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Das fünfte Abenteuer

kann man getrost ein Liebesabenteuer nennen. Till Eulenspiegel zeigt sich darin als ein Verwandter des Tristan: daß dieser ein Ehebrecher war, wird niemand leugnen. Aber Till kannte die Fürstin, die ihn hier erhört, bereits während der Kriegszeit als Mädchen, und der kleine Majoratserbe Till Kraushaar weiß davon ein Liedchen zu singen. Ein wunderbares Schloß, über dem herrlichsten Waldtale thronend, umgeben von alten Bäumen und weiten Wiesen, ist der Schauplatz einer ebenso sündhaften als köstlichen Leidenschaft, die Eulenspiegel auf eine ganz besondere Weise tiefsinnig und hochsinnig macht und ihm etwa so mundet wie ein Gemisch von Honig und Galle.

 

Vor dem Hause stand Till jetzt. Er hatte bereits aus dem Wagen
seine Freundin geholt, Mandoline, und hielt sie im Arme.
»Klimper, klimperimpim! Du verzeihst es mir, heil'ger Pachelbel!
Und du, Wolkenversammler, gewaltiger Kantor des Herrgotts,
hältst es wohl meiner Schwachheit zugut, was ich hier musiziere,
wie die Grille im Loch, wie die Schnake es tut überm Nachttopf!«
Also schritt der Vagant quinkelierend herum um den Kirchhof,
stieg an Höfchen und Häuschen vorbei, hügelan und landein dann.
Oh, der Tag war wohl schön. Voll erblüht stand der Ginster. Holunder
machte schwer von Gerüchen die Luft, und es schwollen am Wegrand
Rosenbüsche wie weißes Gewölk. Von dem Mähder gemähet,
lag der Schwaden und strömte der Halme betörenden Duft aus.
Und er schritt durch den Wald. Es ist wirklich der Wald meiner Jugend,
sinnet Till, und er rühret dabei unaufhörlich das Plektron,
unberührt durch die Schrecken des Kriegs, steht er flüsternd und grünet!
Hier, wenn je, oder nirgend entdeck' ich noch einmal den Schlüssel
zu der Stadt des unsterblichen Lachens unsterblicher Götter.
Oh, ich ahne, wie selig es ist, denn ich hab' es gekostet,
nur gekostet, doch hoff ich es einstens noch voll zu genießen!
Damit hatte nun Till eine Höhe erstiegen und blickte
hoch vom Rand einer felsichten Schlucht in den köstlichsten Abgrund,
den, vom Laube der Wälder verhüllt, wilde Wasser durchrauschten.
Des Amfortas gedenket da Till, denn es hebt eine Gralsburg
wiederum sich empor, nur viel herrlicher noch als die seine,
aus der Mitte des Tals, ein fast nacktes Geklippe bekrönend.
Schloß und Garten und Felsen erklangen vom nahenden Abend.
Abschiedshymnen hinströmten die Brüste der Vögel dem Christos,
der, noch leuchtend, ein wehes Gestirn, seinen scheidenden Glanz warf.
Doch es klang mit den Fluten der Sehnsucht die süßeste Hoffnung.
Auferstehung! denkt Till. Diese sind ihrer sicher, die Vöglein!
Und es murmelt Gemurmel der Ewigkeit still durch die Wälder.
Hingenommen steht Till. Da nun war es, als sei ihm im Rücken
jemand, der ihn mit Blicken durchdrang, denen nichts sich verberge.
Und er wandte sich um und erkannte die kindliche Mutter,
die dem Täufling zur Seite des Gatten heut morgen gefolgt war.
Lesend ruhte sie aus von dem Fest und sah manchmal zu Till hin.
Was tat Till? Der Gesell warf sich hin zu den Füßen der jungen
Fürstin, weinete laut und so lange, bis daß ihn der Bock stieß.
Er umarmte die Knie der Geliebten, die schmerzlich ihn ansah.
Oh, ich habe mein Lachen durchaus nicht umsonst! sprach's in Tillen,
nein, es ist überzahlet mit Tränen! Doch davon weiß niemand.
Und sie sagt: »Till, der Knabe ist dein und der Täufling dein Kind, Till! –
als du mich unter Schmerzen des Abschieds zuletzt an das Herz nahmst,
in der angstvoll-glückseligsten Nacht, süßer Liebling, empfangen.
Habe Dank, denn ich lebe nur noch durch dies kindliche Blut, Freund!
