Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

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Neuntes Kapitel.

Auf welche Weise sich das schöne Geschlecht um die Mine bekümmerte.

Das Haus, welches Royal Thatcher auf eine so unhöfliche Weise verließ, als er auszog, um zu dem gelobten Lande seines Freundes Biggs zu pilgern, war eines jener übergroßen, unter ihrem Werth taxirten Gebäude, welche zur Zeit ihrer Errichtung in der Brust ihres San Franciscanischen Erbauers die ausschweifendsten Hoffnungen entfachten und die ihn, als sie schließlich bewohnt wurden, zur Verzweiflung trieben.

Obwol sie ursprünglich dazu bestimmt waren, einem neugebackenen californischen Aladdin als Palast zu dienen, so war doch meistens das Ende vom Liede, daß sie als Chambregarnie-Hôtel von irgend einer mittellosen Wittwe oder einer hoffnungslosen alten Jungfer verwerthet wurden, welche es verstand, die Anforderungen ihrer gesellschaftlichen Stellung mit der schweren Aufgabe des Broderwerbens zu vereinigen. Thatchers Wirthin gehörte zu der Classe der mittellosen Wittwen. Sie hatte unglücklicherweise nicht nur ihren Gatten, sondern auch dessen Vermögen überlebt und daher vermiethete sie – während sie sich selbst auf eines der verödeten Zimmer beschränkte – nach Art des italienischen Adels den übrigen Theil des ruinenartigen Hauses. Die Gewohnheit, diese Thatsachen des Längeren zu erörtern, verliehen ihren am ersten jeden Monates gehaltenen Unterredungen einen bedeutsamen Sinn. Thatcher hatte dieselben mit jenem feinen Gefühl aufgefaßt, welches die Armuth in ihm ausgebildet hatte. Als aber die Wittwe wenige Tage nach seinem plötzlichen Verschwinden einen Brief von ihm bekam, der einen in hochherziger, überreichlicher Weise alle Rückstände und Vorschüsse deckenden Wechsel enthielt, da richtete sich ihr Herz empor und dem Gestein, berührt von dem goldenen Zauberstabe, entströmte nunmehr eine Flut von wohlthätigen Regungen, und diese gaben sich kund: in einem neuen Kleide für sie selbst, in einem neuen Anzuge für Johnny, ihren Sohn, einem neuen Wachstuchteppich für den Corridor, in besserer Bedienung für die Miether und – wir wollen es dankbar anerkennen – in einem gütigeren, nachsichtsvolleren Benehmen gegen die arme, kleine, schwarzäugige Malerin aus Monterey, welche zur Zeit in höchst beunruhigender Weise mit ihrer Miethe im Rückstande war. Denn, um die Wahrheit zu gestehen, verrathen wir, daß die Anforderungen, welche Fräulein de Haro's Onkel an ihre dürftige Börse machte, immer häufiger wurden; sank doch auf dem Markte zu Monterey in Folge eines außerordentlich starken und unverhältnißmäßigen Angebotes der Meineid allmählich so sehr im Preise, daß schließlich die Grenzlinie zwischen demselben und der strengen Wahrheit, fast haarscharf gezogen ward und Victor Garcia sich zu dem Ausspruche bewogen fühlte: »Jetzt, wo alle Welt ihm ins Handwerk pfusche, halte er es für reichlich unvortheilhaft, ohne Weiteres die Wahrheit zu sagen und seine Seele zu retten.«

Frau Plodgitt, die Hauswirthin, konnte es nicht unterlassen, Carmen de Haro von ihrem unverhofften Glück in Kenntniß zu setzen. »Auch Sie, mein liebes Kind, waren ja stets mit ihm befreundet, und ich wußte es wol, daß er ein guter Mann sei, der eine arme Wittwe nicht benachtheilt; hören Sie nur, was er von Ihnen schreibt.« Nach diesen Worten zog sie Thatchers Brief hervor und las: »Sagen Sie meiner kleinen Nachbarin, ich würde sehr bald kommen, um sie sammt ihren Malgeräthschaften mit Gewalt hierher zu bringen. Sodann ließe ich sie nicht eher wieder heimkehren, als bis sie die schwarzen Berge und die rothen Felsen, von denen sie so oft gesprochen, gemalt habe und die Blue-Mass-Mine zum Mittelpunkt eines Gemäldes gemacht hätte, welches ich demnächst bei ihr zu bestellen beabsichtigte.«

