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Das dritte Abenteuer

enthält das Erlebnis mit dem Angler, ein kleines Zwischenspiel, das der Pudel Prinz bestreitet, zuletzt etwas, das einen jungen Wehrmann betrifft.

 

Dafür sah er – es hielt sein Gehäuse am Rand eines Fischteichs –
einen angelnden Mann. Er war nackt, es verhüllte ein Schurz nur
seine Scham. Und schon fuhr auch die Rute der Angel nach oben
und ein silbriger Fisch, den der Fischer gelassen beiseit tat.
Danach sagte er dann voller Ruhe zu Till: »Warum lacht Ihr?«
Till besann sich. Dann rief er: »Es geht mir wie einst Zarathustra.
Dieser lachte bei seiner Geburt. Und dasselbige Übel
fiel mich an um dieselbige Zeit, und ich hab' es behalten.
Doch verzeiht, ich verfuhr mich, mein Herr, und ich bin ohne Absicht
in dies Parkland gedrungen, auf welche Art, könnt' ich nicht sagen!« –
»Auf vier Rädern! wie sonst?! Fällt schon niemals ein Meister vom Himmel,
dann erst recht nicht ein Panjegeschirre mit Pferdchen und Lehrling!«
so der Angler. Und Till: »Kamerad, was Ihr sagt, hat viel für sich.
Lehrling bin ich, ich würde es sein, wenn man nämlich es sein kann
in der Kunst, eine Pille so groß wie ein Nilpferd zu schlucken!« –
»Oh, die hab' ich geschluckt! Woher weißt du denn, daß ich Soldat war?«
spricht der andre. »Der Rock König Wilhelms war schließlich kein Bauchschurz!« –
»Das ist wahr«, spricht der Gaukler, »allein im verwichenen Kriege
wurde schließlich ein jeder Soldat, ob es Kind oder Greis war,
Krüppel oder was sonst, und es laufen entlaßne Soldaten,
Schwartenhälse wie ich, auf den Straßen herum zu Millionen,
in die alte Montur noch gezwängt oder nackend, wie du bist!« –
»Nun, sie mögen Gott danken«, versetzte der andre, »so sind sie
immerhin doch erlöst von dem seelenvernichtenden Blutfron!« –
»Sieh doch an«, sagte Till, »fast vermöcht' ich zu glauben, ein weißer
Rabe säße vor mir, und er spräche in menschlicher Sprache
zu der Zeit, wo der Mensch sich verriet und zum reißenden Tier ward.« –
»Bist du, Freund, weder Fisch noch auch Vogel?« so fragte der andre.
»Und was ist dein Geschäft auf den Trümmern des Landes? Das Nichtstun?« –
»Die Vermutung trifft zu!« lachte Till. »Ich bekenne mit Freimut,
Müßiggänger zu sein! Ja, ein Tagedieb bin ich, ein Nichtsnutz,
arbeitsscheu aus dem Doppelbeschlusse des Hauptes und Herzens.
Faulheit grenzt an den Schlaf. Und wer schläft, heißt's, vermeidet die Sünde.
Hab' ich also das Laster der Faulheit, es wuchs aus der Tugend,
denn es ist doch wohl Tugend die Sorge, in Schuld zu geraten!«
Seufzend sagte der Fischer: »Sie kommt viel zu spät, deine Faulheit,
außerdem ist sie billig jetzund. Damals sollten wir faul sein,
als es hieß, das Gewehr zu ergreifen, zu rennen im Sturmlauf,
die Geschütze zu lösen, die Mördergranate zu schleudern:
solche Faulheit erforderte Mut und das Opfer des Lebens!« –
»Weißer Rabe!« sprach wieder der Gaukler. »Wie wär's? Eine Freistatt
gibt's, die einz'ge für dich, und sie wäre bei mir drin im Wagen.« –
»Danke, Freund, eine andere gibt's, diese heißt: Salvaterre.
Und ich lebe bereits auf der Burg als ein neuer Amfortas!
Was ich sage, begreifst du wohl kaum, denn du siehst zu vergnügt aus,
kennst nicht Schuld noch die Last, welche nächtens die Seele mir abdrückt.
Ich war Seemann, ich war Kapitän, und ich führte ein Kriegsschiff …« –
»Wolltest du mir gestatten, mein bester Gevatter«, sprach Till da,
»hielt' ich gerne hier Rast, kochte ab und verzehrte mein Mittag.
