Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das neunte Abenteuer

zeigt Till und die Gule auf der Reise, im Innern des Wägelchens, wo der Narr, allerlei philosophischen Unfug im Kopf, mit halbem Bewußtsein wirklichen Unfug treibt, der sich mit Recht vor dem Lichte des Tages und unter der Plane verbirgt. Das saubere Paar findet sich morgens auf einer vergrasten Straße im märkischen Kiefernwald und trifft hier mit Zigeunern zusammen. Ein gewisser Lips, Halbzigeuner, biedert sich Till an, und es gibt am Abend das einigermaßen romantische Zigeunerlager mit wunderlichen Erscheinungen und Gesprächen am Feuer. Die wunderlichste Erscheinung ist ein Strolch, welchen der Gaukler Naso nennt und so lange reizt, bis er eine Art Lebensbeichte ablegt.

 

Till erhob sich. Er sprang in die Höhe, laut rufend: »Lebt wohl nun,
Freunde! Laßt mich, es ist nur, um Atem zu schöpfen! Lebt wohl nun!
Und ich habe auch so keine Zeit zu verlieren, beim Hunde!
sonst verlier' ich mich selbst.« Gleich darauf schirrte Till seine Pferdchen.
»Liebster, bleibe doch hier in der Arche«, so drängte der Kronprinz,
»draußen ist nichts zu holen fürs erste, dieweil ja die Flut noch
steigt und steigt und dein Wägelchen höchstens ein löchriges Wrack ist!« –
»Eben bin ich geflogen«, sprach Till, »mit den Völkern des Abgrunds;
was verschlägt's, wenn ich nun in die Tiefen der Sintflut versinke?«
Damit sauste die Peitsche, es ruckte der Wagen und rollte
wie verzweifelt dahin, von den keilenden Rößlein geschleudert.
Nur zur Not noch erhaschte die Gule das Ende des Langbaums
mit der Hemme daran, und es glückte ihr, ihn zu erklettern.
Ins Gerümpel des Karrens gebettet lag wieder der Gaukler.
Oh, wie wurde ihm wohl beim Geknister des alten Genistes
und dem Knacken der vier opferwillig sich drehenden Räder.
Von der Erde gelöst, denkt er, seid ihr der Achse verfallen,
ob bewegt oder nicht: berührt ihr die Erde, so lebt ihr,
helft mir, wandernd, zum fließenden Glück meines eigensten Daseins.
Übermüdet, wie tot, lag am Grunde des Wagens die Gule.
Till dagegen, er wachte und sann dem vergangenen Tag nach.
Da war Rausch. Es entstiegen dem Rausche, dem Trunke Gesichte,
denkt er. Nun, das Gesicht ist ein geistiger Sinn. Und Erkennen,
es ist Sehen an sich und nichts weiter. Die Trunkenheit aber?
Ja, beim Hunde! das Große, das Kühne vollbringt man im Rausch nur
und erlebt es im Rausche. So trinke! das Fließende ist es,
was du bist. Und so sauge die Flut, die das Starre dir auflöst.
Bald vernimmst du im Rausche das ewige Rauschen des Urmeers,
Töne! Urmeer des Luftreichs, vermählt mit dem Urmeer des Wassers,
mit dem Urmeer der Seele vermählt wiederum diese beiden.
Symphonien des mächtigsten Meisters der Töne vernimmst du,
solche lösen die Zunge dem All, sie entbinden zur Wonne
alles wehvolle Sein. Und du ahnest die Macht eines Sinnes,
der ein winziges Teilchen nur ist vom Vermögen des All-Sinns,
jenes Alles, darin alles fließet: es ist der Gehörssinn.
In der Weite der Kraft der Erschließungen heut nicht gewürdigt,
hat er Schlüsselgewalt von allmächtig-hochheiligen Welten.
Heil dir, Seher, du siehst! und nicht weniger Heil dir, du Horcher,
der du hörst in der Nacht, wie die Woge der ew'gen Gezeiten
kommt und geht! Till erwäget: Ich hatte Gesichte, warum nicht?
Sage nicht, solches Sehen sei Trug, oder wisse, du sagst nichts.
Denn auch Trug, so gefaßt, ist ein Wort und bedeutet hier Wissen:
wissen das, was man weiß, eben das und nicht mehr und nichts andres.
Rollt im Reiche des innren Gesichtes dir, Freund, nicht das Weltall,
ist es nirgend für dich überhaupt und wo immer vorhanden.
Hoch erhaben ist dieser Gedanke: dir sendet Apollon
seinen goldenen Strahl, mit dem himmlischen Wissen gesättigt,
und dein Auge empfängt diesen Blitz, der das Weltall dir aufschließt.
Zeugend rührt er dich an. Und vom glühenden Quell der Erkenntnis
dringt es brennend in dich und zündet das innere Licht auf,
weckt zum funkelnden Sein die Vernunft, dein hochheiligstes Erbteil.
Also träumte der Narr. Und er sah, wie um Punkte der Starrheit
alles tanzte im Kreis: die Gedanken, die Bilder, das Weltall.
Schnurrend sausten ihm Räder im Kopf wie in einem Fabriksaal.
Bin ich, spricht er zu sich, nicht ein Gott in dem Meinen? Gebiet' ich
nicht allmächtig darin? Solches tat er, zitierte den blinden
Kriegskam'raden, die zimbrische Magd und erweckte den Angler.
Weiter schuf er die Kirche Pachelbels, das Gasthaus Zum Forsthaus.
Ganz gehorsamst erschien auch der Musikus Bach mit dem Schnupftuch.
Stellas Schloß ward erbaut, so daß Innen und Außen ganz eins war,
und die Wälder ringsum und zerklüfteten Tiefen geschaffen.
Doch da ward eine Grenze gesetzt seiner zeugenden Allmacht.
Und sosehr er auch, ächzend, aufstöhnete: »Stella, o Stella!«,
blieb sein Tasten umsonst und die sehnlich Begehrete ferne.
Oder war sie ihm nah? die Magie ihrer brünstigen Süchte?
fuhr es Till durch die Seele, verschrieb sie sich etwa dem Satan,
daß er zwischen die Hörner sie nähme und mir auf das Strohbund
werfe, weil's ihr ein lieberes Bette als Daunen und Purpur?
Und da läge sie nun, in Gestalt der dämonischen Gule,
weil Weihwasser nun einmal Berührung des Teufels nicht abwäscht,
läge da mit geöffnetem Mund, wie von Wollust betäubet,
schlafend, träumend, auch trunken vielleicht, einem Sukkubus gleichend,
seelenlos, doch von brennenden Höllen im Innern gepeinigt,
außen kalt, wie die Rundung des Knies, das ich eben befühle?
Ist mir recht, so verdichten jeweilig die Stöße des Atems
sich zum Flämmchen, das, stechend und bläulich, wie Butter den Stahl schmilzt.
Bosheit fuhr da in Till. Dieses Flämmchen zu trinken, befiel ihn
eine tückisch verwirrende Wut. Doch er hielt sie im Zaume,
einem Luchse vergleichbar, bevor er den gierigen Sprung tut.
Denn er haßte zugleich und verachtete, was er begehrte,
weil es log und nicht war, was es schien, oder nur in Verderbtheit.
Reinheit fehlt ihr. Um Reinheit bewegt sie die schleppenden Flügel,
meine Seele, in Jauche gefallen. Aus Mistpfützen flüchtend,
wie ein Vogel. Und gleich darauf jagt sie der Krähe, wie dieser,
Luder ab oder greift's aus dem Kote mit lüsternen Klauen.
»Luder!« ächzt er, und abermals: »Luder!«, so zwingt ihn ein Dämon.
Doch schon beißt er sich blutig die Zunge, im Zwang sich zu strafen.
»Engel! Wunder des Himmels! des Herrgotts verwöhntestes Schoßkind!«
keucht er dann. »Aber sei's, wie es wolle, ich muß dich besudeln!
