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Das siebente Abenteuer

schildert die prunkvolle Hochzeit, die der entthronte König Abalus einem seiner Söhne ausrichtet, und die merkwürdige Rolle, welche Till Eulenspiegel dabei spielt. Er findet Gnade vor dem Kronprinzen, der keiner mehr ist, und vor dem König, der keiner mehr ist. Auch ist die Gule dabei im Spiele. Die Nacht vor der Hochzeit wird durchzecht. Der Narr unterhält die Gesellschaft durch Kunststücke, die nun wirklich an schwarze Magie streifen. Auch sonst offenbart sich noch manches von Tollheit und Tiefsinn in Till. Die Hochzeit selber läßt ihn zurücktreten. Gegen das Ende aber wird eine Art Cagliostro aus ihm, dessen Hokuspokus das des echten fast übertrifft, ihn selbst aber beinahe ums Leben bringt.

 

»Gule!« rief der Vagant in den Wagen. Es war gegen Abend;
manche Stunde ist Tillens Gewese nun wieder gereiset.
»Gule, mach dich bereit, denn, beim Hunde! ich wittere Arbeit.
Drüben winket ein Schloß überm Walde, es ist schon das dritte
meiner Reise. Was sage ich: Reise? Nein, meines Triumphzugs.
Dieses schlesische Land, es hat Schlösser und Schlösser und Schlösser
und hochfahrende Hansen darin, die dem Volke ganz fremd sind.
Doch mich schlösselt's, zumal da dort alles mit Wimpeln beflaggt ist
und die innere Stimme mir sagt, daß ein Minstrel, ein Stocknarr,
Lustigmacher und Possenausbrüter dort besser am Platz ist
als im Schoße der Not und im faulenden Schlammfang der Kriegszeit.
Tanzen werden wir bald und womöglich auf glühendem Seile!« –
»Arbeit?« sagte die Gule. »Die hast du genug mir gemacht, Freund,
meine Schwachheit benützt, was ein ehrlicher Schnapphahn nicht tun soll.
Tanzen willst du mich lassen? Da wär' ich wahrhaftig vom Regen
in die Traufe gelanget! Nicht rühr an! Ich bin nicht dein Tanzbär!« –
»Halt!« gebietet der Torwart im Bogen der gotischen Einfahrt.
»Wohin willst du?« – Drauf Till: »Wohin sonst, guter Mann, als zur Hochzeit?!« –
»Das Gesindel ist toll!« schreit der Torwart. »Das schneit wie die Fliegen
allenthalben herein, wer vermag sich des Packs zu erwehren?!« –
»Guter Wächter am Tor, du vergißt, unten herrschet die Sintflut«,
spricht da Till, »und wir kommen, pitschnaß, uns ein wenig zu trocknen.
Überdieses, mein fahrender Fundus birgt mancherlei Kurzweil
in sich, schnakisches Zeug! Medizin für die Milz, gegen Schlafsucht,
gegen Melancholei, Langeweile und Stumpfsinn höchst wirksam.
Langeweile, man weiß, ist die schrecklichste Feindin der Menschheit,
sie vor allem – drum nehmt sie nicht leicht! – sie hat manchen getötet.«
Kavaliere durchritten das Tor, als der Narr solches sagte.
»Gule!« rief er sogleich. »Auf! und stecke den Kopf durch die Plache!«
Gule tat's, und ihr Lärvchen, von Safran umrahmet, ward sichtbar.
Fast noch Knabe, ein schwarzer Husar, rief da solcherart Till an:
»Mensch, was suchst du? was willst du? wohin geht die Reise? was hast du
wohl im Wagen?« Till lachte und zeigte die blendenden Zähne.
»Herr«, begann er, »Ihr fragt wie ein Weiser! Es sind so viel Fragen,
daß sie selbst einen Erzschalk wie mich in Verlegenheit setzen.
Nun, zwei Dinge verließen mich nie: Gott der Herr und die Narrheit!
Also hört nach der Schnur auf die letzte der Fragen die Antwort
zum Beginn, denn Ihr liebt ja heut grade besonders den Krebsgang!
Drin im Wagen verstaut liegt mein Leichnam. Der Stein, ohne Hände
losgerissen vom Felsen der Zeit: dieser hat ihn getötet.
Mein Humor ist lebendig geblieben und hockt auf der Brust ihm
wie ein Aff und ein Alp! – mögt Ihr's lieber: ein Alp und ein Affe!
Alexander und auch Bonaparte sowie unser Goethe
trugen alle ein seltsames Zeichen am Leib nach dem Tode.
So auch der dort im fahrenden Sarg, welchen meine zwei Pferdchen,
Nous und Logos, nach vorwärts bewegen: es weiß es mein Mädchen!
Unsre Reise, sie geht bis ans Ende der Welt, und ich wünschte,
alle Dinge so sicher zu wissen, als: daß wir's erreichen.
Was ich will, Herr, das ist: nicht mehr wollen zu müssen! Und was ich
suche? Weniger nicht als ein Wunder, genannt grüner Strahl, Herr!
Sei's für diesmal genug, und ein nächstes Mal weiß ich es anders!«
Hierauf sagte der Knabe-Husar: »Ei, das klingt ja höchst seltsam!
Etwas ist wohl davon zu entdecken in unsren Gewölben,
wo ein grüner Demant die Besucher seit lange entzückt hat.
Grüner Strahl! meinethalben, du suchst ihn. Was sucht denn das Mädchen?
Doch wohl mehr einen goldenen Strahl, guter Freund, als den grünen!«
Und er warf, solches sprechend, ein Goldstück in Richtung des Wagens.
Doch die Gule, sie hob es nicht auf, und desgleichen auch Till nicht.
