Jaroslav Hasek
Von Scheidungen und anderen tröstlichen Dingen
Jaroslav Hasek

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Herrn Solivars Scheidung.

Wir alle wußten, daß Frau Klara Solivar mit ihrem Gatten etwa so verfuhr, wie der blutdürstige Tatarenfürst Tamerlan im Mittelalter mit den christlichen Sklaven. Aber Herr Solivar lächelte immer freundlich, sooft die Rede auf sein Schicksal kam und widerlegte unsere Ansicht, daß er aus der Tyrannei überhaupt nicht herauskomme.

»Die Frauen,« sagte er, »haben Jahrhunderte lang die Sklaverei ertragen, in die wir Männer sie brutal 22 gestürzt haben. Und wenn ich jetzt das Unrecht gut machen will, das unser Geschlecht begangen hat, so verbitte ich mir, daß man dies von einem andern Standpunkt aus betrachtet. Ich leugne nicht, daß ich den Boden scheuere, denn ich tue es gern, ebenso gern, wie ich Geschirr wasche und die Wohnung aufräume; opfern doch hunderttausende, ja Millionen Frauen ihre letzten Kräfte, damit der grausame Mann, wenn er nach Hause kommt, alles in Ordnung findet. Tausende Frauen, die viel schwächer sind als ich, quälen sich mit der Wäsche und schleppen Kohlenbutten aus dem Keller; sollte das auch meine Frau tun, während ich mich inzwischen auf dem Diwan lümmle? Ich mach mich also an die Arbeit; sogar mit der Wäsche bin ich bald fertig, bringe Kohle und zahle so die Schuld ab, die wir Männer an den Frauen für all die unsinnigen Demütigungen abzutragen haben, deren wir uns ihnen gegenüber schuldig gemacht haben und deren sich noch heute Männer vieler Nationen schuldig machen. Bei den Chinesen ist die Frau eine bloße Sklavin, sie darf dort straflos erwürgt werden (dabei lachte er verdächtig) und ich, ein Mann, der weiß, was die Frauen einst gelitten haben, sollte mich dafür schämen einzukaufen, Feuer zu machen, das Essen zuzustellen, dies und jenes zu kochen? Oder meinen Sie, daß ich inzwischen wie ein Indianer auf die Jagd gehen und zum gedeckten Tisch zurückkehren, die 23 Frau-Sklavin mit Füßen treten und wenn mir das Mittagessen nicht schmeckt, vielleicht weiter verkaufen soll? (Wiederum lächelte er freundlich.) Ich vertrete also meine Frau gern und zahle mit diesen Diensten die alten Schulden der Männer ab. Und daß sie mich prügelt? Was haben die alten Germanen mit ihren Frauen gemacht? Sie haben Ruten für sie gehabt wie für Hunde, und was machen die Muschiks in Rußland? Sie prügeln die Frauen, daß es eine Freude ist. (Er lächelte siegesbewußt.) Er kommt nach Haus, die Frau sagt ihm etwas, und schon wichst er sie windelweich durch.«

Er ereiferte sich: »Sie darf ihm kein Wort sagen und tut sie's, so heißt es nur: da hast du, da hast du! Er schaut nicht, wohin er schlägt, und schlägt, drischt und sagt: Ich werde dir zeigen zu befehlen, ich werde dich lehren, du willst mich schon wieder um etwas schicken, ich werde dir das austreiben!«

Herr Solivar befand sich bei dieser Gelegenheit in einer so glückseligen Extase, daß er zu sagen vergaß, ob er selbst von der Frau geprügelt werde. Als wir ihn dann daran erinnerten, besann er sich und fuhr fort:

»Daß Sie mich prügelt, sagen Sie? Das kann man nicht prügeln nennen, nicht nur nicht im Verhältnis zu den Milliarden Hieben, die die groben Fäuste der Männer selbst in kultivierten Zeiten den Rücken der Frauen versetzt haben, nein, das ist kein Prügeln, es 24 ist eine Laune, ich versichere Sie, die bloße, spielerische Laune eines Kätzchens, das ohne jede böse Absicht kratzt. Und daß sie verschiedene Gegenstände auf mich wirft, meine Herren? Sie braucht Bewegung, Tempo, sie hat sich von der engbrüstigen Anschauung befreit, daß ihr der Platz in der Küche am Herd gebührt, und Sie behaupten, daß sie Töpfe auf mich wirft. Sie sagen, daß man es von der Küche aus hört. In welcher Küche wird nicht ein Topf zerbrochen?«

