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Das sechzehnte Abenteuer

enthält die zweite Geschichte, die Till Eulenspiegel seinem Hunde erzählt. Es ist eine Fortsetzung der ersten. Er behauptet darin ganz unglaubliche Dinge. Oder ist es denkbar, daß ein sterblicher Mensch tausend Jahr mit einer Göttin lebt, und zwar auf einer Alm in Griechenland, und mit ihr Kinder zeugt? Sie heißt Baubo! das sei hier noch angefügt.

 

»›Till, du bist auf der Flucht vor dem blutenden Haupt der Medusa.
Und wir alle, wir höheren Menschen, wir waren's auf Erden.
Wenn Medusa uns jagte: ein anderes war's, was uns anzog:
sie, die Mutter des Knaben Lenkers, die hier immer nah ist,
Huld ausstreuend und weiter mit uns diese Gärten bewohnend.
Und du warst ihr gewiß nie so nah, Lieber, als du es jetzt bist.‹ –
›Meister‹, spreche ich da, ›sage mehr! Was du früher berichtet,
hungrig sog ich es ein. Doch es führte dein heiliges Werk mich
nicht heraus aus der irdischen Wehsal und himmlischen Irrsal.
Stolpernd purzelte ich und tolpatschigen Trittes, des Irrtums
Opfer täglich, und fiel über Steine der Sünde, den Kopf mir
an den kantigen Schärfen der Scherben des Leides zerschneidend.
Und dies war auch der Weg meines Geistes, beim Hunde! Sic dixi!
Deshalb gab ich es auf, nach dem Ziele zu streben. Mein Wandern:
Stillstand sollte es sein, und da ward denn der Stillstand Bewegung.
Denn statt daß mir am derben Genuß mich zu laben gegönnt war,
eingeschränkt und gedankenbefreit, gleich der seligen Tierheit,
überfielen mich Bilder, so dicht wie die Fliegen von Assur.
Derb und häßlich, ja rüde erschallt hier mein Wort, drum verzeiht mir!‹ –
›Alles ist hier erlaubt‹, sprach der Alte vom Berge, der Meister,
›auszusprechen dem Mann, der den Zugang hierher sich verdient hat.
Traumgeplagter! Es scheint, daß wir Träume zu haben bestimmt sind,
um des herrlichsten Sinns, des Gesichtes, uns dauernd zu freuen.
Innres, äußres Gesicht, sie erzeugen, vereint, unser Weltall:
wenn das äußre erblindet, bereichert vielleicht sich das innre.
Stirbt das innre Gesicht dagegen, so ist auch das äußre
tot; drum laß immerhin deine Fliegen von Assur gewähren!
Nochmals: sei mir willkommen, Freund Till! Die elysischen Gärten
haben heilige Quellen genug, und zu Bädern und Waschung
bietet sich allenthalben Gelegenheit. Wir, die hier leben,
sind auf Ratschluß der Himmlischen hier und von Göttern geleitet
hergelangt, wie du selbst, und wir haben den Tod nicht gesehen.
Was dir hier zur Gesellschaft nicht frommt, das sind Eule und Spiegel.
Irgendwie sind wir hier nun' denn doch mit dem Hades verknüpfet!
Da war einer, du weißt, Askalaphos genannt: sein Verrat hat
ehmals Persephoneien gebannt in das untere Erdreich.
Denn es hatte sie Zeus für erlöset erkläret, sofern sie
keiner Speise genossen inzwischen. Allein die Gefangne
hatte köstlicher Früchte bereits sich die siebte gebrochen
in den früchtebeschwerten, den rauschenden Gärten der Urnacht.
Niemand wußte davon, Askalaphos allein, das verriet er!
Und so ward ihr der Weg denn verlegt auf die obere Erde.
Da nun machte sie ihn zum Unseligstes kündenden Vogel,
nachtdurchdringend-großmächtige Leuchten ins Antlitz ihm fügend,
machte ihn, Askalaphos, zur Eule, wie du eine mitführst.
Du begreifst, daß sie demnach, Freund Till, auch bei uns nicht beliebt ist.
Spiegel gelten als heilig dem Hades. Man gibt sie den Toten
in den Sarg, ja, man legt ihnen Stückchen von Spiegeln aufs Auge.
Nun, da sind wir nun wieder, als Hades-Befreite, empfindlich!‹ –
Und er sprach auch von dir, bester Pudel. Doch was, ich verschweig' es
lieber; siehe, er war dir nicht sonderlich grün – nun, Gott besser's! –
Die elysischen Gärten! Wie wehte mich wonnig dies Wort an,
alle Geister des Lachens entzündend im Innern des Brustkorbs.