»Nein, Geliebter«, so rief er, »geschenkt nur den Becher voll Weines
und das leckre Gericht: was aus Kellern und Küchen emporsteigt!
Goldnen Lohn, Mann, empfangen wir nur für geleistete Arbeit,
oder wenn unsrer Kunst es gelingt, einen Dummkopf zu prellen!«
Darauf lachten die Herren und sprengten davon. Doch ein Zeichen
gab dem Torwart Befehl, dem Gesindel die Einfahrt zu öffnen.
Im entferntesten Teile des Schloßparks befand sich ein Häuschen,
tempelartig, mit Fenstern versehen. Es hingen noch Glöckchen
da und dort am japanischen Dach, die auch leise ertönten.
Dorthin brachte man Tillen mitsamt seinem Haushalt und Hausrat.
Und er schüttelte schon aus der Ferne die Kappe und lachte
höchst vergnügt, und er rief: »Mir ist wohl, denn ich sehe, man kennt mich!
Ist mir recht, bin ich hier unter meine Art Leute geraten!«
Kühlewein hieß der Oberverwalter des Schlosses und Parkes.
Dieser würdige Alte erschien in dem Klingelgehäuse,
Äolsschlößchen genannt, und er blickte nicht grade sehr liebreich.
»Nicht von mir aus, Gott weiß, ward dies Lusthaus euch beiden geöffnet!«
spricht er. »Seit es besteht, hat es nie euresgleichen beherbergt.
Allerhöchst die hochselige Fürstin, sie wird allerhöchst es
zu verzeihen geruhn ihrem Enkel, der solches bestimmt hat,
unsres gnädigsten Herren, Herrn Königs Nachfolger und Kronprinz!« –
»Oh, das hoff ich, das will ich Gott bitten, mein freundlicher Starmatz!
Hoher Protektion also jedenfalls darf ich mich rühmen.
Das ist brav! Und was hättet Ihr weiteres noch zu berichten?«
Kühlewein, überrascht von dem seltsamen Tone des Gauklers,
wollte wissen, mit welcherart Kunst er zu glänzen verstünde.
»Alles dies wird sich finden«, sprach Till, »habt nur vorerst die Güte,
mir den obersten Chef Eurer Küchen zu schicken, damit wir
die gehörige Speiseration miteinander beraten,
denn mich hungert! Ich möchte erst essen, dann möchte ich schlafen,
schlafen, Freund, ohne Traum, dies vermag ich nicht ohne Burgunder.
Will sich also der Herr der Gewölbe der Tiefen, der brave
Kellermeister, hierher nun verfügen, so wird es mir lieb sein!«
Damit lag Till gestreckt auf den blaßblau-goldklauigen Diwan,
Kühlewein jene Seite, worauf er sonst saß, zur Betrachtung
überlassend, und war, eh der andre noch ging, schon entschlummert. –
Mitternacht war vorüber, als Till aus dem Schlummer erwachte.
Klar und hell schien der Mond, und die Glöckchen des Schlößleins erklangen.
Doch ein anderer Klang noch erscholl im verschloßnen Gemache
nebenan, mit Gelächter vermischet, der Klingklang von Gläsern.
»Gule!« rief er. Schon stand sie bei ihm, aus der Erde gezaubert.
»Wer ist bei dir?« spricht Till. – »Bester«, sagt sie, »es ist nur der Kronprinz.
Willst du, schick' ich ihn fort!« – »Nein doch, laß ihn schmarutzen, es macht nichts!«
also Till, und er hebt sich erfrischt von dem atlaßnen Faulbett.
»Sind noch andre da, außer dir, Kind, mit Rosen im Goldhaar,
Mädchen mein' ich, wie du?« – »Es mag immerhin sein«, sagt die Gule,
und sie faßt nach dem Kranz, der ihr duftig die Woge des Haars krönt. –
»Geh und sage der Kongregation, daß ich huldvollst geneigt bin,
einen Zauber um sie zu verbreiten durch klingender Saiten
allbeseelenden Hauch!« sagte Till. Und sie ging, es zu melden.
»Mandoline wird spielen mein Herr und mein Freund und mein Liebling!«
hörte Till Gule rufen. Sie erntete tobenden Beifall.
Klatschend scholl das Geräusch vieler Hände herein durch den Türspalt,
und es schien auch vom See her zu kommen, der glastend im Park lag.
Lotos deckte den Spiegel des Sees, und es traf ihn der Mondstrahl.
»Wieder bin ich erwacht, und es schlug mir die heilige Stunde
der Geburt wiederum! O mein Gott, das Geheimnis im Lotos!
Om! wie wäre das, Till: du entferntest dich leise vom Kehraus
und gewönnest die selige Stille, die mehr ist als Schweigen?
Hanglos hausetest du etwa wohl auf dem blumigsten Hügel,
pinienduftend die Einsiedelei, in dem Tale der Maggia,
dort, wo diese zur Freiheit durchs felsichte Tor sich den Weg gräbt?
Deine Klause allda zwischen Ölbaum und Rebe zu pflanzen
wäre unschwer getan, Ponte Brolla wird's schwerlich dir wehren.
Selber würdest du eine Art Baum, und du rauschtest fortan nur
mit dem Wipfel dein Om! O mein Gott, das Geheimnis im Lotos!
Doch es würde dein Hauch vom Gedonner der Maggia verschlungen!« –
Alkibiades, trat nun der Gaukler herein an die Tafel,
mit dem Lächeln des Glücks, und er pfiff durch die blendenden Zähne.
Alles schwieg, überrascht durch die schlanke Gestalt und den Anstand
und den sieghaften Reiz, der im Wesen des Gauklers sich kundgab.
Darauf folgte die heitre Gesellschaft der plötzlichen Regung,
mit Geräusch auf das Wohl ihres fahrenden Gastes zu trinken.
