Jaroslav Hasek
Von Scheidungen und anderen tröstlichen Dingen
Jaroslav Hasek

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Die Friedenskonferenz.

In San Francisco wartete auf den lahmen Thomas Hawkins eine Yacht, um ihn während der Zeit, die die ehemalige Abrüstungskonferenz, deren Vorsitzender er war, zu gewissermaßen gezwungenen Ferien benützte, auf den salzigen Wässern des Stillen Ozeans durchzulüften.

Die Ärzte, die die einzelnen Mitglieder der Abrüstungskonferenz behandelten, hatten bei der Mehrzahl Verstopfung festgestellt, ein Symptom, das auf Melancholie, Kopfschmerzen im Nacken und Überfressensein nach all den Banketten deutete. 133

Die Mitglieder der Abrüstungskonferenz gingen nach jedem Bankett herum wie in einem Rausch, waren sich nicht klar darüber, was sie sprachen und wenn sie am nächsten Tage den Sitzungsbericht lasen, wunderten sie sich maßlos über den Unsinn, den die Zeitungen abgedruckt hatten.

Eines Tages geschah es sogar, daß sich ihnen, als sie von einem Bankett direkt zu einer Sitzung der Konferenz gingen, irgendein Professor anschloß, der von einem Kongreß gegen den Alkohol zurückgekehrt war, und daß sie ihm in der Sitzung das Wort erteilten.

Der Findling redete drei Stunden lang über den Ausbruch des Vulkans Stromboli auf den Liparischen Inseln in Jahre 1773, wobei er sich krampfhaft mit den Händen an der Rednerbühne festhielt, und hin und her schwankte wie eine Vogelscheuche im Sturm.

Als man schließlich nach seinem dreistündigen Exposé in den Marmortisch zu der Ansicht kam, daß er nicht zur Sache sprach und mit der Abrüstungskonferenz überhaupt nichts zu tun hatte, wurde er einem Diener der Polizeiwache übergeben, vorschriftsmäßig, um Widersetzlichkeiten zu verhindern, mit einem Knüttel betäubt und zwecks Feststellung seines Namens und Verfatschens seines zerdroschenen Schädels auf die Polizei geführt. 134

Alle Teilnehmer der Konferenz waren durch diesen Vorfall deprimiert und begannen zu bemerken, daß sie von Tag zu Tag blöder wurden.

Davon überzeugten sie sich hauptsächlich durch die letzten Zeitungsreferate, aus denen sie erfuhren, daß sie am Tage vorher in der 15. Nachtsitzung folgende Erklärung beschlossen hatten: »Abschnitt 26: Da festgestellt wurde, daß China noch keinen Dreadnougth und keine großen Kriegsschiffe erster Klasse besitzt, beschließt die Abrüstungskonferenz: Die an der Abrüstungskonferenz beteiligten Staaten verpflichten sich, der Chinesischen Republik in einem Zeitraum von drei Jahren eine unverzinsliche Anleihe in der Höhe von 300 Milliarden zu gewähren, damit China die andern, an der Abrüstungskonferenz beteiligten Staaten in Bezug auf die Zahl großer Kriegsschiffe und Dreadnougths einholen kann. Die chinesische Republik verpflichtet sich im Laufe von drei Jahren 40 Dreadnougths und 30 Kriegsschiffe erster Klasse zu bauen und außerdem 5 Kanonenboote dritter Klasse zu zerstören und den Hafen von Kanton unter die Kontrolle der internationalen Kommission zu stellen. Hingegen wenden die an der Abrüstungskonferenz beteiligten Staaten nichts ein gegen die Anwesenheit von Vertretern der Chinesischen Kriegsmarine beim Bau des dritten Simplontunnels – –« 135

»Und die Errichtung einer Telephonstation auf dem Berge Ararat,« fuhren die Mitglieder der Abrüstungskonferenz mit Schrecken in ihrer Lektüre fort.

