Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

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Zweiter Theil.

Sechstes Kapitel.

Wie jene Schenkungsurkunde zu Stande gekommen war.

Während die Blue Mass Company mit mehr Eifer als Vorsicht sich bestrebte, Pedro und Wiles auf dem Wege nach Tres Pinos einzufangen, saßen die Senores Miguel und Manuel unangefochten in einer Fonda zu Monterey, rauchten Cigaritos und sprachen mit einander über die Entdeckung, die sie letzthin gemacht hatten. Sie befanden sich jedoch in keiner besseren Stimmung als ihre ehemaligen Kameraden, und aus ihrem Gespräche ging hervor, daß sie in einem schwachen Augenblicke ihren Antheil an der vermeintlichen Silbermine für wenige hundert Dollar verkauft hatten, da sie der Ansicht waren, daß ihnen derselbe doch durch einen thatkräftigen Einspruch seitens der Amerikaner streitig gemacht worden wäre. Der scharfsichtige Leser wird hieraus entnehmen, daß der in allen Ränken erfahrene Wiles ihnen nicht mitgetheilt hatte, daß die Grube eine Quecksilber-Mine sei, obwol er sich andererseits gezwungen sah, dies Geheimniß dem Mexikaner Pedro zu verrathen, da ihm derselbe ein unentbehrliches Werkzeug und Helfershelfer war. Daß Pedro nicht von Gewissensbissen gequält ward, als er in solcher Weise seine beiden Kameraden betrog, wird uns nicht wundern, da wir ja von der geraden und unmittelbar auf das Ziel zusteuernden Behandlungsweise Kenntniß genommen haben, die er letzthin seinem Gefährten Concho hatte zu Theil werden lassen und daß er bei erster Gelegenheit und falls es ihm seine eigene Sicherheit wünschenswerth machen sollte, Herrn Wiles Lebenslicht mit der nämlichen Ruhe auslöschen würde, – daran zweifelte dieser Herr selbst keinen Augenblick.

»Wenn wir nur noch etwas länger gezögert hätten, so würde uns dieser schieläugige Mensch mehr gegeben haben,« murrte Manuel mit zanksüchtigem Tone.

»Nicht einen Peso!« sagte Miguel mit Bestimmtheit.

»Woher weißt du das, mein Miguel? Bedenkst du denn nicht, daß wir die Mine selbst hätten bearbeiten können.«

»Vortrefflich, um unsre Arbeit obendrein zu verlieren! Sag' mir doch, Brüderchen, kannst du mir wol den Mexikaner zeigen, der aus einer californischen Mine auch nur Einen Real gewonnen hat. Nun, wie viele kennst du? He! Keinen! Nicht einen einzigen! Wem gehören die mexikanischen Minen? He! den Americanos! Wer wird reich durch die mexikanischen Minen? Die Americanos! Du entsinnst dich noch eines gewissen Briones, der den Ertrag einer Goldmine verausgabte, um eine Silbermine in Gang zu bringen. In wessen Händen sind jetzt die Ländereien und das Haus dieses Briones? In denen der Americanos! Wem gehören die Viehheerden des Briones? Den Americanos! Wem gehört die Mine des Briones? Den Americanos! Wer fand das Silber, das Briones vergebens suchte? Die Americanos! Stets dieselbe Leier! Immer und immer wieder! Ah, carramba!«

Und dann fuhr es dem Bösen offenbar in den Kopf und in die Hörner, so daß er diese beiden, verhältnißmäßig schuldlosen Männer eines bestimmten Zweckes wegen noch weiter trieb und stieß. Denn gleich darauf gesellte sich zu ihnen ein gewisser Victor Garcia, der zur Zeit Schreiber beim Ayuntemiento (Stadtrathsamt) war, und dieser machte sich beim Aguardiente über sie lustig und erzählte ihnen die Geschichte der Quecksilber-Entdeckung und der beiden Gesuche wegen der Besitznahme der Mine, welche Concho und Wiles heute Abend eingereicht hatten. In Folge dieser Kunde platzte Manuel vor Neid und ließ schwefelartige Flüche hervorlodern, wogegen Miguel, der ehemalige Geistliche, schwarzgelb ward und gedankenvoll dasaß. Endlich trat in Miguels Bombardement eine Pause ein und während derselben fand zwischen den kaltblütigeren Schauspielern eine Unterhaltung folgenden Inhaltes statt:

