Jaroslav Hasek
Von Scheidungen und anderen tröstlichen Dingen
Jaroslav Hasek

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Der ehrliche Finder.

I.

Es ist ein Grundzug der Menschen, daß sie verlorene Dinge nicht zurückgeben.

Der Mensch ist einer gefundenen Sache gegenüber ungewöhnlich weich.

Sie wächst ihm ans Herz und er kann sich nicht von ihr trennen.

Anderseits ist es beim Menschen üblich, daß er sehr oft etwas verliert; sonst würde der erste Satz seine Gültigkeit verlieren. 39

Solange es noch keine Zeitungen gab und die Menschheit in einem halb tierischen Zustand lebte, verlor der Mensch seine Sachen ebenso wie heute.

Der Jäger der Urzeit verlor seine steinerne Axt und andere Gegenstände, die erst nach einigen Jahrtausenden aufgefunden wurden, wovon die zahlreichen Funde in den Museen und Privatsammlungen zeugen.

Mit dem Aufstieg der Kultur war es selbstverständlich notwendig, das rechtliche Verhältnis zwischen dem Bürger, der etwas verloren hat, und dem andern, der es gefunden hat, zu regeln. Und so ensteht das Gesetz über die sogenannte »Fundverheimlichung«.

Damit dieses aber nicht hart sei, taucht später die Verordnung betreffs der Entlohnung des ehrlichen Finders auf. Ehrlichkeit wird mit zehn Prozent der gefundenen Summe oder des Wertes des gefundenen und ehrlich abgegebenen Gegenstandes belohnt.

Ich selbst habe aber vor dem Krieg einen Fall erlebt, in dem die Ämter die Verordnung betreffs der Belohnung der ehrlichen Finder – vielleicht aus Unwissenheit – nicht richtig einhielten.

Als ich nämlich bei Nacht in Prag herumflanierte, fand ich auf dem Graben ein Zehnhellerstück und begab mich zur Polizeidirektion, wo ich den ganzen Betrag dem diensthabenden Inspektor übergab und verlangte, daß mein Name in der Zeitung 40 veröffentlicht und mir die Belohnung von einem Heller ausgezahlt werde.

Der Polizeidirektor schrie mich aber an, er kenne mich angeblich, wozu er nur noch die zwei Worte: »Hinters Gatr!« hinzufügte.

Am Morgen führte man mich zu einem Herrn im ersten Stock, der ein Protokoll mit mir aufnahm und auf Grund des »Prügelpatents« wurde ich zu einer Strafe von 5 Kronen verurteilt, im Falle der Uneinbringlichkeit zu 48 Stunden. Um am Staate zu verdienen, war ich gezwungen die letzte Bedingung anzunehmen, und so fütterte man mich zwei Tage lang auf Nummer Vier. Dennoch schwur ich mir, falls ich wieder etwas finden sollte, es niemals mehr zurückzugeben. Leider fand ich nichts mehr außer einem ausgesetzten Säugling in einem Hausflur, wohin ich mich begeben hatte, um mir ein Schuhbändchen zu binden. Ich ließ den Fund einen Fund sein.

II.

Anna Buklova, Bedienerin aus Strscheschowitz, ging früh um fünf Uhr auf die Königliche Weinberge, um bei einer Familie, wo sie bedienstet war, Wäsche zu waschen. Als sie beim Kreuzherrenkloster über die Fahrbahn schritt, stolperte sie über einen Gegenstand. 41

Unwillkürlich schaute sie auf diesen Gegenstand und begriff mit ihrem angeborenen Scharfsinn sofort, daß es eine Ledertasche war.

Sie öffnete sie und sah dort verschiedene Papiere, deren Inhalt sie nicht verstand. Von Natur aus gutmütig und ehrlich bis auf die Knochen, begab sie sich sofort zur Polizeidirektion, wo sie den Fund dem diensthabenden Beamten vorlegte.

Als der Beamte den Inhalt der Tasche prüfte, erbleichte er, stand auf und sagte mit bebender Stimme zu Anna Buklova: »Ich gratuliere Ihnen. Sie haben sieben Millionen achthundertsechsundneunzigtausend Kronen gefunden, in Checks, einlösbar bei der ›Böhmischen Bank‹.«

Anna Buklova schaute blödsinnig auf den Polizeibeamten und sprach ihm nach: »7,896.000 Kronen«.

