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Das vierte Abenteuer

zerfällt eigentlich in eine Reihe von Abenteuern. Schon die seltsame Landung auf dem Kirchhof ist eines. Die Begegnung mit einem Mann zwischen den Grabsteinen und ein Taufzug, nicht weniger seltsam, schließen sich an. Was in der Herberge Zum Forsthaus sich ereignet, ist wieder ein etwas befremdliches Abenteuer für sich. Es ist da nicht alles geheuer. Man weiß überhaupt nicht recht, was man von diesem Till Eulenspiegel halten soll.

 

Mit dem grauenden Morgen verließ Till die Gegend der Bluttat.
Als sie hinter ihm lag und er selbst in veränderter Landschaft
knacken hörte sein Fuhrwerk, gestreckt in die fahrbare Klitsche,
ward ihm wohl, und zugleich übermannte ihn bleierne Schlafsucht.
Prinz kutschierte, nicht grade die Lenksel im Maule, beileibe!
Zirkusstückchen zu exekutieren, ihm lag dies durchaus nicht.
Mit natürlichem Hundeverstand ward das Ganze gesteuert,
wachen Geistes, vom Wagen herunter bald, bald vor den Pferdchen.
Deren Hufe, klippklapp und klippklapp, in eintöniger Gangart,
schienen gleichsam die Decke des Schlafes dem Schläfer zu klöppeln.
Ja, der Gaukler, er schlief. Und er lag wie ein Toter im Wagen,
bis er plötzlich, als wär's von dem Weckruf des Jüngsten Gerichtes,
seinem Donnerposaunengeschmetter, wirrsinnig emporfuhr.
Nun, wo war er? Till lachte. Dann sagte er laut: »Heute hab' ich
also denn, mit Respekt zu vermelden, mein eignes Begräbnis
oder wenigstens Leichenbegängnis lebendig probieret!«
Oder war er ein Opfer vielleicht der dämonischen Bosheit
seiner dienstbaren Tiere? Fast heimtückisch blickte ihn Prinz an,
und es wandten die Pferdchen die Köpfe mit glühenden Lichtern,
ihre Schnuten zu hämischem Grinsen ganz deutlich verzerrend.
Ja, wahrhaftig! es hatte sich vornhin begeben der Steinkauz –
Leichenvogel ja schon sowieso! –, ein recht eignes Betragen,
Nicken, Plustern: als Leichensermon war es unschwer zu deuten.
Kurz und gut, es war Till zwischen Grabsteinen übel gelandet.
»Schön! die Probe ging gut, und das Stück wird gespielt, das ist sicher.
Doch, beim Hunde! nicht heute. Ich brenne nicht drauf, und es eilt nicht.«
Ziemlich laut solches redend, entkrabbelte Till seinem Wagen,
was nicht leicht war, dieweil er beinah bis zum Kentern verzwickt stand.
In dem Kirchlein inmitten des Friedhofs begann nun die Glocke
anzuschlagen und dann sich volltönig im Takt zu bewegen.
Ei, auch das noch! denkt Till da und zwickt sich, zu sehn, ob er wirklich
nicht am Ende gar tot sei, mit kräftigem Zwack in die Schulter.
Nein, er lebt, denn er fühlt! Und nun öffnet auch schon sich die Kirchtür,
und man trägt einen Täufling heraus in den blühenden Maitag,
so, als wäre der Friedhof nur etwa ein Ort der Verwandlung,
der in Gräbern die Alten verbirgt und als Kinder aufs neue
wiederschenket dem Licht. Das ist gut, dachte Till, das gefällt mir!
Und er nahm militärischen Halt und die Mütze vom Ohre.
Aus der Kirche hervor, als der Täufling und Taufzug verschwunden,
trat ein kräftiger, bartloser Mann, ein schwarzsamtenes Käppchen
auf dem Kopf, und er hielt über buschige Brauen die Rechte –
schon ergraut war das Haar –, um die feurigen Augen zu schützen.
Und so blickte er forschend hinüber zu Till, der ihm endlich
zurief: »Meister, ich bin hier beinah schon ins Jenseits geraten!«
Sehr gemächlich begann nun der Mann, sich dem Wagen zu nähern,
hielt zuweilen ein weniges an, um, den Kopf unter Schmunzeln
schüttelnd, sinnend die Spuren der Räder im Gras zu betrachten.