Miguel (nachdenklich). »In welchem Jahre hast du eigentlich ein Gesuch eingereicht, um Ländereien im Thale zu erhalten?«

Victor (betroffen). »Ich that es niemals. Der Boden ist eine unfruchtbare Wüste. Bin ich denn ein Thor?«

Miguel (sanft). »Du hast es doch gethan! Bei dem spanischen Gouverneur Micheltorena. Ich habe die Eingabe selbst gesehen.«

Victor (fängt an eine Beute zu wittern). »Si! Ich hatte es vergessen. Weißt du gewiß, daß das Grundstück im Thale lag?«

Miguel (mit Nachdruck). »Es lag im Thale und zog sich an der Valda hinaus.«

Victor (mit zustimmendem Tone). »Allerdings. – Du hast Recht – die Valda war mit eingeschlossen.«

Miguel (indem er Victor scharf ins Auge faßt). »Und trotzdem hast du die Schenkungsurkunde nicht erhalten. Sollte es nicht möglich sein, so schmerzlich das auch wäre, daß sie mit den Actenstücken zerstört worden ist, welche die Amerikaner in Monterey vernichteten?«

Victor (vorsichtig, obwol er die Schliche merkt). »Possiblemento!«

Miguel. »Es dürfte weise sein, dem Sachverhalte nachzuspüren.«

Victor (ohne Umschweife). »Und weshalb?«

Miguel. »Zu unserem Heile und dem deinigen, Freund Victor. Wir bringen dir unsere Entdeckung und du bringst uns deine Geschicklichkeit, deine Erfahrung, deine gerichtlichen Kenntnisse und dein Custom-House-Papier.Schenkungsurkunden, Gesuche und amtliche Anzeigen wurden zur Zeit der spanischen Regierung auf einem Stempelpapier ausgefertigt, das den Namen Custom-House-Papier führte.

Manuel (mischt sich mit lallender Zunge in das Gespräch). »Aber wozu das? Wir sind Mexikaner! Stehen wir nicht unter einem verhängnißvollen Geschick? Wir verlieren! Wer ist im Stande uns die Americanos vom Leibe zu halten?«

Miguel. »Wir verbinden uns mit einem Amerikaner, aber nur mit Einem, – Ha! Merkst du was? Unser amerikanischer Kamerad soll seine Gerichtshöfe, seine Corregidores (die erste obrigkeitliche Person einer Stadt) bestechen. Und nach Verlauf einer kurzen Zeit soll er uns die Leute herbeischaffen, welche die Dampfmaschine, die Fabrik und den Schmelzofen herstellen. – He?«

Victor. »Wo aber finden wir einen, – der nicht stiehlt.«

Miguel. »Ich meine den Irländer, den guten Katholiken von Tres Pinos.«

Victor und Manuel (gleichzeitig). »Roscommon?«

Miguel. »Der Nämliche. Wir geben ihm einen Antheilschein und erhalten dafür Vorräthe, Gerätschaften und Aguardiente. Denn vor den Irländern fürchten sich die Americanos sehr. Sind sie es doch, welche die Wahlen bestimmen, durch die der Präsident erwählt wird. Und dieser setzt dann wiederum den Alcalden von San Francisco ein. Und zudem gehören wir auch zu derselben Kirche, wie Roscommon.«

Sie riefen alle drei »Bueno!« und es hatte in diesem Augenblicke den Anschein, als würden sie von einer religiösen Begeisterung – einem gemeinsamen Gelübde emporgehoben, welches auf Tod, Verderben und wo möglich auch auf Fälscherei berechnet war, da es sich gegen andersgläubige Menschen richtete.

