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Das vierzehnte Abenteuer

enthält Tillens allerbitterstes, allerschwerstes, allerniederdrückendstes und auch gefährlichstes Erlebnis.

 

Welch ein Lärm und Getöse erfüllt den unendlichen Marktplatz,
Buden allüberall, graue Leinwand, Bewegung und Tamtam.
Dieses wäre doch nun mein Gebiet, denkt der Schalk auf der Stute
Mohammeds. Doch ich ängstige mich, denn dies ist nicht ein Jahrmarkt,
keine Kirchweih, wie andere mehr. Ein Orkan, ein Zyklon ist's!
Epiphana ist laut in der Ewigen Stadt, wenn die Pfeife
gillt, die Knarre dein Haupt dir zerreißt und der Lärmer, der Jüngling,
losgelassen im Rausch und im Taumel, dir rasend ins Ohr brüllt.
Doch dies alles ist zahm noch, verglichen mit dem, was hier aufloht:
Wut der Lust! Haß der Lust! Und Verzweiflung der Lust als ein Aufschrei!
Fluch der Lust, ein Getös! Lust der Lust, eine brandende Meerflut!
Scheiterhaufen der Lust, entflammt in den Höhlen der Wollust!
Krachen, Glockengetön, dumpf erdonnernde Flammen des Urgrunds!
Knattern, Tettern von Scheiben und Scherben und schmetterndem Messing!
Mammutschreie zerspalten die Luft. Der Gesang eines Nilpferds,
tränensel'gen Geschnarchs, macht zuzeiten verstummen den Marktplatz.
Wimpel flattern. Die Farben der Völker erknattern im Glutwind.
Und als hätte die Elbstadt den nächtlichen Himmel geplündert,
ihn der Sterne beraubet, so funkelt von Lichtern der Jahrmarkt.
Durchs Gewühle einher schreitet einer. Aus welchem Gezelte
stammt er wohl? Er ist dunkel von Haut, ist ein Inder, ein Hindu.
Ausgehungert erscheint dieser Mensch und verbogen im Rückgrat,
krank! Im Auge den fiebrigen Glanz, von der Wiege des Elends
aufgewiegt, einer stachlichten Wiege! die Glieder verkümmert,
aufgetrieben zum Teil, seine Hand eine Unform der Arbeit.
Kaum geschieht es, kaum ruft er: »Ich grüß' euch im Zeichen des Spinnrads,
wie dereinst euch im Zeichen des Kreuzes der Heiland gegrüßt hat«,
als ein Heulen entsteht von Sirenen, ein wüster Fabriklärm.
Maschinisten entließen den Dampf in die schreienden Pfeifen,
tausendfältig, so schien's, zum Protest gegen solches Beginnen.
Um die heilige Roma des Nordens erhebt sich ein Urwald,
ringsumher, aber Stämme nur sind's ohne Zweige und Blätter.
Ja, da steht er nun da, unser neuer germanischer Urwald:
riesenstämmig gewachsener Stein, düstert Steinstamm an Steinstamm.
Seinen Wipfel erschafft jeder Baum: den schwarzquillenden Rauchqualm.
Schwärze wirft sich empor. Sie bedroht die Gestirne des Himmels,
und die Wipfel der Nacht, sie beschatten den lärmenden Waldgrund:
hier gebiert sich der Erbfluch des Eisens im Dschungel der Arbeit!
Oben sticht in die Wipfel hinein dieser Bäume Hephaistens
rot die Flamme des eisernen Mords. – Blut und Eisen! denkt Till da.
Wie verstummt doch der Markt ringsumher, wo dies Zeichen hereindroht.
Kein Entrinnen! Till bleibt an die Mähre im Rücksitz gefesselt.
Fernes sinket in Dunst, und im Dunste versinkt der Fabrikwald.
Wie beschwörend dawider erhoben, schwankt dort noch das Spinnrad.
Nun besteiget ein Redner – ein Deutscher? ein Russe? – den Prellstein.
»Ich bin Jude, bin Russe, bin mehr, weil ich Bürger der Welt bin!
nicht Bourgeois, auch nicht Intelligent! Nein, verflucht diese beiden!
Proletarier bin ich! Genosse! ein Bruder der Brüder!
unter Rädern ein Rad, ein Maschinenteil an der Maschine!