Nach diesen Worten verstummte er und schloß seine Verteidigungsrede: »Übrigens, sprechen wir nicht davon!«

Wir sprachen also nicht mehr davon, denn jeder von uns wußte, wie die Dinge sich verhielten und daß er, falls wir fortfahren sollten zu fragen, antworten würde: »Daß sie mich würgt? Die türkischen Sultane und Bejs ließen tausende und tausende Odalisken erwürgen und wenn mich meine Frau jetzt um den Hals nimmt, sind gleich Gerüchte verbreitet, daß sie mich würgt. Daß sie mich jede Weile auf den Gang herauswirft? Meine Herren, muß ich mich denn fortwährend in der Küche oder im Zimmer aufhalten? Soll ich ununterbrochen in der Küchenhitze sein, im Dampf und diesen Ausdünstungen?«

Wir wußten, daß er uns mit demselben gutmütigen Lächeln erklärt hätte, warum er nicht rauchen dürfe. Sollte er mit dem stinkenden Rauch einer Pfeife oder 25 dem scharfen Geruch einer Zigarre das Aroma der Zigaretten vernichten, die seine Frau rauchte?

Wie groß war unsere Überraschung, als Herr Solivar eines Tages ins Kaffeehaus stürzte und mit finsterem Gesicht verkündete, er werde sich von seiner Frau scheiden lassen und allem ein Ende machen,

Er sprach davon, daß er nicht mehr nach Hause zurückkehren und bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Gericht ihn endlich von seiner Frau trennen werde, anderswo wohnen wolle. Er werde ein Zimmer mieten und hübsch in Ruhe die gerichtliche Entscheidung abwarten.

Vergeblich drangen wir in ihn, er möge uns sagen, warum er sich eigentlich scheiden lassen wolle.

»Das werdet Ihr niemals verstehen,« sagte er mit Tränen in den Augen. »Ich habe sie so lieb gehabt, sie war für mich das anbetungswürdigste Geschöpf. Aber nach Hause kehre ich nicht mehr zurück. Bis sie jetzt vom Spaziergang zurückkommt, wird sie die Wohnung verlassen finden. Meine arme Frau, ich muß mich von ihr scheiden lassen, obwohl mir das Herz dabei bricht. Und dennoch muß ich es tun!«

Im ersten Augenblick vermuteten wir, daß er verrückt geworden sei, aber bald darauf sahen wir, daß er vollkommen ruhig war, während er uns darüber ausfragte, wie eine Scheidung eigentlich durchzuführen sei. 26

»Zuerst müssen Sie zu einem Advokaten gehen und ihm die Ursachen nennen, die Sie dazu bewegen, sich von Ihrer Frau scheiden zu lassen; der Advokat wird ein Scheidungsgesuch verfassen und es bei Gericht einreichen.«

»Ich verstehe,« schluchzte Herr Solivar, »ach, meine arme Frau, wer hätte das gedacht, was auf die alten Tage auf sie wartet, aber ich kann mir nicht helfen, ich kehre nicht mehr nach Haus zurück.«

Er saß da mit in die Hände vergrabenem Kopf und fuhr in seinen Klagen fort : »Ich bin schuld, auf meiner Seite ist die Schuld, es ist entsetzlich.«

Er sah so verzweifelt aus, daß er uns leid tat und sprach überdies so rätselhaft und verwirrt, daß wir ihn umsomehr bedauerten.

»Meine Herren,« sagte er, als er den Kopf hob, »wenn nicht jene verhängnisvolle Stunde wäre, die mich ins Unglück gestürzt hat, könnte ich mit meiner Frau noch lange Jahre in Ruhe, Gesundheit und Zufriedenheit leben. Aber meine unglückselige Leidenschaft, arme Frau, was hast du erleben müssen!«

Er weinte bitterlich. Wir drangen in ihn, er möge sich uns anvertrauen, vielleicht werde es aus dem allen noch einen andern Ausweg geben, als die Scheidung.

