührte sein kommender Glanz nur die Spitzen der Türme
mit dem leisesten Hauch. Ja, es würde ein Taumel ergreifen
hoch und niedrig und groß und klein sowie beide Geschlechter,
und ein mächtiger Rausch der Verbrüderung würde emporlohn.
Doch die Türme verkündeten elf, und das Nachtdunkel wich nicht.
In den Läden vergaßen zu kaufen die Käufer. Sie wagten
kaum den Grund ihrer Angst, in der heimlichen Furcht, zu verraten,
daß man möglicherweise ihn könne bestätigen. Furchtsam
flohn die Augen der Menschen einander, weil jedes voll Graun war!
Keiner schmeichelte sich, Trost im Blicke des andern zu finden.
Zwölfmal donnerte nun das vielrädrige Uhrwerk am Rathaus.
Dieses hielt allbereits eine angstvolle Menge belagert:
furchtbar scholl ihr Geschrei, als der zwölfte der Schläge verhallt war.
Vom Altane herab sprach mit schmetternder Stimme das Stadthaupt:
›Leute, habet Geduld! denn es ist ein Ereignis, so furchtbar,
wie die Menschheit es nimmer, solange sie da ist, erlebt hat.
Aber habet Geduld. Und ich glaube beinah, daß ihr guttut,
euch in dieser besonderen Not an den Himmel zu wenden,
statt an Menschen, an Gott. Denn was Menschen vermögen, es ist hier
ohne jeden Belang! Wer denn könnte der Sonne gebieten:
Kehre wieder! Geh auf! oder: Tu deine Pflicht! und dergleichen?
Nein, der Fall ist zu neu und durchaus und durchum ohne Beispiel,
um schon heute ein wirksames Mittel dawider zu nennen.
Eines freilich ist ganz unumgänglich, ob ewige Nacht auch
uns befiele, daß Ordnung und Ruhe im Staate gewahrt bleibt.
Gehe jeder an seine Verrichtung und sorge für sein Teil,
daß der sichere Gang des alltäglichen Lebens nicht leide!‹
Ob die Rede des ersten Beamten tatsächlich gehört ward,
den versammelten Vätern der Stadt war das immerhin unklar,
und die Wirkung war nicht die gewünschte. Wie Brandung der Meerflut
rauschte, brauste und schwoll ein auftosendes Fordern: ›Die Sonne!‹
Und es pflanzte sich fort dies Getös, wie das Feuer sich fortpflanzt.
Sonne! Sonne! Mit einemmal schien es beinahe den Menschen
so, als leuchte das Wort und als ging' mit dem Worte der Tag auf,
aus den Stimmen der Menge, dem Rauschen und Rufen: die Sonne!
Ja, sie hing im Getös und getragen von ihm! Und Verzückung
sah sie leuchten und rief mit wildgellendem Jubel: ›Da ist sie!‹
So nun mischte sich jetzt das frenetische Kreischen des Wahnsinns
in das Fordern der Angst, in das Winseln und Flennen des Kleinmuts.
Und es hatten die Tapfersten Not, sich den Mut zu bewahren.
Es schlug eins und schlug zwei, und der Nachmittag nahm seinen Fortgang.
Noch bestand der Verkehr in den Straßen. Es liefen die Bahnen,
und man hörte den Ruf ihrer warnenden Glocken. Auch kamen
aus dem Lande die Züge noch an, und es scholl jeder Bahnhof
vom Gezische des Dampfs und dem Wuchten und Schmettern des Eisens.
Doch wie lange noch konnte das gehn, bei der furchtbaren Spannung,
bei dem wachsenden Graun, das dem Tüchtigsten selbst in der Brust saß?
Grauen nenne ich dieses Empfinden, obgleich es ganz neu war
und die Sprache dafür keinen Ausdruck besitzt. Soll ich sagen,
Schreck, Verdutzung und hilflose Blödigkeit lag ihm zugrunde?
Nichts von allem Gewohnten hielt Stich. Aller Hochmut des Daseins
war geknickt: der Vertrag, der's verbürgte, war gleichsam zerrissen.
Weiter gärte die Stadt. Speisehäuser, Cafés und wo sonst sich
Menschen suchen, ein jeglicher Raum dieser Art war zum Brechen
überfüllt. Kein Problem gab es da als: Was ist's mit der Sonne?