Anders wäre ich tot und der Fels und die Burg dort mein Grabmal.
Doch nun bist du ja da, Till, du selbst, und nun kenn' ich auf einmal
dieses traurige Blaubartgehäus' und den Wald nicht mehr wieder.
Was mich bleiern erdrückt, alles wandelt dein Dasein in Gold um!« –
»Stella, seligster Stern! Oh, du Glanz meiner süßesten Nächte!
allerholdester Preis! Preis sei dir! und es werde gepriesen
das entzückende Wunder, o Weib, deines himmlischen Leibes!
Gold ist duftlos. Doch wer in das üppige Gold deines Haupthaars
Mund und Nüstern versenket, ist auf den Molukken gelandet!
Schnee ist duftlos. Doch wem die unsagbare Wonne gewährt wird,
heiße Lippen, im Kuß, in dem Schnee deiner Brüste zu kühlen,
trinkt Jasmin! O holdseligste, süßeste Stella! Holunder,
von den Fluten des lauen Gewitters betaut, ist dein Schoß mir!« –
»Freund! o Freund meiner Träume! du Sehnsucht! du wachende Sehnsucht
meiner Tage, wie hat sich nach dir meine Seele verzehret!
Warum ließest du mich in der Wüste verdorren, o Liebling?
Weißt du, wie das verschmachtete Kraut auf die Tropfen des Himmels
lechzend harrt, Freund? und von der unnennbaren Qual, der es standhält?
Meine Augen sind blau, und du kennst diese Brunnen wie keiner,
und ein blühendes Blau ist die Kuppel des brennenden Himmels:
doch der Himmel wird schwarz, und das Auge wird schwarz, und die Zunge
bricht im Munde vor Marter des Durstes! Zu viel, was ich litt, Freund!
Was man riechet, ist rauchiges Gift! Was man schmecket, schmeckt bitter!
Was man tastet, ist Dorn oder Nessel, ist Schorb oder Schlacke!
Warum gingst du von mir, Freund, und stießest mich in dies Verlies, wo
Nacht für Nacht mich ein Fremder besucht und an mir seine Brunst kühlt!«
Ein geprügelter Hund, den man drosselt: so fühlte sich Till da.
Endlich rang es verworren aus ihm: »Von dem Mord meines Bruders
sind die Hände mir naß! Wie denn soll ich den Leib meiner Schwester
mit den Händen, die Abel getötet, Geliebte, besudeln?!
Kain bin ich! Von Kains Geschlechte! das Glas meines Spiegels
zeigt mir täglich sein Bild. Stella, fliehe den Mann, fliehe Kain,
du Gebärerin, jenen Zerstörer von Anfang der Welt an!«
Wie erschrak da die Fürstin. Sie rief: »Oh, wie schrecklich! wie furchtbar!
Freund, wie warst du doch fröhlich im Krieg, und wie trüb bist du jetzund!
Großes wolltest du tun, Ungeheures verrichten mit Jauchzen!
Niemals hast du gesprochen von Kain! Von dem Wunder des Krieges,
von dem Rausche des Kampfes, des Mutes, des einigen Herzschlags
eines einigen Volks, das, sich selbst zu verteidigen, aufsteht:
davon sprachst du! Du sprachst von der Größe der Zeit, von dem heil'gen
Sturme, der alles Morsche zerbricht, alles Faule hinwegfegt,
und vom Siege und unserem Glücke darin, dein – und meinem!
Als der Friede erschien, nicht der Sieg allerdings, hieß es anders,
und du warfest mich weg, wie ein altes, vertragnes Gewandstück!
Oh, ich habe mein alles verscherzt und für ewig verloren!« –
Und Till reißt die Geliebte ans Herze, indem er es ausruft:
»Doch nicht heute, so wenig auch gestern, von Anfang der Zeiten.
Unstet mußte ich sein, immer flüchtig auf Erden. Der Erbfluch
hat es also gewollt: er erfüllt mich mit Süchten, zu wandern.
Geh' ich ein in ein Tor, schon erspähe ich angstvoll den Ausgang.
Darum weiß ich mich deiner nicht wert, o geliebteste Stella;
denn du mußtest zur Fürstin erhoben, beglückt und gekrönt sein!
Was denn soll dir ein schlechter Vagant und ein wackelndes Elend,
das, von lausigen Kleppern gezogen, sich quietschend durchs Land schleppt,
bald von Nebel und Regen erstickt, bald vom Staube der Straße?