Wir sind hier, wir sind da! denn – beim Lenin! – wir wissen, was vorgeht,
und wir werden nicht ruhn, ehbevor dies Konzil hier gesprengt ist:
oder aber es beuget die Stirnen dem Lichte von Moskau,
höchster Leuchte der Erde.« – Till nickte: »Komm, steig auf den Gaul, Freund!«
Unbeirrt sprach der Redende weiter: »Genosse, weshalb wohl?
Auf dem Pferd, unterm Pferd – es ist immer dasselbe und gleiche.
Einzelsein ist gestohlenes Sein, wahres Sein ist Gemeinschaft!
Seelenlos sei der Mensch, und er ist es und war es von jeher,
außer, wenn er ein Ding, welches niemals gewesen, sich anlügt.
Lenin starb, und hier bringen sie, einbalsamiert, seinen Leichnam« –
Männer trugen in russischen Kitteln den Sarg mit dem Toten –,
»doch auch Lenin, zur Zeit, als er lebte, besaß keine Seele!
und es fiel ihm nicht ein, einer solchen sich jemals zu rühmen.
Überhaupt, dieser Tote war keine Person. Er bestritt es,
Schöpfer dessen zu sein, was im heutigen Rußland emporblüht.
Und das war er auch nicht, mag es Irrtum und Torheit behaupten.
Die Geschichte bediente sich seiner als eines der vielen
Apparate, durch welche sie wirket. Die Zeit aber naht sich,
wo man solcherlei Werkzeug, Akkumulatoren des Werdens,
nicht mehr elementar wird erzeugen, der Mann mit dem Weibe,
sondern, wie's die Mechanik verlangt und die Arbeit es durchführt,
künstlich! Dann aber wird kein Lenin mehr geboren. Die Werkstatt
zeichnet, rechnet ihn aus, stellt ihn fertig und so auf die Beine.« –
»Überzeuge mich, Freund, wenn du kannst«, rief da Till, »daß du recht hast!« –
»Das geschieht«, rief der andre zurück, »durch Gewalt nur! – Gewalt ist's,
die im Kreml sich ballt –, durch Gewalt, die im Kreml geballt ist!
Gib nur acht, wenn der Strahl der Gewalt in die Spreu des Konzils fährt!« –
»Ach, auch du bist der Meinung, Gewalt sei der beste Rhabarber
für die Krankheit der Welt? Kardinal, streck dem Bruder die Hand hin!«
Also Till. Spricht der andre darauf: »Dieses Rot ist nicht mein Rot
und nicht das meiner Brüder vom heiligen Lenin zu Moskau:
diese geben dem Volke nicht Worte und Lügen zu essen,
nein, sie schweigen und stopfen die hungrigen Mägen mit Brot voll.
Brot ist Wahrheit, und Wahrheit ist Brot! alles andre ist Unsinn.« –
»Nicht so leicht ist dies alles zu fassen. Es scheint mir viel leichter,
aus lebendigem Leben das Leben zu schaffen, als Totes
in dem Zustand des Tods zu belassen und doch zu beleben:
nicht mit Hilfe der Zeugungsorgane, auch durch den Verstand nicht,
den ja doch euer Haushalt verfolgt, unterdrücket und ächtet!«
Also Till. »Und wie kommt's, daß ihr unser Konzil doch verurteilt,
ihr, für die der Verstand nicht besteht oder aber entthront ist
und das Urteil, sein Kind? Und wie denkt ihr das Brot zu genießen,
wenn ihr Brot nicht mehr braucht und nur eiserner Kolben und Rad seid?« –
»Hier ein menschlicher Schädel!« gab Antwort der Russe und zeigte
einen solchen der Menge. »Es wird der Semit durch Beschneidung.
Dieser Schädel, er weiset mit waagrecht durchsägeter Kapsel,
mittels welcherlei Eingriffs bei uns Bolschewik Bolschewik wird.
Er ist leer, wie ihr seht, dieser Schädel: welch sauberer Anblick!
Nicht das kleinste Partikelchen Hirn ist darin mehr zu finden,
kein Gedanke, und also natürlich kein Funke von Irrtum,
keine Lüge, und wo diese fehlet, was braucht's da der Wahrheit?
Weder Glaube noch Hoffnung noch irgendein Wahn, drum kein Wahnsinn.