»Gut!« spricht Till. »Mir gefallen die Klänge, gefällt eure Jugend!
Mir gefallen besonders die heitren Komtessen im Kreise,
deren Schultern und Busen so blank und verlockend geformt sind!
Wer indessen von euch, ihr begünstigten Knaben, wird morgen
das Beilager begehen? Und welche der Damen im Kreise
ist erwählt, mit dem lustigsten Prinzlein das Bette zu teilen?« –
»Mensch, du bist nicht bei Sinnen!« rief einer der Prinzen, der Bräut'gam.
»Meine Braut ist im Kloster erzogen, so keusch wie die Mutter
Gottes, gleichend der Eva, bevor sie vom Apfel gegessen.
Lieber säh' ich sie tot, guter Mann, als in unsrer Gesellschaft!« –
»Das gefällt mir«, spricht Till, »doch schon weniger das, was du morgen
vorhast, Prinz: diesem Engel des Himmels die Unschuld zu rauben.
Trinkt und hört! denn ich habe nicht Lust, meine Zeit zu vergeuden.
Holla! du, mit den Höschen aus Samt und den Schnallen am Schuhwerk,
gib mir Wein und den scharlachnen Krebs, der in silberner Platte
riesenmäßig sich spiegelt. Es möge, zum Dank, an Pomade
nie dir fehlen, dein Haar mit dem Glanz jeder Hoheit zu schmücken.
Dann beginnt mein Konzert, und so werden wir glücklich und jung sein!« –
»Deine Sprache ist kühn!« sagt, ein wenig betreten, der Kronprinz.
»Doch du warest Soldat und vielleicht Offizier, nach dem Anschein.
Nimm denn Platz, lieber Freund, und bediene dich ganz nach Belieben!
Dann nun freilich erheben wir Anspruch auf dies und auf das, Freund,
was dein närrischer Bregen an Schrullen und Schnurren beherbergt.« –
»Schnurren wohl!« sagte Till und wies lächelnd die blendenden Zähne.
»Schnurren soll ich erzählen? Wie schnurrig, ihr schnurrigen Prinzlein!
Seid ihr selber nicht schnurrig genug und verlangt von mir Schnurren?
Meinethalben, ich will immerhin es ein bißchen versuchen,
denn ich leide nicht Not an dergleichen! Der Fasching des Herrgotts
überlud mich vielmehr mit dem Zeug, und es soll mich nicht reuen,
wieder einmal, am Rande des Wegs, mich davon zu erleichtern.
Soll ich euch nun vielleicht ein Geschichtchen erzählen vom Mistwurm?
Ja, da seid ihr betreten! Die Wahl ist das schwerste, so wählt denn!
Nur nicht zimperlich dürft ihr mir sein! Ja, es kann der Olymp selbst
nicht den Mäkler und Nörgler verdaun. Als der Vater der Götter
Momos hatte, den Tadler, verbannt, riß die freieste Lust ein.
Priap wagte sich klotzig hervor. Und der Hinker Hephaistos,
er bedrohte mit Hinken und Schimpfen das Zwerchfell der Götter.
Pan ergötzte mit grobem Gegröl', das die Ew'gen noch lieber
als die Lieder der Neune vernehmen. Es tanzten den Kordax
Polyphem und Silen. Und allein schon das Schlenkern des Weinschlauchs
war genug, um die Götter in Krämpfe von Lachen zu stürzen.
Und nun Baubo, die tollste von allen, die selige Baubo,
die ein Ding tut wie Wilson und vierzehn unsterbliche Haufen,
von dem Stoff seiner vierzehn unselig-nichtsnutzigen Pünktlein,
auf die Tafel der Zwölfe zu setzen sich wagt. Welch ein Hauptspaß!
Niemand nahm es ihr krumm außer Hera, die bald überstimmt ward.
Lachen ist ein Beruf«, sagte Till, »und die Andacht zum Lachen,
schwerer wird sie beinahe errungen als jene zum Kreuze.
Nun, man könnte vielleicht mit der Schnurre vom Kreuze beginnen?« –
»Ja, erzähle die Schnurre vom Kreuze!« so rief man im Umkreis.
»Kain ermordete Abel. Der Herrgott verfluchte den Mörder,
daß er lebe und nimmerdar sterbe, die Last seiner Sünde
ruhlos schleppend, von Reue gehetzt, ohne Aussicht auf Sühnung.
Da kam Jesus und brachte sein Leben freiwillig zum Opfer,
zur Erlösung für Kain und Kains Geschlechter auf Erden.
Liebend löschte er selber sich aus und in sich Kains Blutschuld.
Kindlein, liebet euch untereinander! dies war sein Vermächtnis.
Seitdem morden sie doppelt und dreifach und zehnfach, die Menschen.
Hunderttausendfach morden sie hin ihre leiblichen Brüder.
Blut von aber Millionen hat jüngst erst die Erde getränket,
üppig geilen die Wiesen und Äcker der Menschen vom Blutdung!« –
»Ist die Schnurre noch lang, bester Freund?« fragte lachend der Kronprinz.
»Schnurrig find' ich dran einzig, daß du als Schnurre sie ausgibst.
Ist es möglich, brich ab! Mit dergleichen Humoren, mein Bester,
wirst du schwerlich das Volk in die Bude dir locken, und selten
wird ein kupferner Dreier im gähnenden Kasten dir klappern.
Hast du Leibweh? Ein Säckchen mit Hafer, so heiß dir's erträglich,
auf den Magen gelegt, sei gewiß, bringt dich wieder in Ordnung.« –
»Nein, mein Magen ist gut.« Wirklich hatte der Gaukler den Hummer
fast verzehrt und zerbrach unter Krachen die zweite der Scheren.