Was denn soll dir ein Pracher, der garstig und nutzlos darin liegt,
in dem klapprigen Nest, ins Gelumpe der Armut verkrochen?
Wohl ist mir, gar nicht wehe, mein Kind, in dem windigen Haushalt!
Seine Stöße, sie sind mir willkommen, und Mühsal veracht' ich!
Dich zur Seite, ich würde mich töten vor Armut und Ohnmacht!
Denn wo nähm' ich es her, was dir, Stella, gebühret: die Achsen,
ganz aus Gold, und die Reifen, die Kränze und Naben der Räder?
wo die Pferde, milchweiß, und mit Silber die Hufe beschlagen?
ich, Genosse der Elster, der Krähe, des greinenden Habichts,
welcher kröpft, was er schlägt, und auch schlägt, was ihm irgend den Weg kreuzt!
Wer in Schmach ist, ergreife die Schmach, er verwühle in Schmach sich!
Wüßt' ich Hügel, wo Galgen gestanden, ich würde dort umgehn
und die Leute durch Lachen entsetzen, wie Fuchs oder Schakal:
denn das hab' ich gelernt! Die gefleckte Hyäne versteht es
besser nicht. Wer es nächtens vernimmt, Stella, stirbt auf der Stelle.« –
»Rede! rede! Es zaubert dein Wort eine rosige Wolke
um das finstere Schloß, und ich glaube, jetzt singen gar Vögel!
Fester presse mich an dich, Unbändiger, Einziggeliebter!
Wisse: Seit ich gebar, verstand ich's, dem Bett meines Schergen
meinen Leib zu entziehen, so daß nur sein Blick ihn beschmutzte.
Schöner nannte er mich, als ich jemals gewesen. Mein Abscheu
aber wuchs nur darum, und ein seltsames Wesen befiel mich.
Ahnte mir, daß du würdest erscheinen? und wollte ich dir, Till,
das nun wieder bewahren, was dir nur gehört und sonst niemand:
dies, mein brennendes, quellendes Sein, das mich nachts fast verzehret?« –
Heerrauch deckte, die Nacht, nun den Wald. Es entstanden die Sterne.
Laue Ströme durchflossen den Raum, gleichwie Wärme von Tieren.
Einsam stand auf der dämmrigen Lichtung ein marmorner Rundbau,
den Gebeinen der zartesten Jungfrauprinzessin errichtet.
Dorten sprang nach dem Glühwurm ein Fuchs, dessen Balg weißgefleckt war.
Plötzlich aber vernahm er Gestöhn aus dem Innern des Grabmals.
Wie ein Blitz strich er ab und verschwand. Und es zischten die Gräser. –
In dem gotisch gewölbeten Saale des fürstlichen Schlosses
saß er selbst, der Magnat, mit Gevattern und Magen beim Taufmahl.
Heiter blickte er nicht. Mit dem drohenden Raume im Einklang
schien vielmehr sein Gemüt und, wie dieser, von Waffen zu starren.
Standen doch an den Wänden entlang, aufgereihet, die Ritter,
gleichwie lebend, obwohl nur von Stücken der Rüstung gebildet,
Schuppenpanzern, dem Harnisch der Brust, Lanze, Schwert und Turnierhelm:
von den Mauern herab überall drohte blutiger Totschlag,
Hellebarde und Flamberg, der Morgenstern, jegliches Werkzeug,
das der ruchlose Dämon des Mordes der Menschheit geschenkt hat.
Was erboste den gnädigen Herrn, der, bei Gott, nach dem Rinken
tückisch glubschte, allwo die neunschwänzige Katze herabhing?
Endlich brach es, zerquält und verbittert, hervor aus dem Wüstling:
»Kondolieret mir, Vettern und Basen und Freunde und Nachbarn!
Oder hab' ich ein Weib? Nun, so zeigt sie mir doch! und wo ist sie?
Witwer bin ich! Ein blumenbekränzeter Lehnstuhl, der leersteht,
ist kein Weib und taugt wen'ger im Bett als die dreckigste Kuhmagd!«
Damit schüttete er einen Ehrenpokal voller Rheinwein
in die Gurgel, krapprot im Gesicht und als ob er sich schäme.
Doch man nahm mit Gelächter es hin, dies fatale Bekenntnis.