Mythos weder noch Märchen und also auch Teufel und Gott nicht!
Dieser Eingriff ist äußerst gering, und die Wirkung ist sicher.
Ist er einmal gemacht, so begreifst du das ganze Geheimnis,
das der Kreml besitzt und mit Großmut der Menschheit dahinschenkt!«
Einer steht, der den Redner betrachtet: ein Mönch, hat's den Anschein.
Eulenspiegel erblickt ihn, nicht äußerlich nur, auch im Innern
seiner Seele, trotzdem er vom Lärme des Marktes fast taub ist.
»Franz! o heiliger Franz! Poverello, wie kommst du wohl hierher?«
Kaum gedacht, lächelt jener ihn an, wie ein Bruder den Bruder.
Der ein Narr ist der Welt, wird gegrüßt von dem Narren in Christo.
Selig farbiger Bogen des Blicks einet Seele mit Seele.
»Sieh, ich warte des Heilands«, spricht Franz, »des hochheiligen Leichnams,
den man eben in Prozession durch die Höllen der Welt trägt!« –
»Armes Mönchlein, du irrst«, ruft der Russe dawider, »der Leichnam,
der da kommet im Sarg der Vernunft, von den Fäusten der Arbeit
hoch erhoben und schwimmend darauf, es ist Wladimir Iljitsch.
Dieser Tote, was stellet er dar? Allen Irrwahn, der hinstarb!
Läutet, läutet die Glocken zum Ruhm dieses heiligen Leichnams,
dieser köstlichen Mumie, die ein Triumph der Chemie ist!
Beugt die Kniee, die Rücken, die Köpfe, ja, fallet zur Erde
nieder! schwöret den Irrwahn, ihr Menschen, schwört Jesus und Buddha
ab! schwört Mohammed ab, Epikur und Dionysos-Platon!«
Da urplötzlich entlohte dem Munde des lauschenden Mönchleins
eine Flamme, ein Blitz in Gestalt eines Kreuzes, von Golde
ganz, und sichtbar daran, glanzfunkelnd, der Leichnam des Heilands.
Hoch auf schoß dieses Licht, und es bebten hervor aus dem Glanzwurf
Stimmen, Engel, vom Busen Francisci, wie jener, geboren.
Liebe! klang es, und Liebe! und abermals Liebe! und Liebe!
Bruder Martin, ein Mönch, rief nun lärmend: »Was soll euer Fraß uns?!
Teilet Schlempe, und teilet gekochte Schlampampe der Welt aus!
Aber werfet ihr Christus und Gott, Brot und Wein der Monstranzen
aus der Küche des Kremls hinaus in den Müll und den Abfall,
Heil'genknochen und Märtyrerknochen, so bleibt uns vom Leibe
mit der Mumie da, die ihr euch zum Ersatz fabriziert habt!« –
»Ehrt die Kuh! Ehrt die Kuh!« sprachen farbige Männer und führten
jenes Tier an dem Halfter einher, dessen Ehre sie suchten.
»Ehrt die Kuh! Ehrt die Kuh!« Ihr gesellte Franciscus, der Mönch, sich,
strich die Flanke des Rindes und sprach zu dem Mann mit dem Spinnrad:
»Wie du solches verstehst, mein geliebtester Bruder, erklär das!« –
Gandhi sprach, aber während er sprach, scholl ein wüstes Gelächter
überall. Es erbebte buchstäblich vor Lachen der Jahrmarkt.
»Schlachtet sie!« rief man heulend vor Lachen. »Und gebt uns das Rindfleisch!«
Tillen selber, ihn schüttelte Lachen, so tat ihm das Herz weh.
Dabei schwang er sich seitwärts und saß allbereits wie ein Fräulein,
hob sich nochmals und saß nun gerecht, wie man sitzt auf dem Prunkroß.
Ruhe, schien es, gebietend, erhob er sich dann, doch vergeblich.
»Steinigt, steinigt die Kuh!« riefen Stimmen, »den Götzen! den Abgott!«
Selbst die Raben, die Dohlen, Gewölke der Nacht, die dem Zuge
nachgefolgt in die Stadt, sie umkreischten die Türme und riefen
nun nicht weiter: Apsethos ist Gott!, sondern: »Gebt uns die Kuh preis!«
Da nun winkt der Pov'rello den Vögeln. Ganz deutlich sieht Till das.