»Du bemühst den Olymp. Um die Wette mit Göttern zu lachen,
diese Hoffnung erregtest du uns. Die Erfüllung ist kläglich.
Und wo bleibt das Konzert? Du versprachst, sowohl glücklich als jung uns,
Schelm, zu machen. Nicht nötig, wir sind's, doch nicht mach uns zu Greisen!« –
»Du hast recht, mich zu tadeln. Der Hummer ist gut und der goldne
Kitzelwein, und so hatt' ich, beim Hunde! das köstlichste Sprungbrett.
Dennoch kam ich nicht weit, wenig fehlte, es gab einen Beinbruch.
Heiter sitzt ihr umher im bezaubernden Dunste der Kerzen.
Es erletzt sich die Zunge, das Auge, das Ohr an der Fülle,
die der Wohlstand erzeugt, und am heitren Phantasma der Schönheit:
Quietive wie diese, ich habe sie immer bevorzugt.
Wird die Schönheit zur Wahrheit, erhebt aus dem Grunde des Daseins
sich die Stille, die immer vorhanden und niemals gestört ist.
Heute steigt sie nicht auf, denn es wühlet im Schoß der Geburten
unter uns, und ein tiefes Gebrumme erschüttert die Glöcklein
und erreget auf seltsame Weise sogar unser Lusthaus.
Dazu wühlt mir im Herzen der Narr und die Wut und die Ohnmacht.
Adler höre ich rauschen, und Blitze von Waffenglanz schießen
unerlaubt durch mein Hirn. Könnt' ich zaubern, jetzt würde ich zaubern.
Dran! und sei es versucht! Auf und dran, Freunde, was auch herauskommt!«
Hoch hat Till sich gereckt, dieses sprechend und dann die Beschwörung:
»Phantasos, sei bereit, du gehorsamer Diener des Hypnos!
Eikelos, so auch du, o Erwecker und Bildner der Schatten,
welche reden! und du, Gaukelos, den ich rufe, dein Meister!
Phobetor, du Erwecker der Furcht und du Bringer des Alpdrucks:
einen Augenblick zeiget euch nur dem ungläubigen Völklein,
daß es merke, wie ernst hier der Spaß, und, wer Till sei, begreife!«
Alle schrien da auf, denn es wurde brandfinster im Zimmer …
Da entstand ein Geräusch, das allmählich von draußen hereindrang.
Eh noch ganz die Betäubung gewichen im Kreis der Gesellschaft,
gab es Lärm, und es drängten vermummte Gestalten ins Zimmer.
Einen Augenblick lang sich am Schreck der Versammlung ergötzend,
standen sie, bis ein derb-allgemeines Gelächter den Bann brach.
Es enthüllten sich heitre Gesichter, vom Weine gerötet.
Alles schnellte vom Sitz, denn es war der Monarch, der Herr Vater,
der den Spaß sich geleistet, mit etlichen fürstlichen Gästen
diese heimliche Nachtkumpanei bei der Tat zu beschleichen.
Alles rückte zusammen, die Damen indessen entwichen,
denn die kannten den Ton, der nun kam, und die Wünsche des Königs.
»Heda, Kinder«, so rief er, »wir müssen auch von der Partie sein!«
Eilig wurde Champagner gebracht von betreßten Lakaien,
wie im Schloß der erhabene Gast es im voraus befohlen.
»Schlingel!« rief der Monarch, dem die Gule bereits auf dem Schoß saß.
Tillen galt dieser Ruf, der zum Danke dafür sich verbeugte.
»Deine Kleine hat Krien! Woher hast du sie denn?« – »Sire, vom Kirchhof!« –
»Ei Herr Jeses, was redet der Mensch da? Er will mich wohl uzen?« –
»Majestät«, sprach der Gaukler, »ich habe die Freiheit des Narren
nur gebraucht, weil ich weiß, daß Ihr selber ein weiser Monarch seid.
Alles kommt darauf an, nach dem Winde die Segel zu richten.
Rapperswil heißt ein Ort am begnadeten Ufer des grünen
Zürichsees. Auf dem Schlosse besucht' ich die harrende Krone
Polens, jenes unglücklichen Lands, das man dreimal zerrissen:
nicht wie Damiens zwar mit vier Pferden, mit nur ihrer dreien.
Und da lag sie, dereinst auch mit deutschen Dukaten erschachert,
diese Krone, sie lag mit dem Fluch aller Kronen behaftet,
mit dem doppelten Fluche: des Bluts und des Golds! Sie ist Blutgold!
Auch von Sklaven, von weißen, von deutschen, das Blut geistert in ihr!«
Wie ein Kind, das der Weinkrampf befällt, natschte Till jetzt: »Wo sind sie,
meine zwo Regimenter Husaren, von Müttern geboren,
alle deutsch wie der Rhein!? O du heilige Zahl achtundvierzig!
Achtundvierzig der Töpfe Chinesenporz'llans nahm mein Urahn
als Bezahlung dafür! Ich verdiene den Galgen! Den Strick her!« –
»Nicht doch!« rief der Monarch. »Und versperre dir Kragen und Kropf nicht!
Sauf und friß! Possenreißer wie du, die sind heute sehr selten.
Früher hatte man Zwerge, teils hinkend, teils bucklig. Man hatte
Blödiane, Fetzpopel und andre Hanswürste. Man hatte
keine Not, seine Nieren zu spülen, und ebensowenig,
Milz und Leber, noch auch seinen täglichen Kohl zu verdauen.
Heute drückt er im Magen wie Stein, und nichts bringt ihn vom Flecke.
Also mach deine Künste, Hanswurst, ganz egal, wie du's anfängst!
