Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

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Dritter Theil

Zehntes Kapitel.

Wer für die Mine agitirte.

Ein Junitag in Washington! Bereits früh Morgens, als die Sonne noch in der nämlichen Höhe mit den Köpfen der durch die breiten schattenlosen Straßen wandernden Fußgänger stand, war es unerträglich heiß. Später am Tage flimmerten die Häuserreihen nicht minder als die divergirenden Strahlen jener zweiten Sonne, des Capitols,Das Sitzungslokal des gesetzgebenden Körpers welches dem unbeschützten Auge ein Gegenstand war, den es zu vermeiden suchte. Je mehr die Stunden vorrückten, um so heißer wurde es, und dann stieg vom Potomac ein Nebel empor, der das schimmernde Himmelsgewölbe verhüllte und bald darauf thürmten sich am Horizonte trügerische Gewitterwolken über einander, welche ihre Kraft und ihren Inhalt anderswo entluden und, von dannen ziehend, die Schwüle der Luft eher vermehrten als verminderten. Gegen Abend kam die Sonne neugestärkt zum Vorschein, nachdem sie sich zuvor die feuchten Tropfen von der himmlischen Stirn gewischt hatte, ohne jedoch die Fieberglut derselben abzuschwächen.

Die Stadt war verödet. Die wenigen zurückgebliebenen Einwohner vergruben sich, um dem stechenden Auge des Tages zu entfliehen, in irgend einem dunklen, klosterartigen Winkel, einem Laden, einem Hôtel oder einer Restauration, und der von der Helligkeit da draußen geblendete, schweißtriefende Fremdling, der sie aus ihrer stumpfen Ruhe aufschreckte, stieß unerwartet auf gespenstische Erscheinungen, die, offenbar der Vergangenheit angehörend, ohne Hemdkragen und ohne Röcke, mit einem Fächer in der Hand, ihn empfingen und unverzüglich in ihren Zauberschlaf zurücksanken, so bald sie die geschäftlichen Angelegenheiten in einem Zustande vor Schlummertrunkenheit erledigt hatten und der Fremde wieder fortgegangen war. Viele der Congreßmitglieder und Senatoren waren bereits längst zu ihren Wählern zurückgekehrt und hatten, indem sie ihre Mittheilungen aus der Hauptstadt den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Wählerschaft anpaßten, entweder daheim erzählt, das Land gehe seinem Ruin entgegen oder die Kunde ausgestreut, daß der Stand der Dinge in keinem Jahre so hoffnungsvoll und aussichtsreich gewesen sei, wie in dem jetzigen. – Nur wenige Mitglieder des Cabinetsrathes befanden sich noch in der Stadt und diese hatten sich – da sie zu der Erkenntniß gelangt waren, daß sie keine einzige Angelegenheit nach ihrem Sinn durchzuführen vermochten, sondern auf jeden Erfolg verzichten mußten, sobald sie nicht Alles auf die altherkömmliche Weise handhabten – mürrisch und verstimmt in ihr Schicksal ergeben. Auch das, aus gebildeten kenntnißreichen Männern bestehende Collegium, welches das höchste Gesetzestribunal des Landes repräsentirt, verweilte noch in Washington, da es sich in dem Wahn befand, es leiste hiermit dem Staate einen Dienst und mache sich des kärglichen, ihm von den sparsamen Begründern der Regierung ausgesetzten Gehaltes würdig, wenn es geduldig den Argumenten eines Rechtsanwaltes lausche, der für die Geltendmachung der dem Tribunal vorzulegenden Gesuche ein Honorar einnahm, welches das lebenslängliche Einkommen von mindestens der Hälfte des Collegiums gedeckt haben würde. Auch der Herr Staatsanwalt und seine Unterbeamten waren noch zugegen; sie schützten mit vereinter Kraft nach wie vor treulichst die Millionen der Regierung vor räuberischen Händen und nahmen dafür vom Staat ein jährliches Salair entgegen, welches ihre wohlhabenderen privatisirenden Collegen ihren jüngeren Berufsgenossen kaum als eine Gebühranzahlung hätten anbieten mögen.

Außerdem befand sich noch in Washington die kleine stehende Armee der Beamten des Ministeriums, die hilflosen Opfer der sinnlosesten und verrücktesten Form der Disciplin, welche die Welt je sah, einer Disciplin, die so sehr aus Laune, kriechender Unterwürfigkeit, Feigheit und Tyrannei zusammengesetzt war, daß ihre Reform einer Revolution, wie sie nun und nimmermehr von Gesetzgebern und Räthen geduldet werden darf, gleich gekommen wäre oder aber einen Despotismus bedeutet hätte, demzufolge ein halb Dutzend zufällig erwählter Männer ihre Vorurtheile und Wünsche derartig auslegten, als werde durch die Erfüllung derselben jene Reform bewirkt. Verwaltung nach Verwaltung, Partei nach Partei hatte die verzweiflungsvollsten Versuche gemacht, die jugendliche, von unsern Vätern nach einer längst veralteten Mode gefertigte Gewandung der Colonisten der umfangreichen Gestalt und dem muskulösen Körperbau einer reifen Nation anzupassen. Hier und dort sah man Flicken; hier und dort zeigten sich betrübende Risse und Löcher und überall traten an den ausgewachsenen Gliedern entblößte, theils Lachen, theils Unbehagen erregende Stellen hervor und die am Ruder stehenden und die nicht am Ruder stehenden Parteien stickten und stückten, stopften und reinigten, rieben und bürsteten unausgesetzt und machten zuweilen, von Verzweiflung getrieben, den Vorschlag, die rebellischen Glieder abzuschneiden, welche trotz aller Vorsichtsmaßregeln den Windeln ihrer Kindheit entwachsen waren.