Und sie schwiegen sofort und verhüllten, sich senkend, die Dächer.
Dieses Wunder erschreckte die Menge, so daß auch sie stillschwieg.
»Hört den indischen Mann!« rief gebietend der heilige Franz nun. –
»Übt Ahimsa!« begann nun der Inder. »Das Tier sei euch heilig,
wie der Mensch! Das Gebot, nicht zu töten, betrifft auch die Tierheit.
Gräber seid ihr, soferne ihr tötet und Totes hinabschlingt!
Stumm, erkenn' ich das Leiden des Stummen und sehe das meine
in dem seinen. So reich' ich dem Tiere die menschliche Hand hin.«
Allgemein war ringsum der Protest. »Er verhöhnt Martin Luther!«
schrieen diese. Es riefen die andern: »Er stellt auf den Altar
uns das Tier! Welche scheußliche Greuel! Vertreibt ihn! Verjagt ihn!«
Plötzlich scholl's durch den Markt: »Toller Jakob! da kommt er! da ist er!«
Zitternd bäumte die Stute, und bei einem Haar warf sie Till ab,
weil ein scheußliches Wesen ihr dicht vor den Hufen vorbeikroch:
weder Vogel noch Fisch war das Tier, ob auch allerlei Federn
es bedeckten von allerlei Farbe. Es zeigten die Blößen,
wie gerupft, blankes Fleisch; nur die Schulter, kein Kopf war erkennbar.
Statt des Kopfes trug hier eine Stange das herrlichste Zaumzeug.
In den Federn, gleich hinter den Schultern, befand sich der Sattel
dieses Reitpferds, das, klein wie ein Hund, einer Kröte gleich fortkroch.
Hinten aber erhob sich der Kopf eines Menschen, wo Tillens
Stute eben das hatte, was meistens der Roßschweif bedeckt hält.
Und im Mund hielt das Haupt, festgebissen, wahrhaftig den Schwanzriem.
»Steiget auf!« rief das seltsame Pferd mit der hinteren Öffnung. –
»Wer ist dieses? Und was wäre dieses?« sprach Till, und er fühlte,
wie die Farbe der Scham ihn beschlich und rotbrennend bedeckte.
Schlag ihn nieder mit silbernem Huf, also denkt er, mein Streitroß!
denn dies Ding da verhöhnt und beleidigt den Adel der Narrheit!
»Wer du immer auch seist«, rief das Schandding, »weh, wenn du für mehr dich
hältst als mich, ein verfluchtes, verderbtes, verächtliches Unflat!« –
»Ich bin mehr, oh, weit mehr, als du bist, du armseliger Mistwurm!« –
»Mistwurm bin ich, ein Mistwurm, verglichen mit ihm, unserm Heiland«,
spricht der garstige Kriechmensch, indem er zu Till böse aufblickt.
»Stoß mich tiefer hinein, o mein Gott, in den Kot, in den Unrat.
Ganz entwürdigt nur, bin ich nicht ganz so unwürdig, die Liebe
deines göttlichen Herzens und Opfers für mich zu verdienen!«
Rettung, Rettung, denkt Till. Kaum gedacht, gibt das silberne Klingeln
seines Dämons und inneren Lenkers ihm tröstliche Antwort.
Ja, Hetairos erscheint in der heitersten Glorie der Schönheit,
unerkannt, unberührt von dem Wirrwarr im Dunste des Marktes.
Seine weisende Hand und sein Blick, das durchwühlete Goldhaar
in den Nacken geworfen, spricht wieder: »Hindurch, Till, mit Freuden!«
Er verschwindet, der Knabe, und läßt ihm Justus an der Seite,
Faustens Sohn und Helenens, den selig vergrämeten Jüngling,
der opalenen Blicks wiederholt: »Till, wir suchen die Mutter!« –
Endlich nun unterm Toben des Volkes erreicht Till das Rathaus.
Scheppernd steigt er vom Roß, einem Schellenbaum ähnlich erklingend,
als die Ferse den Boden betritt. Nun, beim Hunde! was ist das?
denkt der Narr, hat es Schellen geschneit? denn, ich bin ja mit Schellen
ganz behängt, so die Ärmel, die Stiefel, der Mantel, das Beinkleid.