»Sag, wie hast du dich also verfahren, mein Herzallerliebster?
Meine Schätzung ist diese, du hast dich im Gläschen versehen!« –
»Guter Meister, du irrst, denn ich war nur vom Wachen ermüdet«,
sagte Till, »und ich schlief im Gewese. Da haben die Heken
sich geschmeichelt, sie schleppten höchstselber den Tod auf dem Kotzen
durch das Land, und es war doch der Schlaf nur, sein kleinerer Bruder!
Also hab' ich mein eigenes Leichenbegängnis zur Probe,
in bewußtlosem Zustand, erlebt und ganz ähnlich dem Ernstfall.
Möge dann das Erwachen nicht minder vergnüglich als jetzt sein!« –
»Freund«, so sagte der andre, »es wäre wohl gut, sich zu mäß'gen.
Du befindest dich hier am geheiligten Ort, auf dem Acker
Gottes; lache nicht so, du beleidigst die Toten durch Frechheit!« –
Spricht der Gaukler: »Ich arbeite nur meinen Tag ins Gelach, Herr,
so hinein, wie Hans Klinglingling, Hans Ohnesorge. Warum ich
lache, eigentlich weiß ich es nicht! Doch verzeih einem Dümmling:
weckt sein Lachen die Toten, so kommt er sich vor wie der Herrgott!
Stört es nicht ihren Schlaf, wen denn sonst, denkt er, sollte es stören?!« –
»Laß es gut sein und lache meintwegen!« begütigt der Mann jetzt.
»Ein Gelächter wie deines ist immerhin selten in dieser
niederträchtig verfinsterten Zeit. Nun, wir hatten soeben
wahrhaft hohen Besuch, denn es wurde der kleine Till Kraushaar
aus der Taufe gehoben, ein fürstlicher Sproß, ja der Erbprinz.
Und da ward ich ein wenig betreten durch deine Erscheinung.
Nun im Ernste, mein guter Geselle, wer bist du? was treibst du?« –
»Lieber Meister, ich treibe die Pferdchen, die leider sehr faul sind.
Was ich bin aber, bin ich«, spricht Till, »erst seitdem, daß ich nichts bin!« –
»Ein Vagant, so wie du, Freund, er lebt sozusagen von Ausflucht.
Und so leid es dir immer auch sein will, du kommst mir bekannt vor!« –
Oh, wie lachte da Till: »Ganz gewiß, das mag sein, guter Meister!
Ohren hab' ich und Augen, zwei Beine und alles, wie andre!
Deren hast du wohl viele gesehn. Doch wohlauf nun und hilf mir,
wenn dein Erzväteralter es dir noch gestattet, den Karren
aus dem Drecke zu ziehn und mit mir auf den Marsch zu befördern!«
Und es zieht von den Schultern den Rock sich der Mann mit dem Käppchen,
streift die Ärmel des Hemdes zurück von zwei nervigen Armen,
faßt, heraklischen Griffes, den Wagen von hinten am Langbaum.
»Ruck und zuck!« sagt er heiter und hebt ihn empor wie ein Spielzeug.
Und so steht das Gefährte alsbald auf dem goldigen Hauptweg,
und es schwelgen alsbald in dem Grün eines Hügels die Pferdchen,
der am Rande des Wegs mit verwittertem Kreuze sich darstellt.
»Freund, ich hätte es gerne gesehn, wenn du wenigstens einen
Schritt ins Kirchlein getan!« spricht der hilfreiche Kantor zu Till jetzt. –
»Nein, ich will nicht!« erwidert darauf der so eigen Ermahnte. –
»Und doch liegt eine Frau hier begraben«, so wieder der Alte,
»die vor Jahren darin einen Knaben, dir ähnlich, am Taufstein
dargebracht!« – »Das mag sein«, sagte Till und ward bleich, »doch der Priester,
der das Wasser gesprenget: ich sah den Ehrwürdigen wieder,
als er draußen im Felde dem Riesengeschützrohr, genennet
Dicke Bertha, den Segen erteilte, abtrünnig dem Heiland!«
Till ist wieder allein, in der Kirche der Kantor verschwunden.