Es war in der That eine mit Widersprüchen und Widersinnigkeiten erfüllte Hauptstadt. An dem einen Ende der Straße residirte der verantwortliche Erhalter und Mehrer der militärischen Ehre, des Ruhmes und der Kriegstüchtigkeit einer namhaften Großmacht und dieser besaß nicht einmal die Macht, seinen Truppen rechtzeitig den ihnen gesetzlich zukommenden Sold auszuzahlen; sondern mußte sich vielmehr gedulden, bis diese oder jene Partei ihren aus Sonderinteressen entsprungenen Hader ausgeglichen hatte. Unmittelbar neben ihm wohnte ein zweiter Minister, dessen Amt es zu sein schien, dafür Sorge zu tragen, daß die Nation im Auslande möglichst schlecht und zwar durch den am wenigsten charakteristischen Theil des Volkes – das heißt durch diejenigen Politiker vertreten werde, welche daheim aus dem Felde geschlagen und von ihrer Wählerschaft nicht mehr mit den Verpflichtungen eines Abgeordneten betraut wurden. Diese nationale Widersinnigkeit fand ihres Gleichen nur in jener andern, derzufolge man von einem Politiker außer Dienst erwartete, daß derselbe vier Jahre lang die Ehre der Flagge einer Großmacht auf einem Ocean wahren könne, den er nie befahren und eine Disciplin aufrecht zu erhalten vermöge, deren Anfangsgründe vor seiner Absetzung oder vor dem Ablauf seiner Dienstzeit er kaum zu erlernen im Stande gewesen war; – und dieser Mann erhielt seine Weisungen von einem Vorgesetzten, der ebenso wenig Einblick in die ihm obliegenden Pflichten besaß und war der Revision eines Congresses unterworfen, dessen Mitglieder ihn nur als Politiker beurtheilten. An dem äußersten Ende der Straße befand sich ein Ministerium, welches so unermeßlich in seiner Ausdehnung und so mannichfach in seinen Functionen war, daß sich nur wenige der in Wahrheit großen Nationalökonomen des Landes – und hätte man ihnen auch ein zehnfach erhöhtes Salair angeboten – entschlossen haben würden, die Verwaltung desselben zu übernehmen und dennoch legte die vollkommenste Staatsverfassung der Welt, dieses verantwortliche Amt Jahr aus, Jahr ein in die Hand von Männern, welche sich genöthigt sahen, es als die Anfangsstufe zu einer besseren Beförderung zu benutzen. Ferner gab es noch ein anderes Ministerium, das den finanziellen Charakter seiner Pflichten gelegentlich durch die in seinen Zahlungslisten hervortretende Verschwendungssucht oder Sparsamkeit bekundete, nachdem eine Reihe von Congressen ihm andere Angelegenheiten aus der Hand genommen hatte und das unter der Leitung eines Beamten stand, welcher den Titel und die Verantwortlichkeit eines Seckel- und Zahlmeisters der Staatsbörse trug und einen Sold erhielt, über den ein Bankdirector die Nase gerümpft haben würde. War es doch ein Bestandtheil dieser constitutionellen Widersinnigkeit und dieser administrativen Abgeschmacktheit, daß man in allen Fragen der Ehre, Gerechtigkeit, Amtstreue, ja selbst der geschäftlichen Lauterkeit erwartete, daß der Beamte höher stehen solle, als die Regierung, die er vertrat! Und dieser Widersinnigkeit ward noch dadurch die Krone aufgesetzt, daß man von Zeit zu Zeit das souveraine Volk aufforderte, zu erklären, ob diese vielen Widersinnigkeiten in Wahrheit der vollkommene Ausdruck der vollkommensten Regierung wären, welche die Welt je gesehen habe. Und die einstimmige Antwort der Volksvertreter, der Redner und der unbeeinflußten Dichtergarde lautete, daß es der Fall sei.