Schrei iah wie ein Esel! mach Hund oder Frosch oder Schwein nach,
nur besorge mir's, daß allerhöchst mein Humor mir zurückkommt
und der Cancan da draußen mich kaltläßt und nichts mehr mir anhat!« –
»Durchs kaudinische Joch«, spricht der Narre, »beweget sich Deutschland,
bis zum Brechen gebeugt und zum bittersten Gram seinen Nacken.
Hohngegrinse und Höllengezeter umgibt das besiegte,
dessen Stolz sich verkriecht! Aber Ihr, Majestät, könnt getrost sein:
Eure Arche, sie ist an dem Ararat sicher gelandet!
Statt des Zimmermanns hat sie ein göttlicher Sattler gezimmert!« –
»Sattler? Sattler? Zum Teufel nochmal!« ruft da Herr von Piculnus.
»Abgeprügelt das Pack! und dafür unsre Pferde gesattelt,
den vernagelten Feind mit benageltem Huf zu zertreten!
Auf ins Feld! heißt der Ruf. Und die Zähne gewiesen, und vorwärts!
Hat ein Volk nur den Willen zum Siege, so siegt es auch jetzt noch!« –
»Prächtig, prächtig!« spricht Till. »Zwar Flaminius wurde geschlagen,
weil er Fahnen, die, gleichsam vernietet, im Erdreich verhaftet,
mit den Stöcken – ein himmlisches Zeichen! – gewaltsam herausriß.
Doch dann tat man ein Ding, was man nun auch bei uns, hör' ich, nachahmt,
und das half, ganz gewiß. Wieder wandte das Kriegsglück sich Rom zu!« –
»Mensch, so sprich doch, was ist es? was war es?« so rief man im Kreise. –
»Erstlich lud man die Götter zu Gaste, und zwar auf dem Forum.
Etwas Ähnliches hat man, so hör' ich, auch jetzt in Berlin vor.
Doch hauptsächlich: es ward eine Sammlung gemacht, um dem Vater
aller Götter und Menschen ein großes Geschenk zu verehren,
das, so schien es den Römern und scheint es den Deutschen, ihm nottat,
puren Goldes acht Zentner Gewichts: einen Donnerkeil nämlich!
Man berechnete klug seine Freude an solcherlei Spielzeug,
und er werde dem Geber des Guten sich dankbar erweisen.
Doch besteht immerhin die Gefahr, daß der höchste der Götter,
in der ersten urkindlichen Freude am Spielzeug, kein Maß kennt,
und das hieße dann, Freund sowie Feind von der Erde rasieren.« –
»Schlingel, Schlingel, du hast wirklich Flausen und Mucken im Kopfe!«
rief entzückt der Monarch. »Allerhöchst, allergnädigst zufrieden,
mach' ich dich, mit dem Titel Exz'llenz, Kerl, zum lust'gen Geheimrat!«
Und die Nacht ward durchzecht, bis der Morgen der Hochzeit heraufkam.
Wenig Schlaf und ein Bad, und dann strahlte der König im Schmucke
seiner Orden. Es klangen Gesang und Gedröhne der Orgel
bei der Trauung, die man im Kapellchen des Schlosses besorgte.
Danach ward zum Bankette geblasen: der alte Bankettsaal
stand und harrte im glänzenden Prunk seiner glitzernden Tafel.
Ohne Makel erstrahlte die Weiße des köstlichen Damasts.
Da hinein war die Krone gewebt, die dereinst Bonaparte
diesem fürstlichen Hause verliehn, und es prangte die gleiche
auf dem Silbergeschirr. Ja, in köstlicher Arbeit des Goldschmieds
war die Krone zu sehn an dem überaus prächtigen Schauwerk
schweren Silbers, das, köstlich getürmt, auf der Tafel sich hinzog.
Dies Gerät war berühmt. In schwerlötigem Silber gebildet,
stund Diana zuhöchst. Sie bekrönte den mittelsten Aufbau,
leicht geschürzt, mit dem Bogen bewehrt, so, als hielte sie Ausschau.
Drunter schien ihr Gefolge zu baden in silbernen Wannen;
diese wiederum werden von silbernen Hirschen getragen.
Ähnlich zog sich die silberne Jagd in der Mitte der Tafel:
Eber sah man, von Hunden gepackt, Jägerinnen umstellten
das ereilete Wild mit dem mächtig geschwungenen Jagdspieß.
Und so ging es dem Bären. Und mochte der Hieb seiner Tatze
tödlich sein, er erlag doch gewißlich den Spießen und Bissen.
Kurz, unmöglich, auch nur zu beschreiben, was kunstreich zu bilden
hier der Künstler sich, niemals ermüdend, beflissen. Genug denn!
Rosen aber erfüllten den Saal mit dem süßesten Dufte.
Belgien hatte sie alle geliefert, denn nur diese Rose,
purpurfarb-violett, ward erkoren zum Schmucke des Festsaals.
Einstmals hatte der Züchter den Namen der Braut ihr verliehen.
Zwei geschlossene Wagen der Bahn hatten kaum für den Reichtum
Raum genug dieses duftenden Purpurs, der hier alle Wände
überzog und in Purpurgirlanden und Ketten sich fortschlang.
Hoch von zwei Galerien ertönete Blechmusik. Schmetternd
und mit Paukengewalt und den niemals ermüdenden Becken
hub die andere an zu posaunen, wenn eine verstummte.
Militärmarsch ersetzte sogleich wiederum Militärmarsch,
Yorck-, Radetzky- und Hochmeistermarsch drängten einer den andern.
Abgerissen indessen verstummte der Lärm, um nach kurzem
Schweigen, allergewalt in Fanfaren und Tusch sich erneuernd,
zu begrüßen die Braut und den Bräut'gam, den glänzenden Festzug.
Seine Spitze erschien nun im Saal. Welch ein Glanz von Juwelen!