Und es drückt der Gesell beide Hände sich gegen die Schläfen,
starret um sich und starrt auf den Hügel, von dem seine Pferdchen
Halme rupfen, und dann auf das dürftige Kreuz und die Inschrift.
Und es steht »Anne Wibken« darauf. Anne Wibken: wer ist das?
»Hottehü!« ruft jetzt Till, und es knallet der Schmitz um die Ohren
seiner Pferdchen. Sie denken: Was Teufel, er ist nicht bei Sinnen!
Und nun raset auch Prinz. Also setzt man in Trab, in Galopp sich
und verläßt mit Gepolter und jeder Art Lärmen den Friedhof.
Doch nicht weit geht die Fahrt, nur bis über die Straße, ins Wirtshaus.
Und zum höchsten Erstaunen der Pferdchen, die eine unendlich
wüst beschwerliche Fahrt, in verzweifeltem Ingrimm, erwartet,
hält man stille, es wird abgeschirrt, und man kommt in die Ställe.
Am gescheuerten Tisch sitzt der Gaukler. Der Wirt trägt den Wein auf.
Tillen scheint nun die Sonne ins Glas, und er blickt durch das Fenster:
drüben liegt, den er eben verlassen, der Garten der Toten
und das Kirchlein darin, die Portale von beiden noch offen,
so vom Taufgang als wie von des Schalkes geräuschvoller Ausfahrt.
Ein ganz andres Getöse, es dringt jetzt von drüben herüber.
Mächtig greift es dem Gaukler ans Herz, und er öffnet das Fenster.
Spricht der Wirt: »Immer ist's höchst erbaulich, wenn Kantor Pachelbel
auf der Orgel sich erlustieret. Man will ihn nach Leipzig
an die Kirche vom heiligen Thomas, so hör' ich, berufen,
wo ein überaus würdiger Meister vordem Organist war!« –
»Oh, er präambuliert ganz bezaubernd!« sprach Till. »Lieber Weinwirt,
heißt er so, wie du sagtest, so hat er gar mächt'ge Verwandte.
Und man hört es dem Spiele wohl an, dieser ist nicht zum ersten
Male hier in der Welt und wahrhaftig auf göttlicher Fährte!«
Angezogen und dennoch verdutzt übergleitet das Auge
des rotbärtigen Wirtes den Gast, dessen lauschendes Antlitz,
heiß benetzt, wie es scheint, unaussprechlichem Fühlen sich hingibt.
Überirdischen Ohrs, in der Tat, scheint der Gaukler zu horchen.
Und als könnt' er im Stocke der Kirche die Bienen des Himmels,
deren Brummen und Brausen urmächtig sein zitterndes Herz trifft,
sehn, so heftet sein Blick sich ins Dunkel der offenen Kirchtür.
Wie es dröhnt! Es umrauscht der hochheilige Schwarm in Verzückung
jetzt das Kreuz und die Rose, die purpurn daran sich emporrankt:
beides dehnt sich und raget, genährt von der wogenden Tonflut,
in die himmlischen Räume, auflösend die Enge des Kirchleins.
Till, was sann er? Den Krieg? die Gefallnen: Kam'raden wie Feinde?
etwa wohl jene zimbrische Kuhmagd? den Blinden? den Angler?
das armselige Schulmeisterskind? die Bestimmung der Menschheit
und den dunkelgewaltigen Weg ihres Leidens und Sterbens?
Sann er andres vielleicht? Und es war wohl der Duft jener Rose,
mit den Balken des Kreuzes vermählt, der betörend ihn hinnahm.
Warf ein Stern seine Strahlen voraus, grün-demantener Lichtkraft,
rein hinein seinen Schein in das wehe Gehäuse der Brust ihm,
das der Wüstenkamsinhauch des Kriegs durcheinandergeschüttelt,
und beseligte Till dieser Schein? Oder was wohl bedeutet's,
daß er leise und wieder und wieder »O Stella!« geflüstert?
Denkt er andres, und bohrt er den Blick in die finstere Kirchtür,
um den kleinen Till Kraushaar zu sehn und die Mutter am Taufstein?
Ist er mehr hier zu Haus, als es scheint, und er will's nur verbergen?