Rache will ich für alles Erlittne, für Irrtum und Folter,
Ohnmacht, Wirrsal und peinvollen Wahn. Ja, nun will ich den Wahnsinn,
vordem rastlos bemüht, dieses schwarze Verhängnis zu brechen.
Wahnwitz will ich und Tod!« Und schon würgete ihn eine Schlinge,
als er höher hinauf nun die marmornen Schenkel der Gule
mit den gleitenden Händen erfühlete. Tiefe Betäubung
fiel ihn an. Vielleicht war sie im Tode voraus ihm gegangen;
denn so lag sie, entseelt, von der nächtlichen Reise geschüttelt.
Einerlei: eine Beute trotzdem seiner lechzenden Sinne.
Urmeer, brandest du an, überbrandest du mich? Ja, ersticke
mich, wie immer du willst, nur ersticke mich! sprach es in Till da.
Was Gesicht? was Gehör? Nur ein Sinn ist, so fühlt er: die Tastung.
Warum sollte das Sehen erlaubt und das Tasten verwehrt sein!?
Brüste! Hüften! o Duft! Guterletzt bist es du, der Geruchssinn,
dem die höchsten der Wonnen im Reiche der Götter bewahrt sind.
Schwindet, Sinne, dahin und erwachet im Tode! Ich werfe
alles von mir. Nicht bin ich der Sohn des zerschlagenen Volkes,
bin nicht Till noch ein Mensch überhaupt. Niemand hab' ich getötet,
keinen Ruhm je erlangt, keine Lüge gesagt noch vernommen.
Alles sinkt und versinkt! Und Till stammelte nur noch bewußtlos.
»Was ist los?« fuhr die Gule empor. Doch er hielt sie umklammert,
grausam fest, ein Polyp, und »Trikymia!« lallte er mehrmals.
Nach neun Wogen die erste, die zweite, die furchtbare dritte!
Dieser dritten, ihr kann widerstehen kein Prahm und kein Meerschiff!
Namen stieß er hervor, welche alle die Gule entehrten,
häßlich, garstig, als wär' sie von allem Verfluchten der Ursprung
dieser traurig-nichtsnutzigen Welt! Das erschrockene Mädchen
wand sich, ächzte: »Laß los! du zerbrichst mir das Rückgrat! nicht weiter!
nein! ich sterbe! au! au! Tier, falle mich nicht wie ein Wolf an!
mein Gelenk! du zerreißest mich ja!« Und sie stieß dem Betäubten,
blind Verstörten die Faust in den Mund in verzweifelter Notwehr.
Endlich wurde sie still. Und auch Till wurde still, wie im Tode. –
Till erwachte. Wohin er geraten, er wußte es selbst kaum.
Seine Augen erblickten den Himmel: er lag auf dem Rücken
zwischen Gräsern, gestreckt auf die sonnigste Böschung am Waldrand.
Vor ihm lief eine Straße, die doppelt so breit war als andre,
doch verwildert und außer Gebrauch, nur von einigen tiefen
Räderspuren durchfurcht, die das Fuhrwerk des Landmanns gezogen,
fast versinkend im lockeren Sand. An die Seiten der Straße
drängte Wald nur und Wald. Und auch wo sie im Süden und Norden
ihres graden Verlaufs, einer Masche gleich, schien es, sich abschloß,
überall war der Wald. Sind wir hier, dachte Till, das gefällt mir!
Gerne gehe ich Wege, die niemand mehr weiß. Und nun dieser
hat mich einsam und glücklich gesehn, schon in Tagen der Kindheit.
Rote Kiefern der Mark, meines Geistes stillflüsternde Ammen,
gerne dehn' ich mich hin in den molligen Sand eurer Wiege.
Ausgewindelt zwar bin ich vorlängst und von euch längst vergessen.
Oder kennet ihr mich und beweget den nadlichten Kopfputz,
mich betrachtend voll schwerer Bedenken, als wolltet ihr sagen:
Hat's gelohnt, solchen Lotter, ihr Frauen, mühselig zu päppeln? –
»Komm, du Schweinpelz, und trink deinen Kaffee«, ruft plötzlich die Gule,
die der Narr jetzt erkennt, wie sie hockt und ein Feuerchen anschürt.
»Endlich wache nun auf«, fährt sie fort, »oder stirbst du, dann stirbst du.
Sei der anderen Welt dann gegönnt, Mensch, in welcher du aufwachst.« –
»Jeden Morgen, den Gott der Herr gibt, Kind, erwach' ich in einer
andren Welt sowieso, und die heutige scheint mir der Himmel,
ausgeruht, wie ich bin!« – »Du bist ausgeruht?!« ruft sie. »Nein, wirklich!
Erzbetrüger, Erzlumper, Erzhurer, Erzschuft!« – »Sei bedankt, Kind,
für dein kerniges Deutsch, das wie Spaten und Scholle mich anspricht.
Sag Erzkanzler, Erzbischof, Erzpriester, Erzschenke, Erztruchseß!
Alles war ich und bin ich noch heut am allmächtigen Hofhalt
des unsterblichen Herren, Herrn Königs und Kaisers der Narrheit!
War ich toll, nun, der Wahnsinn erlöst! Also schweig von dem Unsinn,
wenn ich schon es nicht weiß, was du meinen kannst, Gule! Sic dixi!
Was es immer auch sein mag, es hat mich verjüngt, ja erneuert.
Wälzen möchte der Narr sich in Timothee, Kammgras und Knaulgras,
Wiesenrispe, Hainsimse: ein fröhlicher Esel, wie niemals!«
Und Till tat es, umarmte die Erde, den Wald seiner Kindheit,
ihn, Wald Melme, der überall ist, wo die Woge der Jugend
morgenselig die Nacht überrollt. Hierauf spricht Till: »Komm her, Kind!
Tat ich übel an dir ohne Wissen, so will ich's jetzt büßen.« –
»Quatsch!« erwidert die Dirne. »Iß Käsebrot! trink deinen Kaffee!«
Trippelnd bringt sie ihm beides herbei, wie ein kindliches Englein,
lieblich, barfuß und leicht nur verhüllt, aufgelöset das Goldhaar.
»Her damit!« sagt der Narr und erquickt sich beim Zuruf des Kuckucks
und beim Krächzen der zankenden Krähen im Wipfel des Eichbaums.
Birken stehn beieinander, wie Mädchen mit offenem Haupthaar,
hier zu zwein, dort zu drein, sich vom kommenden Tanz unterhaltend,
leis sich wiegend bereits, in Erwartung, voll launischer Anmut.
Ach, Till liebt sie, die Birken, den Duft ihrer wehenden Schleier.
»Gule«, spricht er, »du kamst wie die Hamadryade, so lieblich,
einer dieser, ich meine der Birken, und so voller Unschuld.« –
»Unschuld? noch was! so blöd!« spricht die Gule. – »Ja, Unschuld, warum nicht?«
wieder Till. »Liebreich war's, daß du nachts meine Unart geduldet.
Waschen ist ein Geschäft, das des Morgens ein jeglicher tun muß.
Nun, du hast es getan und bist rein, und dein Atem geht rein, Kind.
Denk an gestern, doch nicht an den Staub, der dich gestern beschmutzt hat:
dran zu denken beschmutzt. Denke neu, denke rein, und so bist du's,
was auch hinter dir liegt, dekretiere ich, Till! Somit: dixi!« –
»Wilder Mensch!« sprach die Gule. Ein Klaps rührte Tillen die Wange.
»Was denn wäre geschehn?!« so entrüstet er sich. »Etwas Gutes
oder nichts. Was auch immer, mir ist es entschwunden.
Doch es hat mich gestriegelt, gebadet, gewaschen, gereinigt,
mich geladen mit fröhlichem Mut und mit lustiger Tatkraft.
Fast zerberst' ich davon! Ich muß schreien und jauchzen, vergib mir.«
Till erhob sich und floh in den Wald, wo er tat, was er sagte.
