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Ich saß mit dem seligen Mestek auf einer Bank des Parks auf dem Karlsplatz.
Mestek, der Besitzer eines Flohzirkus, war in sehr gedrückter Stimmung, da er zu der Überzeugung gelangt war, daß sich Flöhe nicht dressieren lassen. Vor kurzem hatte seinen Flohzirkus nämlich eine Katastrophe heimgesucht. Irgendein betrunkener Herr, der von der fixen Idee beherrscht war, daß das Ganze ein Schwindel sei, drang in die Bude und schlug, um sich zu überzeugen, mit seinem Stock die 142 Schachtel und den Zirkus in Stücke. Die dressierten Flöhe waren erlöst und befreit von der Pflicht, die kleinen, mikroskopischen Papierwägelchen zu ziehen. Vernichtet war auch der Operngucker mit der Vergrößerungslinse. Auf dem Grund der Schachtel blieb die zerquetschte Leiche eines Flohmännchens, eines erstklassigen Künstlers liegen, der die Seele des Zirkus gewesen war. Mestek hatte ihn zärtlich »Franzerl« genannt. Die Leiche des Künstlers wurde unter dem Vergrößerungsglas identifiziert und am Fehlen eines Fußes erkannt, was übrigens zu den Zirkusgeheimnissen gehört.
Bei der Leiche des Künstlers blieb nur ein Floh mit überbrochenen Beinen und umgeworfenem Wägelchen zurück, vor das er gespannt war.
»Ich hab gedacht,« seufzte Mestek, »daß ich sie kurieren werde, aber es hat zu nichts geführt. Pepina welkte dahin. So hab ich sie zum Schluß zerdrückt«
Mestek sprach eine Weile von der Liebe zwischen Pepina und Franz, wie die Bewunderung der kleinen Pepina stets dem Flohmännchen gefolgt war, wenn es tanzte.
»Niemehr im Leben,« sagte Mestek, »werde ich einem so intelligenten Geschöpf begegnen. Die heutige Generation ist degeneriert. Die Flöhe sind verblödet. Sie sind begriffstützig geworden. Mag sein, daß bei uns eine neue Flohrasse aufgetaucht ist. Ich habe neulich von einem Diener im Altstädter Asyl 143 eine Flasche Flöh gekauft, aber nicht ein einziger war was wert. Ich hab Flöh aus der Polizeidirektion gehabt, aus einigen Waisenhäusern, aus dem Pensionat ›Ein glückliches Heim‹, aus der Korrektionsanstalt, aus einigen Kasernen, Flöh aus Versatzämtern, Flöh aus Hotels, aus dem Karolinum und Klementinum,Gebäude der Prager Universität. Flöh aus der höheren Töchterschule, aus dem Frauenerwerbverein und aus dem Kloster Emaus und alle waren unfähige Geschöpfe. Es ist wahr, ich hab zwei, drei gefunden, die man hätte begabt nennen können. Aber sie waren Schlampen. Die Karriere hat sie nicht gelockt. Sie sind weggelaufen, ohne daran zu denken, daß ein lichter und großer Ruhm auf sie wartete. Die neue, jüngere Flohgeneration wird sich niemals eines Franz oder einer Pepina rühmen können. Ihren Wert kann man nicht mit kurzen Worten beschreiben – – –«
Wir verfielen abermals in Melancholie und vor unseren Blicken tauchte der Triumphzug des Flohzirkus durch Böhmen und Mähren mit einem kurzen Abstecher nach Ungarn auf, wo uns magyarische Gendarmen zur Grenze geführt hatten, weil sie in dem Flohzirkus eine versteckte panslawistische Propaganda sahen.