Doch es wurde durchaus von vertrackten Gespenstern erörtert.
Denn auch hier war das Graun, jenes neue, das jedem ins Mark griff.
Tiefe Stille entstand, wenn von ungefähr nur eine Uhr schlug.
Diese Stille war Schreck, war Entsetzen. Sie trog. Es erhob sich
Sturm aus ihr. Sie brach auf. Aus dem angstvollen Treiben der Menge
schrie es laut hie und da. Ihrer viele, ergriffen von Fallsucht,
schlugen um sich und wälzten sich, bleiern verkrampft, auf der Erde.
Andre beteten laut. Und noch andre, man wird es nicht leugnen,
fanden Kraft und auch Worte, die Menge ringsum zu erfrischen.
›Brüder, fasset doch Mut! denn was hat nicht der Mensch schon erduldet?!‹
rief ein Mann. ›Und wieviel hat bis heut überdauert die Menschheit!
Denkt: Es ist unsre Wiege das Meer, und wir haben im Wasser
Jahrmillionen gelebt, und wir lebten dann später amphibisch,
halb im Wasser und halb auf dem Land. Erst nach aber Millionen
war zur Reife gediehen das höhere Tier. Und ein solches
sind wir, sind zu den Säugern gehörig. Wir haben als Affen
unter Glut des Äquators gelebt und dann später, schon Menschen,
in den Höhlen des Eises und Felses verborgen, am Nordpol.
Und dort herrscht, wie ihr wißt, die halbjährige Nacht schon seit jeher.
Also raffet euch auf! Fasset Mut, meine Lieben! Wenn wirklich
dieses Fernsein der Sonne nicht nur atmosphärischer Trug ist
und tatsächlich die ewige Nacht ihre Herrschaft beginnet,
nun, so gibt es ja Pflanzen und Tiere, die haben im Dunkel
schon ihr Dasein verbracht, als wir längst noch der Sonne genossen!‹
Singend zogen umher Prozessionen. So etwa um fünf Uhr
fing dies Wesen sich an, unerhört in der nüchternen Weltstadt:
Kreuze trug man, es schwankten Monstranzen und Bilder im Umzug.
Auch erschien auf dem Plane die Heilsarmee, krampfhaft begeistert.
Schellentrommeln bewegten die Mädchen und traten im Tanzschritt:
›Kommt zu Jesu! Oh, kommet zu Jesu! zu Jesu! zu Jesu!‹
scholl ihr Ruf, unaufhörlich ihr Ruf. Und ein Heilsoffizier rief:
›Er ist da! ist gekommen, der Tag!‹, und er meinte den Jüngsten.
Doch es pflanzte sich fort in der Menge der trugvolle Ausspruch:
›Er ist da! ist gekommen, der Tag!‹ Viele glaubten in Wahrheit,
ihn mit Augen zu sehen. Die anderen aber verstanden,
daß der letzte der irdischen Tage gekommen, der Tag des
dreigestaltigen Richters, des Vaters, des Sohns und des Geistes:
Dies irae, die Stunde des Zorns, des Gerichts, der Erlösung.
Alles heulte: ›Erbarmen! Erbarmen!‹ und schloß sich dem Zug an.
Uferlos war die Schöpfung der Furcht und von Schrecknissen wimmelnd.
Hätte jemand es fertiggebracht und die Dächer der Häuser
abgetragen, um überallhin mit dem Lichte zu leuchten,
wo die alles durchdringende Angst ihre Opfer gepackt hielt,
was nicht hätte er alles entdeckt! Denn sogar bis ins Tollhaus
drang die neue, die furchtbare Not, und der Stumpfsinn und Schwachsinn
ward zum Wissen geweckt. Und es hing am vergitterten Fenster
jedes Auge, gespannt, ob nicht endlich ein weißlicher Schimmer,
noch so blaß, es verkläre, den Tag, den Erlöser verkündend.
In die Ställe des Viehs drang die Angst, in die Nester der Vögel.
Mancher legte die Hand an die Brust und ergriff eine Drossel
oder Meise, die sich unters Tuch seines Rockes verwühlte.
Mancher sah sich von Hunden verfolgt, die ihn winselnd umdrängten.