Diese innere Uebereinstimmung räumte alle äußeren Bedenken und Zweifel aus dem Wege. »Ich habe eine kleine Nichte,« erzählte Victor, »welche wundervolle Arbeiten mit der Feder anzufertigen vermag. Wenn man zu ihr sagt: ›Carmen, copire mir dies oder jenes‹, so kann man sich darauf verlassen, daß sie es thut und wenn es auch auf einer Kupferplatte wäre, und nachher kann man nicht einmal angeben, welches von beiden das Original ist. Madre de dios! Vor einigen Tagen hat sie mir die »Rubrik«Eine spanische »Rubrik« besteht aus den künstlich verschlungenen Schnörkeln, welche die Unterschrift vervollständigen; sie ist ebenso charakteristisch und individuell als die Handschrift selbst des Gouverneur Pio Pico Strich für Strich so nachgemacht, daß sie von der wirklichen nicht zu unterscheiden ist. Du kennst sie, Miguel. Sie hat sich gestern nach dir erkundigt.«

Obwol Miguel verwirrt ward, wie Leute von mangelhafter Erziehung es bei solchen Anlässen zu werden pflegen, so bemühte er sich doch, gleichartig zu erscheinen, was ihm übrigens gänzlich mißglückte. Und in der That glaube ich, daß er wohl fühlte, daß Carmens schwarze Augen ihr Werk bereits an ihm vollendet hatten – und zum Theil Schuld daran waren, daß er sich um Victors Beihilfe bewarb. Es gelang ihm indessen, sich zu der Frage aufzuraffen:

»Aber wird sie denn nicht Alles durchschauen?«

»Sie ist ein Kind!«

»Allein wird sie nicht schwatzen?«

»Nicht wenn ich »nein« sage – und du auch .... He, Miguel?«

Diese kleine Schmeichelei, – welche nebenbei gesagt, eine Lüge war, denn Victors Nichte hegte nicht die mindeste Neigung für Miguel, hatte eine gute Wirkung. Sie schüttelten sich die Hände über dem Tisch. »Aber,« sagte Miguel, »was geschehen soll, muß gleich geschehen.« »Unverzüglich!« rief Victor »und du sollst selbst sehen, wie sie es macht. He! Ist dir das nicht ein angenehmer Gedanke? Nun, so komm!«

Miguel nickte dem Mexikaner Manuel einen Abschiedsgruß zu. »Wir werden in einer Stunde zurückkehren. Erwarte uns hier.«

Sie schritten hinaus auf die dunkle unregelmäßige Straße. Das Schicksal führte sie gerade in dem Augenblick an Dr. Guilds Hause vorüber, als Concho sich in den Sattel schwang. Die Dunkelheit verbarg sie vor ihren Nebenbuhlern, doch vernahmen sie deutlich die letzten Verhaltungsmaßregeln, welche der Präsident dem unglücklichen Concho einschärfte.

»Hast du es gehört?« sagte Miguel seinen Gefährten am Arm packend.

»Ja,« erwiderte Victor. »Aber laß ihn nur ruhig von dannen reiten, mein Freund; in einer einzigen Stunde besitzen wir Etwas, das uns einen Vorsprung von mehreren Jahren sichert,« und mit schadenfrohem Kichern schlichen sie ungesehen und ungehört weiter, bis sie plötzlich – um eine Ecke biegend – vor einem niedrigen Adobe-Hause (d. i. ein Gebäude, welches aus ungebrannten, an der Luft getrockneten Ziegelsteinen erbaut ist), Halt machten.

Dasselbe war einst ein recht stattliches Bauwerk gewesen; doch war es, wie ersichtlich, von dem nämlichen Loose betroffen, dem die übrigen Glücksgüter des Don Juan Briones anheimgefallen waren; denn sein Eigenthümer hatte es als letztes Brodstückchen dem dreiköpfigen Cerberus, welcher die plutonischen Schätze von El Refugio bewachte, dargeboten und dieser hatte es als einen einzigen Bissen verschlungen.

Es befand sich in sehr schlechtem Zustande. Die Furchen des rothen Ziegeldaches sahen aus, als seien sie das Resultat des Alters und der zernagenden Zeit. Das beste Zimmer hatte einen muffigen Geruch und der langsam um sich greifende Verfall verbreitete feuchte Moderdünste; nichts desto weniger hatten sich die spanischen Californier als erfahrene Baumeister erwiesen, denn die massiven Mauern und Wände des Hauses trotzten den Erschütterungen eines Erdbebens und bewirkten, daß im ganzen Jahre eine gleichmäßige Temperatur in seinem Innern herrschte.

Victor führte Miguel durch ein niedriges Vorzimmer in ein einfach möblirtes Gemach, in dem Carmen malend saß.