Solches ist mir ein wicht'ges Geschäft, und ich pflege bedächtig
auszuwählen den Ort. Und, beim Hund! grade dieser behagt mir.
War je Krieg? Dieser See, dieser einsame Spiegel des Himmels,
hat den furchtbaren Rachen der Gorgo wohl niemals gespiegelt!
Und die allseits von Wipfeln getragene Woge des Laubes,
die, smaragdener Fülle, zu ihm von den Hügeln herabrauscht,
tönet nur vom Geschmetter des Finken, vom Rufe des Pirols,
nicht vom Fluche des Eisens! Den wälderumhülleten Umkreis
Salvaterres – ich kenne den Namen aus Märchen der Kindheit! –
krönet gleichsam die Burg Montsalvatsch! O Magnat, sei gesegnet,
der dies herrliche Burgschloß besitzt und den Krater der Tiefe,
diese Schale aus grünem Smaragd: so dem Grale nicht ungleich!
Hast du etwas zu sagen, Gevatter, in diesem Bereiche?
Sage mir, ob ein fahrender Narr, ein Hans Dampf mit den Seinen,
der hier rastet, nicht etwa mit Prügeln und Hunden verjagt wird!?« –
»Jedermann steht hier jegliches frei, der mit billigem Anspruch
dem Besitzstand sich naht, welcher mein und doch wieder nicht mein ist.
Nach dem Recht und Gesetze bekenn' ich mich Herr dieser Landschaft.
Doch in Wahrheit, ich bin nur Verwalter, ich bin nur Amfortas.
Was zum Schein ich besitze: in Wahrheit besitzt es der Heiland.
Meine Pflüger und Mähder, Verwalter und Schäfer sind meine
Brüder. Aber ich bin der geringste von allen. Ich teile
täglich mit dem Gesinde das Mahl. Und der Fisch, den ich angle,
wird, in Stücke zerschnitten, in ebender Schüssel heut schwimmen,
die dem Löffel des Knechts und des Herren, der Magd und der Herrin
gleichermaßen schlichthin und durchaus ohne Vorrang sich darreicht!« –
Was tat Till? Der Gesell warf sich hin zu den Füßen des andern.
Danach sprang er empor. Und es fragte der Angler: »Was machst du?
Schwingst du Schellen? weil Schellengeläut, Kamerad, mir ans Ohr dringt!« –
»Nein, ich schwinge nicht Schellen, sie klingen von selbst: ich bin Schalksnarr!«
Dies gesprochen, schon sammelt er Reisig und schichtet es auf, Till,
rammet gablig hinein in die Erde vier eiserne Stäbe,
legt darüber den Spieß und bereitet mit Sorgfalt das Mahl vor.
Und er plauderte fort etwa so bei der lustigen Arbeit:
»Dank, erlauchtester Hüter des Grals, edler Angler Amfortas,
der die heilige Schüssel des Joseph von Arimathia
wiederfand, voll des heiligen Bluts, das Gefäß der Gemeinschaft,
und zu heiliger Kommunion an die Menschen zurückgab!
Seit man Gott, den dreieinigen Gott, hierzulande beraubte,
aus den Türmen der Kirchen die Glocken ihm stahl und sie umschmolz,
in die scheußlichen Höllenmaschinen des Kriegs sie verwandelnd,
traf mich nicht ein so seliger Klang aus dem Herzen des Mitleids.
Doch ich denke, wir trinken ein Gläschen und lassen's uns wohl sein!«
So mit plötzlicher Wendung vom leidlichen Ernste zum Leichtsinn
tat der Bursch einen Sprung, und sogleich war das Feuer entzündet.
Und der Angelnde sagte zu Till wiederum: »Warum lachst du?
Bist du ernst, so sei ernst! Bist du spaßhaft, so bleibe auch spaßhaft!
Doch vermische nicht Possen und heiligste Dinge, verstehst du?« –
»Da verlangst du, Kam'rad«, sagte Till, »was vor allem mir schwerfällt!
Denn ich leide seit meiner Geburt an dem erblichen Übel,
daß die Galle mein Zwerchfell durchsetzt und ihm Krämpfe verursacht.« –
»Das mag sein! Man verhöhnet trotz alledem nicht seinen Gastfreund!« –
»Nein, beim Hunde! du irrst«, spricht der Gaukler, »ich würde dich küssen,
meine Liebe dir voll zu erweisen und meine Bewundrung,
hätte Judas den Herrn mit dem Kusse dereinst nicht verraten!« –
»Ach, du hältst das für Aufschneiderei?« gibt zur Antwort der Angler.