Selbst die öffentliche Presse verschmähte es nicht, dieser allgemeinen Widersinnigkeit die Hand zu reichen. Der Zeitung, welche diesseits der Avenue herauskam, war es so klar wie Krystall, daß das Land auf den Hund komme, wenn nicht der »Geist« der Väter das Volk durchdringe und belebe; nicht minder klar aber war es der auf der andern Seite der Avenue veröffentlichten Zeitung, daß die Nation nur durch ein starres Festhalten an dem »Buchstaben« der von den Vätern hinterlassenen Institutionen gerettet werden könne. Natürlich durchschaute die ersterwähnte Zeitung sofort, daß das Wort »Buchstabe« nichts Anderes bedeutete als die dem feindlichen Journale zugewandte Gönnerschaft der am Ruder befindlichen Partei, und diesem Organ war es hinwiederum einleuchtend, daß nur die »Silberlinge« des Senator X. es waren, welche dem Geiste der Väter das Wort redeten. Und trotzdem stimmten Alle darin überein, daß man eine gute und vollkommene Regierung besitze, die nur den einen Mangel habe, daß sie nicht die räuberischen Eingriffe jenes hydraköpfigen Ungeheuers abzuwehren vermöge, das unter dem Namen »Ring« bekannt war. Die Entstehung des Ringes war ein Geheimniß, seine Fruchtbarkeit beunruhigend; allein obgleich seine Gefräßigkeit alles Maß überstieg, so war doch seine Verdauung normal und leicht. Er hüllte jedwede Angelegenheit in ein geheimnißvolles Dunkel; er bedeckte Alles mit den Staub- und den Aschenwolken des Mißtrauens. Jede vereitelte Hoffnung auf eine Anstellung, alle Uebergriffe der Habsucht, des Ehrgeizes und des Unverstandes waren nachweisbar durch ihn veranlaßt. Er drang sogar in das häusliche und gesellschaftliche Leben der Bürger ein; in der Küche und in der Gesindestube entstanden Ringe; auch in den öffentlichen Schulen entsprangen die Abkömmlinge dieser Species und bemühten sich, die Intelligenz der Kinder zu dämpfen; es gab Ringe, die aus einnehmenden, hübschen jungen Wüstlingen bestanden, welche uns tugendhaften aber uneinnehmenden älteren Herren die Gunst des schönen Geschlechts abspenstig machten; auch bildeten sich aalglatte, verleumderische Ringe in der Schaar unserer Gläubiger, welche uns zur Insolvenzerklärung trieben und unsern Credit untergruben. Und in der That wäre es durchaus nicht gewagt, wollte man die Behauptung aufstellen, daß alles Elend, das Einem im öffentlichen oder privaten Leben entgegentrat, sich unzweifelhaft auf jenes heimliche, mit dem Namen »Ring« bezeichnete Bündniß zurückführen ließ, demzufolge die vereinigte Kraft einer Minorität über die Schwachheit einer Majorität siegte.

Glücklicherweise besaß das Land eine Anzahl von Halbgöttern, die es bisher noch nicht zu Hilfe gerufen hatte, die jedoch im Fall der Noth Alles schleunigst in Ordnung zu bringen vermochten. Sobald Smith von Minnesota, Robinson von Vermont und Jones von Georgia ihr ländliches Stillleben aufgebend, mit einer Fülle von Aufklärungen und frei von jeglichen particularistischen Vorurtheilen, in den Congreß zurückkehrten, so ahnte Jedermann im Voraus, daß große Thaten vollbracht werden würden. Und so war es stets. Bisher war noch niemals in der Geschichte der amerikanischen Politik der Zeitpunkt eingetreten, der uns nicht – (wir bedienen uns der Ausdrücke der obenerwähnten Zeitungen) – zu der Hoffnung berechtigt hätte, »daß die gegenwärtige Congreß-Session die bedeutsamste werde, die unsere Geschichte aufzuweisen habe,« und trotzdem war noch nie eine Session geschlossen, die nicht factisch einen ungeheuren Haufen wichtiger, hoffnungsloser und unerledigter Angelegenheiten auf ihren Pulten hätten liegen lassen, nachdem sie den übrigen Theil der vorliegenden Fragen ebenso unzerkaut, ebenso rasch und mit ebenso wenig Rücksicht auf die Verdauung und den Ernährungsproceß »hinuntergeschluckt« hatte, wie die amerikanischen Reisenden die ihnen auf einer Eisenbahnstation gebotenen Erfrischungen.

In dieser Hauptstadt und an diesem erschlaffenden Junitage finden wir den ehrenwerthen Herrn Gashwiler in einem der oberen Zimmer eines Hôtels zweiten Ranges an seinem Schreibtische sitzend. Es gibt gewisse fleischige Menschen, bei denen schon das Fehlen der Halsbinde oder des Hemdkragens den Eindruck einer unzüchtigen Entblößung hervorbringt. Der ehrenwerthe Herr Gashwiler bot in Beinkleidern und Hemd einen Anblick dar, der ein sittsames Auge verletzt hätte. Das kleine Streifchen Hals, das in Folge seines unvollständigen Anzuges, sichtbar ward, ließ in so augenfälliger Weise das Vorhandensein enormer Massen fettigen Fleisches vermuthen, daß er wohl gethan haben würde, sein Dishabilée ebenso geheim zu halten, wie seine geschäftlichen Angelegenheiten. Nichtsdestoweniger rief er unbedenklich »Herein«, als an seine Thür geklopft ward. Sodann stellte er einen, mit einem gewissen aromatischen Trank bis zum Rande gefüllten Becher mit der rechten Hand auf eine andere Stelle, während er mit der linken einige Correcturbogen hervorholte, auf welchen seine demnächst erscheinende Rede gedruckt war. Gleichzeitig trat auf seiner Stirn der Ausdruck intelligenter Zerstreutheit hervor.

