Jaroslav Hasek
Von Scheidungen und anderen tröstlichen Dingen
Jaroslav Hasek

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Finanzkrise.

Der alte Schima, Beamter der Bankhauses Prochaska & Co., faßte endlich, nach fünfzehn Jahren, Mut und klopfte an der Tür des Finanziers Prochaska an, um ihn ab Neujahr um eine Gehaltserhöhung von zwanzig Kronen zu bitten.

Schima sitzt also vor Herrn Prochaska, denn dieser hatte ihm, nachdem er seine Forderung angehört hatte, bedeutet, er möge sich setzen; und der Herr Chef geht im Komptoir auf und ab, gestikuliert mit 89 den Händen und sagt: »Ich hätte Sie mit Ihrer unverschämten Forderung sofort hinauswerfen können, aber weil ich gerade eine halbe Stunde Zeit habe, will ich mit Ihnen ganz freundschaftlich darüber sprechen. Sie wollen, daß ich Ihnen Ihr Gehalt um zwanzig Kronen monatlich erhöhe, was zweihundertvierzig Kronen jährlich bedeutet. Das verlangen Sie von mir in einer Zeit, wo ein Damoklesschwert, die Geldverteuerung, über dem Geldmarkt schwebt? Sie wissen, daß die Alpinen von 772.– auf 759.60 gefallen sind, daß die Aktien der Poldihütte auf 938.– gefallen sind. Auch der Kurs der Brünner Waffenfabrik fällt, lieber Herr Schima. Von 728.– ist er auf 716.40 gesunken. Das ist wirklich entsetzlich, und Sie wollen 20 Kronen Zulage!«

Er begann die Hände zu ringen und stieß aus sich hervor: »Der Markt der Bankwerte ist schwankend. Das führende Papier, die Aktien der österreichischen Kreditanstalt, sind in den letzten Tagen geschwächt und die Senkung beträgt im Ganzen 5 Kronen, sie stehen auf 664.90, und Sie verlangen 20 Kronen Zulage. Der Markt der Transportwerte zeichnet sich nur durch schwache und unbedeutende Transaktionen aus, die Staatsbahnen sinken um volle 12 Kronen. Die italienische Regierung konnte sich nicht 100 Millionen Kronen in Frankreich ausborgen, und Sie verlangen von mir 20 Kronen Zulage.

Frankreich will seine Eisenwerke verkaufen und 90 man spricht von dem Verkauf der russischen Staatsgüter, und Sie kommen zu mir und sagen, wie wenn sich das von selbst verstehen würde: ›Ich habe fünfzehn Jahre treu gedient, Herr Chef, und bin so frei mit Rücksicht auf die finanzielle Krise, die allgemeine Teuerung, meine zehn Kinder, die löchrigen Stiefel, meinen leidenden Zustand, um eine monatliche Zulage von 20 Kronen zu bitten.‹ Unglücklicher, Sie haben recht, die finanzielle Krise ist groß. Die Südbahnaktien sind um 5 Kronen pro Stück gefallen und ich hab ihrer – Aber wozu soll ich Ihnen das sagen, Menschenskind. Merken Sie sich, daß heute nicht einmal die Aktien der Buschtěhrader Bahn gute Bilanzaussichten haben; der Kurs der A-Coupons der Buschtěhrader Bahn ist von 2515.– auf 2426.– gefallen – und der Kurs der B-Coupons von 1004.– auf 976.– Sie sind also verrückt mit ihrer Forderung um Gehaltserhöhung. Menschenskind, das ist ja Wahnsinn! Gehen Sie nur auf die Prager Börse! Auf dem Markt sind so viele Werte, es ist so eine Nachfrage, aber was nützt das alles, alle Aktien verzeichnen eine entsetzliche Abschwächung! Keine einzige ist fest! Die Aktien der Kreditbank, die ich früher zu 760.– geschlossen habe, sind auf 750.75 gefallen. Was sagen Sie dazu? Wollen Sie noch eine Zulage, alter Mann? Bestehen Sie noch immer auf Ihrer Forderung, wo nirgends eine Möglichkeit besteht, daß sich die Schweizer Regierung 2 Millionen ausborgen 91 könnte, die sie für den Umlauf braucht? Ja, alter Mann! Die Monatsausweise über den Geldverkehr sind nicht günstig, die heurige Bilanz wird zum Tollwerden sein. Rumänien, die Türkei, Bulgarien, Griechenland können sich nicht einmal einen Dreier ausborgen und Sie verlangen, daß ich Ihnen das Gehalt erhöhe.

