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Das siebzehnte Abenteuer

ist die dritte Fortsetzung des Lügenmärchens, das Till seinem Hunde erzählt. Es enthält einen Kentaurenritt, den er gemacht haben will.

 

Nicht besonders erbaut war die Gule von dieser Erzählung.
Immer wieder versuchte sie es, ihren Fortgang zu stören,
ohne daß es gelang. Endlich wurde sie böse: »Warum denn
bellst du nicht, guter Freund? Besser wärst du dem Pudel verständlich.
Ich dagegen, ich hätte den Vorteil, kein Wort zu verstehen.
Auf den Hund kamst du längst, und sehr bald wirst du unter dem Hund sein.«
Unbeirrt sagte Till da und strich seinem Pudel den Scheitel:
»Dieses Weibsbild ist dumm! Sie beleidigt uns, weil sie nicht klug ist.
Wüßte sie, wie dich Platon belobt, Prinz, sie müßte sich schämen:
weisheitliebend wie du sei kein anderes unter den Tieren,
philosophisch durchum und durchaus, also lautet sein Zeugnis.
Und wie wirst du geehrt zu Athen in den Hallen des Tempels,
Kynosarges genannt! Ungesehen von ihr, ist es um uns,
dieses Haus. Und so fahr' ich nun fort, braves Tier, dir zu beichten.
Nagte etwas in mir, und was war's, auf der Alme der Baubo?
Oder war hier ein Innen und Außen und ich nur im Innen
eingeschlossen, nicht frei? Wehe, wen dieser Zweifel berühret,
niemals schweiget er mehr, bis der Zweifler erstickt oder frei wird.
Gute Tyche, urwüchsige, allesvermögende Baubo,
wie denn ließest du zu, daß ein feindlicher Dämon den Giftpfeil
dieses Zweifels mit sicherem Schuß in die Seele mir pflanzte?
Leis unruhiges Drängen begann nun in mir. Unsre Alm ward
mir zu eng, und ich streifte umher in den Schluchten und Schlüften
tags und später auch nachts, stieg empor zu den silbernen Gipfeln
ew'gen Schnees und dort oben umher in dem Lichte der Sonne,
fast erblindend am Glast oder magisch umglitzert vom Mondschein.
Und dort oben, dort oben, mein Hund, eines Nachts … laß mich schweigen
von dem allen, was dort sich begab, oder lasse mir Zeit, Prinz!
Tausend Jahre beinah lag ich nachts im erquickenden Tiefschlaf,
ganz bewußtlos, und jedesmal, wenn ich erwachte, so war ich
neu entstanden durchaus. Nunmehr aber begannen sich Träume
wiederum mir des Nachts in den Tiefen des Schlummers zu ballen.
Und da war's eines Nachts, daß mein Guru aus solchem Gewölk trat.
›Till‹, so spricht er, doch schweigend und nur mit dem redenden Blicke
tiefen Ernstes, ›es schlägt deine Sternenuhr wiederum, hörst du?‹
Damit schwand er hinweg. Und ich ward aus dem Schlafe geschleudert,
wie ein Mensch aus dem Schiffe, das eben am Felsen zerschellt ist.
Baubo schlief. Ich erhob mich vom Lager. Es sog an der linken
ihrer wogenden Brüste, ich sah es mit Schrecken, ein Schlänglein.
Ich getrauete nicht, sie zu wecken, aus Furcht, daß es beiße
und den Busen vergifte der lieblich vertrauenden Göttin.
Doch es trieb mich hinweg, ob es etwa auch nur Gaukelei war.
Draußen strahlte die Nacht: Oh, wie furchtbar belastend, so dacht' ich,
drückt nun wieder auf dich ganz allein die gewaltige Wölbung
dieses Krondiadems, das, seit Anbeginn eines Jahrtausends
aufgehoben vom Glück und Gesetze der Liebe, sich selbst trug.
Trunken war ich von alter Magie, meiner irdischen Erbschaft!
Wege zog es mich hin, von der Alme hinweg, einem Ruf nach,
der nicht klang und doch rief, dem Gewölbe der Sterne entdrungen.
Und ich war ganz allein, bis auf ebendenselbigen Anruf,
der Gesellschaft vielleicht mir versprach, dem in Allheit Alleinen.
In mir wärest du noch, Apollon, du Diener Admetens!
und ein Abglanz von dir überhauchte die schneeichten Gipfel.
Doch nun wirketeh um dich und mit dir noch andere Götter,
und sie leiteten, schien es, und nahmen mich mit sich und in sich,
unerzeugt-unaussprechliche Mächte, von menschlichen Worten
unberührbar, geschweige, daß menschlicher Geist sie umfaßte.
Wieder war es, Freund Prinz, nur ein höheres Reich der Gesichte,
dem ich zustieg, doch göttliche Ahnungen machten sie bildhaft.
Ahnung geht allem Sehen voran, und sie folgt allem Sehen.
Ahnung führet vom Leben zum Tod und vom Tode zum Leben.
Ahnung, Grund alles Denkens, wie Chaos des Erebos Grund ist,
führet über das Leben hinaus und auch über den Tod noch.
Ich erstaune, wie leicht von der Lippe, mein Prinz, mir das Wort springt.
Trunken war ich von alter Magie, meiner irdischen Erbschaft,
als ich Hufschlag vernahm, von dem Lager der Baubo geflüchtet.