Nicht gescheit ist der Mensch, denkt die Gule, indes seine Stimme
fern und ferner verhallt. Er verläßt mich hier, mitten im Walde.
Meinetwegen, wir werden ja sehn! faßt sie dann in Geduld sich.
Doch ein Weilchen vergeht und ein neues, ein Stündchen, ein zweites,
im Zenite bereits steht die Sonne – sie wartet vergeblich,
bis er endlich am Abend zurückkehrt. Es hatten Zigeuner
sich nicht ferne gelagert, es schmauchten bereits ihre Feuer.
Scheinbar war das Gesindel gewillt, hier im Forste zu nächt'gen.
»Nun wahrhaftig, 's ist gut, daß du kommst«, sagte bitter die Gule,
»denn ich hätte für mich nicht noch auch deinen Kram können gutstehn.«
Braune Rangen, halbnackte, umstanden den Wagen des Gauklers,
jede Diebstahl im Blick und begierig, was unter der Plane
sich verbarg, zu erspähn. Mehrmals hatte bereits auf den Trab sie
Prinz, der Pudel, gebracht. Doch man scheucht ja auch Fliegen vergeblich.
Und sie standen der Fliege nicht nach an zutunlicher Frechheit.
»Till, gib Obacht«, so warnt ihn das Mädchen, »es sind in der Bande
rüde Teufel, bei Gott! Zuzutrauen ist ihnen das Schlimmste.
Einer war bereits hier, spionierenderweise. Er fragte,
wer, wie viele wir seien, woher wir wohl kämen und ob wir
wohl, so holt er mich aus, auch zu ihrer Art Leute gehörten.
Darauf log ich ihn an, ihrer wären wir fünfe: vier Männer
und ein Mädchen. Das Mädchen sei ich, die er eben hier sähe.
Till, da lachte der Gauner und paffte verdoppelten Qualm aus,
machte kehrt, spuckte aus und rotwelschte: ›Da ist ja der Spucknapf
voll.‹ So trollt er davon, dieser Hundesohn, dieser verdammte.« –
»Steht es so«, sagte Till, »nun, so spüren wir wieder das Dasein.«
Menschenfurcht war ihm fremd. »Laß sie machen. Mich hungert und durstet.«
Damit zündete Feuer der Gaukler, und beide gemeinsam,
so die Gule als er, sie bereiteten eifrig die Mahlzeit.
Dafür hatte im Waldsee der Landschelm sich Brassen geangelt.
»Ist es der?« fragte Till, als sie schmausten, die Gule, dieweil ein
schwarzer Kerl sich nicht weit von dem Feuerchen niedergelassen. –
»Nein, der nicht.« Und da schollen auch schon diese Worte herüber:
»Euch umdüftelt ein guter Geruch. Falls ihr nicht allzu knapp seid,
nähm' ich gern etwas Tabak von euch mit ergebenstem Dank an,
spräch' auch gerne mit andren einmal wiederum als Zigeynern.« –
»Komm heran! Kraut genug für uns alle besitz' ich im Vorrat«,
rief da Till. Und sofort saß der Nachtgast im Scheine des Feuers.
»Lips! ich nenne mich Lips, und so nennt mich die Bande.« – »Schön'n Dank, Lips!«
gab den Worten des Fremdlings der kauende Gaukler zur Antwort. –
»Und wie soll ich dich nennen? Du willst mir's nicht sagen?« – »Warum nicht?
Oh, ich sag' es dir gerne: du irrest nicht, wenn du mich Till nennst«,
so der Gaukler, und weiter: »Du bist mir für einen Ägypter
nicht genügend, Freund Lips, in der südlichen Sonne geröstet.« –
»Das mag sein«, sagte Lips, »aber immerhin bin ich doch Halbblut.« –
»Schlimm!« spricht Till, »denn so hast du wahrscheinlich die Deinen verlassen,
Weib und Kind, weil hundsäugiges Volk dich ins Weite gelockt hat.
Und nun bist du verschollen und treibst dich herum mit dem Diebspack?«
Der Gescholtene lächelte fein und mit kindlichem Ausdruck.
Er war bleich und war schmal. Und er sprach: »Es mag sein, daß du recht hast.
Doch was geht es mich an?! Warum lebe ich? Weil ich nicht tot bin!
Hier und da tut's ein Mädchen mir an: alles andre ist Quarkspitz.« –
»Iß und stärke dich, Bruder, und fahr einen Schwarzwälder Kirsch ein!
Lips klingt übel. Erlaubst du, so nenn' ich von jetzt ab dich Quarkspitz,
denn so fasse ich gleichsam am Henkel den Topf deiner Weisheit!«
Bald gerieten ins Plaudern die Vagabundierer. Till merkte,
Quarkspitz war nicht so jung, als er schien, und er schien etwa siebzehn.
»Nein, ich war nicht Soldat«, gab er Antwort, als Till darum fragte,
»warum sollte ich auch? ich umging immer gerne den Schlachthof.
Tiere schaudern ja doch, wie man sagt, wenn ihr Weg dort vorbeiführt.
Manche lieben ihn ja, und wir brauchen ja schließlich auch Metzger.
Mir wird übel auf Meilen entfernt, wenn der Wind nur dahersteht.
Tiere töten, man frißt sie, das seh' ich wohl ein. Aber Menschen?
Da ist hier ein Geschöpf, Gali Minsch, das mich in der Gewalt hat.
Ihren Bruder auch nur mit der Hand zu berühren, vermeid' ich.
Raubmord scheint ihm erlaubt. Er verübt ihn, sofern ihn der Mangel
dazu zwingt, wie er sagt. Bikaneskero heißt er, dort steht er.
Mangel, Not, das sind immerhin Gründe für solch einen Viechskerl.
Nicht für mich, denn ich weigere mich, eine Henne zu schlachten.
Als der Arzt meinen Leib untersuchte, da sagt' ich: ›Warum denn?
Unbesehen erklär' ich mich tauglich.‹ Es frißt ja der Fresser
Tod das Kranke bekanntlich viel lieber und mehr als Gesundes.
Kalium hatt' ich geschluckt, und es puffte mein Herz übermäßig.
Unfreiwillig-freiwillig gehungert, das hatt' ich recht lange.
Doch ich sprang in die Luft, und ich jauchzte: ›Ich habe die Darre,
weil mich die Sehnsucht verzehrt, einem Feinde den Bauch aufzuschlitzen.
Kerngesund ist mein Herz, höchstens hüpft es und springt es vor Mordlust.‹«
Quarkspitz schmunzelte süß und betrachtete fein seinen Gastfreund,
dessen Feldgrau ein wenig zu kitzeln sein heimlicher Spaß war.
»Nun, du hast ja kein Vaterland, biederer Quarkspitz!« sprach Till da,
weiter nichts. Und der andre: »Ich glaube beinah, daß du recht hast.
Nun, man jagte mich fort, ja, ich wußte nicht, wie ich hinauskam.
Kleiderlos stand ich da, dann erst flog mir mein bißchen Gelump nach.«
Quarkspitz lachte. Sein zartes Gesicht war zum innigsten Glücke
aufgeheitert. Er sprach: »Dieser Augenblick war wohl der schönste
meines Lebens. Und nie hab' ich vorher und nachher ein gleiches
überfrohes, bildschönes Gefühl des Triumphes empfunden.
O wie dankte ich Gott, der die Burschen durch mich so genasführt!
Denn nun braucht' ich nicht töten. Klippschüler des Mordes zu werden
blieb somit mir erspart. Ich war frei. Ich war ich. Offnen Blickes
konnt' ich treten vor Gott und vor Menschen. Ich hatte als Sieger
vor mir selbst und dem Guten, wie ich es verstehe, bestanden.
Trocknen Fußes, ein göttlicher Sprung trug mich über den Blutstrom.
Für die Lahmen und Blöden war scheußlicher Krieg, für mich nicht mehr.
