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Das erste Abenteuer

zeigt, wie Till Eulenspiegel sich zu Warmbrunn beträgt, und das Spiegel-Ärgernis. Alsdann, wie er vom Kriege und von einer Granate träumt, von einem Splitter getroffen zu sterben vermeint, aber statt dessen erwacht. Schließlich und endlich, was sich am nächtlichen Lagerfeuer zwischen Till, dem Blinden und seiner Mutter und überhaupt ereignet.

 

»Nur herein, nur hereinspaziert! meine Herren und Damen!
ohne Furcht, ohne Zagen! Der Krieg – Gott sei Dank – ist vorüber!
Gold ist freilich nicht mehr im Lande: das haben die Schweizer,
hat vor allem die Wallstreet. Wir aber, wir haben das Nachsehn!«
Der das rief in den wimmelnden Markt, vor der leinenen Bude,
war ein Mann von geschmeidigem Wuchse, er trug die Litewka,
trug die Wickelgamasche, die Erbschaft der feldgrauen Kriegszeit.
Und der Marktschreier schrie wiederum: »Nur herein, meine Damen!
Was Sie drinnen bei mir zu sehen bekommen, es lohnt sich,
einem armen, entlaßnen Soldaten sein Gröschlein zu gönnen!
Gerne geb' ich's, beim Hunde! zurück, wenn Sie irgend enttäuscht sind.
Doch Sie sind nicht enttäuscht, sondern treten heraus aus der Bude,
aus dem Zelt – es ist Leinwand, die mir an der Marne gedient hat! –,
ganz berauscht von der größten, der höchsten Entdeckung der Neuzeit,
wie der Himmel sie mir zum Entgelt in der Nacht unsres Unglücks
für den schmählich verlorenen Krieg gradezu ins Gesicht warf.
Was denn ist es? so werden Sie fragen, ein Serum für Starrkrampf,
um den sterbenden Körper des Reichs zu entgiften? ein Mittel
gegen Kriegspest und Schießruhr? ein Flugzeug, den Mars zu erreichen?
oder aber auch nur ein Haar in der Suppe des Sträflings,
jenem ranzigen Fraß, der dem Michel heut tägliches Brot ist?
Ein zweiköpfiges Kalb mit sechs Beinen vielleicht? Nun, wir kommen
mit der Zoologie meinem Funde bereits etwas näher!«
Also scherzte der Mann, und so trieb er es Stunde um Stunde,
neubegieriges Volk aller Art in die Bude verleitend.
Doch ein Schlachtergeselle mit weichender Stirne und breiten
Kiefern, starkem Gebiß und sehr deutlich erkennbarem Reißzahn:
zornig-blaurot vor Wut verließ er das Zelt, lief zum Amte
und verklagte den Mann mit der Wickelgamasche: er habe
ihn geprellt um sein Geld, denn die Bude enthalte nur Unfug.
»Nun, das wollen wir sehn!« sprach der Amtmann und sandte den Sbirren
auf den Markt, um den Fall polizeilich aufs schnellste zu klären. –
Froh, als ob er Besuch von sehnlichst erwarteten Freunden
in dem Sbirren und seinem Begleiter, dem Schlachter, empfange,
trat der Gaukler mit beiden ins Zelt, wo ein Spiegel zu sehn war
und jeweilen natürlich auch der, welcher etwa hineinsah.
»Freundchen, dieses, gelinde gesagt, ist ein mäßiger Schalkstreich,
ein erbärmliches Glas, wie es jeder im eigenen Haus hat,
wo du doch, wie die Zeugen erhärten, dich höchlichst vermaßest,
zu den Wundern der Welt, jenen sieben, das achte zu fügen!« –
»Oh, das täte mir leid, ich enttäusche nicht gern meine Kundschaft!«
spricht der Gaukler darauf zu dem Sbirren, der so ihn gerügt hat.
»Doch, beim Hund! mein Geschäft ist solide, wenn auch meine Hände,
wie der Staat mich gelehrt, in den Taschen der Bürger sich füllen,
mäßig nur, nicht wie er, der uns alle nackt auszieht und ausraubt,
ohne nur das geringste dafür als Entgelt uns zu bieten.
Hier im Spiegel dagegen ist Wahrheit, die seltner als Gold ist!« –
Nolens volens aufs Amt, unterm Auflauf des Volkes, geleitet,
schritt er lachend einher oder pfiff durch die blendenden Zähne.