Ein gespenstisches Pferd, im Galopp kam es schauerlich bergan,
echoweckend im steilen Geklipp. Und von Schrecken getroffen,
wie ein sterblicher Mensch wiederum, stand ich stille, den Rücken
vom gespenstischen Eishauch der Angst, ja des Grauns überrieselt.
Eine Stimme erreichte mich nun: ›Halt! ich gehe mit dir, Freund.
Unser Weg ist der gleiche, denn meiner, er ist überallhin!‹
Oh, wie lärmte der furchtbare Mensch, den ein schneidendes Wiehern
markerschütternd, so schien's, unterbrach; doch es kam von ihm selber,
dem Gespenst, das zur Hälfte ein Mensch und zur Hälfte ein Roß war,
das erkannt' ich mit Staunen sogleich, als er neben mir hertrat,
ein Kentaure durchaus. Eigentümlich, sofort schwand die Angst hin,
denn da wehete greises Gelock um das freundlichste Antlitz.
Oh, er dampfte im Froste der Nacht, ein Gewölke umgab ihn.
Sein geschecketes Fell war bereift und sein glitzerndes Barthaar.
›Till‹, so spricht er, ›du Narr aller Narren, wie kommst du denn hierher?
Doch, im Grunde, du bleibst ja durchaus im Bereich deiner Narrheit.
Sehen willst du das menschlichem Auge doch ewig Verborgne,
Unerhörtes und nie zu Vernehmendes willst du vernehmen.
Letzte Dinge ganz nahe zu wittern verhoffst du, die Zeus selbst
nie gerochen, so weit er die schnaubenden Nüstern auch aufbläht.
Schmecken willst du die Säfte des innersten Werdens, der Zeugung,
und du meinst, die erkennende Zunge, sie werde sogleich von
Weisheit triefen. Du sinnest den Rätseln der Welt ihren Garaus!
Du gefällst mir, mein Till. Erstens, weil du, wie ich, deinen Wein liebst,
ferner, weil du nicht dümmer als dumm und doch manchmal recht dumm bist,
ganz wie ich. Also mag ich dir gelten als eine Art Schutzgeist.
Till, sitz auf und sitz fest! denn es soll deinem närrischen Vorwitz
sich ein Schatten vom Schatten des Zipfels der Allmacht nun weisen.‹
Cheiron reckt den heraklischen Arm nun nach rückwärts, du sahst es
wohl auf Bildern! Ich trat in die Hand ihm, als war' es ein Bügel,
und saß auf. Der Kentaur setzt, bergan, dann mit mir seinen Weg fort.
Waren dies noch die Höhn des Taygeton? Wahrlich, ich weiß nicht.
Schnee begann, in die Mulden geweht, zwischen dunklen Gesteinen.
Sicher trat das Geröll der Kentaure. Es stand im Zenite
hoch der Mond und benahm meinem Gotte fast gänzlich den Schatten.
Unbewegt war die Luft, und ich atmete hastig, so dünn, Prinz,
Weltraumkälte umgab mich, nur Narren und Göttern erträglich.
Doch es wäre auch wahrlich der Narre zersprungen wie Glas, wenn
unter ihm nicht ein Ofen geglüht: Cheirons dampfender Roßleib.
Es erschloß sich ein Tal. Im Gerölle lag Firnfleck nach Firnfleck.
Dann verloren wir uns zwischen Pfeilern und Zipfeln von Firnschnee.
Sausen hört' ich mein Blut in den Adern, als Cheiron im Laufe
plötzlich stand und das furchtbar erhabene Schweigen hereinbrach.
›Oft verhör' ich das Schweigen, dies‹, murrt er, ›ist meine Gewohnheit!‹
Brennend glotzen mich an nun die Lichter des Gottes. Er lächelt,
denn man hört ein Gepiepse von Vöglein der eisigen Öde.
Diese Kleinen sind dreist und im Rachen des Todes selbst furchtlos.
Weiter sprengt er. Er wiehert, er schreit, und es hallet die Talwand.
Echo! Echo! mir schien, es bedeute ihm mehr als uns Menschen,
ob es mehr auch uns Menschen bedeutet, als manchem bewußt wird.
Und was fordert er hier triumphierend heraus mit dem wilden
Schmetterlaut seiner Brust? Packt auch mich etwa Wildheit? Beim Hunde,
ja, vielleicht! jene Wildheit indes, welche vor sich den Tod sieht,
angstdurchrieselt, vom Grauen des sichren Verderbens geschüttelt.
Sieh, der Himmel erhellt wie von einem allmächtigen Glanz sich,
leuchtend fällt, ob unnahbarem Weiß der stumm ragenden Gipfel,
düstrer Glut, eine purpurne Kugel. Schon ist sie zersprungen,
mit weich hallendem, erzenem Laute verlöscht in dem Nachtreich.
Wieder steht der Kentaure und weist mit dem nervigen Arme
gen den Punkt, wo das Leuchten verschwand. ›TiIl, wir nennen das Steinwurf
des Saturn. Einem Affen Saturns bist du unten begegnet‹,
spricht er dann, ›nicht ihm selbst, dem Steinschleuderergott, dessen Glutstein –
nun erkaltet –, die Erde, dich trägt. Und er wirft seine Steine
noch mit Steinen. Es hat sie der Mensch zu Altären verwendet
und in Tempeln verehrt. So zu Delphi und so auch zu Mekka.
Also war er uns nahe, der Gott, durch den heiligen Steinwurf.
