Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

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Fünftes Kapitel.

Wer eine spanische Schenkungs-Urkunde auf die Mine besaß.

Die Mittagszeit war bereits weit vorgerückt in Tres Pinos. Die balsamischen Wipfel der drei Fichten, denen der Ort seinen Namen verdankte, schienen auf der staubigen Landstraße und in der heißen Luft Dämpfe auszuströmen. Im blendenden Glanz strahlte die Straße, im blendenden Glanz die Felsen sowie die weißen Zeltdächer der wenigen Shanties und die Hütten, die das Dorf bildeten. Selbst die unbemalten Bretter von Roscommons Kramwaarenhandlung und Schenkwirthschaft hatten diesen blendenden Glanz und die krummgebogenen Dielen der Veranda zeigten das Bestreben, sich unter den Füßen der Eindringlinge krumm zu biegen. Einige wenige Maulesel, die sich in der Nähe des Wassertroges aufhielten, hatten sich in den spärlichen Schatten der Hofumzäunung geflüchtet.

Die Kramwaarenhandlung des Herrn Roscommon nahm, obwol sie den Bedürfnissen des Dorfes vollkommen entsprach, weder die Zeit noch die Kräfte des Besitzers allzusehr in Anspruch; das Anfüllen der Schweinefleisch- und Mehlfässer für den Bedarf der aus Goldgräbern bestehenden Stammgäste war jeden Sonnabend Abend das Werk einer knappen Stunde; allein die tägliche Versorgung der ständigen Mitglieder mit Whisky war ein nie endendes, angreifendes Geschäft. Roscommon verbrachte ungleich mehr Zeit hinter seinem Schenktisch als hinter dem Tresen seines Kramladens. Vergegenwärtigt man sich außer dieser Thatsache noch den Umstand, daß ein langer scheunenartiger Anbau oder Flügel die Inschrift »Kosmopolitisches Hôtel, Kost und Logis auf Tage oder Wochen; M. Roscommon« trug, so erhält man einen Begriff von der mannichfaltigen Thätigkeit des Besitzers. Das »Hôtel« stand übrigens mehr unter der Leitung von Frau Roscommon, einer starkknochigen, derben, gutmüthigen Dame von dreißig Jahren.

Roscommon hatte schon seit Langem die Ueberzeugung gewonnen, daß die meisten seiner Stammgäste unzurechnungsfähig seien und je nach der Art ihres Zustandes bald heftig angefahren, bald milde behandelt werden mußten. Kein Ereigniß, keine außergewöhnliche Rede oder That vermochte das Gleichmaß seines auswendigen Menschen zu stören, und so ruhig dieser erschien, so störrisch, entschlossen und zäh war sein inwendiger Mensch. So oft er keinen Branntwein ausschenkte und während der Zeit, wo seine Gäste tranken, pflegte er seinen Schenktisch unausgesetzt mit einem ausnehmend schmutzigen Tuche oder irgend einem andern Gegenstande, der ihm gerade zwischen die Finger kam, abzuwischen. Die Goldgräber, welche diese völlig mechanische Gewohnheit bemerkt hatten, steckten ihm hin und wieder Dinge in die Hand, die diesem Zwecke in keiner Weise entsprachen, – z. B. alte Fetzen von ihren Hemden oder Unterhosen, Sackleinen und Werg; ja einstmals gaben sie ihm sogar einen wollenen Unterrock seiner Frau, den sie von der Waschleine im Hofe entwendet hatten. Roscommon verrichtete in der Regel dieses Abwischen seines Tisches ohne den Blick zu erheben; nichtsdestoweniger aber war ihm die Anwesenheit eines jeden Kunden gar wohl bekannt. »Sie bekommen wahrhaftig nicht einen einzigen Tropfen mehr, Jack Brown, bis Sie die schwarzen Striche, die ich Ihnen angeschrieben habe, auslöschen.« »Ah! da sind Sie ja, mein Werthester, und hier ist Ihre Pulle; sie wartet schon seit dem vorigen Sonnabend auf Sie.« »Und was haben Sie mit dem letzten Stück angefangen, das ich Ihnen geschickt habe, Sie Teufel von einem Mr. Clorkle, und ich habe mir das Rückgrat zerbrochen, weil ich mich unausgesetzt gebückt habe, um Ihnen die besten Bissen aus dem Schweinefleischfaß zu geben, und Sie verprassen inzwischen Ihren letzten Cent während einer Sauferei bei Gilroy.« »Ruhig! Wenn ihr euch prügeln müßt, ihr Jungens, so kann ich euch ein ganz famoses Grasplätzchen bei der Hofumzäunung anweisen, und wer weiß, ob ich selbst nicht auch mit einem Stock herauskomme und euch Gesellschaft leiste.«

An dem heutigen Tage befand sich Roscommon jedoch nicht wie sonst in gleichmütiger Stimmung, und als die Hufschläge herannahender Pferde das Eintreffen fremder Gäste verkündigten, stellte er sein Wischen vollständig ein und hob die Augen auf, als Dr. Guild, der Präsident, und der Secretair der neuen Bergwerksgesellschaft in den Laden traten.

»Wir suchen hier einen Mann Namens Wiles und drei Mexikaner, die Pedro, Manuel und Miguel heißen,« sagte der Präsident.