»Anders ist es bei mir, und bereits seit dem Tag von Damaskus,
den ich noch auf dem eisernen Rumpf meines Schlachtschiffs erlebte.
›Saulus!‹ hörte ich da, mich erweckend, die Stimme des Heilands,
›warum stellst du mir nach und verfolgst mich mit wütender Mordlust?
Mach ein Ende, und schlägt man dir flugs auch das Haupt von den Schultern!‹
Glaub es nun oder nicht: damals hißt' ich die Flagge der Freiheit,
und nun sinn' ich darauf, meine Güter gerecht zu verteilen!«–
»Du bist klug«, sagte Till, »du ersparst ja den Leuten das Plündern!
Und, Geliebter«, frohlockte er nun, »danach gibst du gewiß auch
deinem Bruder, dem Pracher, sofern er schön bittet, sein Anteil,
diesen Karpfen, nur diesen! Er tilgt jeden weiteren Anspruch!«
Ausgeweidet ward eilig der Fisch, und schon schwamm er im Kessel.
»Das ist gut! Alle Wetter! Du scheinst mir ein richtiger Schnapphahn!«
sprach der Angler mit Ernst – oder streifte den Mund ihm ein Lächeln?
»Weißbrot, Butter und was nicht noch alles. Mich wundert es wirklich,
daß du alle die Konterbande so furchtlos hier auskramst!« –
»Die Kombüse blieb leidlich erhalten im Wrack meines Lebens,
du bemerkst es mit Recht. Dieser Umstand, beim Hunde! ist wichtig,
denn man wird von der Mutter ja nicht mit dem Freßsack geboren!
Oder ist er wohl mehr als ein Docht, wenn der Mensch auf die Welt kommt?!
Funze! heißt es, besorge dein Öl, oder werde zu Asche
augenblicks!« solches gab der Vagante dem Angler zur Antwort.
»Keinem schenkt man das Leben«, so fährt er dann fort, »es erobern
täglich, stündlich, ist Menschenberuf. Dazu gibt man ihm Zähne,
Fäuste, Krallen und Hamsterbegierde. Das ist's, was er mitbringt.
Von dem Bettel des Lebens allein wird der Mensch nicht ein Jahr alt,
um ihn lauert der Tod, von der Meute des Hungers bedienet.
Siehst du nicht, ihre drielenden Mäuler aufs Feuer gerichtet,
diese schnappenden Wölfe ringsum, denen Aas aus dem Hals keucht?
Iß und lache dem Pack in die Schnauze, so kneift es den Schwanz ein!
Trink und lache! und trinke noch einmal, und trinke noch zweimal!
Stopfe Bissen auf Bissen ins Maul, ob die Meute auch aufheult:
so nur hältst du den Tod und den Teufel dir gründlich vom Leibe!« –
Da erhob sich der Angler und sprach: »Freund, du redest nicht übel!«,
warf die Rute beiseite und legte die Hand an die Stirne.
»Beinah ist es, als wüßtest du mehr und du kämest im Auftrag
irgendeiner verborgenen Macht, mich das Gruseln zu lehren.
Keinem schenkt man das Leben, so sagst du. Du nennst einen Bettel
es und scheinst mir zu raten, mit Krallen es, Fäusten und Zähnen
zu verteid'gen trotzdem, alldieweil schon der Tod es belaure.
Rachen zauberst du um mich von Wölfen, die drielen und schnappen.
Übel macht mir bereits der Verwesungsgeruch ihres Anhauchs!
Lach dem Pack in die Schnauze! befiehlst du … Doch seltsam: was kommt dort?«
Ja, was war das? Ein Mann des Gesetzes, gespornt und gestiefelt,
pickelhaubengeziert und gleichwie aus dem Boden gezaubert.
Dieser winkte und fragte den Gaukler nach seinen Papieren.