Beide Hände versenkt in die Taschen, die Mütze im Nacken,
schritt er schlendernderweise fürbaß und in vornehmer Haltung.
Doch schnell fuhr ihm die Hand aus dem Sack und flog Kußhand auf Kußhand,
wo nur immer sein strahlender Blick auf ein liebliches Kind traf. –
»Nein, Herr Kadi, Sie irren hier sehr!« wiederholte er heiter
in der Stube des Ortsgewaltigen, der ihn verhörte.
»Irrtum ist es, Herr Amtmann, das heilige Antlitz der Wahrheit
mit dem Stempel Betrug und mich selber zum Lügner zu stempeln!
Was mein Spiegel dem Kläger gezeigt, wenn er halbwegs für gut fand,
es genau und nicht nur obenhin, dies Geschöpf, zu betrachten,
ist der schreckliche Dämon, den, nach der Vernichtung der Menschheit,
die im Kriege sich selbst verschlang, uns die Hölle zurückließ.
Übermensch nenn' ich ihn oder Raubmensch und besser noch: Unmensch.
Unmensch aber, das ist schon kein Mensch, und in Wahrheit: er ist nicht,
ist vergangen, verschollen, der Mensch, und auf ewig verschwunden.
Dixi!« schloß er und lachte behaglich, als ging' ihn die Sache
nun nichts weiter mehr an. Danach bat er um Feuer und nahm es,
da es niemand ihm gab, ohne weiteres selbst, die Papyros
ganz gelassen, als wär' er allein, mit dem Streichholz entzündend. –
»Er ist übergeschnappt!« also dachte und sagte der Kadi.
Endlich gab es Papiere von seltsamem Inhalt; es stand da
manches, was die Behörde mit Achtung und Staunen erfüllte.
»Es ist gut«, sprach der Kadi deshalb, »und Sie können nach Haus gehn!« –
»Mit Erlaubnis«, so sagte der Gaukler, der nun sich verbeugte,
eine Kreide ergriff und etwas blitzschnell an die Wand schrieb.
Er empfahl sich, und »Hic fuit Till!«, so entzifferten später
der verwunderte Kadi, der Kläger und wer sonst im Raum war. –
Till, er rollte sein Zelt noch am selbigen Abend zusammen
und belud mit der Leinwand sowie dem Gestänge das kleine,
mit zwei zottigen Pferdchen bespannete Wägelchen, das von
einer runden, vielfältig gebesserten Plane bedeckt war.
Unter ihr, dieser Plane, verbarg, neben mancherlei Hausrat,
sich der Spiegel, an welchem der Schlachter sich heute geärgert.
Und im Grund des Gefährts saß ein Käuzlein. Es rührte sich wenig.
Gift und Galle: so nannte der fahrende Landschelm die Pferdchen,
der, als lachender Gott, sie regierte und so eines weißen
Pudels Dienste genoß, den, wie manchen der Gilde, man Prinz rief. –
»Wohin wenden wir uns, du mein Prinz?« rief der Gaukler nun fröhlich.
»Hottehü! Einerlei! nur erst fort aus dem Lichte des Jahrmarkts
in die Stille der Nacht, alles Weitere wird sich dann finden!«
Und so ruckten die Pferdchen denn an, und in Gang kam das Fuhrwerk,
quietschte finstere Gäßchen entlang über nächtliche Brücken,
bis die weite, still raunende Flur unterm Vollmond sich auftat. –
Langsam mahlten die Räder nun hin auf der einsamen Straße.
Dämmernd, rechts so wie links, lag das lispelnde Feld, in die Ferne
sich vermischend und hoch überkrönt vom Gewölbe der Sterne.
Der Vagant, er entschlief, von der Marktschreierarbeit des Tages
abgemüdet und satt des Gewerbes, zu dem er verdammt war.
Und so saß er, bewacht von dem Pudel, der schließlich ihn anstieß,
so ihn weckend, damit er nicht unter die Räder gerate.
Noch betrunken vom Schlaf, sprach der Schelm die betrüblichen Worte:
»Schlafen? Ich? Bist du toll, guter Prinz? Wer von uns bei Verstand ist,
weiß, wer wacht und wer schläft! Und beredt ist der Schlaf: seine Sprache
dringt hervor aus den Grüften des Kriegs. Sein gewaltiger Atem
ist ein wehvoller Sturm, der hier Wälder von Kreuzen durchfeget.