Nein, ich konnte die kichernden nicht auf den Brustkorb beschränken.
Soll ich sagen, wie tief sich das schalkische Wesen hinabzog,
Unfug stiftend elektrischen Streuhauchs und kichernden Kitzels?!
Oh, ich machte ein Hades-Gesicht, des Elysiums sicher;
wenig fehlte indes, und ich hätte gegrinst wie ein Schafskopf! –
Himmel, welch ein Gekreisch! welche Lache! wer ist dieses Weibsbild,
das in Sprüngen und lodernden Haars durch die Lilien daherkommt?
Bin ich's, den sie bekreischt und belärmt, ob sie rennt oder feststeht,
in das üppige Fleisch ihrer Hüften die Fäuste gestemmet?
Und wie kommt dieses trunkene Mensch denn hierher und darf hier sein?
›Baubo ist's!‹ spricht der Meister. Er liest mir die Frage vom Antlitz.
Wer ist Baubo? so schweige ich weiter und fragend den Greis an,
und was kreischt sie so toll, und was macht sie mit mir sich zu schaffen?
Antwort, scheint's, will der Meister mir geben, doch lauter gillt Baubo,
weist die strotzenden Brüste mir hin, in der Gabel der Finger,
springt herum, und nun darf ich den mächtigsten Hintern bewundern,
den sie, klatschend und lachend, sich haut mit der Linken und Rechten.
Prinz, ich blickte mich um, recht beängstigt, du kannst es dir denken,
schien mich doch dieses Luder als gleicher Art Früchtchen zu schätzen.
Und wer weiß sich ganz sicher an Tugend, der so sich versucht sieht?!
Dies erkannte nun richtig der Meister und nochmals: ›'s ist Baubo‹,
spricht er, ›wahrhaft geehret im Hades sowohl als auch hier, Till.
Als die heilige Mutter – wir dienen ihr alle – die Tochter
suchte, Persephoneien, geraubt von dem Herrscher des Nachtreichs,
und ermüdet, verzweifelt, ausruhend vom Wandern, entdeckt ward
zu Eleusis von Keleos' Töchtern vor dessen Palaste,
konnte nichts sie erheitern und nichts sie zum Essen bewegen
als die Späße der Baubo, die damals des Keleos Magd war.‹
Eine Göttin demnach! Nun, das ändert die Sache, so denk' ich.
Was die Götter auch immer zu tun sich erlauben, ist göttlich:
um so besser für mich, je mehr es dem Menschlichen nahkommt.
Diese Baubo war schön. Bei den Meistern der flämischen Schule
hat sie oftmals gespukt, aber hier, bester Prinz, war sie wirklich!
Himmelhund! Donnerwetter noch mal! Gott verdamm' mich! Kreuz sakra!
und da packte es mich, und ich lachte heraus wie ein Fuhrknecht.
›Ja, es ist nicht zu ändern, mein Freund, unsre herrliche Baubo
findet einen besondren Geschmack an euch sterblichen Menschen.
Wird Besuch solcher Art ihr gemeldet, nichts hält sie zurück dann,
ihn mit Augen zu sehn und, sofern es ein Gast von Belang ist,
ihm den Vorschmack olympischer Wonnen höchstselbst zu gewähren.
Dich nun hat sie seit langem im Auge, und einige Male,
als dein Flugzeug, waghalsigster Fahrt, unsre Sphäre fast streifte,
war sie nahe daran, mit dem göttlichen Arm dich zu greifen,
wie das Kind einen Brummer sich fängt. Doch noch war es die Zeit nicht,
ihr bestimmt und auch dir.‹ – ›Meiner Unwissenheit, guter Meistere,
sprach ich da, ›halte freundlich zugute, sofern ich dich frage,
was dem Käfer, dem Brummer die Ehre verschafft, in den Augen
einer Göttin von solcherlei Umfang Beachtung zu finden?‹ –
›Till, du bist ein Hanswurst, das genügt, denn sie liebt die Hanswürste,
weil sie selbst einer ist, der uns täglich und stündlich belustigt‹,
gab der Meister zurück. ›Man darf sagen, mein Freund, daß du Glück hast!
Baubo, komm einmal her‹, schloß er dann mit erstaunlichem Gleichmut,
vom Gebaren der Göttin nicht weiter berührt, das sehr arg war.
Purzelbäume gefiel's ihr zu schießen, mit Schiebtanz und Bauchtanz,
derb und kunstlos, vergnügte sie sich und stand endlich dicht bei mir,
nur zum Scheine des Anstands mit göttlichen Klunkern umklunkert,
scheinbar harmlos ein braunes Insekt irgendwo sich zerknipsend.