»Ja,« sagte der Polizeibeamte ernst: »7,896.000 Kronen, setzen Sie sich, ich werde ein Protokoll mit Ihnen aufnehmen.«

»Gnädiger Herr, ich bitte Sie, um Gottes willen, lassen Sie mich nach Haus,« begann Anna Buklova zu weinen, »ich kann ja nichts dafür, ich muß auf die Weinberge die Wäsche auskochen. Ich hab wirklich nur hineingestoßen.«

»Aber liebe Frau, es handelt sich ja um rein nichts, das ist ja nur eine Formalität. So eine Sache muß doch amtlich untersucht werden. Es kommt auf die 42 Journalistenbörse und Ihr Name wird in der Zeitung stehen. Also, wie heißen Sie?«

»Jesus Maria, gnädiger Herr,« brach Anna Buklova in Tränen aus, »diese Schande. Ich steh früh als ehrliche Frau auf und abends soll ich in der Zeitung stehen. Heilige Maria, das überleb ich nicht. Das ganze Leben schind ich mich wie ein Hund, aus Strscheschowitz geh ich auf die Weinberge, von der Weinberge nach Lieben, überall lauter Wäsche, aus Lieben geh ich nach Hlubotschep aufräumen, der Mann versauft mir alles, die Kinder gehn zerlumpt, ich hab den letzten Rock an – –.«

»Aber liebe Frau,« beschwichtigte sie der Polizeibeamte, »es ist doch meine Pflicht ein Protokoll mit Ihnen aufzunehmen, weinen Sie nicht, Sie sehen doch, daß es sich um Millionen handelt.«

»Mein Gott und Herr,« fuhr Anna Buklova zu heulen fort, »um Millionen handelt es sich. Ich hab doch nichts gemacht. So was auf die alten Tage. Ich bin froh, wenn ich mir auf Zichorie für meine Bälger verdien. Alles ist jetzt teuerer und wenn ich auf der Weinberge eine Krone auf Seife verlangen möcht, so wirft man mich auf die Gasse und dann schau zu, wo du andere Wäsche kriegst. Ich hab mein Leben lang noch nichts Gutes gehabt, aber ich hab auch nie was gestohlen und hab Ausstattungen gewaschen, was nicht mal gezählt waren.« 43

»Goldene Frau, beruhigen Sie sich. Es handelt sich doch um zehn Prozent.«

»Ich will nichts mit Prozenten zu tun haben, gnädiger Herr, lasen Sie mich nach Haus,« plärrte Anna Buklova, »ich überleb das alles nicht. Ich muß um sieben Uhr auf der Weinberge sein, mir überkocht dort die Wäsche.«

Der Polizeibeamte schaute sie wütend an, schlug mit der Tasche auf den Tisch und schrie: »Jetzt hab ich schon genug. Wie heißen Sie?«

»Anna Buklova, gnädiger Herr,« brüllte die ehrliche Frau.

»Wo wohnen Sie?«

»In Strscheschowitz auf der Straße.«

»Hausnummer?«

»67.«

»Geboren?«

»Ja, gnädiger Herr, meine selige Mutter – –.«

»Ich frage Sie, wann Sie geboren wurden.«

»Im zweiundsiebzigsten.«

»Wo?«

»Zu Haus.«

»Aber wo zu Haus, in Prag oder auf dem Land?«

»Am Land.«

»Herrgott, wo also am Land?«

»In Zbraslaw bei Prag.«

»Bezirk? Hauptmannschaft? Was treiben Sie, Alte, Sie fallen mir ja um!« 44

Als man sie zur Besinnung gebracht hatte, wurde das Verhör fortgesetzt, das folgendermaßen endete:

»Verlangen Sie also zehn Prozent? Drücken Sie sich deutlich aus.«

»Gott bewahre, gnädiger Herr, lassen Sie mich nur frei. Meine selige Mutter hat immer gesagt: Ehrlich währt am längsten.«

»Unterschreiben Sie das Protokoll.«

»Im Namen des Vaters und des Sohnes,« stöhnte Anna Buklova und unterschrieb weitschweifig.

III.

Etwa vier Stunden später stellte sich auf der Polizeidirektion ein junger Man ein, der mit seinem Äußern an einen glattrasierten Amerikaner erinnerte.

»Ich vermisse,« sagte er in gebrochenem Deutsch, »meine Ledertasche, die mir offenbar in der Nacht in einer Gasse aus der Hand gefallen ist.«

Er nannte die Summe, das Geheimwort der Cheks und fügte hinzu: »Es handelt sich mir nicht um das Geld, sondern um wichtige Geschäftsnotizen über den billigen Einkauf von Gänsedärmen.«

Man nahm ein Protokoll mit ihm auf und als man ihm mitteilte, daß der ehrliche Finder auf die gesetzliche zehnprozentige Belohnung verzichtet habe, sagte der Amerikaner, der König der Gänsedärme: »Well.« Dann ging er, nachdem er es abgelehnt hatte, sich die Adresse der Anna Buklova zu notieren. 45

Die Abendblätter brachten ungeheure Spalten über die ehrliche Finderin, die einen solchen Reichtum zurückgewiesen hatte.

IV.

Anna Buklova schaffte man ins Krankenhaus, weil ihr Mann sie noch in derselben Nacht halb tot schlug, nachdem er im Wirtshaus das Abendblatt gelesen hatte. Und aus dem Krankenhaus wurde sie in die psychiatrische Klinik und von dort ins Irrenhaus geschafft. 46

 


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