Doch nun halte dich fest, denn die Rast ist vorbei, und die Zeit drängt.‹
Weiter stob im Galopp der Kentaure, tallängswärts und -aufwärts,
froh, so schien's, des getürmeten Schutts und des glättesten Abhangs,
froh der Schründe, der Schroffen, der Gletschermoräne, der Eiswand.
Hindernisse, genommen, verlachte mit Wiehern der Roßmensch.
Neue türmeten sich: um so besser! Im Rücken gelassen,
zeigte unseren Weg eine schmelzende Schlange von Dampf an.
Wasser quellte aus Kuppen von Eis: es durchplanschte der Roßmensch,
ehbevor es gefror. Eine Ebne von Schnee: er durchstob sie.
Glitzernd lag sie im Mond, und mir schmerzten die Augen. Die Kälte
stieg. Sie stieg mit uns zweien. Eisnadeln verbrannten die Haut mir.
Prasselnd schlugen die Hufe des Gotts durch das Schneeglas. Ein Rudel
Wild warf Schatten. Renntiere vielleicht. Und schnell huschte der Schatten
hin und schwand in das Nichts. Dies ist nicht mehr Taygeton. Höher,
weiter trägt mich der Gott. Immer furchtbarer wächst rings die Bergwelt.
Schauer wachsen zugleich. Und damit auch, als Cheiron nun stillsteht,
plötzlich stocket mein Herz. Ich will rufen, die Stimme versagt mir.
Weiter! weiter! mich tötet sonst, fühl' ich, das Grauen der Stille.
Da: wie wenn vom verschlossenen Ohr beide Hände du wegnimmst,
überfällt dich Geräusch, so als wäre die lärmende Werkstatt
der Natur um dich laut, aller Kräfte und Mächte des Erdballs.
Alles tropft, alles klingt, alles fließt, und wo eben ein schwarzes
Tal geklafft, ein schräg stürzender Spalt, dort erbrauset gewaltig
jetzt, in stürzenden Massen gequirlt und erdonnernd, ein Flutstrom.
Tauwind sauset heran. Weiter jagt der Kentaure. Sein Sprung legt
hinter sich die wildrasende Kluft. Wohin führet der Ritt uns?
Blut? Schwarz färbt sich der Rücken der Rechten, mit der ich den Mund mir
schließe. Ist es nicht Blut, das mir zwischen den Lippen hervordringt?
Dünnste Luft! Weltraumäther nur noch? – Plötzlich rutschen wir abwärts.
Das ist Sturz! das ist Tod: diese Fahrt in den schwindelnden Abgrund,
die Lawine rings um uns aus Schnee, später Runsen und Steinschlag!
Auf der Hinterhand sitzet das Roß, beide vorderen Hufe
eingestemmt in den weichenden Schutt. Doch das menschliche Haupt schreit,
und heraklische Arme des Gotts halten, rückwärts sich streckend,
auf dem Rücken mich fest. Und nun wieder bergan stürmt der Nachtritt,
Stund um Stunde hinan. Dies ist nicht mehr die Erde, wo Menschen
hausen. Heule ich laut, oder fleh' ich, erbärmlicher Feigheit,
nicht vom Menschlichen mich, von der Mutter, der Erde, zu reißen?
Oder schweig' ich, verstummt, bis ins innerste Wesen versteinet?
Hungrig schlingt er den Raum, mein Kentaur, und befeuert durch Ferne,
wie sein Bart auch, vereist, mich in fliegenden Strähnen umklirret.
Freude heißt ihm die Weite und Weite die Freude. Und weil er
Grenzenlosem vermählet, so hasset und liebt er die Grenze,
ihr verbunden in ewigem Kampf. Doch nun kommt er zum Stillstand.
Der Zweileibige steht. Welches Licht! Welche flimmernde Bläue!
Uns umschließet ein gläsern gewölbter, blauleuchtender Eisdom.
Wie erhallet die Kuppel, die hohe, vom Monde durchleuchtet,
ein unnennbarer, quadergewaltig durchscheinender Lichtstoff!
Cheiron spricht: ›Halt dich still, guter Till, und gebrauche dein Auge!‹
Tief sich beugend vor Cheiron, erscheint in der Höhle urplötzlich
ein Gespenst, ein kimmerisches Wesen in Pelzschuh und Pelzrock.
Die Kapuze bedecket sein Haupt, und mit feinem Geklingel
tuen Schellen sich kund, die vom Gürtel an Schnüren ihm baumeln.
Denke, Prinz, selbst hier oben ein solches Geschöpf meiner Gilde!
Dem Gespenste verbunden, ein Tier. Ist's ein Hirsch? ist's ein Renntier?
oder aber allein sein weißblendend verzitterndes Urbild?
Der Schamane beginnt seinen Tanz. Amulettengeklapper
mischt ins Rauschen der Schellen sich ein: was denn will er beschwören,
dieser Zaubrer, im ewigen Eis? Es erkennt meine Frage
Cheiron: ›Till, es bedarf der Magie überall und des Zaubers,
so allein ist, von fern, das Geheimnis des Lebens zu streifen!‹
Sterne schauen herein auf den Tanz des Schamanen. Des Nordlichts
Fächer fächelt buntfarbig empor. Die heraklischen Arme
eingestemmt, folgt dem seltsamen Schauspiel, breit grinsend, der Roßmensch.
Seines Schweifes, des wammigen Bauches sowie seiner Mähne
lautes Zottengeklirr, seines Schweißes gefrorene Eislast
übertäuben, sooft er sich regt, den Gesang des Beschwörers.