Die dort schlafen, die Kameraden, die Ernte des Schnitters
Krieg, mir liegen sie bloß, trotzdem sie mit Erde bedeckt sind!
Pudel, wäre dies Traum, ja, so wären die Toten lebendig,
die geliebten; was aber, was wäre mir lieber als das, Prinz?!
Nein, die Brüder sind tot. Mich verschonten Granate und Giftgas.
Ei, da kommt ja noch eine herüber! Bedankt sei der Franzmann!
So, nun schlief ich wohl gerne und ließe mich wecken, bevor sie,
mich zerreißend, krepiert. Es ist aus! und nun schlafe auch ich, Freund.«
Doch nun war Till erst wirklich erwacht und im Nu der Vernichtung,
fuhr empor und erkannte den Traum und war froh, daß es Traum war.
Also lachte er laut: »Was denn bin ich? Ein Schlauch voller Narrheit.
Ich krepierte zusammen soeben mit einer Granate
in das Leben recht mitten hinein und die herrlichste Mondnacht!«
So weit Till. Und es gähnte vergnüglich und gab ihm die Pfote
Prinz und blickte dann weg, denn er wollte den Herrn nicht beschämen. –
»Nun, es war nicht so schlimm, mein Pudel, denn seit ich zurück bin
aus dem lustigsten Krieg, der nur je diese Erde verheert hat,
kau' ich wieder, so tages wie nachts, den gewaltigen Weltsturm.
Doch hier machen wir halt, Gift und Galle, mein Magen befiehlt es.
Auch für euch ist gesorgt, und im Mondglast zittern die Schwingel!«
Schon entstieg er dem Wagen, der Landschelm, und schirrte die Pferdchen
ab. Sie schüttelten sich und begannen mit Wollust zu grasen.
Wenig später erhellte ein knackendes Feuer den Umkreis. –
Gar nicht übel versorgt war Freund Till, wie der Pudel wohl wahrnahm,
für das Biwak im Freien. Es stammte vielleicht aus dem Feldzug
das Gerät, und ein Bratspieß, er hatte wahrscheinlich in Frankreich
seit den Tagen Bayards kalikuttische Hähne geröstet.
Heute diente er Till, der, mit Sorgfalt ihn drehend, dabeistand.
Und Till sang: »Sous les ponts de Paris …« oder pfiff es sehr kunstreich,
dieses Lied, das dem »Boche« in den Tagen des schmerzlichen Rückzugs,
ein Grisettchen, gutmütig und treu, bis zu Haus das Geleit gab.
Waren's Tränen, was jetzt Tillens Wange beglänzte und, eilig
trocknend, schwand vor den Gluten des Feuers? Vielleicht! Doch wer weiß es?!
»Oh, ich habe geweint, hab' geflennt wie ein Kind, das der Bock stößt,
zu Berlin, als dies Lied von den Wänden der Häuser zurückschlug:
›Sous les ponts de Paris‹ bei dem traurigen, schaurigen Einzug.
Ja, da weint' ich! Doch jetzt?« Und es scholl durch die Nacht Tills Gelächter.
Trappeln hörte man nun und vereinzelte Laute von Reden:
»Ulrich«, spricht eine Frau zum erblindeten Sohn, den sie führte,
»riechst du Rauch? Dort im Wäldchen, ich seh' es genau, qualmt ein Feuer!
Hu, was schnauft hier und schnaubt? Wahrhaftig, hier grast ja ein Pferdchen!
Es sind fahrende Leute, Zigeuner, laß schnell uns vorbeigehn!« –
»Knurrst du, Prinz? Nun, was gibt es? Zwei harmlose Wandrer, laß gut sein.
Was denn soll dir das Weibchen wohl antun, geschweige der Bursch da?!
Flamme, flackernde, die du mir dienest, du zeigst mir den Ärmsten,
dem den Weg und die Welt zu erleuchten du nicht mehr die Kraft hast!
Wie beklag' ich, wohltätiger Brand, deine schimmernde Ohnmacht!
He Kam'rad, Kamerad, wie so spät noch, im Rocke des Kaisers,
stolperst du über Land?« – Und es stutzte der Blinde: »Wer spricht da?« –
»Komm und sieh, Freund, und teile mit mir meinen köstlichen Nachtschmaus!« –
»Wer da? hieß es im Krieg«, spricht der Blinde »Parole und Ausweis!« –
»Nichtsnutz«, antwortet Till, »die Parole! Mein Ausweis: das Nichtstun!
