Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

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Fünfzehntes Kapitel

Wie die Mine als ein unerledigtes Geschäft behandelt ward.

Der Schluß des Congresses unterschied sich im Wesentlichen nicht von den vorhergegangenen Sessionen. Es entstand vielmehr die nämliche ungeschäftsmäßige Hast und die nämliche überstürzte parteiliche und völlig unangemessene Abwickelung unerledigter, schlechtverdauter Geschäfte, welche das souveraine Volk keinen Augenblick in einer anderen als in seinen großen öffentlichen Angelegenheiten geduldet haben würde. Fälschungen schlüpften durch; vielfach unterdrückte gerechte Forderungen wurden auf die lange Bank geschoben, manche rechtliche Schuldklage durch eine dürftige, völlig unzureichende Abzahlung aus der Staatskasse verunehrt, und Schlußscenen wurden aufgeführt, welche ohne den Einfluß des amerikanischen Humors geradezu niederträchtig gewesen wären. Die handelnden Personen, die Gesetzgeber selbst, wußten es und lachten darüber; die Berichterstatter, die Vertreter der Presse, wußten es und lachten darüber; das Publikum, das große amerikanische Volk, wußte es und lachte darüber. Und Niemandem kam es auch nur für einen einzigen Augenblick in den Sinn, daß es jemals und unter irgend welchen Umständen anders werden könne.

Roscommons Anspruch befand sich unter den unerledigten Geschäften. Der hagere, mitleiderweckende, zudringliche, halsstarrige Minenbewerber selbst sah aus, wie das verkörperte unerledigte Geschäft. Mehrere Congreßmitglieder, deren Interessen in mehr oder minderem Grade mit der Durchführung des Anspruches verwebt waren, befanden sich gleichfalls unter den unerledigten Geschäften. Der hochbegabte Gashwiler, dessen Gemüth mit schwerer Sorge um ein gewisses unerledigtes Privatgeschäft, das die Gestalt verlorener Papiere trug, belastet war und der dennoch Oel und Honig spendete, sobald er sich zu seinen Brüdern gesellte, war König der Mißbräuche und Herr der unerledigten Geschäfte. Die hübsche Frau Hopkinson, die wohlweislich von ihrem Gatten begleitet und thörichter Weise von leichtentzündlichen Congreßmitgliedern beliebäugelt ward, lieh den Reiz ihrer Gegenwart dem Abschluß der unerledigten Geschäfte. Zwei Journalisten, die von einem erledigten finanziellen Geschäft träumten, welches ihnen aus den unerledigten Geschäften erwachsen würde, waren ebenfalls erschienen, um gleich den alten Barden mit Sieges- oder Klagegesängen das Ende der unerledigten Geschäfte zu besingen. Mehrere unsaubere Vögel, welche unter dem Haufen der unerledigten Geschäfte Aas witterten, umkreisten die Säle oder nisteten in den Vorzimmern.

Das Unterhaus berauschte sich unter dem Präsidium des begabten Gashwilers an Roscommon und seinem betäubenden Anspruch und überreichte dem Senate sodann die halbgeleerte Flasche als ein unerledigtes Geschäft. Aber ach! in dem ärgsten Rasen und Toben des Sturmes, den der Geschäftsabschluß hervorrief, entstand eine unvorhergesehene Störung durch das Auftreten eines bedeutenden Senators, dessen Macht sich Niemand zu widersetzen vermochte und der sich zu allen Zeiten das Recht einer freien unbegrenzten Meinungsäußerung bewahrt hatte. Ein Rechtsanspruch auf Federvieh, welches von General Shermans Truppen auf den Marsch durch Georgia aus dem Hühnerkorb eines angeblich loyalen Irländers gewaltsam requirirt worden war, eröffnete eine constitutionelle Frage und entsiegelte die Lippen des großen Senators.

Sieben Stunden lang sprach derselbe eindringlich, überzeugend und mit ungeschwächtem Feuer. Und während dieser sieben Stunden erörterte er der Reihe nach die alten Parteizwistigkeiten und die alten politischen Fragen und erledigte sie mit jener ihm eigenen unwiderstehlichen Beredsamkeit, die ihn ehedem berühmt gemacht hatte. Die Gegenreden derjenigen Senatoren, welche jetzt die unerledigten Geschäfte vergaßen, und in wildem, neuentfachten Parteieifer entbrannten, die Gegenreden derjenigen Senatoren, welche der unerledigten Geschäfte liebevoll gedachten, jedoch nicht im Stande waren, die Roscommonsche Flasche aus dem Wege zu schaffen, spornten ihn nur zu erhöhter Anstrengung an. Die Lärmglocke, die im Senat erschallte, ward im Unterhause vernommen. Die starkerregten Mitglieder desselben versammelten sich an den Thüren des Sitzungssaales und überließen die unerledigten Geschäfte ihrem Schicksale.