An manchen Orten Mährens hatte uns die Geistlichkeit Schwierigkeiten bereitet. 144
Der Pfarrer in Holstein sagte mir, als ich ihn zur Vorstellung unseres Flohzirkus einladen wollte: »Ich könnte meinen Gläubigen Ihr Unternehmen nicht empfehlen, das Euch nicht Gottes Segen bringen kann, denn dressierte Flöhe sind gegen die menschliche Natürlichkeit. In den Klöstern des Mittelalters haben die Flöhe, wie Abt Anselmus schreibt, dadurch, daß sie die Mönche in der Nacht zwickten und nicht schlafen ließen, darauf aufmerksam gemacht, daß die Mönche nicht schlafen, sondern Gott Tag und Nacht preisen sollen.«
»Sie halten also Flöhe für heilige Tiere?« sagte ich, »dann kann ich Sie versichern, daß wir in unserem Zirkus Nachkommen jener Flöhe haben, die das Christkind im Stall zu Bethlehem zwickten.«
Damals hab ich mich mit ihm geprügelt, hab ihn zusamengeboxt, aber zum Schluß mußten wir mit dem Flohzirkus in die Berge gehen, weil der Pfarrer die ganze Gegend bis zur Walachei gegen uns aufgehetzt hat.
Mestek unterbrach einige Augenblicke stiller Erinnerungen:
»Wenn man geduldig und unternehmungslustig ist, muß man über die menschliche Dummheit siegen. Man muß es nur verstehen, alles klug in die Hand zu nehmen. Es kommt nicht drauf an, ob man eine Ente aufmalt, aber es kommt drauf an, die Leute, die sich sie anschaun, davon zu überzeugen, 145 daß es keine Ente ist, sondern ein Jaguar. Wenn ein Unternehmen mißlingt, muß das zweite, dritte gelingen.«
»Die Menschen sind Ochsen,« fuhr er in seiner Philosophie fort. »Je dümmer oder blödsinniger etwas ist, desto mehr Menschen greifen in die Tasche, damit sie sich's auch anschaun können. Die Menschen brauchen neue Überraschungen. Was halten Sie davon?«
»Ich denke,« sagte ich, »daß sehr wenige Menschen in ihrem Urteil selbständig sind. Wer seine bestimmte eigene Anschauung hat, schaut sich so etwas gewöhnlich nicht an. Unsere Unternehmungen hat ein Publikum gefüllt, das geglaubt hat, daß es alles zu sehen bekommen wird, was wir ihm versprochen haben. Erinnern Sie sich an unsere Fledermaus, die wir auf einem Berg bei Melnik erwischten und für ein fliegendes Eichhörnchen aus Australien ausgaben? Und jeder hat uns einen Sechser gegeben, um es zu sehen. Oder erinnern Sie sich, wie sich die Leute vor unserer Bude um Karten rauften, um die junge Riesenschlange zu sehen, die den englischen Vizekönig in Indien erwürgt hatte? Und es war eine ganz junge Ringelnatter. Und erinnern Sie sich, wie viele Leute kamen, wie uns der Pepi Reisner aus Koschirsch einen Orangutang von der Insel Borneo gespielt hat?«
»Das war ein Gauner,« bemerkte Mestek, »wie 146 sollte ich mich nicht erinnern! Vor der vorletzten Vorstellung wollte er von uns 20 Kronen haben, er werde nicht für 15 Kronen samt Kost einen Orangutang spielen. Und der Kerl hat doch ganz hübsch an dem Obst und Zuckerwerk verdient, das ihm die Leute in den Käfig geworfen haben. Er hat sich's immer in einem Winkel aufgehoben und dann, wenn wir die Bude am Abend gesperrt haben, hat er's der Höcklerin gegenüber verkauft. Deshalb wollt ich ihm nicht zugeben. Er hat Wut gekriegt und mitten in der Vorstellung hat er als Orangutang angefangen »Auf der Radlitzer Straße« zu singen. Das war eine Panik! Damals hat man uns aus Tabor ausgewiesen. Besser ist's uns