Aber was ist das, du Kleine? Wahrlich, Carmen, du hast keinen Grund zu erröthen, weil du zum ersten Mal in deinem Leben eine große Bestellung erhalten hast. Heilige Jungfrau! Ist es denn nothwendig, daß du das falsche Ende deines Pinsels in den Mund steckst und denselben dann auf deinen Schooß fallen lassest? Oder haben dir die guten Klosterschwestern etwa gesagt, man müsse sich wie ein Junge benehmen, und sich auf ältere Personen stürzen, um ihnen das Blatt aus der Hand zu reißen, wenn man einen Auftrag selbst zu lesen wünscht? Wir möchten hierüber eine genauere Auskunft haben. Darum rede, – o Carmen, zierlichste aller Brünetten, – rede, und sei es auch in deiner melodischen Muttersprache, auf daß ich dich und dein tactvolles Benehmen meinen eigenen Landsmänninnen als Beispiel zu empfehlen vermag.

Leider erhielten weder der Erzähler dieser Geschichte, noch Frau Plodgitt irgend einen näheren Aufschluß von der klugen Carmen und sahen sich daher genöthigt, ihre Muthmaßungen auf die folgenden, offenkundige Thatsachen zu basiren:

Fräulein Carmens kleines Stübchen lag dem Thatchers gegenüber und zwei, drei Mal hatte der Letztere, als die Thüren geöffnet waren, ein schwarzes Köpfchen und eine stämmige, jungenhafte kleine Gestalt erblickt, die mit einer großen, blauen Schürze bekleidet, jenseits des Corridors vor einer Staffelei auf einem Bock saß; und andrerseits hatte Carmen gar häufig die Gerüche von Tabaksrauch gespürt, die in ihre klösterliche Einsiedelei drangen und sodann – über den Corridor schauend – einen amerikanischen Olympier bemerkt, der von der betreffenden Nicotin-Wolke umwallt, in einem Schaukelstuhl lag und seine Füße auf dem Kaminsims ruhen ließ. Beide waren einander zwei oder drei Mal auf der Treppe begegnet und bei solchen Gelegenheiten hatte Thatcher einen kurzen, durchaus nicht respectwidrigen aber dennoch halbneckischen Gruß an sie gerichtet, einen Gruß, wie er zwar niemals eine echte Frau beleidigt, aber doch in Folge des geistigen Uebergewichtes, den der Neckende durchblicken läßt, ihr Selbstgefühl anstachelt. Jedes weibliche Wesen fühlt instinctiv, daß die größeren und gefährlicheren Neigungen stets »serious« sind und deshalb darf man es ihm nicht verargen, wenn es in allen Ehren sich veranlaßt fühlt, zu ergründen, ob nicht etwa unter der Haut dieses lachenden Mercutio das Fleisch und Blut eines Romeo verborgen sei. Thatcher hatte von Natur eine Vorliebe zum Beschützen und Vertheidigen; Schwachheit – doch nur diese allein – vermochte die in seinem Innern schlummernden, weichen Regungen wachzurufen, doch gelang ihr dies leider wol oftmals nur durch den Anflug von Komik, der ihr gar häufig beiwohnt und der, so schien es ihm, namentlich Frauen und Kindern eigen ist. Ich erwähne diese Thatsache zum Besten der jüngeren Mitglieder meines Geschlechtes; denn ich bin davon überzeugt, daß eine unbedingte Unterwerfung und das unausgesetzte, stete Kniebeugen des männlichen Geschlechts vor der weiblichen Schönheit wohlfeile französische Redensarten sind, welche den meisten derjenigen Frauen, die umworben zu werden verdienen, unübersetzbar bleiben. Denn eine Frau muß unter jeder Bedingung zu dem Manne emporschauen, den sie wahrhaft liebt, und müßte sie auch in den Staub sinken, um es zu können.