Nun aber war Fräulein Carmen mit ihrer allerliebsten Art der Ausführung ein Bischen von einer Malerin; sie empfand all die unbestimmte Sehnsucht eines Künstlers, doch fehlte ihr, wie ich fürchte, die unverwandt auf ein Ziel gerichtete Seele eines solchen. Sie besaß, wie man es wol bei einem Kinde zu finden pflegt, ein Gefühl für Schönheit und Formen, doch kein Verständniß für das Wesen derselben. Auch gelang es ihr nicht recht, ihre jugendlich jungfräulichen Stimmungen, welche sicherlich auch zugleich die Eingebungen der Natur waren, zu versinnlichen. Und so malte sie in kindlicher Anschauungslust Alles: Blumen, Vögel, Insecten, Landschaften und Menschen – mit einer erfreulichen Treue, aber ohne eigentliche Poesie. Der Vogel sang ihr stets nur das nämliche Lied; die Blumen und Bäume redeten zu ihr nur eine einzige Sprache und der Himmel strahlte für sie nie anders als in Farben. Eine große Geschicklichkeit besaß sie im Copiren katholischer Heiligenbilder; sie vermochte einen glattrasirten Aloysius mit süßlich ausdruckslosem Antlitz oder eine wassersüchtige, lethargische Madonna so getreu nachzuahmen, daß man die Copie von dem Werke des alten Meisters, und sei dasselbe auch noch so schlecht, nicht zu unterscheiden vermochte. Ihre Fähigkeit des genauen Reproducirens verrieth sie auch bei der Anfertigung von kunstvoll verzierten Initialen und letzthin sogar in der Nachahmung von Namenszügen und Unterschriften. Und in der That hatte sie sich, da sie ungemein viel Formensinn besaß, im Kloster stets durch eine schöne Handschrift ausgezeichnet, ein Talent, welches die guten Schwestern hoch in Ehren hielten.

Ihre äußere Erscheinung war »petite«, ihre Gestalt mädchenhaft und unfertig, der Rücken vielleicht ein wenig zu flach; auch erinnerte ihr Gang hin und wieder an den eines Knaben. Ihre von blauschwarzem Haar bedeckte Stirn war niedrig, offen und ehrlich; ihre dunklen Augen hatten ein tiefes Nußbraun; sie waren nicht sonderlich groß; doch bargen die melancholischen Augenlider eine schwere Fracht von schlummernder Leidenschaft; ihre Nase trug jenen unbedeutenden Charakter, der sich in keines Menschen Erinnerung einprägt; ihr Mund war klein und gerade, ihre Zähne weiß und regelmäßig. Der Gesammtausdruck ihres Gesichtes war piquante Sprödigkeit, die durch eine zarte Neigung gedämpft oder durch zornige Regungen in Haß ausarten konnte; zur Zeit glich dieselbe noch einem Salat, in dem sich Oel und Essig trefflich vermischten. Die scharfsichtige Leserin wird sofort zu der Erkenntniß gelangen, daß diese Kritik einen Beweis liefert für die dem männlichen Geschlechte eigene oberflächliche Beurtheilungsweise und sie wird sich daher nicht nur über den Charakter der jungen Dame, sondern auch über die Competenz des Kritikers ein selbstständiges Urtheil bilden. Ich kann darauf nur erwidern, daß Carmen de Haro mir persönlich lieb und werth war. Auch spielt sie in dieser wahren Geschichte eine durchaus nicht unbedeutende Rolle.

Sie blickte auf, erhob sich rasch von ihrem Sitze und schaute den Eindringling an, indem sie ihre schwarzen Augenbrauen zusammenzog. Auf einen Wink ihres Onkels zeigte sie jedoch ihre weißen Zähne und begann zu sprechen.

Es war nur eine einzige Redensart und noch dazu eine sehr gewöhnliche und doch würden ihr, wenn sie im Stande gewesen wäre, ihre Stimme auf die Leinewand zu heften, die Glücksgüter der Garcias wieder zugeströmt sein, denn ihre Stimme war so wohllautend, so zart, so herzgewinnend, so melodisch, so ganz erfüllt von der Anmuth der Weiblichkeit, daß man hätte glauben können, sie habe die Ausdrucksweise ersonnen. Und doch war jene Phrase nichts als eine verblümte Form des »Wie geht es Ihnen?« welches aus dem Munde meiner schönen Landsmänninnen entweder wie ein Gewimmer, oder ein Gejammer oder ein Gelispel oder ein Geplapper klingt.