›Baubo, komm einmal her!‹, und sie folgte, mechanisch gehorsam,
rückwärts lachend treuherziger Güte mir grade ins Antlitz.
Dieser Meister, wer war es? Admetos? Es dienet als Knecht ihm
er, Apoll, und Hetairos und er, der allmächtige Eros,
und nun sie, diese Magd: und sie folgen ihm alle gehorsam.
›Baubo‹, spricht er, ›er sei dir geliehen, der seltsame Querkopf,
der von Gift und von Galle sich ziehn ließ durchs blutende Deutschland,
der nichts tat, um nichts Böses zu tun, dessen Seele so ernst ist,
daß er sich, um am Ernst nicht zu sterben, ins Lachen gerettet.
Oftmals zeigt' ich ihn dir im Kristalle, den Burschen, o Baubo,
nicht nur seit er sein Schneckengehäus' auf der Landstraße hinschleppt,
sondern schon, als er wütend die Lüfte durchheulte im Weltkrieg,
hoch im Räume die Gegner bezwang und sie köpflings hinabwarf.
Sieh, er wurde gefürchtet wie Hektor, ja fast wie Achilleus,
was ihn, daran ist nichts zu ändern, bei Göttinnen einhebt!
Wie er zu uns gelangte, du weißt es: ein magisches Kunststück
recht gewöhnlichen Schlages benützt' ich in alter Gewohnheit,
und er kroch auf den Leim, das will hei ßen, aufs erzene Eslein.
Nun, so ist er denn da. Zwar er ist dir nicht allseits gegönnet,
doch du kennst deine Macht: dich verziehe Helene dem Paris,
und ein andrer trojanischer Krieg wird daraus nicht entstehen.
Nimm ihn denn in die Kur, aber denke, glückselige Göttin,
dieser Till ist noch immer nicht mehr als ein sterblicher Schlingschlang.‹
Baubo, kauend derweile an einem elysischen Grashalm,
blickte an sich hinab und hinauf und erstarrete endlich
scheinbar ganz, ihre Zehe, die große, mit Andacht betrachtend.
Als der Meister schon lange geendet, erst dann kam sie zu sich.
Doch sie selbst sagte nichts, nein, auch jetzt nicht, sie wendete einfach
ihre herrlichen Schultern herum und hernach auch das andre,
mich mit schrägegestelletem Kopfe anblinzelnd; dann kam sie
einen Schritt auf mich zu, einen zweiten in närrischer Gangart,
einwärts komisch die Füße gestellt und als wollte sie sagen:
Willst du, Freund, oder nicht? Wenn du nicht willst, so mußt du, wie ich will!
Ja, nun schnupperst du, Prinz, doch so standen die Dinge wahrhaftig,
eine Wendung, auf die ich, beim Hunde! durchaus nicht gefaßt war.
Ruhe hofft' ich und glaubt' ich gefunden zu haben am Schilfrand
des Eurotas, bukolischen Frühling und lautere Einfalt,
außerirdisches Glück in der seligen Götter Bezirken.
Und nun Baubo? – Mein Freund, also les' ich's dem Meister vom Munde,
Höhres sinnen sie wohl, doch nichts Sinnloses sinnen die Götter,
höhren Sinnes gewiß! Nur höheren Sinns, nicht unsinnlich!
Unsinn türmet sich nur auf der Erde, mein Till, hier bei uns nicht.
Keine Angst! Greife zu, und die Göttinne, sei sie dir gnädig!
Was geschah? Auf den vogellautähnlichen Schrei meiner Baubo
im Galopp kommt mein erzenes Eslein, iahend. Es wälzt sich
in dem Liliengewoge herum, das sofort wieder aufsteht
mit dem Grautier zugleich. Wie geschieht mir? Es ist wie ein Sturmwind,
als der erzene Dämon, die Göttin und mich auf dem Rücken,
durch die Höfe, den erzenen Panthern vorüber, davonjagt.
Hexenritt? Mag wohl sein! Und es war mir, als hätte ich Fausti.
Züge plötzlich erkannt in dem Meister, bevor sie mich hinnahm. –
Willst du glauben, mein Pudel, ich habe dir nun zu berichten
ein Millennium niemals getrübter, erstaunlicher Glückszeit:
einer Göttin vermählt, wie der Kirke dereinstens Odysseus.
Wohl, sie hatte die Macht über mich, den Pantoffel, sie schwang ihn.
Doch er war ja von Goldstoff, ambrosiaduftend, und manchmal,
stob er mir um die Backen, so sprühte er Tropfen von Nektar.
Und was bot sie mir sonst für Genüsse! Wo irdische Wonne
sich erschöpft, da entband sie die innigsten Wunder von Kypros,
und entwich mir die Kraft, nun, so hauchte sie Feuer des Eros
mir ins Mark, und heraklisch-urselige Frische durchdrang mich.