Welches Funkeln im Haare der Damen! vom Busen der Schönen!
von der ordenbedecketen Brust des Monarchen, der Prinzen,
des Feldmarschalls und aller der Prätorianer des Hofstaats!
Bald ist alles verteilt an der Tafel. Da winket der Marschall.
Pagen eilen. Es fliegen die Diener. Sie tragen geschäftig
die Gerichte herum, und nun geht's an ein Schmausen und Schwatzen.
Was tat Till? Nun, er war heut nicht mehr zu erkennen. Er hatte
umgebunden den Pour le mérite und noch andere Orden.
Ach, er war ja ein Kriegsheld geworden im Feldzug! Die Gule,
die im Wägelchen alles entdeckt, was ihn dieserhalb auswies,
hatte eilends zurecht ihn geputzt, und da stand er: ein Staatskerl!
Und Till saß an besonderer Tafel. Er saß mit Kam'raden,
allbewundert. Sein ruhmreicher Name als König der Lüfte
blieb nicht länger geheim. Der Herr König verbreitete selber
seinen Ruhm, seinen Sturz und die Mär seines traurigen Schicksals:
denn als solches erschien ihm natürlich die Tillische Laufbahn.
Und es stiegen die Wogen des Festes, vordringender Flut gleich,
eilig, bis der Herr König und außer ihm mancher ans Glas schlug.
Keiner aber, der nicht, eine Brust voller Sternelein, Gott glich,
wie er etwa sich malt im gewitzigt-andächtigen Kindskopf.
Und auch Till schlug ans Glas in dem Kreis der Kam'raden: »Kam'raden«,
rief er, »horcht und vernehmt! Ich erwache soeben mit Jauchzen
aus dem scheußlichsten Traum, der mir jemals die Seele zerquält hat!
Lange hab' ich versuchet, daraus mich zu lösen, die Lähmung
abzuschütteln. Ich kannte den Kniff nicht, den ihr hier entdeckt habt,
fortzuscheuchen den Nachtmahr der Zeit, der die Leber uns klein macht.
Ja, wir haben gesiegt, auf das Knie unsre Feinde gezwungen!
Welcher Popanz behauptet es anders? Dem Sieger hipp hurra!«
Es entstand ein Geschrei, und es setzte sich fort durch den Festsaal.
Hin zum König zitiert ward der Redner und Gaukler im Kriegsschmuck,
ganz besonders belobt und auf jegliche Weise umhuldigt.
Und er klappte die Hacken zusammen und war wie ein Zaunpfahl.
Plötzlich stand neben ihm ein Kam'rad aus dem Felde, Graf Eichbruch,
blond ergraut schon der Scheitel, Rittmeister, wie Till, nach dem Dienstrang.
Und es war wie im Krieg, denn er tat dem Herrn König die Meldung:
»Wir marschieren! Der Sattler ist flüchtig, nicht wen'ger die Strolche,
die der Sattler um sich als Minister – wer lacht da? – versammelt.
Eingezogen ist schon in Berlin die Brigade Kunz-Kaltborn,
bannerschwenkend. Mit klingendem Spiel, sie begeistert die ›Linden‹!« –
»Welch ein Tag!« sprach der König. »Wahrhaftig, ein vielfacher Glückstag!«
Und er lachte, zu Tränen gerührt und sich furchtbar verschluckend.
»Majestät, zu Befehl!« sprach in dienstlicher Haltung der Waldgraf.
»Dies irae: der Tag des Zorns, ja, nun ist er gekommen!
Und wir halten Gericht, machen kurzen Prozeß, aber gründlich,
ohne Umschweif. Was soll das Verhör, wo ja alles bekannt ist?
Munition wird gespart. Nicht ja wert sind die Lumpen der Kugel.
Mit dem Kolben daran und dem Seitengewehr. Ausgerissen,
mit der Wurzel zerstört sei die Spottgeburt dieser Regierung,
aufgewuchert, ein giftiger Pilz, auf dem Revolutionssumpf!« –
»Seife kochen aus diesem Geschmeiß!« sprach der General Klumpstadt. –
Draußen spielte indessen der Frühling mit Blättern und Blüten,
sanft aufrauschenden Schwalles begrüßte ehrfürchtig der Park ihn.
Überseliges tönet hervor aus den Tiefen der Wipfel,
rieselt leise durchs Gras, mit Entzückung die Halme bewegend.
Auf smaragdenem Teppich verwurzelt, uralt, eine Zeder
stand und reckte den Stamm und verbreitete weithin die Äste:
diese hatten zwei Pfauen erwählt zu gemeinsamem Sitze.
Welch ein Paar, diese Pfauen, schneeweiß! Welche köstliche Schleppe
hing herab von dem Ast, den die Klauen des Männchens umschlossen.
Kein Smaragd war im Saal, kein Türkis, kein Rubin, auch Opal nicht,
ihm an funkelndem Glanz, ihm an funkelnder Pracht zu vergleichen
und noch wen'ger den Hälsen des eh'lich verbundenen Paares.
Und Till sah diese Hälse. Es trafen sein Auge die Flammen
ihrer farbigen Glut, auf glückseligstem Sterne gemischet,
währenddes er noch stand und die Gnade des Königs verdaute.
Und er dachte bei sich und vergaß, wo er war: Diese beiden
Vögel, weiß man das nicht, vor den Fenstern, im Garten, sind Götter!
Götter sind es! Sie haben die Gnade, im Garten des Königs
Abalus ihren Tag, ihren himmlischen Tag zu vertändeln.
Ist wohl eine Prinzessin im Saal nur zur Hälfte so fürstlich
als die fürstliche Frau dieses herrlich beschleppten Gemahles?
Ist dem göttlichen Paar irgendeines im Saal zu vergleichen?