Miguel bewunderte ihre Malereien. Die Bleistiftzeichnung eines Maulthieres fesselte namentlich seine Aufmerksamkeit. »Mutter Gottes, das ist ein Maulthier, wie es leibt und lebt! Sieh nur – es will nicht vom Flecke.«

Der durchtriebene Victor fiel ihm jedoch ins Wort: »Aber das ist nichts im Vergleich zu ihren Schreibekünsten; schau her und sage mir: welches ist die Unterschrift von Pio Pico?« Mit diesen Worten zog er aus einem der Schubfächer des Secretairs zwei Signaturen. Die eine befand sich auf einem vergilbten Papier, die andere war auf einem einfachen, weißen Folioblatt geschrieben. Natürlich griff Miguel mit der Galanterie eines Verliebten nach demjenigen Papier, welches neuer aussah. »Dies ist die rechte Unterschrift!« Victor lachte triumphirend; und voll kindlicher Lust stimmte Carmen mit melodischen Tönen in das Gelächter ein und setzte dann hinzu, indem sie ihr eigenartiges Köpfen ein wenig zurückwarf: »Das ist die meinige!« – Die Besten ihres Geschlechtes weisen niemals ein gerechtes, ihnen im reichlichen Maße gebührendes Lob zurück und käme es auch aus dem Munde eines Mannes, der ihnen mißfällt. Fragen sie doch nur nach dem Urtheil selbst und nicht nach dem Gefühl, das es hervorrief.

Allein Victor gab sich mit den Geschicklichkeitsbeweisen seiner Nichte noch nicht zufrieden. »Sage ihr« sprach er zu Miguel, »wessen Namenszug du einmal sehen möchtest, und sie soll ihn dir unter deinen Augen anfertigen.« Miguel war nicht zu sehr verliebt, als daß er nicht sofort gemerkt hätte, welchen Wink ihm Victor mit dieser Andeutung zu geben wünschte, und er äußerte daher, daß die Rubrik des Gouverneur Michaltorena außerordentlich kunstvoll und schwierig herzustellen sei. »Sie soll dieselbe sofort copiren«, erwiderte Victor mit großer Entschiedenheit.

Aus einem Stapel staubiger Acten ward die Unterschrift des Gouverneurs hervorgesucht und sodann ward dem jungen Mädchen der vielverschlungene Namenszug vorgelegt, der seiner verstorbenen Excellenz in ihren Jugendtagen manche Müh' und Noth verursacht haben mochte.

Carmen nahm die Feder zur Hand und verglich das bräunlich aussehende Document mit der jungfräulichen Weiße des vor ihr liegenden Folioblattes. »Aber«, sagte sie mit reizendem Schmollen, »ich müßte vor allen Dingen dieses weiße Papier braun anmalen. Auch wird es die Tinte schneller aufsaugen, als jenes. Als ich für den Vater Acolti den San Antonio der Mission San Gabriel malte, da hatte ich mit Oelfarbe und Pinsel die Zeichen des Alters nachzuahmen, ehe der gute Padre zufriedengestellt war.«

Die beiden Schurken blickten einander an. Es war dies ihr erhabenstes Moment. »Wenn ich nicht irre,« sagte Victor mit erkünstelter Gleichgiltigkeit, »so besitze ich noch etwas von dem alten Custom-House-Papier.« Er nahm aus dem Schreibtisch einen Bogen braunen, mit einem Stempel versehenen Papieres und fragte: »Paßt dieses besser?«

Carmen lächelte mit kindlichem Entzücken, wagte den Versuch und vollbrachte ein Wunder. »Das ist Zauberei,« sagte Miguel und that, als schlage er ein Kreuz.