»So? Thun Sie das?«

»Ja, das thun wir.«

»Meiner Treu, – dann will ich Ihnen wünschen, daß Sie die Leute finden. Und wenn Sie ihnen die Zeche abjagen, die sie mir schuldig sind, so will ich Ihnen meinen Segen noch obendrein geben.«

Die Umstehenden, denen das Eindringen der Fremden offenbar nicht zu behagen schien, brachen in ein schallendes Gelächter aus.

»Ich fürchte sehr, meine Herren,« sagte Dr. Guild in kaltem Tone, »daß Ihnen die Angelegenheit durchaus nicht lächerlich erscheinen wird, wenn ich Ihnen mittheile, daß soeben ein Mord begangen ist und daß die Männer, welche wir suchen, in der nämlichen Stunde und an demselben Ort, wo die That stattgefunden hat, diese Anzeige angeschlagen haben.«

Bei diesen Worten zog der Arzt ein Papier hervor und faltete es auseinander.

Eine lautlose Stille herrschte in der Versammlung, die sich dicht zusammendrängend – alsbald einen Kreis um Dr. Guild bildete.

»Wie Sie sehen, meine Herren, steht unter denen, die das Grundstück beanspruchen, auch der Name des Herrn Roscommon.«

»Ja, natürlich, Verehrtester,« sagte Roscommon, ohne die Augen zu erheben, »und wenn Sie gegen die anderen alten Knaben keine besseren Beweise aufzählen können, als gegen mich, so reiten Sie nur ruhig wieder nach Hause. Denn, daß ich selbst den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht die Nase aus meiner Bude gesteckt habe, können mir die Jungens hier, die mir die ganze Zeit keine Ruhe gelassen haben, bezeugen.«

»Das stimmt auf ein Haar, Roß!« brüllte die Menge im Chor. »Wir haben dem Alten fortwährend auf dem Pelz gesessen!«

»Wie kommt denn Ihr Name hier auf dies Papier?«

»Mord und Todtschlag! Hört nur, Jungens, was der Alles angibt! Als ob nicht ein Jeder, der eine Whisky-Rechnung zu berappen hat, zu mir käme und mir sagte: Apropos, Herr Roscommon oder Moike, – wie er mich nun gerade nennt, – ich habe heute eine gute Stelle getroffen und deshalb habe ich mit eigner Hand Ihren Namen als ersten Besitzergreifer mit aufgeschrieben und nun sind Sie ein reicher Mann, Roscommon, und daher schenken Sie mir gefälligst noch ein Glas ein, damit ich Eins auf das gute Glück trinke, das Sie und ich gehabt haben. Ja, ja, fragen Sie nur Jack Brown dort, ob mir seine Besitzurkunden nicht schon zum Halse heraushängen.«

Das Gelächter, welches dieser Rede und ihren einleuchtenden Erläuterungen folgte, überzeugte die Gesellschaft, daß sie die Angelegenheit falsch angefaßt habe, daß sie hier keinen Aufschluß über den Aufenthaltsort der wirklichen Uebelthäter erhalten würden und daß jeder Versuch, durch Drohungen das Ziel zu erreichen, auf eine heftige Opposition stoßen würde. Nichtsdestoweniger blieb Dr. Guild beharrlich.

»Wann haben Sie die betreffenden Männer zuletzt gesehen?«

»Wann ich sie zuletzt gesehen habe? Verrückte Frage! Ich muß meine Tische trocken wischen und Schnaps ausschenken und habe sie daher überhaupt niemals gesehen.«

»Das stimmt, Roß!« brüllte abermals der Chor, der den ganzen Vorgang als eine höchst lustige Komödie betrachtete.

»Nun, meine Herren, so kann ich Ihnen mittheilen, daß sie gestern Abend in Monterey gewesen sind, daß sie auf dem dorthinführenden Bergpfade heute Morgen nicht zu der Stadt zurückgekehrt sind und daß sie in Folge dessen bei Tagesanbruch hier durchgekommen sein müssen.« Nach diesen Worten, die den Doctor gereuten, sobald sie ihm entfahren waren, ritt die Gesellschaft von dannen.

Roscommon begab sich wiederum an seine Kellnerarbeit und Tresen-Abwischung. Allein spät in der Nacht, nachdem die Schenke geschlossen und der am längsten säumende Trinker ohne Umstände an die Luft gesetzt war, brachte er in der Stille des ehelichen Schlafgemaches ein Papier zum Vorschein, welches das Aussehen einer Urkunde besaß. »Lies dies, Maggie; du weißt ja, mein Schatz, daß ich es im Lesen und dergleichen Dingen nicht weit gebracht habe.«

Frau Roscommon nahm das Papier.

»Das ist gewiß so'n amtliches Schreiben, worauf steht, daß du ein Stück Land bekommen hast. O, Moike! Du hast doch nicht etwa speculirt?«

»Still! Und was bedeutet das schmutzige graue Blatt mit den Schnörkeln und Siegeln?«

»Meiner Treu! Daraus kann ich nicht klug werden. Das ist gewiß kein Englisch!«

»Still! Maggie – das ist eine spanische Schenkungsurkunde!«

»Eine spanische Schenkungsurkunde? – O, Moike, – was hat dir die gekostet?«

Roscommon legte den Zeigefinger an die Nase und sagte mit schmelzendem Tone »Whischky!«


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