Trotzdem waren es ihrer genug, die, noch voll bei Besinnung,
kalten Blutes erwogen, was bei dem Ereignis zu tun sei:
die Beamten der Staaten und Städte, Gelehrten und Denker,
die, gestählt vom Gedanken der Pflicht, sich in Ruhe berieten.
Doch die Kälte des Tods kroch auch ihnen zuweilen durchs Rückgrat.
Große Dinge geschahn da und dort in den Zellen der Forscher.
Ach, man wußte ja längst, welches Sandkorn wir Menschen bewohnen!
Die Bewölkung des Himmels verhinderte leider, am Anblick
der Gestirne des fixsternbesäeten, nächtlichen Himmels
sich zu trösten, am scheinenden Mond und am Gang der Planeten.
Oder war diese ganze lichttrunkene Kuppel verdunkelt?
Unsre Brahes und Halleys und Herschels, sie wankten und wichen
nicht, den spähenden Blick am Refraktor, bereit, jede Öffnung
im Gewölk für den forschenden Ausblick ins Weltall zu nützen.
Doch umsonst! Alles gähnete schwarz, und Marconi und Morse
sagten gleiches von überallher, wo sich Warten bemühten.
Niemand schlief diese kommende Nacht, drin die Hoffnungen geilten
wie die Pilze, hundstäglicher Schwüle, nach laulichen Güssen.
Schließlich stellte man sich so, als sei dieses ganze Ereignis
nichts als eine Erkrankung der Masse, bedingt durch die Zeitnot.
Ja, man schloß, wie man schließt, wenn undenkbares Unglück hereinbricht:
ist es flugs auch am Tag, dennoch bleibt es unmöglich! Und weil es
als unmöglich begriffen zu sein scheint, so wird es geleugnet:
also hatte die Sonne heut morgen wie immer geleuchtet,
und sie würde am kommenden Morgen erst recht wieder aufgehn!
Furchtbar mußte sie sein, die Enttäuschung! Die Observatorien
hatten lange von überallher die verzweifelte Nachricht,
von New York, Buenos Aires, von Melbourne und anderen Orten:
Nacht und Nacht und nur wiederum Nacht liege rings um die Erde.
Und so tagte denn auch der entsetzlichste Morgen. Er tagte
in dem Worte der Sprache nur noch, doch sonst tagte er nicht mehr.
Als der himmelan bäumende Lärm der Verzweiflung verstummt war,
gellte plötzlich der Ruf: ›Sucht den Schuldigen: Opfert den Schuld'gen!
Habt ihr einmal den Schuld'gen gefunden und er hat gesühnet,
was er tat, durch sein Blut, nun, so ist auch der Himmel versöhnet,
und er schenkt euch aufs neue das Licht, das sein Zorn euch entzogen.‹
Dieser Ruf war ein Funke, in Berge von Zunder geworfen.
Und der nämliche Ruf flammte auf allerorten und -enden:
›Sucht den Schuldigen! Findet den Schuldigen!‹ Und es vergingen
kaum Minuten, bis daß nur noch dieses Geschrei durch die Nacht scholl.
Bald alsdann aber mischte sich ein, da und dort, ein Triumphruf,
keineswegs sehr melodisch, dem Heulen von Meuten nicht ungleich,
die den Keiler gestellet: es war das Gebrülle von jenen,
die da meinten, sie hätten den Schuldigen endlich gefunden.
Wie durch Zauber, im Nu, wurden alle Laternen zu Galgen,
und es hingen daran, noch zappelnd, so Greise als Kinder,
gutgekleidete Herren, Arbeiter und Dirnen der Straße,
Offiziere und Schornsteinausfeger, Bierkutscher und Fürsten.
Kein Gewerbe, kein Handwerk, kein Stand, kein Geschlecht blieb verschonet!
Fingerzeige genügten, um jählings den Blutrausch der Masse,
einen fressenden Sturm, vernichtend auf jeden zu leiten.«
Till, nachdem er getrunken und sich unterbrochen, fuhr so fort:
»Bester Prinz, liebste Freunde, bedenket, ich war bei dem Vorfall,
denn beim Hunde! ich werde euch doch keine Lügen erzählen.
Meine Augen, die zwei, die noch eben im Kopfe mir leuchten,
sahn auch das, was ich jetzt noch am Schlusse zum besten euch gebe:
Stellet, Freunde, euch vor, daß ich hoch auf dem Dach eines Hauses
stand mit andern und unter mir sah das Gedränge der Massen.