Er erhielt sie. Doch als der Beamte mit Sorgfalt sie durchsah,
rief der Angler ihn an, so ins Mittel sich schlagend: »Der Fremde
ist mein Gast und auf meinem Gebiet, und so gebt Euch zufrieden!« –
»Zu Befehl! und ganz wohl, gnäd'ger Herr, die Papiere sind richtig«,
gibt der Wachtmann zurück. Und es blitzen die Strahlen der Sonne
augenschmerzend zurück aus den Reihen der messingnen Knöpfe
seines Rockes. Er schweigt, und er zögert, bevor er so fortfährt:
»Wenn ich störe, es täte mir leid. Doch mein Auftrag ist dienstlich,
und ich muß, Herr Baron, Euch ersuchen, aufs Schloß mir zu folgen!« –
»Was ist los auf dem Schloß, guter Mann?« so erwidert der Angler
und drapieret, nach Art einer Toga, das weiße Frottiertuch
um den Leib. – »Ein Besuch!« spricht der Wachtmann und zuckt mit den Achseln. –
»Nun, da fahre doch gleich …! Ein Besuch unterm Dach meines Schlosses
wünscht den Hausherrn zu sprechen, und statt seiner Rückkehr zu harren
mit gebotenem Anstand, entblödet sich dieser Besuch nicht,
so, als wär' ich ein bissiger Hund, ohne Maulkorb entlaufen,
Hundefänger nach mir zu versenden, um mich zu sistieren?« –
»Hundefänger? Herr, halten zu Gnaden! Das Kreuz erster Klasse
sollte doch wohl genugsam mich schützen vor solcher Verwechslung!
Darf ich mir eine Meinung erlauben, so möchte ich raten,
mir sofort und durchaus ohne Fisimatenten zu folgen!«
Sprechen wollte der Angler, so schien es, doch eine Entschließung,
schnell entstanden, bewog ihn, den Weg nach dem Schlosse zu nehmen.
Ehbevor er mit seiner Bedeckung verschwand, rief er Till zu:
»Wart auf mich, guter Mensch, denn ich denke, mit dir noch den Nachtisch
deines Todes- und Teufelsaustreiberbanketts zu genießen.« –
Und es war, als erwachte das Tal, wie der Schloßherr nun weg war:
Frösche lärmten im Schilf, und es ließ sich die Dommel vernehmen.
Enten pägsten und pagsten; es trug die Gemahlin den Entrich,
den sein kippliges Schifflein nicht hinderte, Freuden der Liebe
feurig mit dem Geschick eines Equilibristen zu stehlen. –
Was tat Till? Wo denn starrte er hin? und was dachte, was sann er?
Hatte Till seine Mahlzeit vergessen, den Kessel, den Bratspieß,
einer anderen Laune zulieb, wie es Narren wohl zustößt?
Trieb er Mantik und zählte die endlosen Rufe des Kuckucks,
um von diesem Propheten zu hören, wie viele Jahrzehnte
ihm im Lichte der Sonne zu sein vom Geschicke bestimmt sei?
Dachte er an den Spieß, der die Seite des Heilands geöffnet
und mit welchem Amfortas, der neue Amfortas, die Wunde
offen hielt in der eigenen Brust, als ein Opfer des Mitleids? –
»Stillgestanden!« erscholl da ein Ruf. Till vernahm ihn und fühlte,
festen Griffs, eine Hand und in ebendem Nu auf der Schulter.
Und im Nu wiederum stand er aufrecht: »Ich stehe. Was gibt's nun?« –
Mit Gewehr und mit Stahlhelm, ein junger Soldat blickt da Till an.
»Was ist los?« fragte nochmals der Narr. »Brach denn wiederum Krieg aus?« –
»Das mag sein, wie es will. Doch bewegst du dich hier nicht vom Flecke!
Oder aber du kommst nicht zehn Schritt, Menschenkind, bis du hin fällst!« –
»He, was ist denn im Gange?« – »Das geht dich nichts an und auch mich nichts!
Hast du Waffen? Heraus dann damit, denn sonst geht es dir dreckig!« –
»Guter Freund«, lacht der Schalksnarr, »du könntest mich eher bewegen,
zwei verwesete Ratten des Nachts in mein Bette zu nehmen,
als ins Wägelchen eins von den Mordinstrumenten der Kriegszeit!
Warum fragst du mich nicht, guter Junge, nach Milchbrei und Weißbrot?
denn du stehst, dein Gesichtchen betrachtet, dem Lutscher des Muttchens
wahrlich näher als alle dem Zeugs, das nach Eisen und Blut stinkt!« –
»Das ist dummes Gewäsch!« sprach der feldgraue Knabe im Stahlhelm.
Und er ging auf Tills Wägelchen zu, um nach Waffen zu suchen.