Allseits rief man ihm zu: »Heinz, das sieht dir nun wieder ganz ähnlich:
der Besitzer des herrlichsten Weibs, höchstbeneideter Eh'mann
der Provinz, eben Vater geworden, erklärt, er sei Witwer.
Sage, willst du nicht etwa dein Witwergedinge versteigern?«
Wieder lachte man laut, obschon weniger herzlich als krampfhaft.
»Weiber!« schrie er darauf. »Man gebraucht sie, wie schon das Gebot sagt,
wie den Hund und den Knecht und das Vieh und die Magd und dergleichen,
doch es taugen die Kühe heut mehr und die Pferde und Hunde!
Wenn die Magd auf dem Felde ein Kind kriegt, so trägt sie's nach Hause.
Tags darauf, wenn Gott will, hat sie wieder den Kerl in der Koje!
Doch da haben wir Weiber, entsetzlich! wie gläserne Englein.
Rührt das Püppchen bloß an, und sofort ist der Himmel in Aufruhr!
denn es setzt sein Gebarm alle Ratschen der Welt in Bewegung.
Kauf ein Pferd, Mensch, und setze dich drauf, und der Schinder ist dämpfig
oder will nicht, wie du willst, nun also, dann brich ihm das Kreuz ein!
Niemand, der dir's verdächte! Doch greif solche Suse mal forsch an,
bist du roh und gemein und als herzloser Wütrich verschrieen!
Wer las Bücher vor dreihundert Jahren?! Man nahm alle Jahre,
was an Büchern entstand, und verbrannte das Dreckzeug wie Quecken.
Mußt du schmökern und Bücher verschlingen, so sei Gouvernante!
Ich bin Mann! Nun, und bist du kein Weib, so gebrauch' dich der Satan!«
Finster schwieg der Magnat und zugleich auch die Vettern und Magen.
Jeder bebte für Stella und dachte des glänzenden Elends,
das ihr scheinbar so glückliches Los sie zu dulden verdammte.
Da erschien, unerwartet, der lieblichste Prozessionszug:
siebenarmige Leuchter voran, von Beginen getragen.
Till, der Täufling, er kam, gute Nacht seinem Fürsten zu sagen,
von der Fürstin begleitet, der Oberin und von den Ammen.
Jedermann schob den Sessel zurück, die Gesellschaft erhob sich,
bis auf einen, den Erbherrn des Schlosses, der ganz unbewegt blieb.
Vor ihn trat die holdseligste Mutter mit heiterster Anmut,
einer Tochter der knidischen Göttin an Liebreiz vergleichbar.
Und sie wies auf das Kindlein der Liebe mit rosigem Finger,
diesen heimlichen Till, schon gewachsen dem spielenden Schalksstreich,
also sprechend mit lächelndem Mund: »Hoher Herr, Euer Kronprinz
kommt, den Vater um einen Gut'nachtkuß zu bitten und allen
Gästen sich zu empfehlen, die heut seinen Taufgang beehret!
Ja, ich selber, vielliebe Verwandte, erbitte mir Urlaub:
erstlich, weil ich ein armes, noch körperlich kränkelndes Weib bin,
dann indes, und viel mehr, weil ein Kind seine Mutter beansprucht
und, mit Recht, mit dem Rechte auf sie, allen Rechten voransteht!«
Eh der Fürst sich erholt, sich besann und zur Antwort die Zeit fand,
war die Fürstin mitsamt ihrem Schelmchen schon wieder verschwunden.
Hoheit bissen die Lippen und standen dann selber von Tisch auf.
Jemand sprach: »Erst ein Weib, das geboren, wird wahrhaft zur Jungfrau!«
Und ein andrer: »Es war die Madonna, die hier uns beglückt hat!« –
Noch am selbigen Abend bekamen dann Hoheit den Koller:
Sie versuchten den Flügel zu stürmen, in den die Frau Fürstin
ihre Frauengemächer verlegt, auf Verordnung der Ärzte.
Als der rasende Gatte, höchst schmerzhaft von Eros gestachelt,
polternd gegen die Pforten zwei tobende Fäuste gebrauchte,
ließ sich, neben dem Nachtigallengetöne der schlafenden Wälder,
fast gespenstisch ein Kichern im Schloß allenthalben vernehmen.
Wartefrauen und Ammen entstürzten da allen Gemächern,
und es sah der Magnat einen lebenden Wall, der den Mut ihm
völlig nahm, ihn verwirrte, ja selbst sein Verlangen erstickte.–
Und Till hörte das Pochen und lachte: er wußte, was vorging!