Spanien, Portugal und Italien können nirgends eine Anleihe unterbringen. Das Bankinstitut Français Frères in Lyon hat infolge der Marokko-Expedition einen Verlust von 150 Millionen erlitten und Sie kommen seelenruhig um 20 Kronen. Menschenskind, wissen Sie, daß man von einer Fusion der Rossitzer Kohlenwerke mit den Friedrichswerken spricht und wissen Sie, daß der Ankauf von Kuxen des Gewerkes »Maria Anna« eine Verringerung des Jahresumsatzes um zwanzigtausend Kronen zu Folge haben wird? Nirgends gelingen Spekulationen. Kaufen Sie sich Aktien der Podoler Zementwerke, alter Mann, und Sie werden sehen, wie Sie sich vorkommen werden, aber gehen Sie mit ihnen auf die Börse! Gewiß werden Sie nicht gehen. Sie schütteln den Kopf. Grad noch, daß die Aktien der Koliner Kunstdüngerfabrik fest sind, für die Sie bis 379.– zahlen müssen – aber ich hab sie zu 382.– gekauft, verliere also drei Kronen. Glauben Sie mir, ich kann Sie nicht einmal anschauen, Menschenskind! Sie sitzen da wie ein Klotz! Hol Sie der Teufel samt den Aktien der 92 Zuckerindustrie. Ich sag Ihnen, daß auch bei diesen eine Abschwächung eingetreten ist und daß Sie nicht mehr für sie bekommen als 261.50, und wenn Sie sich zerschneiden würden. Mir wird sich niemand unterstehen, sie anzubieten, ebensowenig wie die Aktien der Kolbenfabrik, das weiß ich bestimmt. So einen Menschen möcht ich jagen, alter Mann. Wissen Sie, daß die Wieneberger Ziegeleigesellschaft vor dem Bankrott steht und daß die Laibacher Lose gefallen sind? Wissen Sie, daß sich der amerikanische Milliardär Brown erschossen hat? Wissen Sie, daß sich die Finanziers Müller, Skabat, Kovner, Hübner umgebracht haben, daß sich die Finanziers Reche, Quinay, Mains, Bulechard erhängt haben, wissen Sie, daß die Finanziers Karelt, Morrisson und Connot und der Bankier Hamerles samt seinem Gesellschafter in Flüsse, Kanäle, Meere gesprungen sind? Wissen Sie, daß es Konkurse nur so regnet, daß die Kohlengruben in Alaska brennen und daß ein amerikanischer Kohlenkönig hineingesprungen ist? Wissen Sie, daß die Schwefellager im Ural durch ein Erdbeben vernichtet sind, daß die Oldenburger Fünfzigdollarlose um 50 Prozent gefallen sind, daß die Salzburger Eisenbahn und Tramwaygesellschaft Bankrott gemacht hat? Sie wissen es sicher nicht, sonst würden Sie nicht von mir eine monatliche Gehaltszulage von 20 Kronen verlangen – –.« 93

Finanzier Prochaska rüttelte den unbeweglich dasitzenden Schima und Schima fiel mit eisig kalten Gliedern vom Stuhl auf den Boden.

Ob diesem finanziellen Elend war ihm das Herz gebrochen. 94

 


 << zurück weiter >>