Der Eintretende bewies dem ehrenwerthen Gashwiler seine Hochachtung, indem er ihm mit seinem rechten Auge einen Blick cordialer Vertrautheit zuwarf; sein linkes hielt inzwischen eine rasche Rundschau über die auf dem Tische liegenden Papiere und funkelte höhnisch.

»Sie sind beschäftigt, wie ich sehe,« sagte er, als fürchte er, gestört zu haben.

»Ja,« erwiderte das Kongreßmitglied mit einer Miene, die auf eine geschäftliche Ueberbürdung schließen ließ. »Ich corrigirte eine meiner Reden. Die verwünschten Setzer drucken Unsinn über Unsinn. Allerdings pflege ich nicht sehr leserlich zu schreiben.«

Wenn der hochbegabte Gashwiler hinzugefügt hätte, daß er weder etwas Gescheidtes, noch etwas grammatisch Richtiges zu schreiben pflege und obendrein mit der Orthographie auf gespanntem Fuße stehe, so würde er die Wahrheit berichtet haben, obwol das vor ihm liegende Manuscript und die Correcturbogen das Gegentheil zu beweisen schienen. Des Pudels Kern war, daß die Rede von einem jungen Sachwalter Namens Dobbs, der von Gashwiler beschäftigt wurde, verfaßt und ausgearbeitet war und daß sich die Correcturthätigkeit des ehrenwerthen Congreßmitgliedes daher lediglich darauf beschränkte, dem Texte hier und da willkürlich und ohne dadurch eine Verbesserung des Schriftstückes zu bewirken, Worte wie: Anarchie, Oligarchie, Satrap, argusäugig u. s. w. einzufügen.

Der Fremde bemerkte das Alles mit seinem boshaften linken Auge, fuhr aber dennoch fort, aus seinem rechten Auge wohlwollende Strahlen zu entsenden. Gashwilers Rock und Weste forträumend, machte er einen Stuhl frei, zog denselben an den Tisch, schob eine neben ihm liegende, auffällige, lauttickende Uhr, die eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Gashwiler hatte, zur Seite, stemmte beide Ellenbogen auf die Correcturblätter und sagte:

»Nun?«

»Ist irgend etwas Neues in der Mühle?« fragte der diplomatische Gashwiler.

»Sehr viel! Ein Frauenzimmer!« erwiderte der Fremde.

Der schlaue Gashwiler beschloß diese Mittheilung, in Erwartung fernerer Eröffnungen, in scherzhafter und zuvorkommender Weise entgegen zu nehmen. »Ein Frauenzimmer? Was Sie sagen, mein lieber Herr Wiles! Die herzigen Dinger,« fuhr er mit widerlichem, im Fett erstickenden Kichern fort, »wissen ihre bezaubernde Persönlichkeit stets bemerkbar zu machen. Ha! Ha! Ein Mann, mein Herr, der wie ich im öffentlichen Leben steht, kennt das von A bis Z und weiß, wann er liebenswürdig sein muß, liebenswürdig aber unerschütterlich. Ich habe in dieser Beziehung manche Erfahrung gemacht, Herr Wiles, und habe so meine eigenen Ansichten über diesen Punkt,« also sprechend, lehnte sich das Congreßmitglied in seinen Stuhl zurück, und war in diesem Augenblicke einem robusten St. Antonius nicht unähnlich, welcher der einen Versuchung Widerstand geleistet hat, um sich der anderen zu ergeben.

»Schon gut,« sagte Wiles ungeduldig, »aber, zum Henker, sie hält es mit der anderen Partei.«

»Mit der anderen Partei!« wiederholte Gashwiler gedankenlos.

»Allerdings. Sie ist eine Nichte von Garcia. Ein kleiner, weiblicher Teufel.«

»Aber Garcia ist ja auf unserer Seite,« entgegnete Gashwiler.

»Ja, aber sie ist von dem Ring bestochen.«

»Pah!« sagte Herr Gashwiler verächtlich, »was kann ein Frauenzimmer Männern anhaben, die sich nicht am Narrenseil herumführen lassen? Ist sie denn so außerordentlich hübsch?«

»Ich kann nichts besonders Schönes an ihr finden,« sagte Wiles verdrießlich, »doch sagt man, daß sie den verfluchten Thatcher trotz seiner Unnahbarkeit eingefangen hat. Jedenfalls protegirt er sie. Uebrigens gehört sie nicht zu der Sorte von Frauenzimmern, an die Sie denken, Gashwiler. Wie verlautet, weiß sie etwas, oder gibt vor, etwas über die Schenkungsurkunde zu wissen. Es ist nicht unmöglich, daß ihr einige von den Papieren ihres Onkels in die Hände gefallen sind. Dieses mexikanische Gesindel ist verflucht leichtsinnig und wenn Garcia etwas Dummes gethan hat, so wett' ich drauf, daß er sich von ihr hat in die Karten sehen lassen. Und das bei seinen Kenntnissen und den günstigen Gelegenheiten, die ihm in den Schooß fallen! »Wahrhaftig, wenn ich an seiner Stelle wäre ...« Doch hier hielt Herr Wiles inne, um über die Ungerechtigkeit des Schicksals zu seufzen, das »die günstigen Gelegenheiten« an einen Gauner verschwendete, der ihm an Geschicklichkeit nachstand.