Plötzlich schwieg da der Kuckuck, und alles ringsum schien auf einmal
anzuhalten den Atem. So steht unbeweglich die tote
Luft, bevor mit gewaltigem Knalle der Blitzstrahl herabzuckt.
Wirklich fällt nun ein Schuß in der Gegend der seltsamen Gralsburg,
die geheimnisumhüllt in das rollende Echo herabblickt.
Auch der Wehrmann erschrickt, faßt das Rohr und verharrt in Bereitschaft.
Er verfolgt mit dem spähenden Blicke das Strauchwerk des Waldrands.
Bricht ein Wild dort heraus auf die blühende Böschung, dann weh ihm!
Nein, kein Wild: was ins Lichte nun tritt, es ist wieder der Angler,
nackt wie Adam, bevor er vom Baum der Erkenntnis gegessen.
Doch der Deckung des Waldes verlustig, beginnt er zu sichern.
Flüchtig springt er zurück in den Forst, der ihn aufnimmt und einschluckt.
Was geht vor? Till begreift es noch nicht. Da erscheint auf der Böschung
die Montur von vorhin, und man hört sie befehlen und bitten,
überreden und zur Vernunft den Verschwundnen ermahnen.
»Hilfe, Rettung, Kam'rad, denn es geht um mein Leben! Sie haben
Park, Gehöfte und Wohnung umzingelt!« hört Till und erblickt den
Angler, welcher verzweifelten Laufs mit Geschrei auf ihn zukommt. –
»Halt!« – Jetzt sieht er den jungen Soldaten, die Flinte im Anschlag. –
»Kehrt!« – Er wirft sich herum. Und als wär' ihm der Tod auf den Fersen,
läuft der sinnlose Mann wiederum dort hinauf, wo er herkam. –
»Steh! sonst schieß' ich: zum ersten, zum zweiten, zum dritten!« – »So steh doch!
Steh doch! Steh!« schreit jetzt Till, und fast sprengt's ihm den Hals auseinander.
»Steh!« Schon blitzte der Schuß aus dem Rohr, ja, schon krachte ein zweiter –
dann verstummte die Welt, und man wußte nicht, ob sie noch da war.
An das Wägelchen Tillens gelehnt stand der junge Soldat jetzt,
seine Nase war weiß und leichenhaft schmutzig sein Antlitz.
Und als wär' es ihm übel, so stieß es ihm auf. Aus den Winkeln
seines offenen Munds floß der Speichel. Sein Blick irrte hilflos.
»Hoppelpoppel, mein Junge, perlippe, perlappe, was tut das?!«
Und es drehte der Narr sich unzähligemal umeinander.
»Kriegst'n Lob, kleiner Max, und du kommst einen rauf auf der Schulbank!«
Endlich aber versagte der Atem dem kreiselnden Hanswurst.
Und er mußte es sehn, was zu sehn er gefürchtet: es hing ein
unbekleideter Mann mit den Händen am Ast einer Buche,
leicht erreichbar vom Boden und nahe dem Stamme. So hing er
schweigend, ohne ein Wort. Doch nun löste, entkräftet, die eine
Hand sich langsam, sie rutschte herab und hing pendelnd zur Erde;
eine aber hielt fest, wie mit eisernem Willen, indes sich
der halb schwebende Rumpf an dem hängenden Arme bewegte,
bis zuletzt dann die blutende Last auf den Moosgrund herabschlug,
dumpfen Lauts, weit umher, wie Till vorkam, das Erdreich erschütternd.
Und es wandte den Sterbenden um, welcher auf dem Gesicht lag,
Till, der Gaukler, nun zu ihm gelangt, wie, das wußte er selbst nicht.
»Es ist nichts, Kamerad!« rief er laut. »Kamerad, nur ein Streifschuß!«
Ach, da lächelte schrecklich der andre. Es quollen die Augen
ihm voll Grauen hervor aus den Höhlen, sie bohrten den Blick in
Tillens Auge, als gält's, ihm unnennbare Dinge zu künden.
»Bruder! Bruder!« rief Till, und er sah, wie die Lippe des Anglers
sich bemühte, das nämliche Wort, doch vergeblich, zu formen.
Denn der Tod trat ihn an. Heftig hauchte er aus und verschied dann.
Was tat Till? Er gebärdete sich wie von Sinnen. Es kamen
Offiziere, Soldaten und finster dreinschauendes Landvolk,
das, verbissenen Hasses, die Fäuste im Sacke geballt hielt.