Hab' ich je solche Laute gehört? Sind sie menschlich? so denkt Till.
Murmeln, Flüstern, vom dumpfen Gedröhne der Trommel begleitet.
Vogellaute, das Sausen des Winds, das Geraschel der Blätter,
die ein eisiger Hauch vom beinahe entblätterten Baum jagt!
Sturmgeheul! Aber so, als besäße der Sturm eine Seele,
litte wütende Qual. Und nun Kindergegrein: oder sind es
Tiere, welche in Hunger und Kälte unrettbar verderben?
Flügelrauschen ganz nah und dann wiederum ferne. Das Klatschen
schneller Wendung des Fittichs, bevor sich die Klaue des Falken
in den Rücken der Taube versenket. Ein Weinen entsteht jetzt,
solcher Art, solchen ewigen Wehs, einem Weinen vergleichbar,
das urewiges Leid, nicht ein menschliches Auge geweint hat.
Raben schreien. Dem Uhu entströmet ein furchtbarer Heullaut.
Jetzt der Brunftruf des Elchs, das Gebrumme des Bären. Von hoch her
fallen glockige Töne herab des fern strebenden Singschwans.
Oh, wie schmerzlich, wie einsam, wie ewig verlassen ist all dies
Leben! sprach es in mir, warum muß es stets neu sich gebären?
Wie er schleicht, der Schamane, im Tanz! Er erlauert sein Leben,
er versteckt es vor Menschen und Tieren und bösen Dämonen.
Er verkriecht sich mit ihm, er verteidigt es rasend, und endlich
stürzt er, brüllend, mit Schaum vor dem Mund und in Krämpfen verzuckend.
Da erfüllt sich der Zauber! und durch das Gewölbe von Schnee-Eis,
durch das Tor unsrer märchenhaft flimmernden, riesigen Wohnung
glitt gebreiteten Fluges ein Schwan. Wie des ewigen Schneees
Seele weiß und dem Raubvogel Rock, so gewaltig, vergleichbar.
Nieder senket er sich in ein Wasser, das spiegelnde Luft scheint:
's ist ein offener See, wie ein Wunder, inmitten der Eiswelt.
Wo nun brauset er hin, mit gelockerten Flügeln, erklirrend,
rückgebogenen Halses, stolz-zornig ausholend im Vorstoß?
Sieh, es hebt aus dem riesigen Bade empor sich ein Weib jetzt,
übermenschlicher Artung, doch nicht überirdisch. Sie denkt nicht
Flucht, doch ebensowenig erscheint ihr der Schwan der Willkommne.
Doch geschieht, was dem brünstig allmächtigen Vogel im Sinn liegt
unaufhaltsam, er peitschet die Flut mit den rasenden Flügeln,
farbenbuntes Gewölke von sprühenden Tropfen verbreitend.
Und weißdampfende Glut des gefiederten Körpers vermischt sich
mit dem silbrig heißzitternden Dunst, der von Leda emporsteigt,
die, im Eise des Weltraums, dem schmelzenden Feuer des Gottes
hingegeben, sich windet im schmerzlichen Zwange der Zeugung.
›Till‹, spricht Cheiron, nachdem die Erscheinung, so schnell sie hervortrat,
hingeschwunden im Nu, ›woher stammet das Leben auf Erden?
Denke nicht, dieses je zu erfahren! Erweiterte Frage
und nicht mehr war dies magische Bild, doch umwittert von Ahnung.
Frage nicht, was ich wisse, viel lieber nach dem, was ich nicht weiß.
Denn, soviel ich auch immer, nie stolpernden Hufs, galoppiere –
auch das Wasser, es hält mich nicht auf! – um die Fläche des Erdballs,
durch Jahrtausende, fort von Jahrtausenden, Till, ich erkannte
tiefer nur und umfassender nur und allwissend: das Rätsel!
Die da ringen mit ihm – und ihr tut es dort unten, ihr Menschen –,
tauschen Staunen um Staunen sich ein und so weiter, unendlich.
Immer höher entwickelt sich da vom Nichtwissen das Wissen:
nur von ihm. Doch, beim Pfuhle! der kennt das erhabne Geschenk nicht,
das selbst Göttern genügt, der es, Mensch oder Dämon, mißachtet.
Doch nun hurtig, sitz auf! denn wir haben noch Ernsteres vor, Till.‹
Oh, wie fern lag Admet nun zurück, dann die Alme der Baubo,
weit, wie weit im alloffenen Abgrund der Zeiten versunken
wie im Abgrund des Raums. Auch die steigende Flut der Gesichte,
in mir wogend und endlos gedehnt im Vergehen und Werden,
auszusprechen vermöchte kein Mensch. Und so klammre ich fest mich
an den kochenden Leib des Kentauren, der, stürmend, mich fortträgt.
Stillstand plötzlich: die Hufe des Gottes versinken in Glutsand.
Hitze brütet. Sie zittert empor in verzauberter Mondnacht,
hebt den Sand bis zum Nabel herauf des Kentauren. Zur Staubsee
wird die endlose Öde, manntief überm endlosen Sandmeer.
Und sie beizt mir die Lungen und reizet sie schmerzlich. An Hügeln
aufgeweheten Sands wird zu rasten beschlossen. Wir rasten.
Und der Baß des Kentauren erklingt durch die tödliche Stille:
›Groß, mein Freund, ist das Wunder der Zeugung durch das der Vernichtung.