Und was tut es, so dacht' ich, wo schließlich ja eine Granate
vierzig Menschen zerreißt: so zerreiße sie nun neununddreißig.« –
»Ich belache, du siehst, was du sagst«, so erklärt der Vagant drauf,
»doch ich tu' es nicht gern, hast du doch deine Weisheit zu kampflos.
Ohne Pflicht kein Gericht, kein Gesicht in der höheren Menschheit.
Und ein Lassen ist nichts, wo kein ehrliches Tun ihm vorausgeht.« –
»Ich bin ich, das ist wenig genug.« Solches sprechend, streicht Quarkspitz
einen Strähn aus der Stirn, der ihm, rauchschwarz, das Auge verdunkelt:
»Ich bin ich, das ist wenig genug, und bin nicht die Gesellschaft.
Diese geht mich nichts an, und sie denkt so wie ich, wir sind einig.
Niemals hat sie um mich sich bekümmert. Sie lehrte mich malen
durch die farbigen Flecken, womit sie die Haut mir bedeckte,
je nachdem sich als Pinsel der Faust und des Fußtritts bedienend.
Hungern lernt' ich von ihr und, vermittels des Hungerns, das Stehlen.
Doch ich stahl nicht nur eßbare Dinge, ich stahl die Natur mir,
stahl die Reinheit der Luft und die rauschende Freiheit der Wälder,
stahl die Schönheit mit Farbe und Stift, wo ich immer sie antraf.
Bücher stahl ich und habe so manches von ihnen verschlungen,
hinter Hecken versteckt: und doch bin ich ein Stümper in alldem.
Stehlen muß man. Was muß man nicht stehlen, sofern man's besitzen
will. Sie stehlen ja alle, der Staat, wie man weiß, an der Spitze.
Er betrügt und borgt Geld von dem ärmsten Zigeuner. Den Schuldschein
stellt er aus in umständlicher Form, jede Sichrung versprechend:
und mit Gleichmut zerfetzt er ihn dann, das Vertrauen mißbrauchend.
Ich verachte den Staat und bekämpfe den Räuber. Der Diebstahl
ist mein Recht gegen den, der mich zynisch bestiehlt und mich ausraubt.
Und so hab' ich mein Leben mir ohne Bedenken gestohlen,
wie Odysseus es tat in der Höhle des wüsten Kyklopen.
Und sein Recht, es zu tun, Herr Soldat, wird wohl niemand bezweifeln.
Hatte doch der Kyklop bereits viele Genossen gefressen
und war willens, den göttlichen Dulder, wie sie, zu zermalmen
mit dem blut'gen Gebiß. Und was sind die Genossen des großen
Eulenspiegels der See im Vergleiche zu jenen Millionen,
die der scheußliche Staat kannibalisch soeben zermalmt hat?
Nein, ich bin nicht sein Fraß, nicht sein Schöps noch sein Kalb oder Mastschwein.« –
»Trink!« Till reichte dem Sprecher die goldene Schale voll Weins hin.
»Vieles hast du gesagt und dir selber entwirrt. Mich verwirrst du.
Was du sagtest, ist wahr. Ja, ein roher Demant mag, im Innern
deiner Wahrheit verborgen, den Tag seines Leuchtens erwarten.
Doch du sprichst nur Vernunft, und die Unvernunft ist meine Herrin
Dulcinea, ich bete sie an. Trink drum ihre Gesundheit!«
Kolben hatte der Schalk sich gebrochen im Röhricht des Waldsees.
Lampenputzern vergleichbar, bewegte er sie mit der Linken:
»Kennst du, Quarkspitz, vielleicht dies Symbol, das in Sümpfen verehrt wird?
Wenn der Gott dich mit ihnen berührt, so ergreifet dich Narrheit,
jene heil'ge, die Buddha und Jesus dereinstens ergriffen,
Mohammed übermocht, seiner Gottheit die Welt zu erobern.
Ihn empfand ich am Anfang des Kriegs. Und indem ich hinauszog,
ward ich heilig berührt und verzückt, während du nur ein Stock bliebst.
Dennoch schaudert's mich fast, wie so nah deine Wahrheit auch mir kommt
und mein eignes Gesicht mir verzerrt aus dem deinen zurückschlägt.
Doch was gibt's?« unterbrach sich der Gaukler und blickte sich rings um.
Hinter ihm stand ein blonder Zigeuner, athletischer Bauart,
Hemd und Hose, vielfältig zerlumpt, um die Hüfte geriemet,
ein gefährlicher Kerl, der die qualmende Pfeife ins Maul kniff.
Tückisch funkte sein Blick über lupuszerfressener Nase.
Was bewog ihn indes, Tillens Haar mit der Rechten zu streicheln?
»Bikaneskero ist es«, sprach Quarkspitz. Das flackernde Feuer
gab gespenstisches Licht und der Mond, der blutrot überm Wald stand.
Um die Wägen des wandernden Volkes war Lärm und Bewegung.
Betten warf man heraus und hinein, vollgestopft mit den Daunen,
von gestohlenen Gänsen gerupft, und man hatte viel Arbeit.
»Was denn hat eure Zunft dort zu schaffen mit Springen und Schimpfen,
Armewerfen und Zerren und Weisen gen Himmel?« – Spricht Quarkspitz:
»Heut ist Vollmond, da wird ihm ein Hund von der Horde geopfert.« –
»Heidengreuel!« spricht Till, und er pfeift seinem Pudel, der anjächt.
»Gott sei Dank bist du da.« – Bikaneskero sagt: »Er muß schwarz sein …«,
und spuckt aus, »rabenschwarz, sonst erzürnt man die Mutter des Himmels.«
Till betrachtet den Kerl, der ihn also beruhigt. Da steht er
aufgepflanzt, mit der weichenden Stirn und den mächtigen Kiefern,
er, von welchem das Halbblut gesagt, er bekenne den Raubmord.
»Freindchen«, sagt er, »nix da! keine Teufeln. Wir sein gute Christen.
Wo ein Kirch ist, wir gehen zur Beichte und beten die Mess' an,
immerfort machen Kreuze, vor Essen, vor Schlafen, und holen
Priester, wo einer sterbt, und wir geben viel Gold aus for Ölung.
Fromme Christ!« Und er zeigt seinen Arm mit dem blauen Geäder,
drauf in bläulichen Punkten erkennbar, gestochen, der heil'ge
Kruzifixus erscheint. Und Till wendet sich ernsthaft: »Wer lacht da?«
Niemand lachte. Allein, wie im Hui war ein Ding schon im Gange,
das noch keiner begriff; denn man glotzte nur zu und blieb sprachlos.
Nicht so ruhig verhielt sich Freund Till, denn allmählich begriff er,
daß die Gule von einer Zigeunerin übel verbleut ward.
Wie der Falke sich stürzt auf die Tiese und dann mit ihr umspringt,
ehbevor er sie kröpft, also war diese tolle Preziosa,
Haargewölke rauchflatternd ums Haupt, mit der Gule beschäftigt.
Tillen ging das zu weit, und er rief dem Gebalge ein Halt zu.
Dieses Halt wirkte gut. Es bestand noch vom preußischen Dienst her
und sistierte den Strauß auf der Stelle, was überaus not tat;
lag die Gule mit blutender Nase doch, bleich und wie tot, da.
Unter wildem Geheule von Prinz und noch lautrem Gezeter
Preziosens betreuete Till die Besiegte. Er trug sie
in den Wagen, er bettete sie, und er flößte ihr Wein ein.
Und sie wußte nicht, als sie erwachte, was mit ihr geschehn war.
Plötzlich fiel es ihr ein. Und im Augenblick, als es ihr einfiel,
ward sie fahl im Gesicht, wie gestreifet von tödlichem Pesthauch,
drängte Tillen zurück, und nun stand sie schon außen am Wagen.
Während alledem hatte gerast und es raste noch immer
Preziosa. Es galt ihr entsetzliches Schreien dem Quarkspitz,
welcher aber es äußerst gelassen und schweigend geschehn ließ.