Tausend Jahre, wie lang ist die Zeit, und sie schien nur ein Tag mir!
Nach der Schnur: es war brennender Mittag, die Zeit, wo der große
Pan im Schlafe sich wiegt, und drum mußte der Ritt auch wohl heiß sein.
Schon bemerkt' ich, daß auch wohl mein Eselein innen geheizt war.
Doch nun wurde es wärmer als warm zwischen unsren vier Schenkeln.
Und ich selber, beim Hunde! ich saß ja doch hinter der Baubo,
an sie fest mich zu klammern gezwungen, wo immer die Hand hielt.
Nun, mein Pudel, es handelt sich hier nicht um menschliche Dinge;
denn sonst wären wir wohl, und recht bald, von dem Eslein gepurzelt,
während so, wie die Sache nun lag, mir ein solches Vergnügen,
als ich's während des Rittes genoß, früher niemals zuteil ward.
Und ich darf hier zwei weitere Dinge von größter Bedeutung
nicht verschweigen. Zunächst, ich vernahm ein Geräusch hier zum ersten
Mal, das außer mir wohl kein Lebendiger jemals gehört hat:
das frenetische Lachen der Zwölf, der olympischen Götter!
Und zum andern: dies Lachen, geeignet, vom Boden des Erdreichs
fortzufegen im Sturm das Ameisengewimmel der Menschheit,
hatte nicht, auch entfernt nur, die Macht, mein Vergnügen zu stören
oder nur mir den Ort zu vergällen, auf welchem ich festsaß.
Jetzt nun bist du neugierig auf das, was zunächst kommt bei diesem
Abenteuer, willst wissen, wie bald wir und wo wir gelandet,
und du meinest vielleicht, auf dem hohen Olymp, wo ich tausend
Jahre göttlicher Pracht übermenschlichen Glanzes erlebte,
du und du mit den Adlern des Zeus und erwählet, die Aigis,
in den Schätzen der Himmlischen wühlend, beliebig zu schütteln.
Nein, mein Freund, Gott sei Dank, nichts von alledem ist zu berichten.
Andersartig durchaus war das süße Geschick, das mir zufiel.
Dies der Rahmen, mein Prinz: eine Hütte aus Stämmen und trocknem
Eichenlaub auf Taygetons Höhn, hochverborgen. Die Göttin,
kaum gelandet mit mir, wies mir, südlich gelagert, Kythera
in dem Dufte der Ferne, gebettet in blauende Meerflut.
Doch dahin war es weit, es war weit bis zum Strande hinunter
von den Enzianalmen und Matten, rings um uns gebreitet.
Und warum auch verlassen das Grün unsrer Wiesen, die Weiden
unsrer Augen sowie unsrer Herden? Wir hatten der Haine
sel'ge Freuden genug, und das Silber der köstlichen Gipfel,
strahlend, ewigen Lichtes, nie wurde es müd, uns zu leuchten.
Allenthalben herschmolzen die Stürze süßlabender Bergmilch
vom Gefelse, und Quellengeriesel umgab unsre Wohnstatt.
Glaube nicht, daß uns Zeus auch nur etwa das Hüttlein geschenkt hat.
Nichts war da, als wir beide zuerst unsre Scholle betraten,
meine Baubo und ich. Und da sahn wir uns an und gelobten,
von den Göttern nur das zu erbitten: es möge in Frieden
unsre Herden zu weiden, zu tränken, mit eigenen Händen
unser Haus zu bestellen uns beiden, nichts weiter, gewährt sein!
›Hier, hier wollen wir bleiben, nur hier, Till, und nirgendwo anders‹,
sprach die Göttin, und weh! eines Tritts ward teilhaftig das Eslein,
daß es irgendwohin und kopfüber verschwand. Und auch ich rief:
›Hier ist gut sein, nur hier, grade hier!‹ Und dann rollten wir beide
um die Wette herum auf der Alm: und auf solche Art hatten
Narr und Närrin sich denn zwischen griechischen Gipfeln gefunden.
Zauberartig, so heißt es mit Recht, ist das Wesen der Schöpfung:
also war's meine Flucht, und so war auch mein Leben mit Baubo.
Doch das Zaubrische lastete nicht, es war nicht mehr der Nachtmahr,
denn ihm war ich entronnen. Ich fand mich in Zeiten entrückt, Prinz,
wo dem Rinde der Grashalm, dem Menschen die Frucht in das Maul wuchs.
Ausgesetzt, unbehaust selbst, ward keinerlei Sorge uns fühlbar.