Welcher Segen! Nun wohl, einerlei! Also lärm' ich und wettre
meinetwegen, wie Heinrich der Löw' oder Popo der Dritte
oder Roland von Zerbst! Und ich mache Musik mit dem Kopfe,
schüttl' ich ihn auch nur leicht. Und kopfschütteln, wer sollte das jetzt nicht?
Als der klingelnde Kaiser die Treppen zum Rathaus hinanstieg,
majestätisch, Freund Till, was geschieht? Ihn erwarten die Ratsherrn
und, vor diese postieret, ein zünftiger, waschechter Schalksnarr.
»Ich begrüße den Kaiser«, so sagt er, »den Herrn dieses Welttags,
ich, der Hofnarr und Freudeerwecker des Herzogs von Bayern.
Löffler heiß' ich, Cochlaeus genannt. Und ich singe sogleich Euch
jenes Lied, das ich Luthern gesungen zu Worms auf der Straße,
als ich dort unverhofft den gewalt'gen Mann Gottes erblickte.«
Dies gesagt, sang der Narr auf Latein etwa dieses: »Willkommen,
süßer, herrlicher Stern, den wir lange im Dunkel erhoffet!«
Alles schwieg, als die liebliche Stimme des Narren Cochlaeus
himmlisch scholl übern Markt, ob die Worte auch niemand verstanden:
                   »Advenisti, desiderabilis,
                   quem expectavimus in tenebris.«
»Gut, Cochlaeus!« spricht Till, und der Schellenbaum rauschte gewaltig.
Da verschlug es Cochlaeus die Stimme, und schleunigst entwich er.
Und der Kaiser durchschritt das Portal und betrat so das Rathaus.
»Bürgermeister, wo ist hier ein Ort, wo die wäßrigen Teile
eines Herrschers der Welt ungestört sich zu trennen vermögen
von den festen? Auch das wollte Gott, wie euch allen bekannt ist.
So gespenstert in mir noch der dritte der Tage der Schöpfung!
Doch es eilt, beste Freunde! es eilt, ihr geliebtesten Ratsherrn!
Danach mag das Gelage, will sagen die Tagung, beginnen.«
Der Herr Kaiser verschwand. Es verharren voll Ehrfurcht die Ratsherrn:
lauschend stehen sie da und gespannt, wenn der Schellenbaum still wird,
sehr erschrocken, soferne er lärmet, und dies geschieht mehrmals:
sie ersterben, als jetzt, von metallnem Getöse umgeben,
diese Sonne von Erz majestätisch aufs neue hervortritt.
»Schließt die Pforten! Zu Tisch!« ruft der Kaiser. Noch wenige Stufen,
und der Remter eröffnet sich weit, wo, im Lichte der Kerzen,
eine prunkvoll belastete Tafel goldfunkelnd gedeckt steht.
Bläser hoch vom Altan! Die Erzämter bereit! Wo der Truchseß
mit dem Auge nur winkt, fliegen Diener und weisen die Plätze.
Alles sitzt, obenan der Herr Kaiser, ein strahlender Halbgott.
Und das Schmausen beginnt. Es erscheinen die mächtigen Schüsseln,
schwer und schwankend, in langsamem Zug. Und ein Zug folgt dem andern.
Metzger bringen die Würste und bringen das Schwein und die Ferkel,
hergerichtet auf Silber und Gold. Danach tragen die Bauern
das Geflügel herzu, von gebratenen Gänsen und Enten
ganze Berge. Es folgen die Jäger, sie bringen das Wildbret,
Falkeniere den Reiher, den Schwan. Hörner spielen den Hirschtod,
als ein ganzer gebratener Hirsch jetzt im Saale erscheinet.
Keine Gabel ist da, selbst der Kaiser, er ißt mit den Fingern,
kann nicht sprechen, so voll ist sein Maul. Und so geht es den andern.
Alle mumfeln und mamfeln Gesottnes, Gebratnes, Geschmortes,
lutschen Mark aus den Knochen und spülen mit kochender Brühe
große Bissen hinab durch den Schlund. Eine heilige Stille
unterbricht nur mitunter ein Rülpsen, ein ächzender Aushauch
und ein wohlig gesprochenes Wörtlein glücksel'gen Genügens.
Nichts zu trinken ist da, aber jedermann weiß, dieses kommt noch.