Volle sieben Stunden sich selbst überlassen, knirschten die unerledigten Geschäfte in dem Gange und in der Halle mit ihren künstlichen Zähnen und rauften sich ihre falschen Haare in ohnmächtiger Wuth. Sieben Stunden lang hatte sich der begabte Gashwiler unausgesetzt der Fabrikation von Oel und Honig gewidmet, jedoch begann auf den congreß-mitgliedlichen Lippen die Süßigkeit derselben sich allmählich in Bitterkeit zu verwandeln; sieben Stunden lang stampften Roscommon und seine Freunde mit ungeduldigen Füßen im Vorzimmer und drohten dem hervorragenden Senator mit mehr oder minder entfärbter Faust. Sieben Stunden lang mußten die beiden Journalisten auf ihrem Sitz verharren und geduldig die lange Rede niederschreiben, welche noch am Abend des nämlichen Tages mit dem alten elektrischen Feuer blitzschnell über die Telegraphendrähte des großen Staates flog. Und das Schlimmste von Allem war, daß sie gleichzeitig den Bericht abzustatten hatten, der Schluß der Session sei mit einem außergewöhnlichen Rückstand an unerledigten Geschäften erfolgt.

Ein kleiner Freundeskreis gruppirte sich, Lobeserhebungen und Glückwünsche darbringend, um den großen Senator. Alte Gegner grüßten ihn im Vorübergehen höflichst mit jener Ehrerbietung, die starken Männern eigen zu sein pflegt. Eine kleine Frauengestalt näherte sich ihm, in einen Shawl gehüllt, den sie mit ihrer kleinen braunen Hand festhielt, und sagte schüchtern und mit sanftem Tone:

»Ich kann nicht gut englisch sprechen, aber ich habe viel gelesen. Ich kenne die Dramen Ihres großen Shakespeare und ich möchte Ihnen die Worte sagen, die Rosalinde dem Orlando zurief, als er den Ringplatz verließ: »Herr, Ihr habt brav gekämpft und Andre noch besiegt, als Eure Feinde!« Nach diesen Worten war sie verschwunden.

Doch ehe sie sich den Blicken der Umstehenden entzog, ward sie zuvor noch von der hübschen Frau Hopkinson bemerkt, die – wie die Siegerin ja stets zu dem Sieger kommt – herbeieilte, um dem großen Senator ihren Dank abzustatten, obwol das Antlitz ihrer Begleiter sich in düstere Falten gelegt hatte.

»Sehen Sie dort!« sagte sie, Wiles boshaft in den Arm kneifend, »das ist die Person, vor der Sie sich so sehr fürchteten. Ich bitte Sie, betrachten Sie dieselbe nur einmal genau. Welch ein Kleid sie trägt! Und, o du gütiger Himmel, dieser Shawl! Sagte ich es Ihnen nicht, daß sie keine Spur von Geschmack habe?«

»Von wem sprechen Sie?« fragte Wiles mürrisch.

»Von Carmen de Haro, natürlich,« entgegnete die Dame mit großer Lebhaftigkeit. »Aber warum eilen Sie denn plötzlich so sehr? Sie reißen mich ja im wahren Sinne des Wortes mit sich fort!«

Herr Wiles hatte soeben unter der auf der Treppe sich drängenden Menschenmasse das reisemüde Angesicht seines Gegners erblickt. Royal Thatcher sah bleich aus und war sichtlich zerstreut. Herr Harlowe, sein Anwalt neckte ihn:

»Man sollte nicht denken, daß Sie soeben einen neuen Pachtbrief auf Ihre Besitzung erhalten haben und einem großen Schwindel glücklich entgangen sind. Wie seltsam Sie sich benehmen! Soeben ist Fräulein de Haro an uns vorübergegangen. Sie sahen doch, wie sie mit dem Senator sprach! Warum haben Sie ihr keinen Gruß gegönnt?«

»Ich war in Gedanken,« sagte Thatcher düster.

»Nun meiner Treu, Sie fassen die Dinge kaltblütig auf, Jedenfalls sind Sie nicht sehr zuvorkommend gegen die Dame, der Sie Ihre Rettung verdanken. Denn so gewiß, wie Sie leben, so gewiß war sie es, welche den Senator veranlaßte jene Rede zu halten.«

Thatcher gab keine Antwort, sondern setzte sich in Bewegung. Er hatte Carmen sehr wohl bemerkt und auch die Absicht gehabt, sie mit einem Gemisch von Freude und Verwirrung zu begrüßen. Allein die Huldigung, die sie dem Senator zollte, brachte ihn außer Fassung, und dieser starke, ganz seinem Geschäfte lebende, automatische Mann, der noch vor zehn Tagen all sein Sinnen und Denken der Mine zugewandt hatte, dachte jetzt mehr an die einem Redner gezollte Lobpreisung, als an den gewonnenen Proceß und empfand eine Anwandlung von Haß gegen den Senator, der ihm den Sieg erfochten, gegen den Anwalt, der neben ihm stand, und sogar gegen die kleine Gestalt, die, seiner Nähe unbewußt, die Stufen hinabtrippelte.


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