Zur Erkenntnis von Wundern nur führ' ich dich hin, nicht von Wahrheit.
Halte stand! Du entschlüpftest dem eisernen Ei der Gewohnheit,
und so schützt keine Schale dich mehr vor dem Einbruch des Wahnsinns.
Was natürlich begründet erschien und im kleinen verständlich,
nicht verständlich ist's hier noch begründet noch irgend begreifbar.
Hauche hauchen die Lungen, vom Munde zu Lauten gebildet.
Hauche sind es, nicht mehr, es sind Laute: es sind weder Götter,
Menschen, noch irgend etwas von dem, was sich um uns her auftürmt.
Deine Hauche, sie sind deine Hauche, sie sind nicht das Weltall.
Hoffnungslos darfst du werden, mein Till, und alsdann wirst du groß sein.
Sieh und öffne die Augen, solange dir Sehen gegönnt ist:
länger wirst du nicht sehen, mein Till, darum sieh, daß du siehest!
Doch verzweifle, je mehr du erblickst, um so tiefer, mein Liebling.
Lehrer war ich dereinst des Achill, und heut bin ich der deine.
Jeder habe und hat einen Lehrer, mein Till, der ihm zukommt.
Wer zu lernen begehret, wie du, Till, er fürchtet den Tod nicht,
nicht den zeitlichen Tod noch den ewigen, dem er anheimfällt.
Um zu sehen, betratst du das Reich der Gespenster: willkommen!
doch gerinne dein Blut, deine Seele erfriere im Allfrost,
ob auch Glut dich umgibt. Panspermie: ja, du sahest Allzeugung
im Symbol, und es gab ihm dein göttliches Auge die Schönheit.
Göttlich, ja, doch auch Götter sind blind vor der letzten Erkenntnis.
Till, du liebst die Musik und die großen Gespenstergewölke
eurer Meister, der wahren, die göttlicher Wahnsinn betäubt hat.
Oh, wie oft hat dein hörend-allsehendes Ohr dich bedienet:
Till, dein Ohr, es ist taub, und es wäre nicht, wäre es nicht taub.
Till, es ist nur ein Sinn, und nicht viele, und der ist ein Unsinn!
Denn wer brauchte denn Luft, Till, wenn nicht der lebendig Begrabne?
wer bedürfte des Auges wohl, außer der Blinde? des Ohres,
außer der von der Strafe der Taubheit Gequält' und Erdrückte,
der lebendige Tote, mein Till? Ja, wir zeugen den Tod nur,
immer wieder den Tod. Woher kommst du, mein Till, willst du stolz sein?
Sag: ein Tröpfelein klebrigen Schleims war das Haus meines Vaters!
Oder meinest du etwa, dein Vater war edlen Geschlechtes,
eines Herzogen Sohn, eines Fürsten, vielleicht eines Landherrn,
Till: dein Vater, von alledem nichts, war nicht einmal ein Kaulquapp!
denn dein Vater ist, gegen den Kaulquapp gehalten, dasselbe,
was der Kaulquapp im Pfützlein gehalten ist gegen ein Nilpferd.
Nimm die feinste der Federn und schreibe das winzigste Strichlein
und ein Pünktchen daran: es ist tausendmal kleiner dein Vater,
denn er lebte mit sechs Millionen von leiblichen Brüdern,
dem genauesten Hinblick verborgen, im winzigen Tröpflein.
Seinen Vater sieht niemand, und auch seine Mutter hat keiner
je erblickt, denn die beiden, sie finden sich nicht unter Menschen.‹
Dies gesagt, wälzte Cheiron, laut grunzend, im glühenden Sand sich,
seine mächtige Wampe – zum Teil war sie haarlos und fleischfarb,
rosig zart, wie das Fell einer schuldlosen Jungfrau! – nach oben.
Ungebunden durch Scham war der Gott und in dem, was dem Menschen
zu verbergen die Sitte gebietet, ganz offen und harmlos.
Knurrend klangen und murksend dabei ihm die Kutteln im Leibe.
In zwei Rucken erhob er sich dann: auf den vorderen Läufen
stand der Gott bei dem ersten, beim zweiten dann, erst auf den hintren,
und es schüttelte nun der Zweileibige mächtig den Roßleib.
Ich erschrak, denn es bebte mit dumpfem Gedonner der Sandgrund.
›Aufgesessen!‹ so hieß es nun wieder, mein Prinz, ob ich wollte
oder nicht. In den Sandödeneien des Todes vergessen,
sicher wär' ich verschmachtet, mein Prinz! Es erriet, was ich dachte,
Cheiron, sprechend: ›Jawohl, du hast recht, und hier gibt's kein Entrinnen!
Nichts von Leben, es trüge denn Cheiron, hat hierher den Zugang.
Und so wird sie, vertrocknet, einst starren, ein eisiger Leichnam,
diese Erde. Die Wüsteneien vor alters verdunsteter Meere
werden nichts mehr zu raunen vermögen von einstigem Leben
noch von Mensch oder Gott!‹ – Und wir jagten davon durch die Mondnacht.
Prinz, ich schwieg. Und was sollte ich sagen zu allem, was vorging?!
Überdies lag es mir allbereits wie ein Druck auf den Schläfen,
wie ein Zwang um das Hirn. War dies Wirklichkeit oder ein Traum nur?
Angst! sie regte sich leis, wie der Kaiman sich reget im Sumpfgrund,
ungesehen, im fauligen Schlamm gift'ge Bläschen erzeugend.
Grauer sah ich den Raum, und die Öde ward öder. Unendlich
schien die Fläche gedehnt in dem bleiernen Lichte des Abgrunds.
›Lava!‹ sagte der Gott und dann wieder: ›Odádahraun!‹ Stille
wiederum! Dann, hinknirschend, aufs neue der jagende Hufschlag,
immer weiter dahin und dahin im Galopp durch das fahle
Totenlicht, im Galopp. Und dann wiederum Stillstand. Und Stille
wiederum, urwelteinsame Nacht. Selbst der Leib des Kentauren
schaudert leis, und er schnaubt. Und er schnaubt wie ein Roß, das den Wolf riecht.
Glotzend quellen hervor aus den Höhlen die Augen des Gottes.
Fester klammr' ich mich an, denn aufs neue aufbäumet er: vorwärts! –
Sind wir Stunden dahingaloppiert? oder Tage und Jahre
hingesprengt durch die Nacht? ein Jahrzehnt? ein Jahrhundert? Ich weiß nicht.
Wieder steht der Kentaur. Immer noch ist's Odádahraun. Stille
wiederum. Alle Rede, die je man vernommen, war Täuschung.
Niemals je hat sich dieses unendliche Schweigen gebrochen.
Zitternd steht der Kentaure. Er schüttelt sich. Will er die Urangst
von sich schütteln? Er setzet mehrmals dann zu weiterem Lauf an.
Nun ein Sprung – und aufs neue ertönt der Galopp seines Hufschlags.
Im gestreckten Galopp, im gestreckten Galopp geht es vorwärts.
Sausend peitscht mich sein mähniges Haar, es umpfeifet mich Erddunst.
Grauen sträubt mir den Scheitel. Wer jagt uns? Es reißt mir Entsetzen
in den Nacken mein Antlitz herum. Wo denn geht unsre Jagd hin?
Bis zum Anfang der ewigen Leere am Ende der Dinge,
galoppierenden Wahnsinns dahin? – Wieder stehen wir. Stille
wiederum. Tausend Jahre dahin! Sind's Äonen? Jetzt keuchet
tief aus röchelnder Brust der Zweileibige. Glotzend nach rückwärts
strebt entsetzt der verzweifelte Blick. Doch was hilft's? Er muß vorwärts!
Sieh, er wanket: verläßt ihn die Sprungkraft? Er strafft sich und bäumt sich
machtvoll auf und verzweifelten Willens, der dienende Dämon,
und aufs neue erschallt der Galopp durch das niemals Betretne. –
Plötzlich platscht es. Es platscht. Der Galopp des Kentauren wird mühsam,
denn ihm reicht bis zur Wampe bereits ein aufbrodelnder Schlammpfuhl.
Stille liegt über ihm und erstickender Nebel, von Farbe
braun wie unten der lauliche Sumpf, welchem Dämpfe entsteigen.
Festgesessen, Freund Till! beide Fäuste verknotet im Haarschopf,
schließ die Augen und öffne sie wieder und, wenn du's vermagst, Till,
Mund und Nase und Ohr: also spricht's aus dem Blick des Kentauren,
der, in glotzend ausquellender Not, mich nach rückwärts gestreift, Prinz!
Watend ging es voran mit verlangsamter Gangart im Schritt jetzt.
Oh, nun stand es: verlor es die Kraft, selbst das mächtige Gott-Pferd?
Keine Rückkehr mehr gab es alsdann. Oh, nur vorwärts! nur vorwärts!
Doch er stand, der Kentaur, und die furchtbarste Stille verschlang mich.
Nein! denn unten begann's wie mit Zungen und Lippen zu flüstern.
Dämpfe zischelten leis, wie aus murmelnd bewegeten Mündern.
Und nun sah ich's: da lagen sie still, wie in lichtlosen Nächten
Kranke liegen, nur langsam bewegt von dem gärenden Moorbrei,
ja wie Kranke im Geist und in Wahrheit, so zwiefach umnachtet.
Und sie flüsterten leise und murmelten in sich, die Blicke
weit, unseligen Rollens, entblößt, doch nach innen gerichtet.
Ach, sie haderten in sich hinein, in erstaunter Vertiefung,
Haupt an Haupt, kaum vom Schlamme sich sondernd, im Schlamme erkennbar,
Ungeheuerstes, Fremdestes, endlosen Staunens, erfühlend,
stoßweis murrenden Lauts oder lautlosen Eifers besprechend:
so und so, und auch so: – mit Warumnicht? und auch mit Durchausnicht!
Mag wohl sein, vor dem Allungeheuersten bin ich ein Nichts nur,
doch ich frage: Warum? und Wieso?, von dem Grauen mit langsam
quillend quellendem, quallendem Brei um mich selber gewälzet.
Weiß vom Schaume der Angst, teilt die Brust des Kentauren die Häupter,
die nichts wissen von ihm, ob sie glotzend auch starren, sofern sie
nicht, nach unten das Antlitz gedreht, nur die Scheitel uns weisen.
Und er dringet hindurch und hinein ins Gehauch und Geflüster,
wo die springenden, knisternden Bläschen die Fragen des Jammers,
qualentstiegene Worte, umkapseln und bergen und platzend
streun ins murmelnde Nichts. Und er dringt in die endlose Fläche
dieses murmelnden Sees, dieses ruhelos hadernden Schlammpfuhls:
schlaflos schläft er, anklagender Blindheit zum Himmel gerichtet
Augen, Augen und wiederum Augen! – Oh, könnt' ich sie schließen!
schreit's in mir. – Doch berühren sich Schrei nicht und Stille, nicht Stille
und Gemurmel, berührt sich Gemurmel und Stille und Schrei nicht.
Lauter wird das Gemurr und Gemurmel, doch nur, wie die Woge,
merkbar kaum, sich erhöhet, erschwillet und ferne zurückebbt.
Und nun war ich nicht mehr als der drehenden Häupter und Körper
einer, welche im schwärzesten Schlamme des Werdens sich wälzten,
flüsternd, hadernd, Geheimnisse bergend, Geheimnis verratend,
blind erstaunt und, mit langsamem Staunen, vor Staunen erblindend.
Hinter uns lag die Furt, als ich dann zu mir selber zurückfand.
Welch ein Ritt! – ›Zu belehren ist schwer!‹ keucht zurück der Kentaur,
›denn in Wahrheit belehret allein uns das wahrhaft Erlebte.
Nun, ich mache dich also erleben, fürwitziger Till!‹ Und
Cheiron schnaubte, verzweifelten Mutes die Angst überwindend.
›Hier ist Erebos‹, sprach er, ›und Erebos' frühste Geburten
künden furchtbar sich an. Äonen, bevor noch der Mensch ward,
dämmern hier, und darunter liegt Schwärze des Chaos verborgen.
Doch nicht gibt es ein Wort, dir die Farbe des Chaos zu schildern.
Solch ein Wort, wenn es wäre: es ist noch kein Wesen geboren,
Mensch so wenig als Gott, es zu sprechen. Zeus selber verginge
in das Nichtsein, sofern er's versuchte. Im Erebos wohnen
Phorkys' Töchter: die seltsamste Wohnung! die seltsamsten Frauen!
Niemand sonst als die schrecklichen drei kann das Chaos erblicken,
kann aussprechen die Farbe des Chaos: ihr einziges Auge
sieht hinüber – kein anderes Auge, wes immer, im Weltall! –
und erkennet dort wiederum dreie, vor denen dahinstirbt
jeder Name und jegliches Bild und so jeder Gedanke,
sei er auch wie Athene dem Haupte Allvaters entstiegen.
Diese Graien, ich zeige sie dir. Doch nun klammre dich fest, Till.
Niemals sahen die dreie den Mond noch die Sonne, und niemals
sahen Sonne und Mond diese dreie. Das, was du erkennest
von den Graien, den drei, ist der Schatten von ihnen im Diesseits.
Doch es machen dich wittern die Nähe der Graien drei andre,
die Gorgonen, als welche mit ihnen zu hausen gewohnt sind.
Ich erblicke sie schon, und es wühlt mir ihr Graus in den Adern,
während dich deiner menschlichen Sinne Beschränkung noch absperrt.‹
Cheiron spricht ohne Sprache nun weiter: ›Schon kocht mir der Angstschweiß
aus der Haut, wie von Seifenschaum tropft meine zitternde Flanke!
Um ein Närrlein zu lehren, verlör' ich nicht gerne mein Leben.
Liegen doch die scharfzahnigen, stimmlosen Hunde Allvaters,
dem der menschliche Fürwitz verhaßt ist, auch hier auf der Lauer –
Greifen sind sie genannt –, voll Begier, meine Gurgel zu reißen! –
Sieh, ich lebe! die furchtbarste Strecke des Ritts überwand ich,
des auch nur zu gedenken mit ruhigem Herzschlag nicht leicht ist.‹
Heißer wurde die Luft, wurde trockene Glut. Beizend drang mir
roter Staub in die Nase, den Hals und den röchelnden Brustkorb.
Stiche schien ich zu atmen und schneidende, brennende Schmerzen
einzutrinken. Auch nur der Gedanke an Labung des Quelles
war nicht mehr. Es erdröhnte durch Höllen kentaurischer Hufschlag.
Plötzlich stolpert der Gott, reißt sich auf, und zum andernmal bricht er
hin, nachdem er mit schrecklichem Torkeln sich lange gewehrt hat.
Und da spür' ich sie nahe, da sind sie! da sind die Gorgonen!!
hinter ihnen, unendlicher Ferne, die Graien!!! Und eh ich
die so nahe Erahnten, mich selber vernichtend, erblicke,
hat das Nichts mich umhüllt. – Ich erwache. Gestreckten Galoppes
wiederum sauset Cheiron dahin, und mich trägt noch sein Rücken.
Abwärts stiegen wir nun, denn ringsum war gebirgige Landschaft.
Mehr, weit mehr, als was jemand in Worte zu fassen vermöchte,
lebt in mir vom Erlebnis der Nacht, um erst mit mir zu sterben.
›Parnon!‹ sagt der Kentaur. ›Allbereits sind wir wieder im Parnon,
von der köstlichen Bergluft gelabt und von süßeren Düften.
Unten locket das Tal des Eurotas, und drüben entflammen,
wohlbekannt dir, Taygetons schneeichte Zacken und Gipfel.‹
Ein Entronnener war ich. Des Erebos sinnlose Mächte,
ruhlos wuchernder, niemals ersterbender, dämmernder Bildkraft,
reichten nicht bis hierher. Hier war seliges Land. Welch ein Abstieg!
Oftmals stand der Kentaur, um zu lauschen: die Stille des Morgens
rauschte, überall webte Natur in der Werkstatt der Schönheit.
Da und dort, in feuchtschwankenden Büschen, am Rande des Abgrunds,
klang ein schluchzend verschlungener Laut, der sogleich wieder abbrach:
Nachtigallen und Sprosser, sich leis mit der Stille vermählend
im Gesang und den eignen Gesang wieder, schweigend, belauschend.
Cheiron spricht: ›Ich bin alt, und ich trage die Sinne der Vorzeit –
nicht von Urzeit zu reden geziemt's dem Geschöpfe – noch an mir.
Wandlung hab' ich gesehen und an mir erlebt, unaussprechbar:
das siderische Glück einer Stunde wie dieser, mein wackres
Reiterlein, überrascht wie am ersten der Tage den Gott selbst.‹
Und er wies mir das Demantgestirn, das der Sonne vorangeht.
›Cheiron‹, sag' ich, und wahrlich, ich wüßte nicht, wie ich darauf kam,
›ist es richtig, du habest zwei Augen, dazu noch ein drittes,
von der Locke zumeist bedeckt, die dir über die Stirn hängt?‹ –
›Ja, so ist es!‹, er spricht es verdutzt und nach rückwärts gewendet
mit dem Ruck des Erstaunens das göttlich erheiterte Antlitz.
Und da sah ich das Auge, das dritte, es saß in der Stirn ihm.
›Hätt' ich nicht dieses Auge‹, so spricht er, ›wie wollt' ich die Wege
finden, die ich auf ewige Zeit zu durchmessen bestimmt bin,
deren einen, nur einen, du kennst, den am mindsten verschlungnen.
Hätt' ich nicht dieses Auge, ich wäre so blind, Till, wie ihr seid,
und wozu denn bedürfte ich dann aller Kräfte der Gottheit?
Sieh, ich sehe mit meinen zwei Augen weit mehr, als der Mensch sieht,
höre mehr auch mit meinem Gehör. Meine Nase erkennet
im Geruche viel mehr als Geruch und auf weite Entfernung.
So geschieht's mit den Säften, geschieht's durch Geschmack auf der Zunge,
so geschieht es auch durch das Getast meiner göttlichen Finger.
Wenn du später mich wieder besuchst, Till, so sollst du's erfahren.
Till, ich trüge dich nimmer, besäße ich nicht einen Tierleib.
Dieser Tierleib setzt alles mir zu, was ihr Menschen verloret,
was ihr aber gewannt, das besitz' ich, soweit ich ein Mensch bin;
doch das Göttliche ist es, mein Guter, es schlägt die Verbindung.
Der Verbindung entsprießt, in ihr wirket mein göttliches Stirnaug'.
Andres sieht es als meine zwei Augen, von euren zu schweigen.
Wo das Sehfeld der beiden sich endet, beginnet das seine.
Andres Wissen und andres Erkennen ist auf ihm begründet,
andres Denken allfühlender Kraft und ein anderes Weltall.‹
Als ich dieses vernommen, ich faßte sogleich nach der Stirn mir:
beinah kam es mir vor, von den Worten des Gottes durchdrungen,
mit der Wärme des Gottes vermählt, als besäß' ich das Stirnaug'.
Cheiron lachte und sagte: ›Du suchest den Punkt nicht mit Unrecht,
denn du führest, obwohl nicht das Stirnaug', das Stigma des Sehers,
dem mir eignen Organe verwandt, denn sonst würd'st du nicht hier sein.‹
Horch, was war das? Es krachte der Boden so dumpf wie ein Steinschuß.
Abermalen das gleiche geschah, und es folgte ein Mißduft.
›Bodenknalle‹, sprach Cheiron, ›man kennt sie, Mistpöffer, nichts weiter.
Mag wohl sein, es gilt dir, man gemahnt dich vielleicht an die Rückkehr.
Doch noch haben wir Zeit. Till, ich sagte, du trügest das Stigma
schöpferischen Gesichts, und so ist es, trotzdem du ein Narr bist.‹
Ja, das war es! Wir standen nun wieder am Rand des Eurotas,
welcher, golden behauchet, im Lichte des Morgens dahinrann:
mit ihm ging unsre Straße, nachdem wir gebadet, gerastet,
von hesperischen Äpfeln erquickt, die der Gott aus der Luft griff.
Welch ein herrlicher Ritt, im Galopp, im Galopp, mit dem Morgen
in den Tag, mit dem Laufe der Wasser entgegen dem Meere.
Freilich blieb da die Woge zurück, und doch war es ein Wettlauf.
Oh, wie lärmte der Gott! Seinem wiehernden Jubel gab Antwort
Parnon jetzt und Taygeton dann. Endlich stand er urplötzlich.
Und wen sah ich zehn Schritte vor mir? Nun, den Knecht des Admetos.
Ja, da stand er, ein Hirt, der die Pfeifen sich schnitt aus dem Röhricht,
wie Apoll oder Pan, um daraus eine Syrinx zu bilden.
Unbekleidet fast stand er vor mir und goldlockigen Haupthaars.
Wie geschah mir, mein Prinz? Als der Hirte sein Goldhaar zurückwarf,
königlich, in den herrlichen Nacken, da mußt' ich das Auge
senken vor dem durchdringenden Glanz, der dem Jüngling ums Haupt stob.
Und so schließt sich der Kreis. Wie ich wieder zur Erde zurückkam,
das erzähl' ich dir später einmal, Prinz, sofern es die Zeit will.«


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