Nun, schon Baubo allein, unverwüstlicher Laune, sie hätte,
ohne Göttin zu heißen, mit mir durch die Welt sich geschlagen,
derber Kraft, ellenbogenbewehrt, frohen Muts unaufhaltsam;
wie erst hier, wo elysische Bergluft das Herz uns umfrischte
und als Göttin zuweilen ein Funkengeknister sie kundgab.
Ach, die Gute! Wie ungern verriet sie den Stand ihrer Gottheit,
außer daß sie die Macht mir zu Nutzen und Frommen gebrauchte.
Du erfährst mancherlei mit der Zeit, was dich sicherlich wundert,
wie unsterblichen Göttern mitunter die heimliche Sehnsucht
nach dem irdischen Stand und dem Schicksal der Sterblichen aufsteigt.
Ungebärdig war Baubo, du weißt's, und sie war es in Maßen,
die das Wort unsrer menschlichen Sprache zu schildern nicht Kraft hat.
Göttern selber ersparte sie nichts, und sie zogen den kürzern
jedesmal, wer auch immer mit Baubo zum ernstlichen Kampf kam.
Dinge hab' ich gesehen, Allvater betreffend, auch Hera! –
nun, Prometheus ist nichts und sein Trotzen, mit ihrem verglichen.
Hundert Male und mehr kam es vor, daß sie Göttern den Steiß wies.
Glaub es nun oder nicht, die die Götter verhöhnte, die Göttin,
nie verhöhnte sie mich, deinen Till. Dieser Unband an Wildheit,
dessen heulende Stimme oft furchtbar die Schluchten durchhallte,
nahm mir, treu wie ein Hund und gehorsam, das Wort von den Lippen.
Tausend Jahre! Zuviel für ein kleines Geflunker am Feuer,
allzuviel für ein Dichtwerk, und schriebe Homer hundert Jahr dran!
Dies und das aber will ich erzählen, zum Beispiel vom Hausbau:
Pinien fällt' ich mit heiter ausholendem, mächtigem Axtschlag,
und wir schleppten selbander und fügten selbander die Balken,
Zwiegesänge dabei in die einsame Höhe verbreitend.
Nur der Schnee und die Adler des Zeus sahen höherher auf uns.
Arbeit ward uns zur Lust und die Lust wiederum uns zur Arbeit,
bis das Blockhaus errichtet, das Reisig des Herdes in Glut stand.
Und nun Baubo am Herd, von der sausenden Flamme erleuchtet,
sie hantieren zu sehn mit dem Kessel, in göttlicher Unart
schleudern, poltern und doch die glutwürzigste Suppe bereiten!
Ich verbitte mir das! Blickst du zweifelnd, mein Prinz, weil ich Till bin
und, was Arbeit betrifft, du mich etwa mit dir eines Sinns glaubst?
Nein, ich hungre nach Arbeit, mein Prinz, doch nach Arbeit, die Wert schafft!
Unsre tat's, und ich schuftete los, wie dem Halfter entsprungen.
Rinder gaben uns Milch, täglich molk ihre Euter die Göttin,
Käse wußte sie wohl zu bereiten und knuspriges Weißbrot.
Doch des Keleos Magd mit dem Stampfer zu sehn und die Sahne
rauschen hören im Faß, wenn sie, Butter uns butternd, daran stand,
war ein Bild, selbst den Trägsten die Freude der Arbeit zu lehren.
Ist dies alles? Deshalb der Taygeton? Darum der Luftritt?
Und der Guru? die Göttin? weshalb denn? Damit eine kleine
Kätnerwirtschaft entsteht, wie man aller zehn Schritt eine antrifft
hier bei uns, und, anstatt eine Gottheit zu werden, ein Mistfink?
Nörgle nicht, guter Pudel! Es dringt allerdings nicht so leicht sich
in Mysterien ein. Dies Erlebnis ist eines der größten.
Und warum? Das Gewöhnliche dran ist in Wahrheit nur scheinbar,
weil der höchste der Götter, weil Eros sich seiner bedient hat.
In dem Augenblick ward ich geweiht, als, geschlossenen Lides,
ich die Gottheit als Flamme erkannte und, von ihr durchlodert,
selbst nur Flamme, ganz eins mit ihr wurde. Und das war die Folge:
diese thrakische Magd, sie verwirrte sogleich ganz den Kopf mir.
Der Gedanke, ihr niemals begegnet zu sein, wenn ich lücksah
in mein Dasein, entwertete es. Nicht vermocht' ich zu fassen,
wie es möglich mir ward, ohne Baubo mein Leben zu leben.
Nichts verschlug es, was Baubo an zotiger Derbheit dazugab,
wenn sie das mir nicht weigerte, was mir zu rauben Genuß ward.