Und sie fanden den Toten und fanden den tanzenden Hanswurst,
welcher schrie, so als steckt' er am Spieße: »Mein Bruder! Mein Bruder!
Hör es, Sonne! Und höre es, Wald! Auch du, Erde, vernimm es!
Hört und rächt es, ihr Tiere und Geister des Feldes! Sie haben
meinen Bruder, den Evangelisten des Herrn Herrn, erschlagen!« –
Aufgebahrt im Schlosse war längst nun die Leiche des Schloßherrn.
Und es stieg, purpurglühend und riesig, der Mond aus dem Weiher,
dessen Spiegel teils innen im Tal, teils im freien Geländ' lag.
Immer knisterte noch, wenn auch einsam, das Feuer des Gauklers,
dieses Wichts auf der Gart, aus den Himmeln des Krieges gepurzelt.
Auf drei Beinen, befestigt am Wagen, mit hängenden Köpfen,
standen schlafend die Ponys, indessen das Schnarchen des Brotherrn
aus dem Innern des kleinen Gehäuses vernehmlich hervordrang.
Ob der Karpfen dem Gaukler gemundet, der Fang des Nauarchen,
der die Flagge der Freiheit gehißt auf dem meuternden Schlachtschiff?
Kaum! Oft stöhnte er laut, so, als läg' er wie Blei ihm im Magen.
Ward genächtigt wie hier, so betreute der Pudel die Wache.
Nicht im Wagen natürlich: Prinz ruhte und wachte im Freien,
oder aber er schlief. Doch verstand er zu schlafen auf eine
äußerst wachsame Art oder aber zu wachen im Halbschlaf.
Stieß ihm etwas Bedenkliches auf, nun, so hob er den Kopf hoch,
äugte etwa dorthin, wo ja, wie ihm bekannt war, sein Herr lag,
aber dachte vorerst nicht daran, auch nur leise zu knurren.
Viel verlangte ein Brotherr wie er, und doch gab's keinen beßren.
Und was lernte man alles bei ihm in den Fragen des Anstands!
So: wie hätte ein anderer Pudel sich heute betragen,
als am Seerand der Kerl mit der Peitsche sein dunkles Gewerb' trieb?!
Beinah hätte ich einige Male gebellt vor Verwundrung,
als ihm wieder und wieder ein Tier an der hänfenen Schnur hing.
Oh, ich hasse dies Knallinstrument, wie auf Erden kein zweites!
Schwerer war es mir noch, mich zu mäßigen, als dieser wilde,
nackte Teufel den Brotherrn, tollwütigen Anlaufes, ansprang.
Aber als ich auch nur kaum zu knurren begann: welch ein Fußtritt!
Nun, auch so, ohne mich, ist der Peitscher dem Schicksal verfallen.
Liegt er etwa noch unter dem Baume, am Rande der Böschung?
Wär' nicht vor mir das feurige Riesengesicht, das mich anglotzt,
dem die Zähne im stillen zu fletschen ja schließlich erlaubt ist,
macht' ich wohl, diese Frage zu klären, dorthin einen Ausflug!
Auf den Pfoten den Kopf, lag der Pudel und blinzte den Mond an:
Nein, ich bin nicht so hundegemein, dieses Ding zu verbellen,
wie beschränkte Kollegen es tun und der Vulgus der Hundswelt.
Nur ich wende nicht gern meinen After dem hämischen Monstrum!
Dies gedacht, und in sitzender Stellung, begann er zu gähnen.
Dann erhob er sich ganz. Und er schüttelte sich, um nun endlich
eine Wendung des Halses nach hintenherum zu riskieren.
Damit war es entschieden. Die Nase abwechselnd am Boden
oder aber im Wind, bewegt' er sich gegen den Wald zu.
Was war das? Es erhob sich sein Haar, und er konnte nicht anders,
als die Zähne zu fletschen vor Schreck und verbissen zu knurren.
Und so jach sprang Entsetzen ihn an, daß er heulend zurückwich:
etwas Weißes stand da, wie aus Nebel, gelehnt an den Baumstamm.
Neuen Muts nahm der Pudel es an, wenn auch weiteren Abstands.
Tief und hoch, einmal feig, dann voll Wut, gab er Laut, und zwar rastlos,
boll und boll, er fuhr zu, fuhr, zurück! Und das Echo, es täuschte
andrer Rüden ein Rudel ihm vor, das den Mut ihm vermehrte,
so vermehrte, ihm knickte die Stimme zuweilen und pfiff nur
noch, blieb weg, bis sie dann um so wilder und lauter hervorbrach.