Herr Gashwiler nahm eine würdevolle Miene an. »Sie kann uns nichts thun,« sagte er mit Salbung.

Wiles richtete sein boshaftes Auge ihm zu. »Manuel und Miguel, die ihr Anrecht an unsere Partei verkauften,« sagte er, »fürchten sich in Wahrheit vor ihr. Sie sind unsere Zeugen gewesen. Ich glaube bestimmt, daß sie alle Aussagen wiederrufen, wenn dies Mädchen ihnen auf den Pelz rückt. Und was Pedro anbelangt, nun – der glaubt felsenfest, daß sie die Macht hat, ihn vom Leben zum Tode zu bringen.«

»Pedro! Vom Leben zum Tode? – Was bedeutet das Alles?« sagte der erstaunte Gashwiler.

Wiles fühlte, daß er einen Fehler begangen hatte, doch hielt er es nicht für rathsam, jetzt, wo er so weit gegangen war, inne zu halten. »Pedro hat in dem Verdacht gestanden, Concho, einen der ersten Besitzergreifer der Mine, ermordet zu haben.« erklärte er.

Herrn Gashwilers Angesicht ward so bleich, wie ein Stück Papier; und dann wurde es wieder von einer apoplectischen Glut überströmt. »Haben Sie die Kühnheit zu behaupten,« rief er, sobald er den Gebrauch seiner Zunge und seiner Beine wiederfand, denn diese beiden verschiedenartigen Glieder seines Körpers pflegten ihn bei der Ausübung seiner Congreßpflichten in gleichem Maße zu unterstützen. »Wollen Sie etwa damit andeuten,« stotterte er in steigender Wuth, »daß Sie es gewagt haben, einen der Gesetzgeber der Vereinigten Staaten in eine Affaire zu verwickeln, die mit einem todeswürdigen Verbrechen in Zusammenhang steht? Habe ich Sie recht verstanden? Ist in den Gerichtsacten – sage – in den Gerichtsacten! – von einem Morde die Rede, der diejenige Sache schändet, welcher ich – der Abgeordnete von Remus – vor aller Welt meinen Beistand geliehen habe? Wollen Sie mir damit sagen, daß Sie meine Wählerschaft, deren heiliges Vertrauen ich besitze, schmählich hintergangen, indem Sie mich zu verführen suchten, ein Verbrechen vor den Argusaugen der Justiz zu verbergen?« Und Herr Gashwiler blickte nach dem Glockenzug, als habe er die Absicht, einen Diener herbeizubeordern, damit derselbe nöthigenfalls dieses Majestätsverbrechen gegen die gerichtliche Obrigkeit bezeugen könne.

»Der Mord – wenn es überhaupt ein Mord war – fand statt, ehe Garcia seine Eingabe einreichte, und ehe er einen Fuß in den Gerichtshof gesetzt hat,« entgegnete Wiles milde, »und daher bildet derselbe keinen Theil der Acten.«

»Sie wissen mit Sicherheit, daß in den Acten kein Wort davon steht?«

»Allerdings weiß ich es. Uebrigens können Sie sich ja durch eigene Anschauung überzeugen.«

Herr Gashwiler trat an das Fenster, kehrte zu dem Tisch zurück, leerte seinen Becher mit einem einzigen Zug und sagte dann, indem er in seinen salbungsvollen Ton zurückfiel:

»Das ändert die Sache.«

Wiles warf mit dem linken Auge einen flüchtigen Blick auf den Congreßmann; das rechte schaute indessen sinnend aus dem Fenster. Sodann sagte er mit großem Gleichmuth: »Ich habe Ihnen die Actiencertificate mitgebracht; sollen dieselben auf Ihren Namen ausgestellt werden?«

Gashwiler bemühte sich, zu thun, als müsse er sein Gedächtniß anstrengen, um Wiles Frage zu verstehen. »Ah – so! Hm! Hm! Warten Sie einen Augenblick! O ja, jetzt fällt es mir ein, ganz recht, die Actiencertificate! Stellen Sie dieselben gefälligst auf den Namen des jungen Dobbs, meines Privatsecretairs in spe, aus. Sie werden ihn vielleicht für die vielen Schreibereien entschädigen, die ihm aus der Geltendmachung ihrer Rechtsansprüche erwachsen sind. Er ist ein achtungswerther junger Mensch. Obgleich er kein Staatsbeamter ist, steht er mir doch so nahe, daß ich, was ich vielleicht nicht sollte, ihm für Privatarbeiten gern eine kleine Nebeneinnahme gestatte. Als amerikanischer Abgeordneter kann man übrigens nicht vorsichtig genug sein, Herr Wiles. Vielleicht ist es besser, Sie lassen sich auch noch ein Blankett ausstellen. Das Stammcapital ist noch eine Sache der Zukunft, falls ich Sie recht verstanden habe. Herr Dobbs ist, obwol er sehr begabt und strebsam ist, arm zu nennen; er möchte den Wunsch hegen, das Papier zu versilbern. Wenn Jemand – hm, z. B. irgend ein guter, besser situirter Freund geneigt sein würde, ihm den Betrag in baarem Gelde auszuzahlen und das Risico auf sich zu nehmen, nun, so würde das ein Act der Humanität sein.«

»Ihre Hochherzigkeit ist sprichwörtlich, Herr Gashwiler,« sagte Wiles, mit seinem linken Auge, das er wie eine Diebeslaterne auf- und zuklappte, den menschenfreundlichen Abgeordneten musternd.