Denn sie blieb eine Göttin, vergiß nicht! Der Zauber des Eros
gab dem Zauber nichts nach, den der Gürtel der Kypris hervorbringt.
Sie war dumm, guter Prinz, das ist wahr, doch von göttlicher Dummheit,
und du ahnst nicht, wie gut's auf den Brüsten der Dummheit sich ausruht.
Und ihr Nacken, mein Prinz, diese mächtigen Schultern und Hüften!
Dieser Rücken, als Ganzes genommen, und oh! diese Schenkel:
Fleisch, das lebt, ist kein Fleisch, ist ein himmlischer Stoff, unergründbar.
Und nun gar noch das Fleisch dieser Baubo, das Fleisch dieser Göttin,
dessen Süße selbst Zeus, ach wie oft, der Ambrosia vorzog!
Kätnerwirtschaft, nun ja! Doch die Suppe, die Baubo mir kochte,
hatte Würzen von himmlischer Art. Und die Milch unsrer Kühe
war ein Trank, wie ihn niemals ein irdischer Milchkrug enthalten.
Niemals! Niemals! Und dann: welche Freuden entwuchsen dem Backtrog,
wenn, bloßarmig, den Teig sie, heilachenden Mundes, geknetet!
Was verschlug's, ob sie auch wohl ein köstliches Goldhaar hineinbuk!
Ihre Stimme war männlich, doch weich, und sie plauderte herzlich,
etwa wenn sie die Eier zerschlug an dem Rande des Kessels;
und dann wurde ein Fladen, mein Prinz, ja, da tropfst du von Speichel.
Kurz und gut: diese Sache entzieht sich zunächst deinem Urteil.
Igel liefen ihr nach, Murmeltiere und jederart Viehzeug,
denn sie liebte die Tiere und tat keinem Wesen ein Leid an,
außer dem, das sich zänkisch erwies: das verdrosch sie gewaltig!
Hätt'st du Baubo getroffen und hätte der Traum dich, wie mich jetzt,
ausgeschifft, ausgesetzt, du begännest zu heulen und heultest,
bis du, gänzlich zu Wasser geworden, im Elbstrom verschwändest.
Dies beiseite: von allem Erlebten war das nur der Anfang.
Du wirst merken, wie weit du mit Kätnergedanken und Mistfink
von der selig erhaben-bukolischen Wahrheit entfernt bist.
Schon allein, daß kein Irdischer je uns besucht hat, erwäge!
Niemand war es erlaubt, uns zu stören. Nicht Bauer noch Jäger
durfte wagen, in unser Bereich sich auch nur zu verirren.
Selbst die Götter, dem Streiche der lustigen Baubo gewogen,
machten sich's zum Gesetz, ihrem strengen Gebote zu folgen,
nur in schlichter Verpuppung und menschlich die Alm zu betreten.
Ungeheuer die Macht dieser einstigen thrakischen Dienstmagd!
Was denn war wohl der Quell dieser Macht? Oh, ich habe den Kopf mir
oft zergrübelt deshalb, bis die heilige Wahrheit mir aufging:
edel, hilfreich und gut, das war Baubo. Die hilfreiche Güte
dieser einstigen Magd, selbst vor Göttern nicht blöd, sie erquickte
Demeter, die Allmutter. Und als sie es tat, war sie selber
die Allmutter! Allgüte erhob sie noch über die Götter.
Sie vergaßen's ihr nicht, und sie blieben auf immer ihr fügsam.
Baubo lachte, sie kreischte, sie schrie auch mitunter, sie hatte
Laute vielerlei Art, um die Rinder und Ziegen zu locken.
Ihr Puttputt! Puttputtputt!, echoweckend erscholl es und fernhin,
und dann kam das Geflügel gerannt, daß von Federn die Alm stob.
Baubo scherzte mit Worten, oft heiter-gutmütigen Zurufs.
Doch ihr Innigstes hauchte sie nur mir des Nachts in das Ohrloch:
›Siehe, Till, du warst fern, und ich darbete unter den Göttern.
Götter werden nicht alt, wer nicht alt wird, der hat keine Jugend.
Ich war Mensch unter Menschen bei euch, und das heißt, daß ich jung war,
ehbevor ich verfallen dem zeitlosen Dasein der Obren.
Du bist Mensch, du bist jung! Meine ewige Jugend ist nichts, Till,
ohne dich, meine wahrhafte Jugend, die jetzt mich umarmt hält.
Wohl, ich habe Demeter gedient. Ich versuche den Schatten
hie und da einen Spaß zu bereiten, den unteren Mächten
wie den oberen Göttern zu dienen durch sterblichen Anhauch,
denn das tut ihnen wohl, wie den Menschen ins Ew'ge der Ausblick.