Aufgetan war das gotische Fenster, es ging auf den Abgrund.
Voll und rund stand der Mond, und es rauschten die Wipfel der Gründe.
Eine Nachtigall sang, eine einzige, dicht unterm Fenster.
Ja, da lachtest du, Till, dieses Mal übermenschlich beseligt!
denn du hieltest den Schatz, den der Pocher verzweifelnd entbehrte.
»Stella«, spricht er, »ich bin nicht mehr Till, ich bin einer der Götter!« –
»Sei es, sei's unbesorgt!« sagt sie. »Rings sind nur leere Gemächer.
Niemand liebt ihn. Mich aber, mich schützen sie alle gemeinsam!« –
»Höre«, spricht der Beglückte, »ich kann keinen Menschen so hassen,
um, was ich diesem Polterer tue, ihm auch nur zu wünschen!«
Plötzlich stand, wie ein Schatten, die Oberin selbst vor dem Prunkbett.
Sie entfachte ein Licht, und sie sprach: »Unbesorgt, meine Lieben!
Er ist fort, ist zum Schloßtor hinaus, wie ein pfeifender Sturmwind,
auf die Hütte hinauf zu der Tochter des Försters, man weiß ja!«
Und es lachten die drei, wie bei einer Bescherung drei Kinder.
Danach schob sie ein Tischchen herein, die fürsorgliche Freundin,
das auf köstliche Weise des fürstlichen Haushalts bestellt war.
Feine Speisen, verdeckt durch gewichtige Glocken aus Silber,
Teller gleichen Metalles und Schüsseln und blinkende Gabeln,
fast zu schwer für die Hand und höchst kunstreich vom Künstler gebildet.
Es war da, was das Herz nur begehrte, an leckerer Nachtkost:
duftiges Weizengebäcke, Salate und Früchte in Schlagrahm,
zarter Schinken von Prag, erfrischende Natives und Rheinlachs,
eingekühlt, wie der perlende Wein im beschlagnen Kristallkrug.
Einem Prinzen im Märchen glich Till, dieser Prinz aus Genieland!
Kavalier jeder Zoll, immer sprudelnd von köstlicher Laune,
in der heikelsten Lage beweist er den sichersten Anstand.
Will er Menschen gewinnen, so ist's ihm ein leichtes. Die Obrin
war gewonnen durchaus. Er ergreift einen Mantel aus Marder,
den sie reicht, und umhüllet damit die erschauernde Fürstin,
weil man lachend es wünschte, alsdann auch sich selbst mit dem Scharlach
des Gehörnten, dem Herzogsornate höchstselber des Fürsten:
minder Köstliches hatte man nicht in der Nähe gefunden.
Und man lachte, man plauderte, aß und trank gierigen Mundes
aus venedischen Gläsern Dom Pérignons prickelnden Rauschtrank.
Kerzen gaben die Glorie des Lichts zu den Wonnen des Gastmahls.
Durch das Fenster, bald schwüler, bald kühler, herströmte die Nachtluft,
mit ihr fremde Besucher. Till sagte: »Es sind meine Völker!
Hermelin wallet wahrhaft mit Fug um die Glieder des Gauklers,
denn ein Gaukler ist König, sonst ist er kein Gaukler! Ein König
ist ein Gaukler, sonst ist er nicht König! Ja, selber der Herrgott
hat sich Mosen dereinstens als Gaukler zuerst offenbaret.
Eulenspiegel ist hier: König Till! Nur herein, Noktuiden!
Nur herein, meine Völker, und führt um die Glorie den Tanz auf!«
In der Tat, es umtanzten jetzt Motten und Falter die Lichter.
»Halt! was tut ihr?« rief Till da. »Licht ist ein gefahrvoller Spiegel!
Eulchen, Eulen, zurück! ihr verkohlt sonst! O himmlische Stella,
siehst du? Zisch! grade mitten ins Licht, ihrem Meister nicht ungleich!
He, Graseulchen, komm her! Aprikoseneulchen, so laß doch!
dort ist Stella, ein milderer Stern!« Und ins goldige Haupthaar
der Geliebten nun bettete Till einen rätselhaft grünen
Eulenfalter: er hatte vier Augen und rollte die Zunge,
wie in Blüten, ins duft'ge Gespinste des wonnigsten Scheitels.