»Junge Leute, die treu und willig sind, sollte man stets ermuthigen,« erwiderte Gashwiler. »Ich habe letzthin Gelegenheit gehabt, diesen Punkt in einer Rede zu erörtern, die ich in dem Remuser Sonntagsschulen-Verein gehalten habe. – Danke! – Ich werde dafür sorgen, daß er sie – hm – daß er sie erhält. Ich will sie ihm eigenhändig überreichen.« Nach diesen Worten nahm er in seinem Sessel eine bequemere Lage ein, vermuthlich um sich mit um so größerer Sammlung an der Perspective weiden zu können, welche ihm seine außerordentliche Großmuth und Leutseligkeit darbot. Herr Wiles ergriff seinen Hut und schickte sich zum Fortgehen an. Doch noch ehe er die Thüre erreicht hatte, kehrte Gashwiler auf das Niveau einer freundschaftlichen Unterhaltung zurück und sagte kichernd:

»Sie behaupten, daß dieses Frauenzimmer – ich meine Garcia's Nichte – hübsch und schlau ist?«

»Ja.«

»Nun, ich kann mit einem anderen Frauenzimmer ins Feld rücken, dem es ein Kleines ist, ihr gehörig die Hölle heiß zu machen.«

Wiles war zu klug, um eine Verwunderung über den urplötzlich veränderten Ton des sonst so würdevollen Congreßmitgliedes an den Tag zu legen; sein rechtes Auge sagte nur: »So! Kannst du das?«

»Bei dem Gottseibeiuns! Ich kann es und ich thue es, oder ich will zugeben, daß ich unfähig bin, Remus zu vertreten.«

Wiles dankte ihm mit seinem rechten Auge; tödtlicher Haß blitzte in seinem linken. »Gut,« sagte er und fügte dann mit einschmeichelndem Tone hinzu: »Hält sie sich hier am Orte auf?«

Das Congreßmitglied nickte bejahend. »Eine riesig hübsche Person! Ich bin sehr intim mit ihr.« Herr Gashwiler hätte es offenbar nicht ungern gesehen, wenn man ihn wegen seines zarten Verhältnisses zu der Schönen ein wenig geneckt hätte. Allein der ränkevolle Wiles war in diesem Augenblick mit anderen Gedanken beschäftigt. Er hatte aus den Worten und Geberden des Herrn Gashwiler die Schlußfolgerung gezogen, daß er die schöne Unbekannte kennen lernen müsse, falls er denselben in seine Gewalt zu bekommen wünsche. Er nahm sich daher vor, den ersten günstigen Augenblick zweckentsprechend zu verwerthen.

Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, so ward die Aufmerksamkeit des Congreßmitgliedes durch ein abermaliges Pochen von den Correcturbogen abgelenkt. Der Eintretende war ein junger Mann mit aschblondem Haar und ängstlichem Gesicht. Derselbe näherte sich mit unterwürfiger Haltung, als erscheine er vor einem übermächtigen Wesen, dem man nur mit stehender Geberde sich zeigen dürfe. Herr Gashwiler machte keinen Versuch, ihn eines Besseren zu belehren. »Ich bin beschäftigt, wie Sie sehen,« rief er kurz angebunden. »Corrigire Ihre Arbeit.«

»Hoffentlich ist dieselbe brauchbar,« sagte der junge Mann schüchtern.

»Nun, ja – es geht,« entgegnete Gashwiler. »Man kann ihr sogar im Großen und Ganzen das Prädicat ›zufriedenstellend‹ ertheilen,« und dann fügte er, indem er die Miene eines wohlwollenden Gönners annahm, mit Nachdruck hinzu: »recht zufriedenstellend!«

»Nicht wahr? Sie haben noch keine Nachrichten erhalten,« fuhr der junge Mann fort, während ein leichtes Roth, entweder durch eine Erwartung oder durch das ihm zu Theil gewordene Lob erzeugt, seine Wangen überflog.

»Nein, bis jetzt noch nicht.« Herr Gashwiler hielt inne; offenbar fuhr ihm plötzlich ein Gedanke durch den Sinn.

»Ich bin der Meinung,« sagte er nach einer Weile, »daß Ihnen eine feste Anstellung, z. B. ein Secretariat bei mir, zu einer schnelleren Beförderung verhelfen würde. Wenn ich Sie zu meinem Privatsecretair machte und Ihnen irgend eine wichtige Vertrauenssache in die Hand legte, was würden Sie dann sagen? – He?«

Dobbs schaute seinen Gönner mit jenem sehnsuchtsvollen Ausdruck an, mit dem ein Hund, der eine Gabe aus der Hand seines Herrn erwartet, emporzuschauen pflegt; auch rutschte er in der nämlichen eigenthümlichen Weise auf dem Stuhlpolster hin und her, mit der ein Hund seine Dankbarkeit schon im Voraus bezeigt, und erweckte hierdurch die naheliegende Vermuthung, daß er mit dem Schwanze gewedelt haben würde, wenn er einen gehabt hätte. Dies bemerkend, ward Herr Gashwiler noch hoheitsvoller, als zuvor.