Doch was ist das, verglichen mit dem, was ich dir, Till, nun sein kann?!
Du bist sterblich: ich kann nicht allein dir unsterbliche Wonnen
schenken, armer Zerzauster des Lebens, armseliges Strandgut,
ausgespien von der wütenden Flut nach dem krachenden Schiffbruch,
nein, ich kann mich in dir auch zum wirklichen Leben erneuern!‹
Also hatte der Schmerz und die Not auch hierher einen Zugang
und, was niemand gedacht, auch ins Herz dieser göttliche Baubo,
deren Spaße den ganzen Olymp im Gelächter erstickten.
Ach, es war ein glückseliger Zustand mit ihr und mit mir, Prinz,
in den köstlichen Lüften der Freiheit dort oben. Der Himmel
war kaum jemals bewölkt. Es umwölbte uns heiterste Bläue
Tag für Tag, und die leuchtende Grüne der Wiesen erstarb nicht.
Ganz gehörte uns beiden die Welt. In den Grotten der Felsen
stand wohl etwa das steinerne Bild einer schweigenden Nymphe,
in dem lauteren Spiegel des Quelles verdoppelt. Die Pinien
tropften köstliches Harz, und ihr Ambragedüfte umgab uns.
Hell erglänzte das Tagesgestirn, und mit einerlei Wärme,
mit gleichbleibendem Glänze umgab's uns Geliebte der Götter.
Io, so hieß unsre Kuh, weißen Fells und blaßrosiger Schnauze.
Silbern schnaubte sie aus in der Frische des Morgens. Die Milch war
Nektar, den ich aus hölzernem Napfe genoß. Und gefüttert
bin ich worden von Baubo mitunter wohl mehr, als mir lieb war.
Io: da war eines Tags ein Begebnis. Es trat um den Mittag
übern Rand unsrer Alm ein wildblickender Stier. ›Nun gib acht, Till‹,
sagte Baubo zu mir, ›wie ich bald mit dem Burschen verfahre!‹
Ich erschrak. Das gewaltige Tier hauchte Brand aus den Nüstern,
blickte her aus wutquellenden Augen. Mir war dieses Rind nicht
ganz geheuer, mein Prinz, und wie sollte es auch, da es Zeus war.
›Unsere Kuh heißt Io!‹ flüstert Baubo. ›Gib acht, das genügt ihm,
um aufs neue von Sinnen zu kommen!‹ Kaum ist es gesprochen,
braust nach vorwärts der Bulle und donnernd, ein schwarzes Gewitter,
übern Plan. Bald erreicht er die Io. Er bäumt auf und bespringt sie.
Nun, warum nicht? so denk' ich. Doch Baubo denkt anders. Zu spät zwar,
doch, als wäre am Schlusse der Allmacht noch etwas zu ändern,
wird sie Göttin und rennt, mit dem Ast einer Kiefer bewaffnet,
der Erinnye ähnlicher jetzt als der einstigen Kuhmagd,
und es hallet die Schwarte des Zeus von den Schlägen der Baubo!
Wie er aber das Weite gesucht und auch eiligst verschwindet,
färbt der Himmel sich schwarz, und bald brüllt das Gewölke gewaltig.
Blitze krachen, es heulet ein Guß. Aber Baubo, sie lacht nur,
und man hört durch den Graus, neben ihrem, das Lachen der Götter! –
Baubo schenkte mir Kinder, mein Prinz. Nach dem Ratschluß der Götter
ihrer zwölf. Vater werden ist freilich ansonst meine Art nicht.
Um so mehr war die Göttin versessen darauf. Und sie hatte
ihrem Willen den Nachdruck zu geben weiß Gott auch die Mittel.
Wenig fehlte, so wäre ich jetzt von zwölf Kindern umgeben,
von Halbgöttern, halbgöttlichen Mädchen, halbgöttlichen Knaben,
sechs von jeglicher Art. Ich erwog mit der Mutter die Frage,
oft genug, wo für sie wohl die bessere Aussicht bestünde,
hier bei uns oder dort, ihre Gaben zu nützen. Wir waren
einig, hier auf der Erde: der Mensch stehet unter dem Halbgott,
doch der Halbgott dort oben, er zählet noch nicht zu den Göttern.
Anders dachten, wie immer, die Kinder. Sie teilten der Mutter
niedre Neigungen nicht, wollten hoch hinaus, schämten sogar sich
Baubos oft und des unebenbürtig-plebejischen Vaters.
Nun, sie wußte sie wohl zu kuranzen, sie war ja doch Baubo!
Und ich sehne mich nicht nach den Barnsen, der Himmel behalt' sie!