Eifersucht war der Ursprung des Zeterns und war auch sein Thema.
Denn es hatte die Gule ein Auge auf Quarkspitz geworfen,
ihm zur Seite sich niedergelassen und mit ihm gefingert.
Gali Minsch war der Name der Furie bei den Zigeunern.
Blind vor Schmerzen und Haß, übersah sie jetzt ganz ihre Feindin,
die ihr unter den Blicken besinnungslos-wütig herankam.
Zappelnd fiel Gali Minsch: Gulens Hände umschnürten den Hals ihr.
Und man sah es sofort, daß sie nun vor dem Ende nicht losließ,
wenn nicht stärkere Macht die Verkrampfung der Finger ihr löste.
Lange standen nunmehr ringsherum die Zigeuner parteilos,
diesen Zweikampf nicht anders, als kämpften zwei Hahnen, betrachtend.
Endlich trennten die keuchenden Weiber der Gaukler und Quarkspitz.
Darauf ward nun entbunden der Wortschatz der Safrangelockten:
»Hure«, schrie sie, »behalt deinen Kerl! Haderlumpen wie dieser
sind als Schuhwisch mir noch zu verlaust.« Und so schimpfte sie weiter.
Quarkspitz schmunzelte still, seine Pfeife sich stopfend. Er horchte,
aber nicht auf die Gule, wie's schien, sondern auf etwas andres:
fernes Rauschen zuerst, welches lauter und lauter heranschwoll,
bis ein wildes Getöse die Stimmen verschlang und dann hinschwand.
»Gestern lief er noch nicht!« sagte Quarkspitz; er meinte den Schnellzug,
denn ein solcher war eben lichtstrahlend vorübergedonnert.
Und dort gleißten ja auch wohl die Schienen, dort lag ja der Bahndamm.
Till erwägt: Wer wohl hat nun gesiegt? Der allmächtige Sattler,
wie mir scheint, hat den Leichnam des Reiches zum Leben erwecket.
»Gali Minsch ist zu laut, Bikaneskero!« sagte jetzt Quarkspitz.
Die Zigeunerin hatte nun auch wieder Stimme bekommen.
Doch da schwieg sie sofort unterm furchtbaren Blicke des Mordkerls,
kroch ins Dunkel zurück und verschwand im Gerümpel des Lagers.
Vetteln kamen heran, die wie diebische Raben sich lauernd
niederhockten im weiteren Umkreis des Tillischen Wigwams.
Ein Zigeuner erschien, fast so bleich und so weich wie der Christ selbst
anzuschaun, welcher silberne Ringe, weiß blinkend, im Ohr trug
und die Geige im Arme. »Wie wäre es, wenn du Musik liebst,
mein Herr Feldgrau, so hätt' ich ein Cimbalo unter dem Strohsack«,
sagte Quarkspitz, »und er mit der Geige bewinselt die Mondfrau.
Herzog, setze dich her! Du mußt wissen, er ist unser Herzog,
als der Herr über Leben und Tod von der Horde gefürchtet,
und die Horde ist groß und im ganzen Europa verbreitet.« –
»Schweig und schwafele nicht!« Drauf begann er zu spielen, der Herzog,
wie ein Zaubrer, ein Gott. Und er schritt hin und wider am Feuer,
ohne Till einen Blick nur zu gönnen und sonst irgend jemand.
Hie und da unterbrach er sein Fiedeln und warf in das Feuer
weißes Pulver. »'s ist Salz!« sagte lächelnd zu Tillen Freund Quarkspitz.
»Salz ist mächtig. Die Hexe nicht noch auch der neunmal verfluchte
böse Blick, sie vermögen dawider sich je zu behaupten.« –
»Ich bin Scharfrichterknecht!« sprach ein Mensch, der nicht ferne im Sand saß
und von schrecklich verbeuleten Füßen die Lappen sich loswand.
Bikaneskero zuckte zusammen. Er hatte vor Till sich
hingelümmelt ins Gras, unablässig den Gaukler betrachtend.
Die hinschmelzenden Läufe und Triller des Herzogs verstummten,
abgeschnitten von einer Gebärde des leichten Erschreckens.
Eben wollte sein Cimbalo Quarkspitz zum Leben erwecken,
als das heiser gegrunzte Bekenntnis des Stromers ihn lähmte.
Tillen aber ergötzte der Schreck, der das Gaunergesindel
bei dem schaurigen Worte durchfuhr, und sein lautes Gelächter
zeigte Quarkspitz und seinen Genossen, wie sehr man durchschaut war.
»Ich bin Scharfrichterknecht«, wiederholte der Stromer, »doch bitte
keine Angst dieserhalb! denn ich lebe schon lange im Ruhstand.
Wenn ich hier bin, ich führe wahrhaftig nichts Böses im Schilde,
höchstens lockten die Feuerchen mich und die feine Gesellschaft
und, ich gebe es zu, eine schimmernde Hoffnung auf Branntwein.« –
»Sprich, verehrtester Freund«, sagte Till, »wo denn hauset der Färber,
der die Iris bestahl, daß sie farblos am Himmel herumirrt?
Dieser Schelm, dieser Dieb soll die Nase wie deine mir färben!«
Und es grunzte der Strolch. Till indessen fuhr fort: »Deine Nase
läßt mein Auge nicht los, edler Freund, sie ist blau wie der Himmel,
funkelnd grün wie der schönste Türkis, und sie brennt wie das Frührot.«
Der Gefoppte erwidert: »Mein Färber, du Gründling, heißt Branntwein.
Und ich gebe ihm Arbeit, beim Henker! solange das Geld reicht,
dir zum Ärger, Halunke, und kriege darüber die Gelbsucht!« –
»Gut! so sage mir weiter; Wer hat deine Nase gebildschnitzt?
Meisterwerke derselbigen Kunst hab' ich manche gesehen
in den Domen zu Xanten und Kalkar am unteren Rheinstrom
und auch sonst in den Städten und Kirchen von Flandern und Holland.
Aber keins, das sich irgend mit diesem zu messen vermöchte,
deiner Nase, die ganz ohnegleichen im Reiche der Kunst ist!«
Da erhob sich der Strolch und zugleich mit der Rechten den Stiefel,
den er eben vom Fuße gezogen, und glotzete Till an.
Unbeirrt fuhr Till fort zum Befremden des lichtscheuen Völkchens.
»Sei gepriesen, du Mann mit der purpurnen Nase«, so sprach er,
»sei gepriesen zugleich ihr unsterblicher Färber und Bildner!
Göttlich war er gewiß, da ja menschliche Kunst hier nicht ausreicht.
Und so quält der Gedanke mich sehr, im besondren zu wissen,
welcher Tag von den sieben der Schöpfung im Haupte des Schöpfers
den Gedanken zu dieser gewaltigen Warze erzeugt hat.«
Hierauf wandte der Strolch sich von Till ab und zuckte die Achseln.
Riesenhaft war der Mann und zerlumpt, dabei starrend von Unflat.
»Naso taufe ich dich«, sagte Till, »nach Ovidius Naso!
Dessen Nase erbleicht und verschrumpft, mit der deinen verglichen.« –
»Höre auf mit der Nase, du Hund, oder mach deine Rechnung
mit dem Herrgott!« so spricht da in bebendem Zorn der Verhöhnte. –
»Mensch, du wärest ein Turm, heute bist du ein Haufe von Schutt nur.
Nur sofern du den stehengebliebenen Erker der Nase
selbst besteigest, vermagst du, Zerstörter, dein Einst zu erkennen.
Drum verkenne mich nicht, mein Herr Knipselaus, Edler von Knackfloh!
denn ich ahne in dir, in dem Löwen der Gosse, den Löwen
Gottes, dessen gewaltiger Ruf einst die Höllen erschreckt hat.«
Wieder glotzte der Strolch. Doch dann sprang ein Geheul aus der Brust ihm,
ähnlich dem, das ein Hund, an die Kette geschlossen, hervorstößt,
der auf niedergebranntem Gehöfte verlassen zurückblieb.