Oh, armseliges Menschlein, armseliger menschlicher Hochmut,
dem ein Dämon die Augen verschließt, daß er Götter für Vieh nimmt.
»Totgeschlagen und Seife gekocht von dem schlechten Gesindel!«
klang es Tillen aufs neue ins Ohr, und er schreckte zusammen.
Schläge, sprach er zu sich, erwecken zum Leben das Kindlein,
das zu atmen vergessen, nachdem aus dem Leibe der Mutter
es geworfen nun liegt auf der untersten Schwelle des Daseins.
Oh, die Staffel ist lang und mit Stacheln und Scherben gepflastert.
Ganz so wurde auch ich durch den Schlag nun erweckt. Oh, Erweckung
durch den Schlag mit der Faust! Oh, du Wiedergeburt in das Dasein
durch den Kolben brutaler Gewalt! Sollte Till sich beklagen,
der doch weiß, was Erweckungen sind und so auch, wie üblich
in den Grenzen der Mark des wackren Herrn, Herrn von Piculnus?!
Und noch hielt seinen Blick Till erstarrt in den Garten gerichtet
auf die Götter, die schneeig gefiederten, die um den Hals sich
alle Farben der Iris gelegt. Er empfand in der Seele
etwas von dem unsterblichen Glück jener himmlischen Ruhe,
die nichts trübt: und indes er erkannte, wie ferne die Götter
von dem Treiben der Menschen, wie völlig geschieden von ihrem
wild hertobenden Lärm und dem widerlich schmerzenden Wirrwarr
ihres häßlich verknäuleten Kampfs, traf ein Licht seine Seele.
»Ich ernenne sogleich Euch zum Kammerherrn«, sagte der König
da zu Till, »und ich wüßte nicht einen am Hof, den ich lieber
um mich sähe!« Er schrie es, denn überlaut rauschte der Blechlärm.
Draußen aber zugleich auch ertönten die Schreie der Götter.
Pagen liefen vorbei, denn es hatte ein Teil der Gesellschaft
sich bereits in die Gärten zerstreut. Und es lagen die Damen,
Militärs, Kavaliere dabei, auf dem englischen Rasen.
Gule eilte herzu. Aufgelöseten Haars, einer Fackel
gleichend, kam sie gerannt, als man Till allerseits gratulierte.
Bellend stürmte der Pudel ihr nach. Durch den Park lief ein Kichern.
»Till«, so rief sie, »was sollen wir machen? Es ist ein Befehl da.
Mimen will man uns sehn, und du sollst deine Bude errichten!
Keiner weiß mehr, daß du und der Schalksnarr die gleiche Person ist!« –
»Hab' ich dir etwas andres gesagt«, lachte Till, »jüngst, im Wagen?
Tanzen werden wir bald und womöglich auf glühendem Drahtseil?!«
Drinnen tobte sich immer noch aus jener Herr von Piculnus:
»Unser Volk hat versagt, sich mit Schande befleckt: seine Kampffront
fiel von rückwärts es an mit verräterisch tückischem Dolchstoß.«
Till vernahm es und ballte die Faust, und er dachte im stillen:
Furchtbar wird es beleidigt, das Volk, für die Höllen an Schmerzen,
die es schweigend erlitt, für die gräßlichen Opfer der Schlachtbank,
Väter, Söhne und Enkel, geduldig ans Messer geliefert.
Nein, nicht weiter! 's ist Zeit, sich zurück in die Kiste zu flüchten!
Und er tat es. Er riß von den Gliedern im Wagen das Kriegskleid.
»Her den Harnisch der Narrheit«, so rief er, »den Erzhelm der Tollheit!
Umgegürtet das Schwert, dessen Hieb durch Gelächter den Tod bringt!
Umgegürtet die Pritsche des Heils, deren Klatschen gesundmacht!
Vor die Brust meinen Schild, bei den fahrenden Rittern als ›Nichtsnutz‹
allgefürchtet und rühmlich bekannt: für den Schild des Peliden
ist mir dieser nicht feil, den noch nie ein Geschoß nur geritzt hat.«
Angetan als Hanswurst war nun Till, und er klopfte die Pferdchen,
Gift und Galle. Sie hatten ihr reichliches Futter bekommen,
allzuviel. Und Till lachte und kehrte mit Stroh ihre Krippe.
Unterdes ward im Park Tillens Zelt von Lakaien errichtet.
Ringsum hatte die Hochzeitsgesellschaft sich zahlreich versammelt
mit dem König höchstselber. Er thronte auf goldenem Prunkstuhl.
Immer sprach er und sprach überlaut die unsterblichen Worte:
»Lausejunge! Er wagt es, uns warten zu lassen. Was heißt das?«
Solches sprechend, umgreift er die Schnauze des russischen Windspiels,
bis es, rasend vor Schmerzen, aufquietscht und aufbäumend sich losreißt.
Da erscheint vor dem Zelte, im Schatten der Zeder errichtet,
Till, der große Hanswurst. »Gnade dir! Gnade dir, daß du da bist!
denn es hätten dich sonst die Kawassen geholt! Und nun vorwärts!«
Wie verängstigt, weg wendet sich Till. Und recht weinerlich sagt er:
»Ach, mir ist nicht sehr wohl in dem Kreise der hohen Gesellschaft.
Eingeschüchtert durchaus ist mein Geist, kaum noch halt' ich mich aufrecht.«
Und Till schluchzte. Er weinte und heulte so laut und so furchtbar,
daß man ärgerlich ward und ihm zurief: »Worüber, Schuft, flennst du?« –
»Meine Mutter steht draußen am Schloßtor!« so heulete Till auf.
»Man mißhandelt sie so, daß das Blut ihr aus Nase und Mund bricht!«
Wirklich schallte es jetzt: tacktacktack! tacktacktack! Bastonaden
schienen es, auf Matratzen geführt, mit unzähligen Stöcken.