»Ihr seid fremd in der Gegend?« so fragte der Wirt jetzt. – »In welcher?«
darauf Till. Und der Wirt: »Nun, in der wir uns beide befinden!« –
»Sind wir beide in ein und derselben?« entgegnet ihm Till da. –
»Nun, ich denke doch wohl!« sagt der Wirt. – »Ja und nein, Herr!« der Gaukler.
»Zwar ich bin hier in Euerem Haus, aber mehr noch in meinem!
Das erscheint Euch verrückt, doch ich bin nicht verrückt. Vor dem Rappel
schützet mich eine Art Skapulier. Mit Erlaubnis: hier ist es!«
Damit legte der Schalk auf den Tisch eine lederne Kappe,
die im Luftkrieg dereinst ihm gedient. An zwei hängenden Enden
je ein kugliges Schellchen der Art, welche Zimbeln genannt sind.
Darauf wußte der Wirt wiederum nur verlegen zu lächeln.
Sehr gelegen erschien da die kernige Tochter des Hauses,
Försterskind, denn der Vater, der Krügner, war ehemals Forstmann.
Und sie stellte ein schönes Gerichte Forellen vor Till hin.
Fass' ich mir, denkt der Krügner, ein Herz? Und er tut's, und er fragt so:
»Habt Ihr nun diese Fische gekocht, und bin ich's, der sie aufißt?
Oder eßt Ihr sie auf, die bei mir hier im Kruge gekocht sind?
Und ist dieses mein Krug, wo Ihr sitzt? Oder ist es der Eure?« –
»Nichts ist dein, denn was dein ist, ist mein, aber mein Haus nicht dein Haus.
Zum Beweise tritt her: denn du siehst nicht den Mann auf dem Kirchplatz,
altertümlich gekleidet, der voller Verlangen hereinblickt!«
so antwortete Till, der zugleich von den Rümpfen der Fischchen
Köpfe schnitt, ihrer drei, und dem bettelnden Lungrer hinauswarf,
aber erst, als in jegliches Fischmaul ein Goldstück versteckt war.
Alsobald trat ein Mensch in die Stube, gewichtigen Ansehns –
kannst du hexen, mein Till? – und nahm Platz an dem Tische des Gauklers.
»Freund, wir kennen uns schon aus der drübigen Welt«, so beginnt er,
»nur ich hatte da keine Perücke, du sahst mich als Kahlkopf.
Seltsam ist dein Verhängnis, die Grenze des Diesseits und Jenseits
zu befahren mit deinem – Gott straf mich! – höchst wackligen Kütschlein.
Wenig fehlte, so kipptest du um und wardst einer der Unsren!
Betteln wollte ich übrigens nicht, Till, das hast du verwechselt.
Ach, es war wohl einmal, als ich jung noch am Leben und arm war!
Damals mag auch der Jux mit den Fischmauldukaten geschehn sein.
Nimm sie also zurück, denn ich bin nicht dein Pudel, das merk dir!« –
»Knieet nieder, Herr Wirt! Du mein Mädchen, schnell, bring ihm ein Weinglas!«
Herzlich lachte die Tochter des Wirts, doch sie tat, was Till wünschte,
sah sie gleich nicht den Mann mit der Puderperücke, den Till sah.
»Welch ein Gast! Welch ein Gast! Welch ein Gast!« rief fortwährend der Narr aus.
»O Herr Wirt! o Herr Wirt, traget auf, traget auf, was das Zeug hält,
dem Cantorum Cantor des allmächtigen Gottes im Himmel,
der die Meere und die musikalischen Chöre, die Ströme,
Flüsse, Bäche des Empyreums klangmächtig entbindet!
Er ist hier! er ist hier! Benedeiet das Haus, wo er einkehrt!«
Jählings stürzte sein Glas der Vagant. – »Sachte, sachte, mein Freundchen!«
sagt behäbig der Mann, der des andern gespenstischer Gast ist.
»Was ich bin, will ich bleiben: der Bach! meinethalben ein Rinnsal,
das fürwitzig sich fort hat gestohlen vom seligen Vierstrom
Edens in die verdammten Gebiete der leidvollen Menschheit!
Was das Essen betrifft, Till, so hungert mich nicht. Doch ein Weinchen,
Bester, lehn' ich nicht ab. Denn als Weinbeißer mag ich passieren!«
Er fährt fort, da man immer die Bälge noch tritt in der Kirche:
»Gar nicht übel spielt dieser Pachelbel! Er bringt es zustande,
daß der Staub in den Gräbern, als sei er lebendig, erbebet.