Was tat Till? Der Gesell warf sich hin zu den Füßen des andern,
die er streichelnd berührte, und regte zugleich mit der Linken
etwas, das ein Geklingel, gleich einem Bund Schellen, erzeugte.
Danach sprang er empor, unterstützte den eben Verhöhnten,
ließ ihn sanft auf die Böschung herab in der Nähe des Wagens
und begann, ihn auf überaus freundliche Weise zu trösten.
»Wie man's anfängt, ist's schlecht«, sagte Till, »und so fängt man es schlecht an.
Bruder, gib mir die Hand, und vergiß es nicht, daß ich ein Christ bin!« –
»Keine Sorge«, so brummte, schon wieder begütigt, der Storger.
»An mir liegt nichts. Ich bin auch nur selten dermaßen empfindsam.
Doch du trafst mich an Stellen, die sonst keinem Menschen bekannt sind.
Trotzdem hole nur aus meinethalben und prügle mich nochmals!
Etwas Beßres verdiene ich nicht, und so eigentlich niemand.
Aber nenne dich nicht einen Christen! Denn wenn einer das tut,
peitscht er auf mein vergiftetes Blut, und ich falle in Hundswut.
Hast du doch nicht mit Unrecht gespürt, was dereinst mein Beruf war:
ein Bekenner zu scheinen und Christum dem Christen zu lehren.
Beides aber ging fehl. Und so wahr der Herr Christus im Himmel
thronet, ebenso ist es gewiß, daß auf Erden kein Christ wohnt!« –
»Willst du Schnaps?« fragte Till. »Es ist solcher noch reichlich im Wagen.« –
»Ja, gib her, wenn du hast«, spricht der Mann, und der Gaukler bedient ihn.
Wunderlich war die Nacht. In des Heiligen Römischen Reiches
Streusandbüchse sind Nachtigallpärchen in Menge geraten,
etwa so wie die Fliegen ins wirkliche gläserne Sandfaß.
Diese sangen vom unfernen See her, sie sangen aus Büschen
einer sumpfigen Lichtung im Wald, die ein schwarzes Gewässer
träg und schweigend durchschnitt. Ja, ein Sängerstreit, schien's, war im Gange.
Dahinein klang, wildweinend, zuweilen die Geige des Herzogs
und, von Quarkspitz mit Hämmern gerührt, das Zimbal. Das Hengstlein
Gift von Tillens Gespann schrie zuweilen; es richtete Streit an,
und die magerste Stute der lichtscheuen Zunft war imstande,
sein empfindsames Herz mit den Flammen der Lust zu entzünden.
Gali Minsch hatte Freundschaft geschlossen und sprach mit der Gule.
»Mädchen, geh mit Zigeyner und heirate Graf oder Herzog!
Unsre Leit gute Leit! Bist gemacht und hast Essen und Goldschmuck.«
Aufgestört war noch immer der Schwarm in der Nähe der Wägen,
schleppte das, schleppte jenes, entzündete Fackeln und trat sie
wieder aus. Manchmal gab es bereits einen kleineren Waldbrand,
der sogleich, mit Gelärm' und Gelächter, durch Trampeln erstickt ward.
Ist's Stechapfelgedünst, das den Kopf mir verstört? denkt der Gaukler.
Denn ich spinne bereits, ist Walpurgisnacht längst doch vorüber.
Dabei löste der Rost mehr und mehr sich vom Schlunde des Storgers,
und er sprach vielerlei, was aus Weiten und Tiefen ihm zudrang.
Hatte Till es geahnt, daß der Bursche ein wandelndes Grab war,
als er, grausamen Hohns, seine scheußliche Nase verhöhnte,
wie man Siegellack träuft auf die Brust von vermeintlich Verstorbnen?
In dem Grabe war Leben geweckt jedenfalls, und es taten
seine Kiefer sich auf, um betäubenden Dunst zu entlassen.
Naso trank und bewegte die Arme und fragte: »Was war ich?«
Ebenso in pathetischem Baß gab er selbst sich die Antwort:
»Ein Prophet! Nur ein kleiner natürlich, das ist ja ein Pastor!
Ich studierte zu Leipzig, zu Bonn und zu Jena mit heißem
Eifer Theologie, denn ich hörte in mir eine Stimme,
seit ich mannbar geworden, die täglich und stündlich mir zurief:
Sei Bekenner! Apostel! Den Spuren des heiligen Paulus
folge nach und verwirkliche so das Reich Gottes auf Erden!
Diese Stimme ward bald übertönt von den nüchternen Stimmen,
die mit tausenderlei hochgelahrtem Geräusch mich belehrten.
Keineswegs über mich und den Gott, der im Innern mir ruhte,
über Schriften vielmehr, die er einstmals den Juden diktierte.
Schnaps, nun ja«, fuhr er fort, »ein Prophete und Schnaps, wie verträgt sich
das? ein Werkzeug des Herrn, ein Bekenner und Schnaps? Nun, warum nicht?
Sie sind trunken! So schrieen die Juden, als damals um Pfingsten
die Apostel von Christo mit Zungen zu zeugen begannen.«
Naso trank und fuhr fort, mit der heiseren Stimme des Storgers
bald und dann wiederum mit pastörlich-pathetischem Anlauf,
polternd jetzt und dann wiederum gradezu dröhnend und donnernd,
so, als gält' es, die Bäume der Wälder der Mark zu bekehren:
»Schnaps, so viel ich davon nur erhalte, ich gieß' es herunter,
denn es macht mich zum besseren Menschen. Beim Salz und beim Öle
schwör' ich's euch, die ihr mich als nichtsnutzige Gelbschnäbel anglotzt.
Mohammed schwur beim Himmel, bei Wasser und Salz, bei dem Geiste,
bei der Erde und bei den Gewölken, den Winden, und Gott weiß,
wieviel Schwüre er brauchte, damit seinen Lügen geglaubt ward.
Glaubt es mir oder nicht: meinethalben ich schwöre beim Kuhschwanz.
Ich bin nichts als ein dämpfiger Gaul, den der Hintern des Schinders,
einem Hammer vergleichbar, zerpaukt, der zur Abdeckerei ihn
reitet und ihn fortwährend verbleut mit dem dicksten der Prügel.
Fehlt mir Schnaps, nun, so muß ich aufheulen vor Schmerz und Verzweiflung!
Hab' ich aber ein Viertel in mir, liegt der Schinder im Dreck schon.
Nach dem zweiten beginnen die Schwäre am Leib mir zu heilen!
Nach dem dritten entfleucht aus der Brust mir der stinkende Satan,
der mit Zangen den Bauch mir zerkneift und das Herz mir zerfetzet,
meine Kinder, die Waisen, mein Eh'weib, die Witwe, mir vorzeigt,
wie sie hungert und friert und für wenige Batzen sich hingibt.
Martern ist seines Amts, er vollzieht seinen himmlischen Auftrag.
Oder gibt's einen besseren Treiber der christlichen Schöpse?!
Oh, sie stürmen die Tore der ewigen Seligkeit, blökend
vor Entsetzen und sinnlos vor Qual, von dem höllischen Schäfer
Himmelhund, dem verdientesten Knechte des Höchsten, getrieben!«
Naso rülpste gewaltig. »Ich werde zum besseren Menschen!«
schrie er, rülpste dann doppelt so stark und fuhr fort: »Schon Spinoza
spricht es aus, daß es Freude allein ist, durch welche die Seele
sich vollkommener macht. Freude dringt aus der Flasche ins Blut mir.
Nüchtern, lästre ich Gott, doch ich lob' ihn, berauscht, voll Verzückung.
Heisre Schreie, die Podagra mir entpreßt, bin ich nüchtern,
sie verwandelt in heilige Flammen des Herzens der Rausch mir.