Doch im Ernste: auch ich war Soldat, ehbevor ich ein Schelm ward.
Jüngst verstarb ich als Held und ward wiedergeboren als Schalksnarr.
Eulenspiegel, so nenn' ich mich jetzt, und wer will es mir wehren?!
Welche Mutter mich wiedergebar und wo etwa dies stattfand,
weiß ich nicht, und es mögen darüber die Weisen sich streiten
und die Städte, gleichwie ob der Herkunft des weiland Homeros!
Sicher ist, daß ich diesmal voran mit dem Steiße zur Welt kam,
in den Wehen der Not, aus dem furchtbaren Bauch der Verzweiflung!«
Drauf der Blinde: »Du scheinst bei Humor mir zu sein, trotz der schlechten
Zeit – Glück zu, Kamerad! –, und es düftelt bei dir ganz erträglich!« –
»Ulrich«, sagte die Mutter, »noch haben wir's weit bis nach Warmbrunn.
Mitternacht ist nicht fern, und der Mensch ist mir gar nicht geheuer!« –
»Nicht doch«, sagte der Sohn, »denn hier komm' ich nicht weiter. Ein alter
Kriegsmann, ist er gleich blind, der Kam'rad aus dem Feld macht ihn sehend!«
Damit riß er sich los von der Alten und schlug auf die Erde.
»Siehst du?!« rief sie und half ihm, von Till unterstützt, auf die Beine.
Und es lachten die zwei, der Blinde und Till, bis zu Tränen.
»Ja, so liegt die Armee denn im Dreck!« rief der Gaukler. – Der Blinde:
»So erhebt sie sich wiederum fest auf die Beine, hipp hurra!« –
Till und Ulrich, und Ulrich und Till, beide saßen am Feuer.
Prinz dazwischen beleckte den Sehenden bald, bald den Blinden.
Dieser aß höchst vergnügt und genoß von dem Weine des Gauklers,
ward gesprächig und schien seiner Blindheit sich nicht zu erinnern.
»Köstlich«, sprach er, »ist solch eine Nacht, wenn die Schauer der Stille
mit den wohligen Strömen der laulichen Luft sich vereinen,
und die Funkengewölke des knisternd verpuffenden Reisigs
gleichsam unter das Weltengewimmel der Sterne sich flüchten!
Und wie bleich das Gebirge sich dehnt in der schummrigen Ferne,
überirdischem Horte gediegenen Silbers vergleichbar
in den nächtlichen Tempeln und Schätzegewölben der Gottheit!« –
»Du hast recht, Kamerad«, sagte Till, »und du schilderst sehr richtig,
was du siehst. Deine Augen sind gut!« – »Und dein Rheinwein ist prächtig!«
gab der Blinde zurück. »Weiß es Gott, Kamerad, es ist seltsam:
beinah sehe ich mehr als vordem, seit man sagt, daß ich blind sei!« –
Jetzt nun fingen sie an, von der Kriegszeit zu plauschen. Sie tauschten
aus, was jeder erlebt, und erzählten einander Geschichten.
»Über Zion«, sprach Till, »hing ich, kreisend, im dröhnenden Flugzeug.
Den gewaltigsten Traum, den ich jemals geträumt, träumt' ich damals,
von der Größe des Reichs, von der länderumgreifenden Weltmacht
deutscher Art und dem heil'gen Beruf, der uns damit gesetzt war.
Deutschland träumte in mir, und sein Traum war geharnischt – das war er! –,
eisenschmetternd und Feuer auswerfend und donnernden Rauchdampf!
Und, beim Hunde! nicht fern war das Ziel. Fast mit Händen zu greifen
war, was Gott uns im Blitze gezeigt. Und wir hatten auch Hände,
treue Hände und starke und schnelle genug. Doch es fehlte,
sie zu einen: das Haupt! sie zu lenken: das Haupt! zu vollenden
die erhabne Gewalttat: das Haupt, mit der Macht des Gedankens
unerbittlich zu herrschen befugt, mit dem Steuer des Willens
jede Nacht, jede See, unabirrbaren Laufes, durchbrechend!
Aber lassen wir das! Trink, Freundchen, und füll dir den Wanst an!