Vorsitzender Thomas Hawkins wurde darob ganz nüchtern, hielt es aber trotzdem nicht für ausgeschlossen, daß man gestern etwas Ähnliches beschlossen habe. Als ihm jedoch auf sein Verlangen die stenographischen Protokolle der letzten Sitzung der Abrüstungskonferenz vorgelegt wurden, erkannte er mit einem Gefühl, als ob er Asthma hätte, daß der ganze 26. Absatz eigentlich sein Einfall gewesen sei, und mit folgendem Zusatz eines Mitglieds der Konferenz namens Woodward angenommen worden war:

»Gleichzeitig wird der Negerrepublik Liberia der Bau von fünf Unterseebooten gestattet, unter der Bedingung, daß diese Schiffe schwarz angestrichen werden.«

Es wirkte also durchaus nicht komisch, wenn Vorsitzender Thomas Hawkins am nächsten Tage in der Konferenzsitzung mit zitternder Stimme folgende schöne Rede hielt, die seinem eingefallenen Gesicht so gut entsprach: »Es läßt sich nicht leugnen, meine Herren, daß die bisherigen Konferenzsitzungen einen glänzenden Verlauf und ein ebensolches Resultat zu verzeichnen haben. Wir haben 26 Vorschläge ausgearbeitet und 26 Absätze angenommen. Der Radiotelegraph hat unsere Beschlüsse auf der ganzen 136 Erdkugel verbreitet und überall verkündet, daß wir in Permanenz sind. Wir haben unsere Gesundheit nicht geschont und müssen aufrichtig gegen uns sein. Sie wissen gut, daß uns noch eine ungeheure Arbeit bevorsteht. Und gerade deshalb darf es nicht dazu kommen, daß wir uns überarbeiten. Selbst den stärksten Ochsen reißt eine allzu große Schinderei zusammen. Unsere Nerven müssen ausruhen. Ich fühle selbst, daß ich der Anstrengung unterliege. Tag und Nacht denken, meine Herren, das ist kein Spaß. Wenn eine Taschenuhr überdreht wird, springt eine bestimmte Feder in ihr. So ist es auch mit unserm Hirn. Es bedarf eine zeitlang der Ruhe. Wir müssen jetzt in erster Reihe ordentlich aufatmen, damit wir uns erholen und neue Kräfte zu neuer Arbeit schöpfen können. Deshalb, meine Herren, schlage ich vor, daß wir einen dreiwöchentlichen Urlaub antreten.« (Stürmischer Beifall und Stimmen: Einen vierwöchentlichen!)

Le Roux, ein Mitglied der Konferenz, der gerade in unzurechnungsfähigem Zustand aus der nächsten Restauration zurückgekehrt war und nicht wußte, worum es sich handelte, tritt zu der Rednertribune, schlägt mit der Faust auf sie ein wie auf eine Trommel und brüllt: »Heraus mit mir, werft mich heraus, abstimmen!« (Er geht, von Dienern sanft unterstützt ins Sekretariat der Abrüstungskonferenz, wo man ihn auf ein Kanapee legt.) 137

Hierauf meldete sich der Vertreter Bolivias Juarez de Vega zu Wort und erklärte, daß er gegen den Antrag des Herrn Vorsitzenden der Konferenz stimme.

Schon am dritten Tag nach Eröffnung der Abrüstungskonferenz forderte er im Namen seiner Regierung, man möge der Republik Bolivia die 12 Mann lassen, die ihr ganzes stehendes Heer bilden, das die Ordnung im Palast und der Umgebung des Präsidenten aufrechterhält. Bei der Debatte kam man jedoch überein, daß Bolivia seine 12 Mann auf eine stehende Armee von 120.000 Mann erhöhen solle, weil die Republiken Chile und Peru die gleiche Anzahl von Soldaten unterhalten, so daß Bolivia im Falle eines Kriegausbruchs wirkliche Gefahr drohe, wenn sein aus 12 Mann bestehendes Heer von den 120.000 Mann aus Peru oder Chile überfallen werden sollte. Zwecks Verhütung eines Krieges sei ein Gleichgewicht der militärischen Kräfte im Verhältnis von 1 : 1 : 1 erforderlich.