Und ich weiß, daß mich Gott keinesweges vergaß und allein ließ
in den Höllen der Welt, sondern daß er mich liebt wie ein Vater,
alles herrlich im Sinn hat mit mir und zum besten hinausführt.
Gründlingsvolk: ach, wie lach' ich da oft im Gedränge der Großstadt,
wenn auf Gummi der Schieber vorbeifährt. Noch jüngst überfuhr mich
eine Dame, in Marder gehüllt. Ich schlug lang auf die Straße.
Leute strömten, der Wagen hielt an, und man wollte sie lynchen.
Zähne fehlten mir drei oder vier, und ich fühlte ein Rinnsal
Blutes über die Nase herab, noch im Munde die Zähne
zwar, doch nur wie Bonbons, die ich, innerlich lachend nur, ausspie.
Trotzdem trat ich alsbald zu der Dame, verneigte mich mehrmals,
wies den Pöbel hinweg. Ich bemerkte, sie zückte die Börse.
›Nein!‹ Ich warf nur den Nacken geringschätzig rückwärts und sagte
mit den Gesten der Hände: Lappalie!, um mich sogleich drauf
ins Gewühle der Straße zu wenden und drin zu verlieren.
Ach, das Weib tat mir leid. Erstlich wußt' ich: dir kann nichts geschehen.
Dann: dies Weib ist so fern, ich so nahe dem höchsten Geheimnis.
Alle taten mir leid, diese ameiseneifrigen Menschlein,
deren jedes in Gier und in Sünde verwickelt dahinlief.
Ich dagegen, ich war ja berauscht, brauchte nicht mit den andern
schwitzen Galle und Gift in dem nüchtern-verzweifelten Wettlauf,
den der Hunger nach Gold mit neunschwänzigen Katzen in Gang hält,
brauchte niemand betrügen, bestehlen, mit List hintergehen,
nicht, mit Mord in der Seele, den Tod meines Vaters erwarten,
niemand drängen aus Amt und aus Würden, niemanden zertrampeln,
den man etwa im Lauf überholt, auch den andern nicht hassen,
welcher etwa wohl früher als ich an dem höllischen Ziel war
und den goldenen Raub mir mit gieriger Tatze vorwegnahm.«
Naso trank, trat alsdann auf die Seite und tat, was ein Tier tut.
Dabei übte er keinerlei Zwang, und der Schalk wie auch Quarkspitz
lachten, weil man das Widerwärtige oftmals hinweglacht.
Naso aber begriff das und zog auch sogleich seine Lehre.
»Dünkel ist's, was den Menschen vom Tier unterscheidet«, so sprach er.
»Dünkel kennet kein Tier, außer ihm. Nun hat freilich der Dünkel
manches Gute geschaffen, weil eben ein Laster auch manchmal
Gutes zeugt und die Tugend mitunter das Üble hervorbringt.
Tut ein Mensch etwas andres als lästern, der maßlosen Dünkels
meint, Gott habe sich seiner bedient, um sich vielfach zu sehen,
und er laufe herum als der eitel sich spiegelnden Allmacht
Ebenbild? Oh, du Monstrum von Tier! Oh, du Esel! du Langohr!
das ich sehe, wie es, zum Ergötzen der Götter, ins Weltall,
mit der Sirius-Elle gemessen, unendlich hineinragt.«
Was sann Till? Denn er trank heute nicht und betrachtete schweigsam
diesen Kerl, diese Ungestalt, der die Wüste des Lebens
wie ein anderer Beduine durchschritt, von dem Burnus
der Verkommenheit lausig umwölkt und in schwarzer Verlumpung.
Nun, er dachte: Du gibst mir zu denken! Es streift deine Tierheit
an so manches, das hoch in dem menschlichen Pantheon dasteht.
Bist du etwa Homer? Dazu sind deine Lumpen und Grinde
freilich noch nicht genugsam zum Ekel. Dem Lazarus gleichst du.
Hast du etwa schon jetzt dir den Himmel im Herzen gesichert?
Bist du wohl Epiktet und so wiedergeboren, wie ich es
etwa bin durch den Leichtsinn als Till, durch die kynische Armut?
Siebenschläfer vielleicht, so wie ich und wie Franz von Assisi
und so mancher, der fremd aus der Höhle zum Leben zurückkehrt?
Diatriben wie deine sind gar nicht so übel! Den Bettel
hatte Jesus mit dir gemein und Buddha und andre,
die, sofern es die Menschheit gegeben, die Gipfel bedeuten.
Nun, ich merke, so sinnet er weiter, ich werde zum Bergmann.
Gestern noch war ich über der Erde, befand mich in Deutschland.
Heute bin ich im Schacht, in der Grube, den Stollen der Tiefe,
wo die menschliche Ratte, der menschliche Maulwurf zu Haus ist:
eine chthonische Welt, welche unter der anderen hinwühlt,
grenzenlos, alle Länder und Völker und Menschen verbindend.
Ist man Bürger von ihr, dieser Welt, hat man wenig gemeinsam
mit der oberen noch. Weder Vaterland kennt man noch Heimat,
Weib nicht kennt man noch Kind; weder Vater noch Mutter noch Bruder
sieht man, aber den Feind überall: und sie alle vergißt man.
Ist ein Herrscher – hier bliebe er machtlos. Ein Priester nicht minder.
Keiner Kirche Choral oder Glocke wird je hier vernommen.
Und doch ist's eine seltsame Kraft um die Wurzeln der Dinge;
ist doch nichts ohne sie, was nur irgend zum Lichte emportreibt:
und verdoppeln sich nicht ihre Netze zuweilen, wenn oben
Sensenschnitt oder Schicksalstritt eine Wiese hinwegtilgt? –
Nunmehr ließ in die Hälmchen des Sands sich mit Ächzen hernieder
Naso wieder. Die Erde war heiß, und es höhlte das Untier
durch das eigne Gewicht sich den mächtigen Sitz seines Hintern.
»Mensch, wie kommt es«, so krächzte er dann, »daß ich heute so vieles
laut vertraue der Luft, was mein Inneres schweigend sonst aufzehrt?«
Und er gab einen Laut wie ein Pferd, daß die Luft drob erdröhnte.
Quarkspitz wälzte sich fast auf der Erde vor Lachen. Die Gule
fragte Till mit gewendetem Kopf: »Mein Geliebter, was willst du?«
Danach ward nun auch Till nicht mehr Herr seines Zwerchfells. Doch Naso
setzte fort unbeirrt und gelassen sein Selbstgespräch also:
»Was ich eben getan, es ist unwiderleglich. Kein Lachen
lacht hinweg solcherart Argument, das vielmehr Axiom ist.
Jeder Einwurf zerschellet vor ihm. Und wo hätte ein Lehrsatz
des Pythagoras selber dermaßen allmächt'ge Beweiskraft?!
Dieses war der Natur allerdeutlichste Sprache: Naturlaut!
Mancher hört nicht gern hin, wenn sie spricht, die Natur, sei's auf diese,
sei's auf andere Art. Und es ist auch mitunter dem Menschen
keineswegs zu verübeln, dieweil oft ihr Richtspruch den Tod bringt.
Sie verachten indes ist Verbrechen. Und grade das tut er,
tut der Mensch der Kultur. Dies Verbrechen, es trägt seinen Hochmut.
Doch ich merke, es macht allzu helle den Kopf schon der Trunk mir,
denn ich sehe zu viel, um zu reden. Und solcherlei Wahrheit,
wie die letzte, ist wahr und ist falsch, je nachdem man sie ansieht!
Überhaupt, warum red' ich? Weil der in der Wickelgamasche –
wie er dasitzt, und wie er da glupscht! – mir die Würmer herausholt
aus der Nase. So könnt' ich die Sache mit Wahrheit bezeichnen.
Überhaupt, es beklagt sich so mancher, daß alles ihm stillschweigt.
Oftmals hört man das Wort: dieser Mensch ist zum Sterben, er langweilt
mich zu Tod. Allerdings, denn du hast ihn ja vorher getötet!
sagt' ich oftmals, als Pfarrer, zu denen, die so sich beklagten.