Nur der männliche Theil meines Zuhörerkreises wird aus diesen Bemerkungen folgern, daß Carmen Thatcher liebte; das kritischere und tieferblickende weibliche Auge wird ihnen dagegen nichts entnehmen, das sich nicht durch die Bezeichnung »Freundschaft« decken ließe. Denn Thatcher war keine schwärmerische Natur; er hatte dem jungen Mädchen niemals eine Huldigung – und sei es auch nur in der stummen und doch so beredten Form einer Aufmerksamkeit dargebracht. Tagelang blieb die Thür seines Zimmers verschlossen und wenn er ihr dann, nach solchen Stunden der Zurückgezogenheit, begegnete, so war sein Benehmen so ungezwungen und natürlich, als habe er sie erst gestern gesehen. Allerdings war es die arglose Carmen, welche absichtslos veranlaßte, daß sein heimliches Entrinnen und Auf- und Davongehen entdeckt ward; hatte sie doch in den Tagen, die seiner Flucht folgten – Gott weiß woher – erfahren, daß sich während dieser ganzen Zeit seine Thür nicht geöffnet habe und deßhalb hatte sie in der Angst, daß eine Krankheit, ein plötzlicher Tod oder wol gar ein Selbstmord vorliege, die Hauswirthin beschworen, den Sachverhalt zu erforschen. Die Thatsache, daß sie im ersten Augenblick nicht minder entrüstet war, als Frau Plodgitt, beweist freilich schlagend, daß sie nur ein geringes Maß von Sympathie für den Flüchtling besaß. Und zudem hatte sie bis jetzt nur Concho, ihrem Jugendfreunde, näher gestanden – und war seinem Gedächtnisse treu und demnach feindlich gesinnt gegen alle Americanos, die nach ihrer felsenfesten Ueberzeugung seine Mörder waren.

Und so verbannte sie nicht nur Thatcher, sondern auch seinen Auftrag aus ihrem Herzen und begab sich an ihre Malerei, ein Phantasie-Porträt des guten Pater Junipero Serra, eines großen Missionärs, der zum Glück für die Echtheit seiner Knochen und die Lauterkeit seines Rufes mehrere hundert Jahre vor jener Zeit starb, da die Amerikaner Kalifornien in Besitz nahmen. Das Bild war schön, fand jedoch keinen Käufer, und daher begann sie allen Ernstes sich mit dem Anfertigen von gemalten Etiketten zu befreunden, die damals sehr gesucht und beliebt waren. Einen unvollendeten kunstvoll mit Wolken umrahmten Kopf des San Juan de Bautista verkaufte sie einem angesehenen Kramwaarenhändler für fünfzig Dollar und derselbe diente fortan dazu, die Wirkungen des in vier Flaschen ausgestellten »Jone's Sommersprossen-Vertilgungs-Wasser« zu veranschaulichen und in einer angenehmen harmlosen Weise das Gedächtniß des Heiligen zu erneuern. Nichtsdestoweniger fühlte sie sich müde und mißmuthig; sie sehnte sich nach den guten Klosterschwestern und nach dem beschaulichen Leben im Kloster und dann......

»Kam er!«

Aber nicht wie der Prinz kommen sollte, auf schneeweißem Streitroß, um die grausam verlassene, verzauberte Jungfrau heimzuführen. Er war sonnenverbrannt; er war bärtig »wie ein Parder«; er war etwas fahrlässig in Betreff seines Anzuges; auch war sein Geist vielfach von geschäftlichen Angelegenheiten beansprucht; allein sein Mund und seine Augen waren die alten geblieben und als er die in seinem Briefe ausgesprochene Einladung in der ihm eigenen offnen, halb neckischen Weise wiederholte, erröthete die arme kleine Carmen, ohne sich zu einer bestimmten Antwort entschließen zu können.

Da fuhr ihm ein Gedanke durch den Sinn, der ihm das Antlitz färbte. Ein Mann, dem die Bildung angeboren ward, ist stets ebenso sittsam, wie eine Frau. Er eilte die Treppe hinab, suchte die Wittwe Plodgitt auf und sagte hastig:

»Sie bringen sich hier um. Eine Luftveränderung ist Ihnen unbedingt nothwendig. Kommen Sie für einige Tage nach Monterey und bringen Sie, damit Sie sich nicht einsam fühlen, Fräulein de Haro mit.«

Die alte Dame durchschaute sofort die Sachlage. War doch Thatcher nunmehr ein Mann, dessen Zukunft zu den kühnsten Hoffnungen berechtigte. In allen matronenartigen Töchtern Eva's steckt die Neigung zum Bemuttern und Heirathsstiften. Ist dies doch die einzige Möglichkeit, die Vergangenheit wieder ins Leben zu rufen.

Sie willigte ein und Carmen de Haro konnte nun nicht länger ihre Zustimmung verweigern.

Die Damen fanden die Blue-Mass-Mine ganz, wie Thatcher sie ihnen im Voraus geschildert hatte, ein wenig primitiv; auch sah man es ihr an, daß sie bisher nur Männern als Aufenthaltsort gedient hatte. Der Wirth überließ jedoch seinen Gästen das einzige vorhandene Gelaß, in dem er bisher gewohnt hatte und schlief bei seinen Leuten oder deutlicher gesagt unter den Bäumen. Zuerst vermißte Frau Plodgitt Gas- und Wasserleitung und die verschiedenen Annehmlichkeiten der Civilisation, zu denen, wie ich fürchte, auch Betttücher und Kissenüberzüge gehörten; aber der balsamische Hauch der Bergluft linderte ihre Neuralgie und wirkte wohlthätig auf ihre Stimmung. Was Carmen betrifft, so schwelgte diese in dem unbegrenzten Genuß ihrer unbedingten Befreiung von allen konventionellen Fesseln und in der Befriedigung ihrer kindlichen Gelüste. Sie durchstreifte die Gegend weit und breit; sie tauchte in dunkle Gehege, klomm über öde, mit dürren Chemisal-Pflanzen bewachsene Felsen und kehrte stets mit einer reichen Ausbeute von Bocksaugenbaum-Blüten, Manzanita-Beeren und Lorbeern beladen heim. Jedoch eine Skizze von der Fabrik der Blue Mass Company anzufertigen, die später einmal lithographirt oder durch Farbendruck vervielfältigt werden konnte und die Tonnen Quecksilber zeigte, welche die Maschinen durch die Vermittelung einer malerischen Gruppe fröhlicher Arbeiter zu Tage förderten, dazu konnte sie sich nicht entschließen, obwol sie wußte, daß sie damit ihrem Padrone Don Royal Thatcher einen Dienst erwiesen hätte. Dagegen begann sie eine Studie von den Trümmern des zerfallenen, verwitterten Schmelzofens mit seinem dunklen, hohen Berghintergrund und dem Licht eines erlöschenden Lagerfeuers, der dessen Ueberreste beleuchtete, und der mattrothen Aushöhlung in der Felsschicht.

Allein selbst dieses Bild genügte ihr erst nach vielfachen Umänderungen und als sie es schließlich, nach vollendeter Arbeit, zu Don Royal trug, schaute sie mit einem leisen Auflug von Kampfeslust zu ihm empor. Thatcher bewunderte das Werk aufrichtig; doch konnte er es nicht lassen, sie gegen seine eigne Ueberzeugung durch einige tadelnde Bemerkungen zu necken. »Warum haben Sie nicht, wenigstens mit Rücksicht auf mich, auf jenem Felsen dort einen Wegweiser mit der Aufschrift »Straße zu der neuen Factorei der Blue Mass Company« angebracht und so praktische und künstlerische Zwecke mit einander verbunden? Doch ich sehe wohl, Sie kranken an dem nämlichen Fehler an dem alle genialen Leute leiden. Was aber bedeutet jene Gestalt, die dort in eine Decke gehüllt, neben dem Schmelzofen liegt? Sicherlich haben Sie niemals einen meiner Arbeiter auf dieser Stelle liegen sehen – und außerdem scheint es, nach seinem Serapé zu urtheilen, ein Mexikaner zu sein.«

»Die Gestalt soll nur dazu dienen, den Vordergrund auszufüllen,« versicherte Fräulein Carmen ausweichend, »ich bedurfte ihrer, um eine gleichmäßige Gruppirung herzustellen.«

»Sie ist nach dem Leben gezeichnet!« fuhr Thatcher fort, indem er unwillkürlich seiner Bewunderung Ausdruck gab. »Bitte, erzählen Sie mir, Fräulein de Haro, ehe ich Frau Plodgitts Hilfe und Beistand anrufe, wer ist jener verhaßte Nebenbuhler? Wer ist Ihre Thonfigur, Ihr Modell?«

»O,« sagte Carmen mit einem leisen Seufzer, »es ist nur der gute Concho!«

»Und wo ist Concho?« – Er sagte das nicht ohne Heftigkeit.

»Er ist todt, Don Royal!«

»Todt?«

»Ja, wahrlich – todt – ermordet von Ihren Landsleuten!«

»Ah, so! – Und Sie kannten ihn?«

»Er war mein Freund.«

»O!«

»In Wahrheit!«

»Aber (mit neckischem Ton) liefert dies Bild nicht – falls es für keine illustrirte Zeitung bestimmt ist, eine etwas gespenstische Darstellung meiner Besitzung?«

»Gespenstisch, Don Royal? Sehen Sie denn nicht, daß er schläft?«

»Ja! (in spanischer Sprache) wie die Todten!«

Carmen (sich hastig bekreuzend). »Nach der Art der Todten!«

Ein unbehagliches Gefühl beschlich beide. Carmen bebte. Allein, da sie eine Frau war und zwar eine tactvolle, so gewann sie zuerst ihre Fassung wieder. »Ich habe diese Studie nur für mich angefertigt, Don Royal,« sagte sie, »ich mache Ihnen eine andere.« Und mit diesen Worten entschlüpfte sie, um, wie sie hoffte, nicht nur der Fortsetzung des Gespräches, sondern auch seiner Nähe zu entgehen.

Allein sie irrte sich; am Abend des nämlichen Tages nahm er die Unterredung wieder auf. Carmen fing an, sich zu verbarrikadiren, doch nicht aus Feigheit oder aus List, wie der Leser vielleicht argwöhnen wird, sondern aus jenem wunderbaren weiblichen Instinct, der ihr eingab, auf ihrer Hut zu sein. Trotzdem erfuhr er von ihr die ihm bisher unbekannte Thatsache, daß sie die Nichte seines ärgsten Widersachers war und in Folge dessen verdoppelte er, als gebildeter Mann, seine Aufmerksamkeit und seine Höflichkeit in solchem Grade, daß Frau Plodgitt sich einbildete, die Sache sei abgemacht und anfing, allen Ernstes über den Anzug nachzudenken, den sie bei der bedeutsamen, Feier tragen werde. Allein die arme Carmen weinte in jener Nacht, bis sie endlich mit dem Entschluß einschlief, daß sie sich fortan nicht mehr um ihren bösen Onkel kümmern, sondern allein diesem hochherzigen Americano vertrauen wolle; doch kam es ihr nicht in den Sinn, die Erzeugnisse ihrer unschuldigen Feder mit der tödtlichen Fehde der beiden Männer in Verbindung zu bringen. Frauen – auch die besten ihres Geschlechtes – sind stark im Errathen nebensächlicher Thatsachen, gewandt im Folgern, doch unsicher, wie die Kinder, sobald es sich um eine genaue Aufstellung oder eine gründliche Erforschung der Prämissen handelt. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß sie nicht daran gedacht hatte, irgend eine ihrer Handlungen mit dem Proceß ihres Onkels in Zusammenhang zu bringen und die Anfertigung der Unterschriften war ihrem Gedächtniß gänzlich entschlüpft.

Der männliche Theil meines Leserkreises wird jetzt Carmens Verwirrung und Erröthen verstehen und zu der Einsicht kommen, daß er ein Esel war, falls er dieselben für das Bekenntniß einer ursprünglichen Neigung gehalten hat. Meine Leserin wird dagegen nunmehr die Ueberzeugung gewinnen, daß die heuchlerische Hexe nichts anderes im Sinn hatte, als sich Thatchers Herz zu erobern. Und ich weiß in der That nicht, wer von beiden auf dem rechten Wege ist.

Dessenungeachtet malte sie für Thatcher eine Skizze, welche noch heute sein Comptoir in San Francisco schmückt. Auf diesem Gemälde ist die Mine in gefälligen geometrischen Linien veranschaulicht und jeder Pinselstrich verräth die zuversichtliche Hoffnung auf eine rosige Zukunft. Dann aber ward Carmen, nachdem sie auf diese Weise, wie sie glaubte, ihre Schuld abgetragen hatte, etwas kalt und spröde gegen Thatcher, worauf dieser Herr sich noch mehr bestrebte, aufmerksam und zuvorkommend zu sein, da ihm der Umstand, daß sie in dem Rancho der rothen Felsen verweilte, als eine Méprise erschien, die ihr ungleich unangenehmer sein mußte, als ihm. Die Nichte seines Feindes war ihm höchstens ein interessantes Mädchen – ein Mädchen, das des Schutzes bedürftig war, – das ihm jedoch niemals und unter keinen Umständen Furcht einflößen konnte. Doch kann man wol, wenn auch nicht Furcht, so doch Argwohn insgeheim in edle Gemüther streuen.

Frau Plodgitt, die sich auf diese Weise zu ihrem Kummer beim Schmieden von Heirathsplänen gestört sah, schob natürlich die Schuld auf ihr eigenes Geschlecht und ging zur stärkeren Seite, das heißt: zu der des Mannes über.

»Es ist Jammerschade,« sagte sie sotto voce zu Thatcher, als Carmen wieder einmal trotzig und mürrisch war, »daß die Mädchen manchmal so sonderbar sind. Es ist freilich anzunehmen, daß es ihr im Blute liegt. Die Spanierinnen sind rachsüchtig – ganz wie die Italienerinnen.«

Thatcher schaute sie mit unverhohlenem Erstaunen an.

»Nun, merken Sie denn nicht, daß sie unausgesetzt daran denkt, daß dieses Grundstück ihrem Onkel gehören würde, wenn Sie ihm nicht im Wege ständen? Und anstatt recht schön mit Ihnen zu thun und –« Hier machte sie eine Kunstpause, um sich zu räuspern.

»Guter Gott!« rief Thatcher in großer Bestürzung. »Der Gedanke ist mir noch nie in den Sinn gekommen.« Er hielt einen Augenblick inne und fügte dann mit bestimmtem Tone hinzu: »Ich kann es nicht glauben; es sieht ihr nicht ähnlich.«

Frau Plodgitt fühlte sich verletzt. Sie wanderte von dannen; entsandte jedoch im Scheiden diesen parthischen Pfeil: »Nun wohl, ich hoffe, daß nichts Schlimmeres dahinter steckt.«

Thatcher lächelte; dann beschlich ihn eine gewisse Unruhe. Als er bald darauf mit Carmen zusammentraf, bemerkte sie, daß seine grauen Augen mit einem seltsamen, durchdringenden Blick, der ihnen sonst nicht eigen war, auf ihr ruhten. Hierdurch gewann das Feuer neue Nahrung. Sie vergaß die Verpflichtungen, welche zwischen Wirth und Gast bestehen, und betrug sich geradezu ungezogen. Thatcher blieb ruhig, doch beobachtend. Er sorgte dafür, daß Frau Plodgitt frühzeitig zu Bett ging, lockte Carmen unter dem Vorwand, ihr die vielumworbene Mine bei Mondscheinbeleuchtung zu zeigen, ins Freie, und wanderte mit ihr bis zu dem eingestürzten Schmelzofen.

»Was ist vorgefallen, Fräulein Haro, habe ich Sie beleidigt?«

Dem Fräulein Carmen war es nicht bekannt, daß Etwas vorgefallen sei. Wenn Don Royal es vorzog, mit älteren Freundinnen zu verkehren, deren Treue er bereits erprobt hatte, die aber übrigens, – das wußte sie gewiß, – einem alten, ins Unglück gerathenen Herrn nichts Böses nachsagen würden, (o, Carmen, pfui!) und wenn ihm die Gesellschaft dieser Damen lieber sei, als die seiner jüngeren Freundinnen, – nun, (dem Leser wird eine unverkennbare Erregung und eine uumotivirte Anwendung von Pluralformen auffallen) – nun so begreife sie nicht, warum er sie dafür verantwortlich mache.

Sie wandten sich um und schauten einander ins Angesicht. Die Bedingungen zur Herbeiführung eines gründlichen Mißverständnisses zwischen diesen beiden Personen konnten nicht günstiger liegen. Thatcher war ein Verstandesmensch, Carmen dagegen ein Gefühlsweib, wenn mir dieser Ausdruck gestattet ist. Thatcher verlangte bestimmte Thatsachen festzustellen, und aus denselben seine Schlußfolgerungen zu ziehen. Carmen wünschte sich über gewisse Gefühle Klarheit zu verschaffen, um diesen sodann die Thatsachen anzupassen.

»Aber es fällt mir gar nicht ein, Sie zu tadeln, Fräulein Carmen,« sagte er ernst. »Es war in der That thöricht von mir, Sie zu veranlassen, ein Grundstück zu betreten, auf das Ihr Onkel einen Anspruch erhoben hat und das ich im Besitz habe; es war dies ein Mißgriff, aber nein!« fügte er schnell hinzu, »es war doch kein Mißgriff. Sie wußten, wie die Sache stand, und ich nicht. Sie nahmen keine Rücksicht darauf, ehe Sie hieher kamen, und ich war nur zu bereit, keine Rücksicht darauf zu nehmen, als Sie einmal hier waren.«

»Natürlich!« sagte Carmen gereizt, »bin ich die Einzige, die tadelnswerth ist. Ja, so sind die Männer!« (Bedenkt, sie war erst fünfzehnjährig und sprach doch dieses Verdammungsurtheil aus, als sei es das Ergebniß ihrer Erfahrungen und als habe man es ihr nicht bereits in der Wiege vorgesagt.)

Weibliche Gemeinplätze pflegen einen Mann stets stutzig zu machen. Thatcher erwiderte kein Wort. Carmens Ingrimm steigerte sich.

»Und warum haben Sie die Hand nach Onkel Victors Eigenthum ausgestreckt?« fragte sie triumphirend.

»Es ist mir nicht bekannt, daß es Ihres Onkels Eigenthum ist,« entgegnete er.

»Das ist Ihnen nicht bekannt?! Haben Sie denn nicht die Eingabe mit der Unterschrift des Gouverneurs Micheltorena gesehen? Haben Sie nicht die Zeugenaussagen gehört?« fragte sie mit leidenschaftlichem Tone.

»Unterschriften lassen sich fälschen und Zeugen können lügen,« entgegnete Thatcher gelassen.

»Was ist das, was Sie ›fälschen‹ nennen?«

Thatcher erinnerte sich sofort des Umstandes, daß die spanische Sprache keinen Ausdruck für »Fälschung« besitzt. Dieser Begriff war offenbar eine Erfindung des El Diable Americano. Daher sagte er, während sich in seinen wohlwollenden Augen ein überlegenes Lächeln zeigte:

»Jeder, der schlecht genug und geschickt genug ist, kann die Handschriften seines Nebenmenschen nachahmen. Wenn eine solche Copie zur Förderung eines Betruges benutzt wird, so nennt man das ›eine Fälschung‹. Ich bitte um Verzeihung – Fräulein de Haro – Fräulein Carmen – was ist Ihnen?«

Sie lehnte sich plötzlich in einem Anfall von Schwäche und Erschlaffung an einen Baum und starrte ihn mit weitgeöffneten Augen unverwandt an. Obwol sie erst ein »Embryo-Weib«, ein unerfahrenes, unwissendes Mädchen war – so war der ihrem Geschlechte innewohnende Instinkt doch bereits vollständig in ihr zur Reife gekommen: Sie hatte mit einem einzigen Sprung in die Tiefe Alles ergründet, wonach er jahrelang vergebens geforscht hatte.

Thatcher sah nur, daß sie litt, daß sie hilflos war, und das genügte ihm. »Es ist möglich«, begann er, »daß Ihr Onkel sich hat täuschen lassen. Manch ehrlicher Mann ist durch die geschickten Betrügereien von schändlichen Gaunern und Gaunerinnen hinter's Licht geführt worden.« ...

»Halten Sie ein! Madre de dios! Ich will kein Wort mehr hören!«

Thatcher zog sich einen Augenblick vor den flammenden Augen und dem bleichen Antlitz der kleinen Gestalt zurück, welche mit drohend geballter Kinderfaust dicht an ihn herangetreten war. Er gehorchte ihr und schwieg. »Wo ist diese Eingabe, diese Fälschung?« fragte sie, »Sie müssen mir dieselbe unverzüglich zeigen!«

Thatcher athmete erleichtert auf; er lächelte, wie Männer stets zu lächeln pflegen, sobald sie ihr Uebergewicht über weibliche Unwissenheit empfinden. »Wie können Sie nur annehmen, daß Ihr Onkel mir seine Papiere anvertraut hat. Diese Documente befinden sich vermuthlich in der Obhut seines Anwaltes.«

»Und wann darf ich diesen Ort verlassen?« fragte sie erregt.

»Wenn Sie meinen Wünschen nachzukommen gedenken, so bleiben Sie hier, wenn auch nur bis zu dem Augenblicke, wo Sie mir verziehen haben werden. Aber wenn ich Sie beleidigt habe – was jedoch durchaus nicht in meiner Absicht lag – und Sie unversöhnbar sind ..«

»Darf ich morgen bei Tagesanbruch abreisen, wenn es mir beliebt?«

»Gewiß, das dürfen Sie, wenn Sie darauf bestehen,« erwiderte Thatcher ernst.

»Gracias Señor!«

Sie wanderten langsamen Schrittes heimwärts. Thatcher mit dem specifisch-männlichen Gefühl, ohne Grund und Zweck verletzt worden zu sein, Carmen mit der specifisch-weiblichen Idee, nunmehr für immer zu Boden geschmettert zu sein. Kein Wort ward zwischen ihnen gewechselt, bis sie die Thür erreichten. Dann rief Carmen plötzlich nach alter Gewohnheit, ihren Impulsen folgend, mit heiterem Tone: »Gute Nacht, o, Don Royal! Angenehme Träume! Hasta Mañana!«

Thatcher starrte stumm und betroffen das wetterwendische Mädchen an. Sie erkannte sofort, daß ihm ihre Handlungsweise dunkel war. »Es ist nur wegen der alten Tante,« flüsterte sie, indem sie mit dem Daumen die Stelle bezeichnete, wo Frau Plodgitt schlief. »Gute Nacht! Gehen Sie!«

Er ging von dannen und ertheilte einem Peon (Tagelöhner) den Auftrag, die beiden Damen am folgenden Morgen zu begleiten und für sie und ihren Wagen Sorge zu tragen. Als er erwachte, entdeckte er, daß Fräulein Carmen mit ihrem Diener, den Weg nach Monterey einschlagend, abgereist war, daß sie jedoch Frau Plodgitt nicht mitgenommen hatte.

Er war nicht im Stande, der Letzteren sein Erstaunen hierüber zu verheimlichen. Diese so schändlich im Stich gelassene und den Tücken unseres Geschlechtes überantwortete Dame war sehr entrüstet. Allein sie besaß doch noch Fassung genug, um Thatcher ihre Meinung mittheilen zu können. »Sagte ich es Ihnen nicht? Sie ist zu ihrem Onkel ** gegangen, um demselben Alles zu erzählen.«

»Alles? Zum Henker, was kann sie ihm erzählen?« donnerte Thatcher, seiner Selbstbeherrschung beraubt.

»Hoffentlich nichts, was sie nicht sagen darf,« sagte Frau Plodgitt und zog sich hoheitsvoll zurück.

Sie hatte Recht. Fräulein Carmen fuhr in der That nach Monterey und jagte zu diesem Zwecke ihrem Pferde fast die Beine ab; dann aber sandte sie ihren Diener und ihren Wagen mit den Worten zurück, daß sie die Absicht habe, per Steamer nach San Francisco zu reisen, und Frau Plodgitt dort zu treffen hoffe. Sodann wanderte sie muthigen Herzens zu dem Geschäftslocal des Districtsanwalt Saponaceous Wood, der zur Zeit der juristische Beistand ihres Onkels war.

Trotz des unglückseligen Rufes, in dem ihr Oheim stand, erfreute sich Fräulein Carmen der Bewunderung und der Hochachtung der Mehrzahl der männlichen Bevölkerung von Monterey. Herr Wood war entzückt, sie wiederzusehen und empfing sie mit linkischer Zuvorkommenheit. Fräulein Carmen war kühl und geschäftsmäßig. Sie komme, sagte sie, im Auftrage ihres Onkels, um die Papiere durchzusehen, welche den Blue-Mass-Mine-Proceß beträfen. Dieselben wurden ihr unverzüglich vorgelegt. Carmen blätterte nach der Urkunde, welche sich auf die Schenkung bezog. