Jaroslav Hasek
Von Scheidungen und anderen tröstlichen Dingen
Jaroslav Hasek

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Die Erlebnisse eines Einbrechers.

Einbrecher Schejba ließ sich vor Anbruch der Nacht im Hause Nr 15 einsperren. Spezialist im Plündern von Dachböden, beabsichtigte er heute seine Tätigkeit in diesem reicheren Viertel zu eröffnen. Bis dahin hatte er im Armenviertel gearbeitet, was ihm nur zwei Schürzen, drei Unterröcke und ein von Motten zerfressenes Kopftuch eingetragen hatte. Der gerichtliche Wert all dieser Sachen 177 betrug etwa sechs Monate und ein Jude hatte ihm für alles zusammen eine Krone gegeben.

Schejba stand an eine Türe gelehnt im Keller und hörte zu, wie die Hausmeisterin sich entfernte, nachdem sie das Licht abgedreht und das Haus versperrt hatte. Allem Anschein nach war sie jung, denn sie sang leise vor sieh hin, als sie vom Tor zu ihrer Wohnung schritt. Schejba hielt dies für ein gutes Zeichen. Außerdem war er heute Nachmittag einer Fuhre Heu begegnet. Wiederum ein gutes Zeichen. Dann hatte er einen Schornsteinfeger gesehen und ihm einen Kuß geschickt. Das bringt Glück. Er zog aus der Tasche eine Flasche ordinären Rum und trank. Der ordinäre Rum, das war das Armenviertel. Hier würde es anders werden. Am Vormittag hatte er den neuen Wirkungsort besichtigt und gesehen, daß bis zum ersten Stockwerk ein Teppich lag. Allem Anschein nach wohnte hier eine wohlhabendere Klasse, die etwas auf dem Dachboden hatte. Sagen wir Betten, Kleider. Auf diesen Traum vom Glück machte er einen tüchtigen Schluck Rum und setzte sich auf die Stufe beim Keller. Er war müde, denn heute hatten ihn in dem Viertel am Fluß Polizisten gejagt. Es handelte sich um einen Handwagen ohne Firma, der ohne Aufsicht auf der Straße stand. Kaum war er einige Schritte mit ihm gefahren, mußte er schon ohne Wagen laufen. Er war – Gott sei gelobt –- entkommen, aber er war wie zerschlagen. Es gibt keine 178 Gerechtigkeit auf der Welt. In den Dörfer jagt einen der Gendarm und in der Stadt der Polizist. Schejba machte abermals einen Schluck und seufzte.

Im Hause herrschte Dunkelheit und Stille. Hier beim Keller war es weder warm noch kalt, aber als Schejba hörte, wie sein Seufzer durch die nächtliche Stille bis irgendwohin ins dritte Stockwerk drang, schüttelte er sich vor Kälte; es kam ihm in den Sinn, was geschehen würde, falls man ihn erwischen sollte. Wenn man ihn wenigstens erst zu Beginn des Winters erwischen würde. Er hatte bereits mehrere Winter im Gefängnis verbracht. In manchen Strafanstalten war bereits Zentralheizung eingeführt. Es ist einem warm, man ißt sich satt, nur der Schnaps fehlt einem. Etwas zum Rauchen treibt man schon irgendwo auf.

Im Keller ließ sich eine Katze vernehmen. Schejba hatte auf der Zunge: »Tschitschi!« zu rufen, aber dann überlegte er sichs. Wozu sich unnützerweise in Gefahr begeben?

Im Hause schliefen jetzt gewiß noch nicht alle, am Ende würde ihn die Hausmeisterin hören und aus wärs. Möglicherweise würde man ihn verprügeln.

Er hörte, wie die Katze hinter der Tür hin und her ging und miaute, wie sie irgendwo zwischen die Kohle kroch, die dröhnend vom Haufen kollerte. Niederträchtige Katze! Macht Krawall und die Leute auf 179 der Straße werden noch meinen, daß ein Dieb im Keller sei.

Der Gedanke, daß die Leute meinen könnten, daß er im Keller einbrechen wollte, schien Schejba verabscheuungswürdig. Einen Keller plündern, das brächte jeder zuwege, aber einen Dachboden plündern!

Er bewegte sich vor Unwillen und die Nachschlüssel klirrten in seiner Tasche. Die Katze hinter der Tür erschrak, Schejba hörte, wie sie davonlief und einen schweren Gegenstand umwarf. Der durch diesen Fall verursachte Schlag widerhallte im Hause.

Er duckte sich und lauschte. Im Hause rumorte es, dann wurde es allmählich still. Kein einziger Laut ließ sich vernehmen.

Er beruhigte sich und trank aus der Flasche. Sollte man ihn durch einen unglücklichen Zufall erwischen, so soll wenigstens die Flasche leer sein. Austrinken würde man sie ihn nicht lassen. Im Hause ertönte eine Glocke.

»Man klingelt der Hausmeisterin,« dachte Schejba und duckte sich abermals, als wollte er nichts rings umher sehen.

Aus der Hausmeisterwohnung drang Licht; dann wurde das Klappern von Pantoffeln und das Rascheln von Röcken laut.

Die Hausmeisterin öffnete. Schejba wagte nicht zu atmen, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. 180

Ein Lichtstreifen brach sich am Geländer im Erdgeschoß, fiel bis hinunter und bildete gegenüber Schejba einen weißen Fleck.

»Ich habe im Keller Lärm gehört,« sagte irgendeine Stimme auf dem Gang, »mir scheint, es sind dort Diebe.«

»Das sind Katzen, Herr Rat,« antwortete die Hausmeisterin, »jeden Tag machen sie Lärm im Keller. Und was erst auf dem Boden. Dort poltern sie, wie wenn Teufel Hochzeit halten.«

Schejba fiel ein Stein vom Herzen. Er hörte, wie die Hausmeisterin in ihre Wohnung ging und wie im zweiten Stock ein Schlüssel im Schloß ratterte. Den entstandenen Lärm benützte er, um sich zu räkeln und Rum zu trinken.

Das Licht verschwand und es herrschte vollkommene Finsternis. Schejba dachte über seine Expedition nach. In vorgerückter Stunde wollte er sich auf den Boden schleichen, ihn öffnen, zusammenraffen, was sich lohnt, bis früh warten und gleich nach dem Öffnen des Hauses hinausstürzen. Polizeiwachen gehen zu dieser Zeit nur selten durch die Strassen. Für das erlöste Geld würde er Kost und Wohnung bezahlen, die er schon seit einer Woche schuldig war. Er wohnt bei armen Leuten, die allerhand von ihm wissen, was ihm schaden könnte. Vor Anbruch des Winters würde er ihnen dies verzeihen, aber jetzt will er noch seine Freiheit genießen. Es ist 181 merkwürdig, daß sich der Mensch nicht gern einsperren läßt, wenn alles grünt.

Schejba war gewissermaßen weich gestimmt und als er im Keller abermals die Katze miauen hörte, beherrschte er sich nicht mehr und rief leise durchs Schlüsselloch: »Tschitschi!« Die Katze lief zur Tür und miaute.

Schejba hörte, wie sie kratzte und sich vor die Tür setzte und spann. Offenbar langweilte sie sich allein im Keller und war jetzt froh, daß sie Gesellschaft hatte, mochte sie auch durch ein unüberwindliches Hindernis von ihr getrennt sein.

»Was wenn ich auf ihre Gesundheit trinken möchte,« dachte Schejba und setzte diesen angenehmen Gedanken in die Tat um.

Plötzlich fühlte er sich sicherer und streckte die Beine aus, was ein unmerkliches Geräusch erzeugte. Um sich nicht am Ende zu vergessen, zog er die Stiefel aus.

Es glückte ohne jeden Lärm. Begeistert von seinem Erfolg soff er wieder Rum. Streichelte liebevoll die Flasche. Sie hatte ihn bereits dreimal auf seinen Expeditionen begleitet und wenn er sie für den Erlös mit Rum füllen ließ, so schien es ihm, als teile er mit ihr seine Erfolge.

Sie ist sein einziger Gefährte, mit dem er während dieser unendlich langweiligen Wartezeit in fremden 182 Häusern plaudern kann, wenn man nicht weiß, was der nächste Augenblick bringen kann.

Er hält die Flasche an den Mund und schließt nach dem Glucksen, daß wohl nur noch ihr vierter Teil mit Rum gefüllt ist. Bis kein Tropfen mehr in ihr sein wird, wird er hinauf gehen und morgen wird er sie wieder frisch füllen und sagen: »Warst brav, Seelchen!«

Der Rum macht Schejba angenehm warm und trägt ihn in Gedanken auf den Boden. Ein wohlhabendes Haus, ein wohlhabender Boden. Er erinnerte sich an die Böden im Armenviertel und spuckte auf die Tür. Zwei Schürzen, drei Unterröcke und ein von Motten zerfressenes Kopftuch! Ba, welches Elend! Die Verhältnisse werden immer schlechter. Noch die Schnapspreise erhöhen, und man kann sich aufhängen.

Er trank und seine gute Laune kehrte zurück. Möglich, daß es hier oben Betten geben wird. Federn haben heutzutage noch einen Wert. Es gibt nur zwei Sachen, bei denen man seine Geschicklichkeit nicht vor die Säue wirft: Telegraphendrähte und Betten. Man muß keineswegs ein möglichst großes Quantum davon stehlen und kommt doch vor die Geschworenen. Wie viel Schürzen, Unterröcke und von Motten zerfressene Tücher müßte man da stehlen ! Und Geschworene sind besser als der Senat. Wie oft war er schon vor dem Senat! Vor die Geschworenen 183 zu kommen ist immer ehrenhafter. Die Kameraden sagen wenigstens: »Ist das ein Mordskerl, hat die Geschworenen auf dem Hals!«

»Ich werde auf die Gesundheit der Geschworenen trinken,« denkt Schejba und trinkt den Rest in der Flasche aus. Jetzt wird er sich noch ein Weilchen ausruhen und dann geht er hinauf. Langsam, ganz leise. Er darf nicht geräuschvoll gehen. Die Stiefel hübsch in der Hand und barfuß. Warum ärgert er sich eigentlich über sich? Er wird leise gehen. Nur noch ein Weilchen wird er warten und überlegen. Und warum sollte er nicht ein Vaterunser beten? Er wird beten und dann gehen.

Schejba schleicht in den ersten Stock. Er hält die Stiefel in der Hand und bleibt auf jeder Stufe stehen. Vorsicht schadet nie. Er schleicht langsam wie eine Katze, ganz leise. Er ist bereits im ersten Stock. Er tastet nach dem Geländer und ertastet irgendeine Tür. Aha, das Geländer ist links. Er tastet und ertastet wieder eine Tür. Eine Klingel ertönt. Es besteht kein Zweifel, er hat auf den Knopf gedrückt. Seine Beine sind erstarrt und er kann sich nicht vom Fleck rühren. Und die Türe öffnet sich, irgendeine Hand packt ihn am Kragen und zieht ihn in die Wohnung. In eine fürchterliche Finsternis.

Schejba vernimmt eine entsetzliche weibliche Stimme:

»Hauch mich an!« 184

Schejba haucht und die entsetzliche Hand hält ihn dabei fortwährend am Kragen fest.

»Also du trinkst sogar Rum!« hört er die entsetzliche und schneidende Stimme.

»Ja,« antwortete Schejba, »ich hab nichts anderes.«

»Du mußt also alles versaufen und zum Schluß nur Rum trinken, du, Dorn, Vorsitzender des ersten Senates.«

Die Hand der schrecklichen Frau streichelt seine Backe.

»Aha,« denkt Schejba; »sie hält mich für den Vorsitzenden des Senates Dorn. Der hat mich unlängst verurteilt.«

»Ich bitte Sie, machen Sie Licht,« bittet Schejba.

»Anzünden soll ich, damit das Dienstmädchen sieht, wie der Vorsitzende des Senates nach Hause kommt.« schreit die Frau, »da schau her! Und du sagst mir Sie, du Schuft, deiner eigenen Frau, die nicht schläft und seit zwölf Uhr auf dich wartet. Was hast du da in der Hand?«

»Stiefel, gnädige Frau,« stammelt Schejba. Die schreckliche Hand streichelt abermals seine Backe.

»Er sagt mir gnädige Frau, er hält mich zum Narren und seinen langen Bart hat sich der Nichtsnutz rasieren lassen.«

Schejba fühlt die Hand unter der Nase.

»Brrr. Wie ein Sträfling ist er rasiert, Mutter 185 Gottes, ich verprügel ihn. Deshalb wollte er also, daß ich Licht mache. Er hat gedacht, der Schuft, daß ich erschrecken und in Ohnmacht fallen werde und daß er sich im Zimmer absperren wird.«

Schejba fühlt, wie sie ihn mit der Faust auf den Rücken schlägt.

»Da schau her, der Senatsvorsitzende und sieht aus wie ein Sträfling. Was hast du da auf dem Kopf?«

»Eine Mütze.«

»Mein Gott, er betrinkt sich so, daß er irgendwo den Zylinder vergißt und sich eine Mütze kauft. Möglich, daß er sie jemandem gestohlen hat.«

»Das hab ich,« sagt Schejba bußfertig.

Ein neuer Schlag übers Ohr und die Frau schreit, indem sie Schejba aus der Türe schiebt:

»Bis früh bleibst du auf dem Gang. Soll das ganze Haus sehen, was der Senatsvorsitzende Dorn für ein Nichtsnutz ist.«

Sie versetzt ihm einen Stoß, daß er umfällt und sich die Nase anstößt, und sperrt hinter ihm ab.

»Gott sei Dank,« denkt Schejba, während er die Treppe emporsteigt, »daß es gut; ausgefallen ist.«

Nur die Stiefel hat er dort gelassen. Ihm scheint, daß ihm seine nackten Füße irgendwie auf den Weg leuchten.

Er schleicht sich leise in den zweiten Stock. Gott sei Dank, schon hat er geräuschlos die erste Tür im 186 zweiten Stock erreicht, als ihn plötzlich irgendeine Hand am Kragen packt und in diese erste Tür hineinzieht.

Schejba befindet sich in einer noch gräßlicheren Finsternis als im ersten Stock, bekommt ohne jede Einleitung eine Ohrfeige und hört eine weibliche Stimme: »Küß mir die Hand.«

Er küßt die Hand und die Stimme fährt fort zu fragen:

»Wo hast du die Stiefel?«

Schejba schweigt. Er spürt, wie ihm die warme Hand, die er vor einer Weile geküßt hat, auf die nackten Füße greift.

Er fühlt so einen Schlag auf dem Rücken, daß es in seinen Augen blitzt; dann hört er:

»No also, der Untersuchungsrichter Doktor Pelasch schämt sich nicht barfuß und betrunken zu seiner Frau nach Hause zu kommen. Wo hast du die Strümpfe, Halunke?«

Schejba schweigt und denkt nach. Untersuchungsrichter Doktor Pelasch hat die letzte Untersuchung gegen ihn geleitet.

»Wo hast du die Strümpfe, Halunke?« hört er abermals fragen.

»Ich hab nie welche getragen,« antwortet er.

»Ha, du verstellst die Stimme, Halunke, und weißt nicht, was du sprichst.« 187

Sie schüttelt ihn und Schejba fallen die Nachschlüssel aus der Tasche.

»Was ist das?«

»Die Schlüssel vom Boden,« sagt Schejba vernichtet.

Kaum hat er zu Ende gesprochen, wird er auf den Gang hinausgeworfen, die Nachschlüssel fliegen ihm nach und er vernimmt die Worte.

»Er hat sich besoffen wie ein Schwein!«

Er will die Schlüssel aufheben, aber jemand hält seine Hand fest, versetzt ihm einen Stoß und schreit:

»Nein, das ist schrecklich, er versetzt das ganze Haus in Aufruhr, betrinkt sich und kriecht in die Tür nebenan. Was wird sich die Frau Doktor von dir denken?« Und eine weibliche Hand zieht ihn gegenüber in die Tür, schleppt ihn ins Vorzimmer und von dort ins Zimmer, wo sie ihn aufs Kanapee schleudert, worauf sie im anstoßenden Raum die Tür hinter sich absperrt und ruft:

»Pfui, so sollt dich der Herr Direktor sehen. Der würde sagen, daß er einen hübschen Kassier hat. Du wirst heut auf dem Diwan schlafen.«

Nach einer Viertelstunde öffnete Einbrecher Schejba die Tür und rannte aus dem unglückseligen Hause, wie wenn sein Kopf brennen würde; und noch heute weiß er nicht, ob er das alles geträumt hat, oder ob es eine wirkliche Begebenheit war. 188

Er liest keine Zeitungen und kann deshalb nicht erfahren, in welcher Nummer man seine Stiefel, die Nachschlüssel und die leere Rumflasche gefunden hat. 189

 


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