Taghell war's, aber nein doch, vielmehr eine Helle des Nordlichts,
oder aber des blutigsten Frührots, beträchtlich gesteigert:
denn es brannte die Stadt! Es versprühten gewaltige Fackeln
da und dort in die Nacht. Magazine, Fabriken, Paläste
gaben Nahrung der Brunst, fast bedurfte man nicht mehr der Sonne.
Furchtbar rageten auf über mir die gewaltigen Türme
eines Domes, und unter mir wimmelte schwärzlich die Menge
auf dem Markt, der das gottesgewaltigste Münster umrahmte.
Abgetragen war einer der Türme. Erhöht auf der Plattform
stand das Fallbeil und stand rotbekleidet der riesige Henker!
Schrecklich hallten die Schläge. Den linken der Füße auf einem
Wasserspeier – ein Hundsaff, der heute nur Blut und nur Blut spie –,
trat der furchtbare Scherge des Todes bis dicht an den Turmrand,
und er zeigte der Menge ein Haupt: es war das eines Kaisers!
Danach warf er's hinab in das wogende Meer der Verdammten.
›Roter!‹ schrie man hinauf, ›gib den Leichnam! Wir wollen den Leichnam!‹
Es willfahrte der Rote sofort, und der Leichnam des Kaisers,
unbekleidet, er fiel auf das nächste Gesims, dann im Bogen
traf er einen Sankt Georg aus Stein, den er abschlug und mitnahm.
Abermals fiel das Beil, und der Henker hielt wieder ein Haupt hoch,
eines Bischofs. Er hatte den Anbruch des Dunkels verschuldet.
Diesem folgte ein Kronprinz und ihm auf dem Fuße ein Staatsmann,
dem ein Richter, ein General jenem und diesem ein armer
Schneider, der eine Sekte gegründet und der, wie man sagte,
Gott gelästert und heftig erzürnt, und so fort. Doch es trennte
nicht nur Männern die Häupter vom Rumpfe das schmetternde Fallbeil.
Köpfe flogen herab sowie Körper von Dirnen, von Nonnen,
noch bekleidet, Rosetten und Maßwerk des gotischen Tempels
und das Bildwerk der schönen Portale mit Blut überspritzend.
Böen ähnlich, entbrausete Heulsturm auf Heulsturm dem Markte,
der die Mützen uns nahm von den annoch festsitzenden Köpfen.
Seltsam war's: fast vergaß man, weshalb dieser Schrecken im Gang war.
Er berauschte das Volk, er verzückte die Massen in Wollust.
Alles jauchzte zum Henker hinan, so, als ob er ein Gott sei.
Was denn war nun, verglichen mit ihm, diesem scharlachnen Satan,
das verlorne Gestirn? Ein Verlust, der nicht mehr in Betracht kam!
›Du bist Gott‹, schrie die Masse, ›du richtest gerecht, denn du rächst uns!
Nicht seit gestern, man hat uns seit je um die Sonne betrogen!‹
Und der Henker verdiente sein Lob. Immer triefte aufs neue
seine blutig erhobene Faust, und der speiende Hundsaff'
brach in Masse das Blut, das jedoch als Gesprüh nur herabkam.
Und es perlte Gelächter halbwüchsiger Mädchen. Sie reckten
nackte Arme empor, und sie ließen sich jauchzend beregnen.
Zu dem gräßlichen Schlächter empor flog Kußhand auf Kußhand.
›Ist das Jüngste Gericht so glückselig‹, laut jauchzte der Wahnwitz
diesen Schrei, ›und der Mensch ist der Richter und ist der Vollstrecker:
nun, so jauchzet, so singt Hosianna und Kyrie eleison!
Seht, dort steht er, der Paraklet, den die Menschheit erwartet!‹
Und wer fühlte nun nicht, welch ein selig Jahrtausend jetzt anbrach!
Plötzlich aber erscholl's aus der Luft, wie von Vögeln gesprochen:
›Alles Licht muß versinken in völliger Finstre der Gottheit!
Schwarz, die Farbe Saturns, ist zugleich auch die Farbe der Allmacht.
Betet, Menschen, zu schwarzen Madonnen und lest schwarze Messen!
Das Reich Gottes hat heute begonnen!‹« – Till endete: »Dixi!«


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