»Oh, ich gönne es euch, meine Völker! nehmt teil an dem Gastmahl,
trunkne Schwärmer! der schwärmende Till heißt euch selig willkommen!«
Doch nicht lange ließ Eros dem Bakchos, der Ceres den Vortritt.
Mit unzähmbarer Wut übermannt er aufs neue die beiden,
als ein glühender Luftstrom die Lichter gelöscht bis auf eines.
Und es ward im Gemach wieder still, außer daß sich vom Lager
süßes Flüstern und girrendes Lachen und Knistern hervorstahl
durch den Spalt der damastnen Gardine, die schwer drüber her hing.
»Oh, wie weh tut die Lust, tut die flüchtige Lust, oh, wie weh mir!«
also Till in dem Taumel der nimmer ausschöpfbaren Wonne.
»Oh, wie wird doch die Pein um so bittrer, je süßer die Lust ist!
um so tiefer die Lust, um so schwerer und tiefer die Marter!
Ach, so fest ich dich halte, so fest dich umfange, Geliebte,
nie besitz' ich dich ganz, und was immer ich halte, ist flüchtig!
Selig sind wir und göttlich vereint – und trotzdem keine Götter!
Brennend fließen wir beide in eins, und doch brennt in dem Brande,
wie ein brennender Kern oder glühender Wurm in der Frucht brennt,
die Gewißheit der Trennung!« – »Wie wohl tut die Lust, oh, wie wohl mir!«
haucht im Arme des Manns immer wieder verzückt die Geliebte.
»Wie so duftig und süß und wie rein, Eros, brennt deine Fackel!
Hymens Fackel ist widriger Qualm nur! Dein bin ich, Geliebter!
So verbrenne mich doch, o du himmlisches Feuer des Eros:
diesen Tod will ich sterben, nicht den, der mir morgen bevorsteht,
wenn du fort bist, mein Till, und mein Herz nur noch wieder ein Stein ist!« –
»Oh, wie weh tut die Lust, tut die brennende Lust, oh, wie weh mir!«
ächzt da Till. Und in Wahrheit: er weint. »Mein Geliebter, was weinst du?«
flüstert bittend das Weib. – »Ach, ich denke an morgen und gestern!« –
»Warum sprichst du das Gestern, mein lieber Geselle, so seltsam?«
so jetzt Stella. Und jener: »Soeben erst sah ich im Geiste
Knidos vor mir im Ionischen Meer und sah parische Götter.
Eos stieg hyazinthen herauf. Aber jetzt tritt ein Weiher
an die Stelle des Meers, und es sitzt an dem Weiher ein Angler.
Und er sagt nichts und sieht mich nur an, und das macht mir zu schaffen!«
Und es rückte mit ehernen Schlägen von Stunde zu Stunde
vor die Schloßuhr. Sie hing in dem nahegelegenen Turme.
Weit verhallte ihr Schlag in den Tiefen der dämmrigen Waldschlucht.
Wieder riß sie und wieder das liebende Paar aus dem Halbschlaf,
neue Wonnen mit Ängsten des Abschieds zwiespältig erweckend.
Plötzlich scholl der gewaltige Ruf des revierenden Uhus:
»Uhu! Uhu! Uhu!«, und entsetzt fuhr das Paar aus den Kissen.
»Ruhig, Täubchen, nur still!« so begütigte Till die Geliebte.
»Zwar die Nachtigall mag wohl erschrecken, die gute, sie schweigt jetzt.
Eulenspiegel indessen, was hat er von Eulen zu fürchten?!
Eulenrufe bedeuten ihm andres als anderen Menschen.
Dieser aber galt mir im besondren als mächtiger Weckruf!« –
»Freund, es ist ja noch tief in der Nacht«, spricht zu Till die Geliebte,
»wenn auch hinter dem Walde es scheinbar ein wenig schon dämmert.
Sind zu Sommers Beginne die Nächte doch niemals ganz lichtlos.
Auch der Uhu beweist es dir ja, daß noch völlige Nacht ist.
Oh, du willst mich verstoßen, mein Till! Till, ich fühl' es, ich weiß es!«
So erzittert das Tier, wenn die Hand seines Mörders es anfaßt:
»Bleib! Nicht fort! Geh nicht fort! Doch du gehst, und gefällt ist mein Urteil.