»Das ist ja etwas Fürchterliches, meine Herren, ich muß mich scheiden lassen, nichts hilft mir, nach 27 Hause kehre ich nicht zurück. Arme Bianka! Meine Herren, Bianka ist von einem Automobil überfahren worden!«

Er wischte sich die Tränen ab: »Meine unglückliche Frau hat sie so lieb gehabt. Es war aber auch eine schöne Hündin, in der Umgebung hat man sie zwar »Bestie« genannt, aber es war so ein anschmiegsames Tier. Heute Nachmittag geht die Frau spazieren und sagt: »Ottokar, ich sperr dich nicht ab, denn bis du das Geschirr abgewaschen haben wirst, mußt du Bianka ausführen.« – Ich wasch also das Geschirr ab, um unsere Schuld an den Frauen zu tilgen, und dann geh ich mit Bianka heraus. – Draußen befiel mich die verfluchte Leidenschaft zu rauchen. Ich geh also gegenüber in die Trafik, Bianka laß ich draußen auf der Straße und in diesem Augenblick, während ich mir eine Zigarre aussuche, höre ich: paf, paf – und dann ein Geschrei. Ich stürze aus der Trafik und inmitten der Menschen liegt blutüberströmt die zerquetschte Bianka, das gute Tierchen. Ein Automobil hat sie überfahren, während ich Schuft meiner abscheulichen Leidenschaft gefröhnt und mir »Kurze« ausgesucht habe. Ich hab Bianka zur Höckerin getragen, hab Packpapier gekauft, hab die arme, zerquetschte Bianka eingewickelt und zur Höckerin gesagt: Bis meine gnädige Frau vorbei gehn wird, so geben Sie ihr dieses Paket! – Nein, ich kehre nicht mehr nach Haus zurück, ich muß 28 mich scheiden lassen, ich Tyrann, ich Schuft. Ich selbst werde gegen mich die Scheidungsklage wegen Nichterfüllung der ehelichen Pflichten überreichen. Ich hab doch nach dem Unglück nicht einmal im Zimmer Staub abgewischt, meine Herren, und den Kehricht nicht hinaus getragen – –«

In diesem Moment öffnete sich die Tür und im Kaffeehaus erschien Frau Solivar. Sie ging energischen Schritts auf Herrn Solivar zu, der sich mit herausgewälzten Augen in einen Winkel zwischen uns duckte, und sprach:

»Ich hab mich bei einer Freundin aufgehalten und geh erst jetzt nach Hause, und da fiel mir ein, ob du nicht vielleicht wieder gegen mein Verbot ins Kaffeehaus gegangen bist. Zieh dich an und komm, zu Haus werden wir abrechnen.«

Wie ein Zicklein, das man an einem Strick führt, erhob sich Herr Solivar und ging mit seiner Gattin, die ihn am Rocke festhielt. Am folgenden Tag lasen wir in der Zeitung: »Ein eingefleischter Selbstmörder«. Der Privatier Ottokar Solivar, wohnhaft in der Gerstengasse, unternahm gestern auf dem Heimweg aus dem »Akademischen Kaffeehaus« sechs Selbstmordversuche. An der Ecke der Myslikgasse sprang er unter ein Automobil und als dieses vor ihm stehen blieb, warf er sich auf das Geleise der elektrischen Tramway Nr. 623. Nur der Geistesgegenwart seiner Gattin ist es zu danken, daß er 29 gerettet wurde. Bei der Technik sprang er unter einen Wagen der Strecke. Nr. 4 und nur das rechtzeitige Bremsen verhinderte einen Unglücksfall. Auf dem Karlsplatz riß er sich von seiner Gattin los und rannte in das naheliegende Bräuhaus, wo er aus dem Fenster des ersten Stockwerks auf den Hof springen wollte, aber zurückgehalten und seiner Gattin übergeben wurde, die ihn nach Hause führen wollte; in diesem Augenblick sprang er unter das in schneller Fahrt befindliche Automobil der Firma Nowak und wurde wiederum von seiner Gattin gerettet. Während sich eine große Menschenmenge ansammelte, wurde er von dieser energischen Frau nach Hause geführt, wo er sich vor dem Hause abermals auf das Geleise der Strecke Nr. 4 warf. Der Vorfall hatte einen großen Menschenauflauf zufolge und es verlautet allgemein, daß der unglückliche Mann unzurechnungsfähig ist.« 30

 


 << zurück weiter >>