Victors Rolle war ernster: er heuchelte eine tiefe Rührung, nahm das Papier, faltete es zusammen und legte es auf seine Brust. »Ich habe die Absicht, Don José Castro damit hinter das Licht zu führen,« sagte er, »er wird behaupten, es sei die eigenhändige Unterschrift des Gouverneurs, der sein Freund gewesen ist. Gib Acht, Carmen, daß du mir den Spaß nicht dadurch verdirbst, daß du ihn über deine rothen Lippen springen lässest. Sobald ich ihn gehänselt habe, will ich ihm von diesem Wunderkinde, meiner Nichte, erzählen und dann wird er ihr Bilder abkaufen. He, Schätzchen!« Nach diesen Worten belohnte er sie mit einer oheimlichen Liebkosung, das heißt, er gab ihr einen Liebesschlag auf jede Wange und einen Kuß obendrein. Miguel beneidete ihn; allein die Habsucht schlug den Gott der Liebe aus dem Felde und gleich darauf erlahmte die Unterhaltung, bis es Victor zu rechter Zeit in den Sinn kam, daß er und sein Kamerad versprochen hatten, um zehn Uhr an der Posada del Toros zu sein und er hierdurch eine günstige Gelegenheit fand, sich zurückzuziehen.

Doch geschah das nicht, ohne daß Carmen noch zufälligerweise einen Pfeil abschoß. »Sagt mir,« bat sie sich theils an Victor und theils an Miguel wendend, »was mag unserm Concho zugestoßen sein? Er war sonst stets bereit, mir Blumen aus den Bergen zu bringen und Vögel und Insecten. Auch weißt du, o mein Onkel, wie oft er hier neben mir gesessen und mir von den seltsamen Felsenklüften, die er gesehen hat, und von Bären und bösen Geistern erzählte. Und nun kehrt er, mein Concho, nicht zu mir zurück! Wie mag das zugehen? Es wird ihn doch hoffentlich kein Unglück getroffen haben,« und ihre tiefherabhängenden Augen schlossen sich schmerzbewegt.

Miguels Eifersucht fing Feuer. »Er ist betrunken, Señorita; das ist außer aller Frage und er hat nicht nur dich, sondern auch seine Mauleselin und seine Habseligkeiten vergessen. Das ist so seine Gewohnheit. Ha, Ha!«

Die rothe Farbe erlosch auf Carmens schwellenden Lippen, und mit schnappendem Laut schlossen sich dieselben gleich einer stählernen Börse. Die Taube hatte sich urplötzlich in einen Habicht verwandelt, das arglose Mädchen in eine antike Amazone und der Geist irgend einer jähzornigen Ahnfrau aus der Familie der Garcia, von dem sich bisher nur ein Anflug in ihrem Gesichte gezeigt hatte, kam nunmehr deutlich zum Vorschein. Sie warf einen raschen Blick auf ihren Oheim, stemmte die kleinen Hände auf die steifen Hüften und trat mit zwei Schritten auf Miguel zu.

»Höchst wahrscheinlich, Señor Miguel Dominguez Perez! (hier erfolgte eine tiefe Verbeugung) hat es sich so zugetragen, wie du sagst. Es mag sein, daß Concho ein Trunkenbold ist; aber trunken oder nüchtern, hat er doch niemals Jemandem den Rücken gekehrt, weder seinem Freunde, noch (diese Worte hatten einen etwas höhnischen Ton) seinem Feinde!«

Miguel wollte etwas erwidern; doch Victor kam ihm zuvor. »Du Narr!« sagte er, ihn in den Arm kneifend. »Er ist ein alter Freund, – und – und die Eingabe muß ja auch noch ausgefüllt werden. Bist du von Sinnen?«

Aber in diesem Punkte war es Miguel keineswegs und daher ließ er sich von Victor fortführen, doch gesellte sich fortan zu seinen Leidenschaften noch der Rachedurst eines Nebenbuhlers.

Bei ihrer Rückkehr in die Fonda fanden sie, daß der junge Herr Manuel im Aguardiente und in seinem Groll gegen alle Americanos allzu große Fortschritte gemacht hatte, um ihnen noch in irgend einer Weise nützen zu können. Und so arbeiteten sie allein mit Feder, Tinte und Papier in der qualmigen, von Cigaritowolken erfüllten Hinterstube der Fonda.

Um Mitternacht – also zwei Stunden, nachdem Concho aufgebrochen war – gab Miguel seinem Pferde die Sporen und lenkte es dem Dorfe Tres Pinos zu. In seiner Tasche befand sich wohlverwahrt eine Eingabe an den Gouverneur Micheltorena, welche sich auf eine Schenkungsurkunde über den »Rancho der rothen Felsen« bezog.


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