mit der Mumie des englischen Königs Richard III. gelungen, und es war doch nur eine zusammengerollte Hammelhaut. Auf die ist man uns erst nach einem halben Jahr gekommen. Sie haben fabelhaft von dieser Schöpsenhaut gesprochen: »Hier sehen Sie einen Represäntanten der größten und entsetzlichsten Mißgeburten, die je ein königlicher Thron getragen hat. Dieser Schurke von einem König, dessen Mißgestalt ihn zu einem Unhold und Ungetüm machte, das im Blute zahlloser Verbrecher watete und selbst Shakespeare durch seine ränkevolle Blutdürstigkeit überraschte, dieses königliche Ungeheuer ist getrocknet worden und wir gestatten uns es dem P. T. Publikum in Gestalt einer Mumie, Konserve – – –« 147
»Dann,« sagte ich, »hat uns ein Bezirkshauptmann Richard III. konfisziert.«
»Daran kann man aber sehen,« fuhr Mestek zu philosophieren fort, »daß auf der Welt alles möglich ist. Ich möcht wetten, daß mehr als die Hälfte der Bewohner der Erdkugel von Betrügereien aller Arten lebt. Es kommt jetzt nur drauf an, sich etwas Neues auszudenken, was wir dem Publikum zeigen könnten. Ihm eine kleine Überraschung zu bereiten. Das Ganze so verrückt zu machen, daß uns jeder Einzelne selbst Reklame machen würde. Ihm etwas zu zeigen –«
»Wozu: etwas zeigen,« sagte ich, während ich mit dem Stock im Sand zeichnete, »wozu dieses: ›etwas‹. Gehen wir weiter. Sie verstehen mich. Dem Publikum wird nichts gezeigt.«
»Wenigstens ein Steinchen,« rief Mestek bittend aus, »ich hab immer was gezeigt.«
»Nicht einmal ein Steinchen, (»sagte ich mit entschiedener Stimme, »das ist Unsinn. Alte Schule. Ich sag Ihnen, daß wir dem Publikum überhaupt nichts zeigen werden. Und das ist gerade die Überraschung. Sie sagen: ›Wenigstens ein Steinchen‹, wie man dies zu tun pflegte. Man sagte: ›Dieser Stein kommt vom Mars‹. Das Publikum ging mit dem Eindruck fort, daß es etwas gesehen hatte und war nicht überrascht. Wenn es aber überhaupt nichts sehen wird. wird es überrascht sein. Schaun Sie.« 148
Ich zeichnete mit dem Stock in den Sand: »Unsere Bude wird rund, geräumig sein. Ohne Fenster, ohne Öffnung im Dach. Sie muß vollkommen finster sein. Sie hat zwei Eingänge, von einer Portiere verdeckt. Einer vorn, wo das Publikum hineingeht, und der zweite dient als Ausgang. Der ist hinten. Ungeheure Aufschriften: ›Die größte Überraschung der Welt! Eine Überraschung, die Sie nie vergessen werden! Eintritt nur für erwachsene Männer! Damen und Kinder haben keinen Zutritt! Militär zahlt die Hälfte!‹ Das Publikum wird einzeln in kurzen Zwischenräumen eingelassen. Ich bin draußen und rufe aus, mache den Kassier. Sie sind innen in der Bude im Finstern und wie sich jemand zeigt, packen Sie ihn an der Hose und am Kragen und werfen ihn ohne ein Wort zur Hintertür hinaus. Ein kleines, mäßiges Eintrittsgeld und Sie werden sehen, daß es keiner bedauern wird. Ich garantiere Ihnen dafür, daß die Menschen einer dem andern alles Böse wünschen. Sie werden noch Reklame machen und die andern auffordern, sie sollen sich auch die ›ungeheure Überraschung anschaun, die eine fabelhafte Sache ist.‹ Unser Unternehmen wird auf psychologischer Grundlage aufgebaut sein.«
Mestek zögerte eine Weile, keineswegs vielleicht wegen des Prinzips des neuen Vergnügungsetablissements, sondern weil er es vervollkommnen wollte.