Kaum Minuten vergehen, da wird dies Gemach meine Gruft sein!«
Was tat Till? Er umschlang die holdselige Fürstin noch einmal
und bedeckte das süße Gebild mit unzähligen Küssen,
Scheitel, Stirne und Lippen, die Augen, den Hals und die Schultern:
»So ergreif ich Besitz von dem ganzen Gebiet deines Leibes,
nicht das winzigste Fleckchen darauf lass' ich ohne mein Siegel!«
Und er küßte und siegelte fort, trotz Johannes Secundus,
kehrte immer zum Munde zurück, Stellens Atem fast raubend
und den eignen sich selber. »Noch einmal durchschreit' ich mein Eden,
eh ich meinem Verweser den Schutz meines Reichs überlasse!
Alle Täler durchwandl' ich, die blonden, die sonnigen Hügel,
die von zitternder Wärme des Tagesgestirnes durchglüht sind!«
Und er küßte! »Ich suche und finde die heimlichsten Schluchten,
wo die Bienen den Honig gesammelt. Und selbst eine Biene,
weiß ich süße Nektarien der duftigsten Kelche zu finden!«
»Und er küßte! »Nichts kann mir entgehen vom Reichtum des Reiches,
nicht die tyrische Schnecke, ich weiß ihren kostbaren Purpur
auszupressen, ich weiß meinen Mantel mit Purpur zu färben,
Triumphator und Herr!« Und er küßte, er herzte und küßte!
Wie betäubt unter heißem Jasmin wand sich Stella, die Fürstin! –
Sie erwachte und fand sich allein. »Till! mein Till!« rief sie vielmals,
doch dann schluchzte sie auf, von herzbrechendem Weinen geschüttelt. –
Till, er atmete tief auf dem Wege zurück in das Wirtshaus.
Dämmer lag noch auf Wiese und Wald und umgraute den Kirchhof.
Dorthin zog's ihn. Es war ihm von alters ein Pförtchen der Mauer
wohlbekannt; es ging auf, als der Gaukler nur leise es anstieß.
Und so war er umgeben von Hügeln, von Kreuzen, von Malen,
die von morschem Gebein in dem Innern der Erde erzählten.
War ein Vogel erwacht? oder piepsten die fliegenden Mäuse
um das Kirchdach? Wie wonnig und fremd dieser seltsame Grund schien!
Blindheit heucheln, mattglänzend, die länglichen Fenster des Kirchschiffs.
Tillen zieht es nun doch noch, dem Vorschlag des Meisters zu folgen
und verstohlen ins nächtliche Haus seines Herrgotts zu treten.
Unverschlossen ist auch das Portal. Till berührt's wie ein Wunder.
Seine Hand tappt umher in dem grufthaften Raum nach dem Taufstein,
den er findet und unter den Flächen der Hände still abtappt.
Was ist das wohl? Ein Schnabelgeklappe: sein Vogel, der Steinkauz,
der die Schulter ihm krallt und ihm traulich, wie immer, ins Ohr schnalzt.
»Woher kommst du, mein Kauz? und wie fandst du mich, Vogel der Weisheit?
Totenvogel? Verstehe zu sterben: ist dieses dein Wahlspruch?
Oder sind sie nicht tot, diese Toten, und weißt du davon was?
Manche sterben im Leben und manche im Tode, und diese
leben, scheint mir, indessen die lebend Gestorbenen tot sind!«
Till gelangt, und sein Käuzlein, zurück in den Gasthof Zum Forsthaus,
sehr befriedigt davon, daß noch niemand im Hause erwacht ist.
Fort! nur fort! Und schon stand Gift und Galle geriemet ans Ortscheit.
Dreh dich, Rad! dachte Till. Schon der Anblick allein war ihm tröstlich.
Denn, so denkt er, ich baue allein auf dem Rade des Lebens,
stell mein Sach, wie es heißet, auf nichts, und das Nichts ist mein Alles!
Till blieb stehen am Ende des Dorfes und wandte sich rückwärts:
»Was ist das für ein fürstliches Schloß, das dort über den Wald ragt?
Mir kommt vor, Prinz, als hätt' ich's, Gott weiß es! schon einmal gesehen!«
Und er stieß einen Jodler hervor: solchen hätte kein Älpler
so zu bilden vermocht. Wie gewaltig erklang er und kunstreich,
fast als hätte die Kehle des Uhus sich mit Philomelens
Künsten innig vermengt! Und es tönten die Echos als Antwort.


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