Gluck ist übrigens drüben beerdigt. Zuweilen besucht uns
Händel. Händel, du weißt, ist in Westminster Abbey begraben.
Spielt Pachelbel, der Schütz oder ich, nun, so kommt er herüber
übers Meer zu uns armen Verwandten, uns Storgern in Deutschland.
Denn er wohnt' wie ein Kaiser und ist wie ein Kaiser bestattet,
keineswegs so wie wir, was mir freilich im Grunde ganz gleich ist!« –
»Ja, der Brite hat Stil«, sagte Till, »und den Willen zur Größe.
Beides hat uns von jeher gefehlt, um von heute zu schweigen.«
Und er goß dem Großsiegelbewahrer der Tonkunst das Glas voll.
Dieser hob es und ließ es erfunkeln im Lichte der Sonne,
wiederholend: »Er spielt, meiner Seele, nicht schlecht, der Pachelbel,
seine Silbermannorgel, kein neueres Werk, was mir lieb ist!«
Und er trank. – »Du erhabener Seher des Klangreichs«, spricht Till da,
»hat dir etwa gemundet ein wenig der feurige Bluttrank?
Halte du dem Hanswurst es zugut, wenn sein Fürwitz dich bittet,
wahrzusagen von dem, was ihm düster und schweigend das Herz preßt!«
Lächelnd streicht der behagliche Riese der Tonkunst den Tabak
sich vom Spitzenjabot mit den Worten: »Der Wein ist erträglich!«
Schlürfend blickt er ins Glas und genießt das Arom mit den Nüstern:
»Till, du irrest gar sehr, ein Teiresias bin ich durchaus nicht!
Doch auch ohne die Gabe des Sehers ist manches zu sagen:
Deutschland, heute zu Boden gestreckt, wird sich wieder erheben!
Doch die Herrschaft der Dummheit zu brechen im Inland und Ausland,
diese Hoffnung, sie spuket allein nur im Reich der Verheißung.
Deutschland, heute zu Boden gestreckt, wird sich wieder erheben!
Doch den Engel des Friedens hat niemand erschauet auf Erden
ohne Feuer und Schwert, und nie wird man ihn anders erblicken!«
Und es hüpfen die Teller und Gläser, vom Faustschlag des Gauklers,
auf dem Tisch. »O Sebastian Johann, du sprichst große Worte,
meinem Mühlrad das Wasser, es treibend, begeisterten Leerlaufs!
Nichts ist wahr. Es ist alles erlaubt. Und die süße Metapher
hat so wenig Gehalt als die freche, die harte, die bittre.
Einmal eins ist nicht eins! Zweimal eins wäre zwei? Nun erst recht nicht!
Einmal eins, das macht null nur! und zweimal eins ist eben nullnull.
Darum bin ich ein Erbe der Null, und die Null ist mein Reichtum.
Die Geschichte der Null, nun, das ist die Geschichte der Menschheit!
Auf, zum Tempel der Null, wo die Bibel der Null den Altar ziert
und das Hochamt ein schellengekrönter Hanswurst zelebrieret!
Und schon strömen herbei, von den Ecken und Enden der Erde,
Nullen, Völker von Nullen! Aus Nullen besteht ja die Menschheit.
Die allmächtige Nullität, einer Null gleich, erhebt sich.
Nullen wandeln vorüber des Himmels, der Erde, des Abgrunds,
nackt, gekrönt, tätowiert oder sonst in Vermummung gesteigert,
die hochfahrende Null oder die, die daherfährt in Demut,
die blutgierige Null, oder die Blut nicht sehn kann, wie Nero.
Die wollüstige Null, und die Wollust und Grausamkeit mischet,
die begeisterte Null, welche Nullen in Form großer Worte
von sich speiet, und Nullen und Nullen ins Endlose weiter.