Pfarrer hin, Pfarrer her: ich war einer, wahrhaftig, so ist es!
Und ich dachte womöglich ein Luther zu werden. Ein Luther,
aus katholisch und aus evangelisch im Reiche die neue
deutsche Kirche, weiträumig und hoch – ein Gigant! – zu errichten.
Perrumpamus! so dacht' ich mit Luther. Wir reißen hindurch! Ei,
dies war leichter gedacht als getan, und ich litt kläglich Schiffbruch.
Nicht mit Ehren – o Gott! Ach, man stieß mich nicht etwa herunter
vom Gerüst des halbfertigen Baus, nein: ich habe ganz einfach
während eines Jahrzehnts Konfirmandinnen übel gemißbraucht.
Nun, sie sahen in mir einen Gott, und sie küßten die Klinke,
wo ich eine berührt mit der Hand, und sie machten mir Äuglein,
und sie blitzten mich an. Und sie waren recht hübsch, ja wahrhaftig!« –
Quarkspitz sagte: »Erzähle uns, Naso, die einzelnen Fälle!«
Till dagegen: »Ich wäre gespannt, wie du dir deine Kirche,
deine deutsche, gedacht hast!« – »Ich dachte sie mir, wie ein Grünspecht
denkt: er ist überzeugt, es genüge, das Rechte zu wissen
und zu tun, um das Land vor Zerrüttung und Sturz zu bewahren.
Es genügt aber nur für das Irrenhaus oder den Galgen.
Heute weiß ich's und weiß noch weit mehr: ich bin wissend geworden,
weise! Nennt einen Weisen getrost mich: es denkt aus dem vollen
und es lebt aus dem vollen der Weise.« Dies sprechend, nahm Naso
eine Faust voll des märkischen Sandes und wies sie den beiden
Lauschern hin, und es rann ihm, im Zeigen, der Sand durch die Finger.
»Gold ist mächtig!« so sprach er, »doch mächtiger ist dieser Sand hier!
Alles sarget er ein, über jegliches bleibet er Sieger!
Deutschland hin, Deutschland her: deutsche Kirche und römische, beide
gehn mich heut nichts mehr an. Denn ich habe im Kopf eine neue,
nur für mich. Sie genügt mir durchaus und durchum, damit Sela!«
Naso trank. Aber Till ließ nicht nach, und er fragte nun wieder
nach der Kirche, die Naso genügte und die er im Kopf trug.
»Meine ist nur für mich, o du Gründling!« sprach Naso. »Du mache
eine selbst dir zurecht, wenn du ihrer bedarfst! Nicht gar schwierig
ist die Sache zudem, denn sie kostet nur weniges Hirnschmalz.
Löcher macht sich sogar in dem trockenen Sande der Sandfloh.
Mir gelingt's nicht so einfach. Allein, nur ein Lager zu wühlen,
wie der Hase, ich kann's. Dazu braucht's keinen Erwin von Steinbach.
Wühl' ich dann mich zusammen darin, so erkenn' ich mit Stolz doch:
hier herein ist das Beste der christlichen Kirche gerettet,
Niedrigkeit und Erbärmlichkeit und wahrhaftige Armut!
Oder meint ihr, ein Herr Kardinal oder Speckbauch von Pfarrherrn,
Franziskanerprälat oder irgendein freiwillig armer
Klosterbruder vielleicht sei mir über darin, wenn der Regen
niedersaust und das Lager mir füllt, daß des Morgens mein Kopf nur
überm Wasser noch ist, ja, das Wasser bereits mir ins Maul läuft?
Oftmals dachte ich schon, ich sei wieder zum Frosche geworden,
und ich habe gequakt wie ein Frosch. Und so quake ich jetzt noch.
Denn was bin ich mehr als ein Frosch vor den Augen des Weltalls?
Muß man Salomo sein, um die gleiche Art Weisheit zu quaken:
eitel sei und durchaus gänzlich nichtig das irdische Dasein?
Was der reichste der Menschen und Könige, reich auch an Weisheit,
an Erkenntnis erwarb, nun, es liegt auch im Knauf meiner Kirche,
in der messingnen Kugel sowohl als verschlossen im Grundstein.« –
Und Till sprach: »Es mag sein, bester Naso, du hast auf der Leiter
der Erniedrigung wohl eine achtbare Stufe erstiegen.
Doch dies ist nicht dein wahres Gesicht, denn du strebst nach der Höhe.
Bist du doch wie ein glühender Ofen, der selber sich heizet
mit dem brennenden Öle des Thyrsos-Bewegers, des Bakchos.
Und du steigerst dein Dasein zum Rausche des Tods und des Lebens.
Wenn es dir vor dem Ohre erbraust und dein Inneres tobet,
wie im Fasse der Most tobt, alsdann bist du nicht und bist dennoch
von dem Gotte bewohnt, trotz der Lumpen zum Gotte geworden.
Oder fühlest du dich nicht erhöht, fast gesteigert zur Allmacht,
fast allwissend und fast über Leben und Sterben erhaben?
Dünkel nenn' ich dies nicht: denn trotzdem, Naso, bist du ganz menschlich.
Deine Kirche hat nichts mit dem Lager des Hasen gemeinsam.
Rausch erbaute die Kirchen aus Stein, Rausch erbaut auch die deine,
unsichtbar oder aber versteckt unter Lumpen. Sic dixi!«
Naso brüllte: »Jawohl, ich bin Gott! Welcher Schurke bezweifelt's?
Gottesblut strömt in mir, und ich gieße es mir in den Rachen.
Gibt es anderes Blut? eine Flüssigkeit, die nicht von Gott ist?
Kann er alles in allem nicht sein, und es gibt eine zweite
Schöpfung, die einem anderen Gotte ihr Dasein verdanket?
Doch auch dann ist in mir eben Blut eines Gottes, nur eines
unter vielen. Und dann, statt des Gotts, gibt es wiederum Götter.
Das ist alles! Ruft: Prost! denn es ist, wie ich sage. Kommt näher!
Burschen, seid ihr mit Sünden beschwert, euer Gott schenkt Vergebung!
Habt ihr aber gesoffen, gehurt, euch in Unflat gewälzet,
sei's mit Mann oder Weib, sei's mit Tier oder Mensch: ich vergeb' euch!
Ja, ich bin es: ein feuriger Ofen! ein höllischer Glutberg!
ein Vulkan, der Gott lobt mit den lodernden Zungen des Branntweins.
Also immer heran, ich vergeb' euch! Und sündigt nur immer
weiter frisch darauf los, wie es Luther aufs strengste verordnet!
Geldschrankknacker, herbei denn! Hochstapler! Zigeuner! der Raubmord
ist soviel wie ein Furz! Lumpenhunde, der Lump konfirmiert euch!
Nur die Gnade erlöst, nicht die Werke! Ich lese auch Messen,
schwarz und weiß, wie ihr wollt! Und so hol' euch der Teufel! und packt euch!«
Naso sprang in die Höhe und rannte waldein, mit den Händen
um sich schlagend, als ob ein Schwarm Wespen ihn wütend verfolgte. –
Tills Gewohnheit war dies: mit den Zähnen zu knirschen. Das tat er.
»Quarkspitz«, sagte er dann zu dem Maler-Zigeuner, »die meisten
Mumien, wie du weißt, hat Ägypten. Sie tragen ein Fährgeld
in Gestalt eines Goldstückes unter der Zunge. Und dieses
lockt den Räuber, den Dieb. So auch ging's mir mit Naso. Was meinst du:
Hat der Griff nach dem Goldstück gelohnet? gelohnet die Fechsung?« –
»Dieser Kerl war zerlumpt«, sagte Quarkspitz, »so außen als innen,
und er wühlte in Lumpen und Lappen und Klunkern des Elends,
doch es waren auch Flicken darunter aus Mänteln von Kön'gen.«


 << zurück weiter >>