Und so ist es. Das Schmausen bricht ab. Hinter jedem der Gäste
steht ein Page nunmehr mit dem Handtuch und silbernen Handfaß,
in der Rechten das Kännchen, die fettigen Finger der Satten
zu begießen bereit. Es geschieht. Und der Schenk trägt den Wein auf
Und sie heben die Humpen und pumpen den Wein in den Hals sich.
Dazu heult auf der Gasse der Mob. Und wer sind sie denn, diese
Auserlesnen des hohen Konzils, die hier sitzen und tafeln,
diese mächtigen Fässerbewahrer des Weines der Menschheit,
Schlauch- und Humpenverteiler und erste Genießer des Geiststoffs?
Meine niemand, sie kämen als Freunde, die Welt zu befrieden!
Unversöhnliche Feindschaft vereint sie. Ihr heiteres Lachen,
morgen ist es nicht mehr, wenn der Kampf bis aufs Messer sich anhebt.
Und sie heben die Humpen und pumpen den Wein in den Hals sich.
Stille herrscht, eine drückende Stille. Da hebt sich ein Bischof
auf vom Sitze und sagt: »Eisen! Feuer!! und Blut!!!« – Drauf ein andrer
Mann im schwarzen Talar, weiße Beffchen am Halse, ein Stiermensch.
»Eisen! Feuer!! und Blut!!!« sagt auch er, und ein Dritter das gleiche:
»Eisen! Feuer!! und Blut!!!« Jener Russe ist's, unten vom Prellstein.
Und sie huben den Humpen und pumpten den Wein in den Hals sich.
Oh, es maukt! dachte Till, als er über die Tafel dahinsah.
Bis zum Platzen gefüllt mit verhaltenem Groll sind die Gäste,
jeder zornig vom Zorne der Lehre, die jeden durchwütet.
Innen maukt es, und überall gärt es. Da hob er vom Sitz sich.
»Nicht so! nicht so!« beginnt er, »noch währt das Gelage, und morgen
erst beginnet der Kampf. Keine Sorge, die Klärung ist einfach.
Einfach läßt es sich an, übersichtlich durchaus, denn ein jeder
will das Gute, das Beste, darauf kommt es an, das genügt mir.
Trinkt! Erhebet die Humpen, ihr Herren, und pumpt euch den Leib voll!«
Schreit der Russe: »Was soll uns die Farce, wo jederlei Meinung
für die rechte sich hält und die rechte allein nicht gehört wird?«
Spricht der Bischof: »Was soll das Konzil uns, wo jederlei Meinung
für die rechte sich hält und die rechte allein nicht gehört wird?« –
Der Bekenner im schwarzen Talar spricht mit dröhnender Stimme
ganz das gleiche: »Was soll ein Konzil uns, wo jederlei Meinung
für die rechte sich hält, und die rechte allein nicht gehört wird?« –
»Trinkt!« sprach wieder und wieder der Kaiser und leerte den Humpen.
Hoch aufatmend ergänzte er jetzt: »Denn ich hasse das Wasser,
gleich den Göttern Homers. Trotzdem will ich, ihr Freunde, bekennen,
daß nach dem, was ich draußen und innen bis jetzt hier erlebte,
Durst nach Schönheit noch stärker mich martert als Schmacht nach dem Weinschlauch.
Schaff mir Kurzweil, Cochlaeus, mein lustiger Rat, sonst, beim Hunde!
wird mir flau um die Brust, mich befällt eine wäßrige Andacht.
Vorgespukt hat sie längst schon in mir, nun befürcht' ich den Durchbruch.
Ja, da kommt's, steigt es auf, es ist nicht mehr zu halten, zu dämmen.
Niemand wundere sich, wenn der Armstuhl des Weltenherrn feucht wird!
Unaufhaltsam nun stürzt sie herein über euch, meine Sintflut.
Keine Angst, niemand spült sie hinweg, nur den Gram meiner Seele
löst sie auf, unvergleichbar der Sintflut des zornigen Herrgotts.
Wenn im salzigen Naß irgend jemand ertrinkt, bin ich's selber.
Regne denn, du mein Regen, aus feuchten Gewölken der Seele
wolkenbrüchig entleert! Ich beweine mein Volk! Ich beweine
den unendlich mühseligen, dornigen Aufstieg der Menschheit!