»Allerdings habe ich bereits auf Ihre Zustimmung gerechnet durch die Annahme gewisser Papiere, welche ich in Ihre Obhut und in Ihrem Namen gestellt habe, indem ich mir nun von Ihnen eine Cession geben lasse, welche mich in den Stand setzen soll, Ihnen seiner Zeit, als meinem Privatsecretair, gute Empfehlungen mit auf den Weg zu geben. Am zweckmäßigsten ist es, Sie unterschreiben jetzt, da Sie gerade hier sind, der Form halber, diese Cession und beginnen mit dieser Handlung so zu sagen, Ihre neue Tätigkeit.

Die Glut freudigen Stolzes und froher Hoffnung, welche die Wangen des armen Dobbs bedeckte, hätte auch ein Herz schmelzen können, das härter war, als das, welches Gashwiler besaß. Allein die Senatorentoga hatte diesen Mann mit einem Stoicismus gegen die Gefühle anderer umkleidet, der den der Römer übertraf und so lehnte er sich mit der würdevollen Haltung bewußter Rechtlichkeit in seinen Stuhl zurück, als Dobbs das Papier eilig unterschrieb.

»Ich werde es in meinen Reisesack legen,« sagte Gashwiler, das Wort der That anpassend. »Da ist es sicher aufgehoben. Im übrigen brauche ich Ihnen jetzt, wo sie gleichsam auf der Schwelle Ihrer Berufstätigkeit stehen, wol kaum zu sagen, daß in allen amtlichen Obliegenheiten eine tiefe und unverbrüchliche Verschwiegenheit die erste Regel ist,« und dabei deutete er auf seinen Reisesack, als ob derselbe zum mindestens einen Staatsvertrag enthalte.

Dobbs pflichtete ihm bei. »So erfordern meine Pflichten vermutlich, daß ich mich in Ihrer Nähe aufhalte,« sagte er mit bangem Zweifel.

»Nein, nein,« entgegnete Gashwiler und fügte dann, sich verbessernd, hinzu: »das heißt – vor der Hand – noch nicht.«

Das Gesicht des armen Dobbs zog sich in die Länge. Leider war ihm vor Kurzem seine jetzige Wohnung gekündigt, da er mit der Miethe in Rückstand gerathen war. Er hatte daher zuversichtlich gehofft, daß er in der Eigenschaft eines Privatsecretairs freie Kost und Logis erhalten würde. Doch fragte er nur, ob neue Schriftstücke auszufertigen seien.

»Hm, augenblicklich nicht. Mir ist heute die Zeit durch steten Besuch zersplittert worden; ich habe wol ein halb Dutzend Leute empfangen müssen, und weiß nunmehr keinen Ausweg, als mich einzuschließen und zu sagen, ›Nicht zu Hause‹.«

Der neue Privatsecretair errieth aus dieser Andeutung, daß die Audienz ihr Ende erreicht habe und verabschiedete sich demüthigst und in einer Stimmung, die zwar etwas niedergedrückt in Betreff seiner nächsten Aussichten, jedoch gehoben von sanguinischen Zukunftsplänen war.

Doch jetzt legte die Vorsehung dem armen Dobbs – vielleicht fühlte sie eine Anwandlung von Mitleid mit ihm – eine gewisse Macht und einen Vortheil in die ungeübten Hände, die er nach Belieben ausnutzen konnte, falls er die dazu erforderliche Fähigkeit und Würdigkeit besaß. Er war die Treppe hinabgestiegen und war im Begriff durch einen tiefergelegenen Corridor zu wandern, als er unerwarteter Weise der unfreiwillige Zeuge eines höchst merkwürdigen Auftrittes ward.

Es zeigte sich nämlich, daß Herr Wiles, welcher, wie wir sahen, Gashwilers Zimmer verließ, als Dobbs dasselbe betrat, in dem nämlichen Hôtel noch andere Geschäftsangelegenheiten zu erledigen hatte und aus diesem Grunde an die Thür von Nr. 90 klopfte. In Erwiderung der mürrischen Aufforderung zum Hereintreten, welche alsbald erfolgte, öffnete er die Thür und gewahrte einen großen, muskulösen Mann, der einen feuerrothen Bart hatte und in einem Bette lag, dessen Decke seine ganze Gestalt nebst den flach am Körper anliegenden Armen verhüllte und die sorgsam bis unmittelbar unter das Kinn heraufgezogen war.

Herrn Wiles rechte Wange strahlte huldvoll. In der Absicht, des Fremden Hand zu schütteln, trat er an das Bett; doch der in demselben Liegende erwiederte den Gruß weder durch eine Bewegung noch durch ein Wort.

»Vielleicht störe ich Sie,« sagte Herr Wiles zuvorkommend.

»Sehr wohl möglich,« entgegnete der Rothbart lakonisch.