Alles in der Geschichte der Menschheit als Menschheit ist nichtig,
alles wirklich und wahrhaft, die Menschheit als Tierheit betrachtet,
und die Tierheit dämonischerweise aufs höchste gesteigert:
Dummheit, Habgier und Krieg sitzen hier unumschränkt in der Herrschaft,
und den Gott, in die Krippe gelegt, frißt das Vieh unbedenklich.« –
»Deine Mutter läßt grüßen!« so sagt der gespenstische Kantor,
ohne weiter mit Till über Nullen und Tierheit zu rechten.
»Anne Wibken liegt nahe bei mir, und ich klöne bisweilen
gern mit ihr. Sie ist überaus klug und weiß hübsch zu erzählen!«
Da nun lacht der Bajazzo auf seine weitschallende Weise,
die gemacht scheint, in jedem die Geister der Freude zu wecken.
Und so lächelt der Wirt, und es lächelt errötend die Tochter.
Doch der Lacher, er fährt mit der Rechten sich über die Augen,
ja, er läßt sie drauf ruhn und bedeckt sie ein Weilchen vollständig,
und er sagt: »Lieber Weinwirt, du hast hier ein seltsames Gasthaus!
Als ich mich im Galopp von dem moorigen Grunde dort drüben,
den der Maulwurf, der alte, durchwühlt hat, herübergerettet,
dacht' ich, sicher zu sein. Doch nun wird's in den Gräbern lebendig,
es vexiert mich, es schnüffelt nach mir, schleicht herüber und findet
bei verschlossener Tür mich und drängt sich heran an mein Weinglas:
Nun, so trink, Anne Wibken, mein Mütterchen, und wohl bekomm dir's!
denn du kamest im Leben wohl selten genug in ein Weinhaus!«
Da bemerkten mit Staunen der stattliche Wirt und die Tochter,
daß ein silberner Rauch überm Glas des Vaganten sich ballte
und der Wein, den es barg, ganz allmählich von selber dahinschwand.
Spricht der Wirt: »Mit Erlaubnis, was treibt Ihr wohl so als Beruf, Herr?« –
Da erschrak der Vagante und kippte, als fiel' er vom Stuhle:
»Herr des Weltalls! was gibt's? ein Gewitter? das war ja ein Blitzschlag!
Macht Ihr Wetter wie diese, Herr Wirt, so vertreibt Ihr die Gäste!
Zwei der besten, die je Eure Schenke besucht, sind verduftet!
Doch das ist nun geschehn und nicht weiter zu ändern. So hört denn:
Mein Geschäft ist, am Tage zu wachen und nächtens zu schlafen.
öfters wach' ich auch nächtens und schlafe des Tags meinen Rausch aus.
Mein Beruf ist es, Augen und Ohren des Morgens zu öffnen,
ja ein jegliches Loch, das der Kürschner ins Fell mir gemacht hat.
Sind die Schlote gefegt, so beginn' ich, mein Essen zu kochen.
Damit mach' ich mich flott und mein Flug-, wollte sagen: mein Kriechzeug,
meine Flüte, mein Schiff, meine Büse, mein Wägelchen, alles,
was zur holprigen Fahrt auf die Messe des Lebens mir not tut.« –
»Darf man fragen«, so wieder der Wirt, »ob es auch seinen Mann nährt?« –
»Ich verstehe, Herr Wirt!« Und es hob der Vagant sich vom Sitze,
warf, was grade er griff von papierenem Geld aus der Tasche,
auf die Erde, auf Stühle und Tische und schritt dann der Tür zu.
»Halt, Mann Gottes! Wohin denn so eilig? Zählt erst Euer Geld durch!«
Till dagegen: »Es ist nicht vonnöten! Behaltet den Erbkot
unsres menschlichen Seins! Doch erklärt mir, wer war jener Täufling,
den man dort aus der Kirchtüre trug? Und wer ist wohl sein Vater?« –
»Unser gnädiger Fürst ist sein Vater, er selber der Erbprinz.
Nach dem Krieg, sieben Monat' ist's her, ward die Hochzeit gefeiert!« –
»Richtig, ja!« sagte Till. »Beinah hätt' ich's vergessen! Man trägt ja
sieben Monat' bei euch hierzuland nur das Kind, bis es reif ist!
Nun, das süße Geschöpf, das am Arme des Fürsten die Kirche
nach dem Täufling verlassen, es schien mir die Heilige Jungfrau
selbst zu sein! Und, bei Gott, Mann, ich gehe nun aus, sie zu suchen.«


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