Von dem Lärmen erwachte da Till. Sich die Augen zu reiben,
sich zu räkeln, zu gähnen war nicht seine Art, eh er aufsprang.
Bald drum stand er denn fest auf zwei Beinen und stieß jenen Pfiff aus,
der, durchdringend und schneidend, geeignet erschien, einen ganzen
Hundekirchhof auf einmal ins Dasein zurückzuerwecken.
Doch er ward nicht gehört von dem Pudel vor eignem Gelärme.
Deshalb mußte sich, wohl oder übel, der Gaukler entschließen,
nach dem Rechten zu sehn. Kaum bemerkte der Hund seinen Brotherrn,
als er, sicher geworden, noch wütender bellte und vorstieß,
schlich und knurrte, sich legte, dann wiederum gegen den Wald sprang.
»Wer da? Gut Freund!« sprach Till. Und Gebell und Geheul war die Antwort.
Wohl erkannte der Gaukler die Stätte des Unheils. Im Mondlicht
sah er deutlich zertretenes Gras, und am Stamme der Buche
gleißte etwas, gewißlich ein Tümpel vom Blut des Amfortas.
Till war mehr als beherzt. Er bewies es – wie oft! Doch jetzt fiel ihn
Grauen an, und es schien ihm sein Haupthaar wie Borsten zu steifen:
denn da stand eine weiße Gestalt, unbeweglich, im Mondschein.
Kommt er doch noch zu mir, sein Versprechen zu halten, und lad' ich,
frischbeherzt, nun den seltsamsten Gast meines Lebens zum Nachtisch:
einen Toten? denkt Till. Da mit einemmal ward ihm die Brust frei,
und es fiel ihm der Kanker der Angst von dem zuckenden Herzen.
Die Gestalt nämlich sagte mit ruhiger Stimme: »Grüß Gott, Herr!
Keine Furcht, Herr, ich bin kein Gespenst. Nein, ich bin nur recht trostlos!«
Der es sagte, es war der Soldat, der den Schloßherrn getötet.
An das Feuerchen lud ihn nun Till, und es folgte nicht ungern,
wenn auch seufzend und schwankenden Schrittes, dem Gaukler der Wehrmann.
Lange kam das Gespräch nicht in Gang, ob der Narr auch das Feuer
frisch mit Reisig versah. Dieser brach dann als erster das Schweigen:
»Seid ihr immer noch da, ihr Gespenster des Krieges? Wie kommt das?« –
»Man befürchtet im Schlosse«, so sagte der Mann unterm Stahlhelm,
»von Gesinnungsgenossen des Schloßherrn bewaffneten Zuzug.
Doch ich glaube nicht dran. Bitte, sagt mir doch, was ein Ordal ist!?« –
»Ein Ordal ist ein Gottesgericht!« – »Ein Ordal«, spricht der Graue,
»wäre das, wiederholen fortwährend die Herrn Offiziere,
was sich leider, Ihr wißt, zwischen mir und dem Angler ereignet.
Nun, was tu' ich damit?! Ein Ordal oder nicht, wer denn bringt mich
in den vorigen Stand, als ich noch keinen Menschen ermordet?!
Ich quittiere den Dienst, desertiere auch, wo man mich festhält,
denn ich kann dieses Rohr nicht mehr sehn, das mir hier auf dem Schoß liegt!« –
»Tue das, Kamerad! Warum muß man durchaus ein Soldat sein?
Der Berufe sind viele, und Menschen zu töten ist einer.
Den dein Faustrohr zum Himmel gesendet, er hatte die Absicht,
uns lebendig zu machen, zum Beispiel, im Geist und in Wahrheit!« –
»›Rette Deutschland!‹ das sagte mein Vater«, so fuhr der Soldat fort,
»er ist Rektor. ›Gesindel von Buben und Schurken regiert uns,
hat den Kaiser verjagt und die glorreichen Fürsten entthronet!
Wäre dies nicht: sosehr uns die Welt in den Kot auch getreten,
übermorgen, nein, morgen, nein, heute noch würden wir aufstehn!