Herr Wiles zwang der rechten, dem Fremden zugewandten Hälfte seines Angesichtes ein Lächeln auf, gestattete jedoch der linken Seite den Ausdruck unbegrenzter Spottsucht anzunehmen. »Ich komme nur, um anzufragen, ob Sie sich die Sache bedacht haben,« sagte er sanftmüthig.

»Ich habe sie mir bedacht und beschlafen und von außen und innen und von oben und unten und von allen Seiten betrachtet,« entgegnete der Mann ernst, indem er Wiles unverwandt anschaute.

»Und haben Sie die betreffenden Documente durchgesehen?«

»Ich habe jedes Document, jede Rede, jede Zeugenaussage, jedes Gutachten und jede Beweisführung gelesen!« antwortete der Fremde, als ob er eine Formel recitire.

Herr Wiles suchte seine Verwirrung durch jenes, ihm stets zur Verfügung stehende rechtseitige Lächeln zu verbergen, welches auf der linken Seite einen hämischen Charakter annahm, dann sagte er: »Nun, so hoffe ich zuversichtlich, mein lieber Herr, daß Sie, da Sie sich nunmehr ein eingehendes Urtheil über den Rechtsfall gebildet haben – unsere Partei begünstigen werden.«

Der Herr im Bette erwiderte nichts, sondern hüllte sich offenbar noch fester in seine Decke ein.

»Ich habe die Actien, von denen ich Ihnen sagte, mitgebracht,« fuhr Herr Wiles mit einschmeichelndem Tone fort.

»Haben Sie einen guten Freund zur Hand?« unterbrach ihn der liegende Mann mit sanfter Stimme.

»Ich verstehe Sie nicht ganz, lächelte Herr Wiles. »Natürlich ist mir jeder Name recht, den Sie etwa vorzuschlagen geneigt sind...«

»Haben Sie nicht einen Freund in der Nähe oder sonst irgend einen Menschen, der sofort hereingewalzt kommt, wenn Sie ihn rufen?« fuhr der Mann im Bett fort. »Nein? Kennen Sie denn vielleicht einen von den Kellnern im Hause? Da hinten in der Ecke ist ein Glockenzug.« Dies sagend, wies er mit den Augen, doch ohne ein Glied zu rühren, auf die betreffende Stelle.

»Nein,« sagte Wiles, den ein leiser Argwohn und eine Aufwallung von Zorn beschlich.

»Ein Fremder kann es allenfalls auch thun. Ich wette Zehn gegen Eins, daß gerade jetzt Einer durch den Gang geht. Rufen Sie ihn schnell herein. Er kommt mir gerade gelegen.«

Wiles öffnete zögernd die Thür, schaute aber dennoch spähend hinaus, als Dobbs vorüberschritt. Der Mann im Bett schrie mit erhobener Stimme: »Heda, Fremder!« und setzte, als Dobbs stillstand, hinzu: »Kommen Sie herein. Schnell!«

Dobbs näherte sich schüchtern; wie er denn überhaupt in Gegenwart fremder Leute stets blöde zu sein pflegte.

»Ich weiß nicht, wer Sie sind, ist mir auch ganz gleichgiltig,« sagte der Rothbart. »Dieser Mensch da,« er deutete auf Wiles, »heißt Wiles. Ich bin Josh Sibblee von Fresno, Kongreßmitglied für den vierten Congreßdistrict von Californien. Ich liege hier im Bett mit einem Revolver in jeder Hand; ich liege hier und rühre kein Glied, weil ich es sonst nicht lassen kann, diesem gottverdammten Stinkthier den Hirnschädel wegzublasen. Lange kann ich mich nicht mehr beherrschen, das fühle ich. Doch was ich Ihnen sagen wollte, Fremder, ist, daß dieses Stinkthier, mit Namen Wiles, alle seine verfluchten Kniffe aufgewandt hat, um Josh zu bestechen, und Josh liegt hier nun, aus Rücksicht für seine Wähler, ganz still und wartet darauf, daß irgend ein Mensch hereingewalzt kommt und aufpaßt, daß die verfluchte Sache nicht ein ganz verzweifeltes Ende nimmt.«

»Aber, mein lieber Herr Sibblee, hier muß ein Irrthum obwalten,« sagte Wiles ernst.

»Irrthum? Ziehen Sie die Bettdecke fort!«

»Nein, nein!« schrie Wiles eilfertig, als der einfältige Dobbs sich anschickte, der Aufforderung zu entsprechen.

»Schaffen Sie ihn aus der Stube, rasch!« sagte Josh Sibblee, »ehe ich meine Wählerschaft verunehre. Man hat mir prophezeit, sie würden mich ins Loch stecken, ehe die Session zu Ende sei. Wenn Sie nur einen Funken von Menschlichkeit haben, Fremder, so setzen Sie ihn an die Luft und zwar so schnell wie möglich.«

Dobbs schaute mit geisterbleichem, angstvollem Angesicht auf Wiles und zauderte. Der Mann im Bette bewegte sich. Sofort stürzten beide Herren nach der Thür und schon im nächsten Augenblick schloß sich dieselbe sehr energisch vor dem Abgeordneten von Fresno.


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