Ich beweine den ewigen Krieg, den kein Friede je abschließt!
Ich beweine den Glauben, beweine so Wissen als Irrtum!
Gott am Kreuze bewein' ich, den Statthalter Christi und seinen
Gegenpapst, Martin Luther, sie alle bewein' ich, bewein' ich!
Ich beweine auch die, die am Volke verblutet, verblutet
an der Menschheit, verblutet im Krieg und verblutet am Glauben!
die am Wissen verblutet und die da verblutet am Irrtum,
die verblutet für Christum am Kreuze, verblutet für seinen
mächt'gen Hirten zu Rom und die, die verblutet für Luther!«
Damit weinte Till laut, so daß alle erschraken, nicht lange
zwar, doch wahrhaft berühret die Seele von stechendem Weltschmerz.
Danach hieß es: »Herr Kaiser, man wünscht Euch zu sehn auf dem Marktplatz!« –
War dies nun das Konzil, das dem glotzenden Weltherrn sich darbot,
welcher, allen erkennbar, nun stand auf dem hohen Balkone?
Nein, noch hatte es gar nicht begonnen, und doch, welch ein Anblick!
Hochgeschwungene Waffen, wahnsinnige Flüche und Fäuste,
Scheiterhaufen, in denen man Stöße von Büchern verkohlte.
Andre züngeln und lodern um nackte Gestalten, Bekenner
ihrer Meinung, umtanzt von Apachen, wahnwitziger Mordwut.
Saß ich nicht auf dem Kampfroß, denkt Till, eines irrenden Ritters,
der gen Troja zu ziehn sich vermaß, um Helenen zu freien,
um Thersites vom Throne Europas herunterzustoßen
und Helenen darauf zu erheben in seliger Krönung?
Und nun, wo ich zum Richter der Welt und zum Kaiser erhoben
bin, was bietet sich mir, der ich Helena, Helena suche?!
Widersinniger Wust auf dem taumelnden Weltmarkt des Wahnsinns!
Drüben, nahe der Stadt, stand der neuste der Götzen, dem Moloch
so verwandt wie die meisten der andren: ein eiserner Gott-Turm!
Räder, surrend und glühend und rauchend, von Priestern bedienet.
»Auf die Kniee vor ihm! Auf die Kniee!« erschallet der Ruf jetzt.
»Masse! Masse! Ich bin's, der das rief! Ich, die Masse, ich rief es!
niemand sonst, denn es ist niemand sonst, weil nur ich bin, die Masse,
ich, das Rad aller Räder, die Masse! Der einzelne ist nicht,
außer wenn er am Zahnrad der Masse ein eiserner Zahn ist!«
Böse surret und schnurret und fauchet der riesige Gott-Turm,
Arbeitsmann von urmächtigem Ausmaß und unüberwindlich.
Doch er wird von unzähligen Priestern und Sekten gelästert.
Schrecklich raset der Geist, nicht der Heilige, nein, ganz gewiß nicht!
denkt da Till, den der Schein seiner Flammen im tiefsten verdüstert.
Jetzt nun dringt auf den Markt ein wildhüpfender Aufzug, ein Fasching.
Und der Kaiser, der Weltherr, erzittert. Was hoch über Kappen,
Pritschen, Kolben und Schellen dahinwankt, was ist's für ein Monstrum?
»Helena!« tobt der Markt, und er feget der Larve entgegen,
die, hohläugig und leidenzernagt, auf dem Tragstuhl erhöht sitzt.
Till im Kaiser erstarrt. Fast gefriert ihm das Herz. Er ermannt sich:
»Spottgeburt dieser Spottprozession, bist du mehr, als du scheinest?
groß durch Duldung und härtesten Frondienst des ew'gen Gebärens?
Narrenmutter! Du Mutter der Narren! Du Mutter des Narren
Till! O Helena! Helena! Etwa auch wohl Anne Wibken?«
Markolf folgt und Hanswurst, Pulcinell, Karagöz und Bajazzo.
»Oh, wie schaurig ist dieses Gefolge, o Helena! Helena!
und wie fremd bist du mir! Und wo weilst du, mein Dämon, Hetairos?«
Ach, es häufte sich Fremdes und Wildes so schrecklich und furchtbar,
daß der Kaiser den Markt überflennt wie ein heulender Schloßhund!


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