Denn was hätten wir weiter zu tun, nun wir rechtlos und arm sind,
ausgebeutelt, entehrt, auf die Straße gejagt und geächtet!« –
»Was am meisten mir leid tut bei alle dem Unglück«, so wieder
nun der Blinde, »ist, daß mich der winzige Fehler am Auge –
beide Augen sind leider gestört – noch am Ende verhindert,
mit den andern zu Felde zu ziehn an dem Tag der Vergeltung.
Dieser Tag ist nicht fern, und ich denke ihn bald zu erleben!« –
Was tut Till? Der Gesell wirft sich hin zu den Füßen des andren,
küßt die staubigen Schuh' und beweget zugleich mit der Linken
etwas, das ein Geräusch wie ein Bündelchen Schellen hervorbringt.
Danach springt er empor. Stutzend fragte der Blinde: »Was machst du?
Schwingst du Schellen? weil Schellengeläut, Kamerad, mir ans Ohr schlägt!« –
»Nein, ich schwinge nicht Schellen, sie klingen von selbst: ich bin Schalksnarr!
Lache nicht, denn mein Los ist vielleicht nicht so übel. Kam'raden –
Offizieren wie ich – ist es weniger leidlich geraten.
Manches Gräflein und manches Barönchen erzwinget sein Dasein
in dem nächtlichen Höhlenbetriebe, dem Giftschlamm der Weltstadt:
der durch Laster, als Schüttler der andre, der bettelnd herumliegt.
Nun, ich dachte: Du wirst Hanswurst in der Hanswurstiade
dieser Welt, drin Europa vor allen sich herrlich hervortut!
Denn ich bin Europäer, mein Uli, und habe den Anspruch,
an bevorzugtem Platz in dem Katzenmusikkorps Europens
mein besondres Talent zur Kakophonie zu bewähren.
Spaß beiseite! Im Tohuwabohu des furchtbaren Rückzugs
hab' ich etwas erlebt – ich vermag es mir nicht zu erklären:
ward doch – wie, bleibt ein Rätsel! – die Kappe des Fliegers urplötzlich
trächtig, brachte mir Früchte zur Welt und behing sich mit Schellen!
Solches waren die Früchte des Kriegs, und sie hab' ich geerntet,
nichts sonst pour le mérite und die blutige Arbeit der Kriegszeit.«
Von der Kappe, mit Schellen besetzt – denn es war eine solche,
die Tills Linke umschloß –, riß der Gaukler nun eine der Schellen,
drückte sie in die Rechte des Kriegskameraden und schwieg dann.
Doch es lachte der Blinde und schellte vergnügt mit der Schelle.
»Du bist wirklich ein lust'ger Gesell, und ich merke, du hast es
faustdick hinter den Ohren, mein lieber Kam'rad! Auf dein Wohlsein!« –
Maienkäfer, braunflüglige Flieger, umbrummten die Zecher.
Einer stieß dem hohlwangigen, lachenden Sprecher ins Antlitz:
»Voll Begeisterung stellte ich mich, wie mein Vater mit fünfzig
und zwei Brüder, die Weib und Kind in der Heimat verließen.
Ich allein kam davon. Beinah wär' es mir lieber, der Vater
lebte, ginge es doch meinem Muttchen dann besser als jetzund,
wo wir Woche um Woche ein Stück unsres Hausrats verkaufen!« –
»Prächtig! prächtig!« rief Till und tat Reisig ins Feuer. »Hopp heißa!« –
Endlich war, bei den Reden der Männer, die Mutter entschlummert.
Was tat Till? In der Kniebeuge eben noch hockend am Feuer,
schnellt er federnd empor, überhüpfet die Flamme mit Schlußsprung,
wird vom Dunkel geschluckt und taucht wiederum auf in den Lichtkreis,
Mäntel schleppend und Decken und Kissen, das Weibchen zu betten.
Und nun hüllt er sie ein, diese schlafende Mutter – nicht wen'ger
schmerzensreich als die Mutter des Heilands –, mit kindlicher Sorgfalt.
Diese schläft! spricht er dann bei sich selbst, und so halte das Weltall
seinen Atem denn an! Er bedeutet auch Uli zu schweigen. –
Und man schwieg. Doch nun grade, vom Schweigen, erwachte die Mutter.
»Redet«, sprach sie, »und laßt euch nicht stören! Es ruht sich so besser.
Singt und lachet und tut, was ihr mögt, denn dann ist's mir behaglich.