Schreckhaft horchte man auf. Und da war es, wo Herr von Piculnus
diese Worte zu prägen für gut fand: »Wir sind an der Arbeit!
Das Maschinengewehr ist die beste Erfindung der Neuzeit,
und so muß sich's entscheiden, wer wirklich in Deutschland heut Herr ist.«
Was tat Till? Till erhob seine Rechte, Stillschweigen gebietend.
Dabei ward auf entsetzliche Weise sein Antlitz verwandelt.
Furchtbar starrte sein Blick in die Leere: so starrt auf den Mörder
des Ermordeten Auge, so grauenvoll sehend und tagblind.
Es entsetzte sich aber der König, der horchende Hofstaat.
Alle sahen die Lippen des Gauklers geöffnet, erblickten
ekelhaftes Gewürm sich dem blutigen Schlunde entwinden.
Fürchterliches Gelocke rubinengeäugeter Vipern,
mit den Schwänzen im Schädel des schrecklichen Gauklers verhaftet,
wogte weit ihm ums Haupt oder zog sich ins Enge zusammen.
Alles aber war stets wie von stechenden Flämmchen umzüngelt,
so viel waren der rosigen Rachen, gespaltenen Zünglein!
Und er wuchs, dieser schreckliche Mann. Einen glühenden Stahlhut
sah man plötzlich gequetscht übers Schlangengewühl seines Scheitels.
Innen kochte sein Hirn. Plötzlich riß ihm ein Etwas, das niemand
sah, die Augen heraus, etwas andres das Fleisch von den Kiefern.
Was die Brust nun dem Gaukler zerschliß und die Teile des Leibes
so zerfetzte, daß heil ihm und ganz nicht ein einziges Glied blieb,
niemand sah es! Auf einmal verschwand er, zersprühte wie Wasser,
um sogleich seine Wunden und Beulen aufs neue zu zeigen.
Jeder sah in dem Wehrmann sich selbst, unbegreiflichen Höllen
unaufhaltsam entgegengerissen in haltloser Ohnmacht.
Und es fühlte ein jeder an sich, was dem schrecklichen Dulder,
was dem Mann widerfuhr, den, gespenstischen Spiels, man ans Kreuz schlug,
furchtbar nagelnd mit eisernen Hämmern, und nagelnd und nagelnd.
Da geschah's, daß ein nächtlicher Schauer urplötzlich hereinbrach.
Gruftkühl wogte der Park, und es kreischten, sich reibend, die Äste.
Blätter flogen in Schwärmen davon, wie gescheucht von Entsetzen.
Schwarz umzwitscherten jetzt Fledermäuse das Kreuz und die Nagler
oder klammerten sich, wie in Angst, an den zuckenden Leichnam.
»Was ist das?« fragte Abalus schwach. – »Etwa wohl ein Gewitter«,
hieß es. Weltuntergang! und nichts weniger sagte die Stimme,
die ein jeder in sich vernahm, von Entsetzen durchrieselt.
Jetzt erschienen gewaltige Vögel und ließen sich nieder.
Stoßweis fegte daher mit dem heftigen Winde urplötzlich
diese Sippe, so mächtig wie Schwäne, auch Hennen vergleichbar.
Auf gefiederten Hälsen indes saßen Köpfe von Jungfraun.
Und sie hockten vereint und zerstreut in dem Aufruhr der Zweige,
Mänteln gleich ihre Flügel, die riesig geformten, bewegend.
Laute hörte man wehn durch die Luft wie Gezwitscher, Gepfeife;
doch so wehevoll schien's, als vermöchte das blutende Herz nicht
zu ertragen die Klagen des nie noch vernommenen Lautklangs.
»Seid willkommen, Harpyien!« schrie Till. »Wer euch jemals erblickte,
so wie ich, ihr Verkünder des Todes im Blutschweiß des Mordkampfs,
ihm gehorcht ihr auf Wink!« Und er rief: »Acheronta movebo!«
Wahr zu sprechen schien Till, denn es fühlten die Hörer ein Schüttern.
Schwäche kam über sie, sie vergingen vor Übelkeit, wollten
sich erbrechen. Es drehte sich ihnen der Himmel im Kreise.
Ja, als sei er die Achse von Himmel und Erde, so schien es
Abalus und so auch einem jeden, der mit ihm im Bann stand.
Plötzlich wurde es Nacht um sie alle. Typhonischer Wirbel
riß den Boden, den Park und die Menschen zugleich in den Abgrund.
»Was geschieht?« rief der König. – »Oh, nichts«, Till, »ich flechte nur einfach
eine Nekyia ein, und schon hört man die stygischen Wässer!«–
»Dieser Mensch geht zu weit!« sprach erwachend der Herr von Piculnus.
Doch jetzt drang ihm aus jeglicher Pore aufs neue der Angstschweiß.
Sturz um Sturz und Geräusch riß nicht ab, bis Geheul des Kokytos
alles Rauschen verschlang, wie der Donner des Zeus eines Bächleins
Plätschern etwa, so daß es verstummt, wie von Ewigkeit lautlos.
Und Till starb. Es starben mit ihm gleicherzeit seine Hörer.
Sie erwachten jedoch zuerst und erblickten den toten
Till, um den sich sein Mädchen, die Gule, laut flennend bemühte.
»Schafft mich fort augenblicks!« rief der König. »Beim Thron meiner Väter,
wo ist irgendein Land und ein Ort und ein Mensch, der nicht außer
Rand und Band ist? Ich wandere aus. Schafft mich fort! Und vor allem
schafft das Weib und den Leichnam hinaus aus den Grenzen der Herrschaft,
denn ich lasse mir nicht allerhöchst meine Hofluft verpesten!«


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