»Wär es nicht gut,« sagte er nach kurzer Überlegung, »wenn man dabei jedem eins mit dem Staberl 149 übern Rücken streichen würde? Das wär noch eine größere Überraschung.«
Dagegen war ich entschieden. »Damit würden wir uns nur aufhalten. Die ganze Prozedur muß sehr schnell gehen. Man tritt in die Finsternis und ist schon wieder draußen, ohne daß man Zeit hat, überhaupt zu Besinnung zu kommen. Darin gerade liegt die Überraschung, die ganz echt ist. Das Unternehmen ist vollkommen reell! Wir versprechen niemandem etwas, was wir ihm nicht bieten könnten. Wir versprechen eine Überraschung und halten auch unser Wort. Niemand darf' uns sagen, daß wir Schwindler sind.«
* * *
Unser reelles Unternehmen erfreute sich allseitiger Beachtung. Wir schlugen unsere Zelte zuerst in Beneschau auf, wo alle Bedingungen vorhanden waren. Militär, neugierige Einwohner. Ich ließ Plakate drucken die den Aufschriften auf unserer Bude entsprachen: 150
Pikant!
!Nur für erwachsene Männer!
!Ungeheuere Überraschung!
»Sie werden Ihr Leben lang nicht
an unser Unternehmen vergessen!«
Kein Humbug!
Für Reellität wird garantiert!
Das volkstümliche Eintrittsgeld von 20 Hellern, die Plakate, das Rätsel der geheimnisvollen Überraschung für erwachsene Männer lockte eine ungeheure Masse von erwachsenen Männern, Zivilisten und Soldaten vor unsere Bude. In der Menge konnte man sechzehnjährige Halbwüchsige sehen, die entschlossen waren, auf meine Frage, wie alt sie seien, vierzig oder fünfzig zu antworten, nur um auch hineinzukommen.
Wir begannen um 6 Uhr. Der erste war ein dicker Herr, der schon seit 5 Uhr wartete, um blitzschnell durch unsere Bude zu gehen und sich gleich wieder auf der andern Seite an der guten Luft zu befinden.
Ich hörte, wie er zum Publikum sagte: »Das ist fabelhaft, schaut's Euch's auch an.«
Ich hatte mich in der Psychologie der Masse nicht getäuscht. Die Hinausgeworfenen machten eine ungeheure Reklame. Durch die muskulösen Arme Mesteks gingen binnen anderthalb Stunden einige 151 hundert erwachsene Männer. Manche ließen sich sogar zweimal und dreimal hinauswerfen, kehrten wieder in die Bude zurück und gerieten in die muskulösen Arme Mesteks. Auf allen Gesichtern spiegelte sich Freude, Zufriedenheit. Ich beobachtete, daß viele Bekannte mitbrachten, denen sie aufrichtigen Herzens die »ungeheure Überraschung« wünschten.
*
Wohin der Teufel nicht kommen kann, dorthin steckt er den Bezirkshauptmann: Er kam nach halbacht. »Haben Sie eine Bewilligung?« fragte er mich beim Eingang. »Bitte, treten Sie ein,« sagte ich. Im Dunkel der Bude spielte sich zwischen dem Bezirkshauptmann und Mestek ein kurzer Kampf ab. Der Bezirkshauptmann, seiner amtlichen Wichtigkeit bewußt, wehrte sich verzweifelt gegen die ungeheure Überraschung, aber zum Schluß flog er doch durch den rückwärtigen Ausgang mitten in die jubelnde Menge.
Dann kam Gendarmerie, versiegelte uns die Bude und brachte uns wegen Beleidigung einer Amtsperson und des Verbrechens öffentlicher Gewalttätigkeit vor Gericht.
»Mein Leben lang werde ich kein reelles Unternehmen mehr gründen,« sagte mir Mestek, als wir uns bequem auf die Pritsche gesetzt hatten; »von heute an werde ich mich nur noch mit Schwindeleien ernähren.« 152