Eben hab' ich von Vater geträumt und von deinen zwei Brüdern.
Alle waren sie hier und leibhaftig ans Feuer getreten,
Kind, als sei ihnen kühl. Oh, es tat ihnen wohl, sich zu wärmen!« –
Und zum anderen Male griff Till in den Wagen, metallisch
klirrt es auf. Eine Zither verriet ihr melodisches Dasein.
Sie im Arme, ans Feuer gelagert, begann Till, die Saiten
mit dem Plektron zu rühren. Da blühte die Stille der Mondnacht,
fremd und süß und seraphisch erregt von verzauberten Klängen.
»Was ist das?« sprach der Blinde. – »Was meinst du?« entgegnet der Gaukler. –
»Horch doch! Still, Kamerad! Oder täuschen die Schauer der Nacht nur?
Doch, bei Gott, mir ins Ohr, aus der Ferne sich nähernd, dringt Marschtakt!
Truppen singen! Sie rufen hurra! Sie marschieren gen Frankreich!
Wie gewaltig erhob sich das Volk neunzehnhundertundvierzehn!
Wie ein Mann stand es auf, seinen Herd und sein Land zu verteid'gen!« –
»Ja, so war's«, sagte Till, und er schlug seine Zither so seltsam,
mächtig bald und bald leis, daß man abwechselnd meinte, man höre
Rosse wiehern, Trompeten und brausenden Ruf der Begeistrung,
Kampfestosen und Schreie des Todes in blutiger Feldschlacht.
Und es nahm seine Stimme zu Hilfe der Gaukler; so flocht er
fugenhaft ineinander die heil'gen Gesänge der Kriegszeit:
Wacht am Rhein, von dem Kameraden das Lied, den das Blei traf,
von der Liebe das Lied, welches Deutschland erhebt über alles. –
Jäh indessen riß ab das Getöne mit gellendem Mißlaut,
so, als wären mit weinendem Schreie die Saiten zerrissen.
Nicht die Saiten der Zither allein, auch die Saiten der Seele
in der Brust des Gesellen, der, glasigen Blickes, nun stillsaß. –
Woher kamen die grauen Gestalten so spät in der Nacht noch?
Seltsam war und beinahe gespenstisch die stille Versammlung.
»Warum spielst du nicht weiter?« so fragte der Blinde. Er hatte
nun den Quell des Getönes erkannt. Doch Till sagte: »Ich darf nicht.
Nicht allein der Besuch, den die Seherin-Mutter erblickt hat,
ist in Wahrheit nun da, es hat sich auch eine Gesellschaft
eingefunden, die mir, wo ich immer auch bin, auf der Spur ist.
Und sie duldet nicht meine Musik!« Wirklich standen und saßen
um den glimmenden Brand nun halbnackte Soldaten: Gestalten,
schwarz verrußt und zerlumpt oder starrend von lehmigem Unrat.
Und sie sprachen im Chor: »Nein, wir dulden, Till, deine Musik nicht!« –
»Warum gönnt ihr mir nicht diese harmlose Freude?« sprach Till drauf.
Einer nun gab zurück: »Guter Vetter, du weißt ja doch selber,
daß, solange du solchergestalt, so verrucht musizierest,
drin im Wagen der Spiegel sich trübt, ja am Ende kohlschwarz wird.
Wie du weißt: wir sind tot. Unser Vaterland hat uns erschlagen.
Grausam trieb's mich hinein in den höllischen Sturm der Geschosse,
stolpernd starb ich, ins eigne Geschlinke die Füße verwickelt,
und ich lag zwanzig Tage, verwesend im eigenen Kote,
stank, verderbend die Lüfte so lange mit giftigem Pesthauch!
Als man endlich den irdischen Rest zu bestatten die Zeit fand,
tat man es mit verbundenem Maul, unter Flüchen und Zoten.
Dennoch warf seinen Spaten weit von sich ein Leichenbestatter,
es entehrte zuletzt sein Gespei noch das traurige Opfer,
das sich selbst für den heiligen Boden der Heimat dahinwarf.
Dieses war nun das Ende vom Lied, das auch ich einst gesungen!« –
Und sie sprachen im Chor: »Nein, wir dulden, Till, deinen Gesang nicht!« –
»Hörst du wohl, was er murmelt und was sie im Chor mir verbieten?«
also wandte sich Till an den Blinden – doch der schien entschlummert.


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