Der zuerst mich empfing auf dem Boden von Hellas, der Hirte,
Knecht Admets, meines Guru, in Wirklichkeit Phoibos Apollon,
er besuchte uns oft auf der himmelnah seligen Weide
des Taygeton, und er beließ uns den Glanz, wenn er fern war.
Nie vermißten wir den. In die Klarheit des Gottes versunken,
lebten wir. Und bevor er erschien, meist am siebenten Tage,
mengte Licht sich dem Lichte und höhere Klarheit der Klarheit.
Gold! Ich nenne das Gold, was mit ihm, mit dem Gott, aus der Tiefe
stieg und alles durchdrang. Seine goldene Aura verriet ihn,
unsern göttlichen Gastfreund, bevor sich sein Haupt aus der Schlucht hob
übern Rand unsrer Alm, um mit Glanz durch die Pinien zu strahlen.
Welch ein Fest, solch ein Tag, wenn der Schönste der Schönen heraufkam,
machtvoll klingend mit klarem Getön seiner goldenen Leier!
Lange pflegte er immer, den Boden des heiligen Haines
mit den Füßen vergoldend, zu harren. Bald aber erschienen
Schwäne, heiligen Flugs, ihn in himmlischen Kreisen umzirkend,
jedesmal, wenn er kam. Und sie sangen, die Schwäne, den Paian.
Welch ein Jubel und Jauchzen das war, wann der Paian sich anhob!
Baubo selber, sie ward im Gesang oft zu Tränen erschüttert.
Dann nun trat er zu uns wohl, der Gott mit dem lockigen Haupthaar,
Hirte ganz, und er teilete heiter und schlicht unsre Mahlzeit,
Brot und Käse und Milch. Einmal wies er mir dann seinen Bogen:
›Ihm verdanket ein Narr es‹, so spricht er, ›mein Till, daß er hier ist;
denn du wärest gefangen im Rachen des Drachen, als welchen
ich mit singenden, klingenden Pfeilen des Lichtes getötet!‹ –
›Pythontöter, hab Dank! Dir erklinge auf ewig der Paian!‹ –
Seltsam ist es, je mehr ich erzähle, je mehr überfällt mich
das Erinnern. Solange ich oben bei Baubo gehauset
in der dünnen, erquickenden Luft, wüßt' ich nichts mehr vom Diesseits,
nichts von gestern und nichts von dem kommenden Tage. Das Heute
war allein, und es blieb. Ich erwartete nichts, ich erhoffte
nichts, denn beides, Erwartetes oder Erhofftes, es hätte
nur als Furcht zu erscheinen vermocht, wo auch diese mir fernblieb;
oder sprach sie doch manches Mal leise, die Furcht, mir im Innern?
Nüchtern rede ich jetzt, doch beschränkt in die seligste Einfalt
war mein Wachen, Entzückung durchaus nur, der Schlaf meiner Nächte
tief und traumlos. Ob nahe Elysiums Gipfel, der Schlummer
mied mich nicht, unaussprechlich verjüngend war seine Erquickung.
Jugend! Spricht man das Wort, so erahnet man seinen Gehalt wohl
wen'ger, Prinz, oder mehr, doch unmöglich, ihn ganz zu erschöpfen,
und des Wissens darum ist den Sterblichen wenig beschieden.
Kinder, dies ist gewiß, sie verbringen ihr Leben in Eros,
dessen zündendem Wunder, dem Wunder des Ursprungs, sie nah sind.
Träger sind sie des Feuers der Liebe und feurigen Büschen
ähnlich, welche der Gott nicht verzehrt, nein, mit Flammen ernähret.
Eros also ist Jugend, und Jugend ist nicht ohne Eros!
Wo er aber den Körper durchloht, sich dem Greisen selbst mitteilt,
wahrhaft jung ist alsdann selbst der Greis und in nichts unterschieden
von dem Knaben, dem süßeste Wonne der Jugend im Blut kreist.
Ich war jung und war wunschlos, mein Prinz, als ein Feuer des Eros,
denn, beim Himmel! ich liebte sie rasend, die göttliche Dienstmagd.
Nie hat, allezeit willige Güte, ein menschliches Auge
mir gestrahlt wie das ihre – da winselst und machst du Wauwau, Prinz,
bist verlegen und peinlich betroffen –, trotzdem: auch kein Hundsblick!
Hundetreue! verwerfliches Wort für den Treublick der Baubo!
Sie und ich, ich und sie, wir begehrten ansonst von der Welt nichts.
Dies erwäge: ein Wink nur von mir, und sie hätte die Ärmel
aufgestreift und, sofern ich den Braten zum Heil meiner Seele
für ersprießlich erklärt, mir Zeus' Adler gerupfet zum Nachtmahl.


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