»Meine Herren,« sagte Juarez de Vega mit erhobener Stimme, »verehrte Versammlung! Gerade heute habe ich eine Mitteilung meiner Regierung erhalten, in der auf die Absurdität des Beschlusses der hochverehrten Konferenz hingewiesen wird. In ganz Bolivia beträgt die gesamte männliche Bevölkerung nicht ganz 80.000, wie wollen Sie, meine Herren, daß wir daraus eine Armee von 120.000 Soldaten 138 aufstellen? Sollen wir unsere männliche Bevölkerung zerspalten, um Ihren Wunsch zu erfüllen, oder uns irgendwo noch 40.000 Mann ausborgen und dadurch gegen jenen Beschluß der Konferenz verstoßen, durch den verboten wird, in den Nachbarstaaten Militär zu werben? Es ist wahr, man hat uns eine dreijährige Frist gewährt, aber, meine Herren, geben Sie gefälligst zu, daß wir uns bis dahin beim besten Willen nicht so schnell vermehren können. Meine Herren, ich bin auch ein wenig Mathematiker.«

Der Vertreter von Chile unterbrach ihn: »Sie lügen, geben Sie das Konversationslexikon her!« (Lärm und Verwirrung.) Der Vorsitzende klingelt, schickt den Sekretär um das Konversationslexikon und entzieht dem Vertreter Bolivias das Wort.

Mit trauriger Stimme: »Meine Herren, Sie waren soeben Zeugen einer wüsten Szene. Ich habe keine Worte, um auszudrücken, wie sehr ich in tiefster Seele betrübt bin.«

Der Sekretär kommt und bittet den Vorsitzenden ums Wort:

»Meine Herren, Bolivia ist nicht im Konversationslexikon.«

Der Vertreter Bolivias steht bleich und verstört auf: »Verehrte Versammlung, 2,347.000 Quadratkilometer – –.«

Der Vorsitzende entzieht ihm das Wort und fordert den Sekretär auf fortzufahren. Sekretär: »Da 139 Bolivia nicht im Konversationslexikon steht – ja nicht einmal eine Bemerkung darüber steht drin – existiert auch für uns nicht ein Herr bolivianischer Vertreter mit seinen 12 Soldaten. (Lachen im Saal.) Ich stelle den Antrag, ihm das Mandat zu entziehen und ihn von der Konferenz auszuschließen. (Stimme: Er hat sich hereingedrängt.) Der Fall ist sehr peinlich und beweist markant, mit welchen Schwierigkeiten die Abrüstungskonferenz zu kämpfen hat, damit es nicht heißt, daß sie eine Komödie spielt.«

Der Antrag auf Ausschuß des Vertreters Bolivias wurde mit allen Stimmen gegen eine angenommen. Es war die Stimme des Konferenzmitglieds Merian, der ruhig hinter einem Tische schlief. Er erwachte durch einen puren Zufall, weil er beinahe an dem Stummel der Zigarre erstickt wäre, die er vor seinem Einschlafen geraucht hatte.

Er erhob sich und sagte: »Gegen« und wollte sich gerade setzen, als sich die Parketten des Saales hoben und eine furchtbare Explosion ein ungeheures Loch zu den unteren Räumen öffnete. Dann begann die Stukatur vom Plafond zu fallen. Die Mittglieder der Konferenz stürzten in die Tiefe. Als sich Rauch und Staub verflüchtigt hatten, konnte man deutlich sehen, wie der Vorsitzende der Abrüstungskonferenz mit den Füßen an einer Eisentraverse des neu gebildeten Saales hing und Bewegungen machte, als beteiligte er sich 140 an einem Wettschwimmen, wobei er: »Mon dieu, mon dieu« stöhnte.

Die Behörden dachten anfangs, daß es sich um einen Anschlag der Anarchisten handle, aber durch die Untersuchung wurde festgestellt, daß die Explosion keinen politischen Hintergrund hatte.

Der Vertreter einer Dynamitfabrik hatte im Erdgeschoß auf einige Mitglieder der Friedenskonferenz gewartet, um ihnen einen Explosivstoff mit der Marke »Washingtonit« anzubieten, der zweitausendmal stärker war als Ekrasit und achzehntausendmal stärker als Melinit! Irrtümlicherweise hatte er statt der Streicholzschachtel die Schachtel mit dem Muster in die Hand genommen, und als er sie öffnete, durch Reibung die Explosion verursacht.

Deshalb fuhr der lahme Thomas Hawkins zur Erholung auf den Stillen Ozean. 141

 


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