Tritt ins Freikorps und geh dem Gelichter mit Waffen zuleibe!‹
Nun, so trat ich ins Korps, und so sitz' ich nun hier, und ich habe
einen Landsmann, der mir keine Feindschaft erwiesen, erschlagen!« –
Armes Kind! dachte Till, noch im Stimmbruch beinah, Rektorstochter
etwa mehr fast als -sohn, sommersprossiger Haut und mit Pickeln
reich gesegnet, die muffigen Dünste des Schulsacks verratend,
wie im eckigen Bau seines dürftigen Körpers den Freitisch.
»Trink!« sprach Till: und er reichte dem Wehrmann ein Glas heißen Weins hin.
Dieser nahm es und trank und entledigte sich seines Schießrohrs,
welches Till mit bedeutsamem Blick von der Seite jetzt ansah.
Ihn bemerkte, den Blick, der Soldat. »Oh, es ist nicht dieselbe
Waffe!« sprach er mit zuckendem Mund und recht nahe dem Weinen.
»Nein, ich habe getauscht, denn ich konnte sie nicht mehr berühren!« –
»Du hast dreimal gerufen«, sprach Till, »solches kann ich bezeugen.« –
»Blutschuld haftet trotz allem an mir, und sie trag' ich durchs Leben!»
Und er schwieg eine Weile. Als aber auch Till sich nicht rührte,
nahm er wieder mit Seufzen das Wort: »Oben sah ich drei Kinder« –
oben hieß: auf dem Schloß –, »man bewacht ihre Mutter. Der Schmerz hat
sie von Sinnen gebracht. Eine Tochter ist dreizehn, ein Knabe
fünf, ein Trotzkopf. ›Soldat, warum hast du den guten Papa denn
totgemacht?‹ spricht der Junge zu mir, und zwar mitten im Schloßhof.
Alles schwieg, und ich konnte doch nicht in die Erde versinken!«
Der Soldat springt vom Sitze, er reißt sich den Stahlhelm vom Kopfe,
wirft ihn fort und versuchet, mit zitternden Händen den Gürtel
abzuschnallen. Er ruft: »Mag das Vaterland retten, wer Lust hat!
Luther wurde ein Mönch, nur weil einst der Blitz einen Freund ihm
an der Seite erschlug. Aber ich, ich erschlug meinen Bruder!« –
»Keine Torheit, Gevatter!« rief Till und umarmte den Wehrmann.
»Du verlierst, wenn du heut desertierest, doch auch nur dein Leben!« –
»Stellt mich doch an die Wand!« rief der Wehrmann. »Ob heut oder morgen,
gilt mir gleich! Es geschieht ja doch sicher am Tage der neuen
Kriegserklärung! Nie soll man mich wieder zum Totschlag mißbrauchen!«
Und den schluchzenden Mann an der Brust, blickte Till über dessen
Schulter weit in die Nacht. Es ergleißte, in gläsernen Scheiben
hoch am Schloßturm gespiegelt, der Mond, dessen kreidiges Antlitz,
nun schon höher gestiegen, voll Ruhe herab auf den Teich sah.
Zu dem gleißenden Fenster hinan glitt der Blick des Vaganten.
Hatte Schlaf wohl Vergessen gebracht der verzweifelten Schloßfrau?
Und die Kinder des Anglers, erregt von dem schrecklichen Vorfall,
sicher sahen sie wohl den Papa, ganz wie lebend, im Traume.
Ganz wie lebend? – Wer war das? – Wer stand dort am Seerand? Wahrhaftig!
Ist dies Täuschung, so ist's, dachte Till, ganz gewiß, daß ich toll bin!
Niemand anders war dort an der Arbeit als wieder der Schloßherr!
Langsam wandte der Tote das Antlitz und lächelte Till an.
Nur Geduld! schien sein Lächeln zu sagen, ich angle noch immer
und, bei Gott, nicht umsonst, Till, du wirst mir gestehen, es lohnt sich,
einen Fisch, so wie den, den du eben im Arm hältst, zu fangen!
Alles träumt, dachte Till, selbst die Kappe, mir scheint es, im Wagen …
weil ein leises Klingling, wie der Laut eines schlafenden Vogels,
Tillens Seele mit seltsamem Zweifel zur Unzeit berührte.
Aber, aber: es stieg in ihm auf, und es würgte nach oben
eine Not, eine Qual, so, als bräche ein schlafender Schacht auf.
Wasser stürzte hervor, aus dem Innern gewältigt, es stürzten
Tränen. »Tröste es dich«, weinte Till, »du hast einen erschlagen!
Viele sind es dagegen, die ich, Till, des Lebens beraubte.«


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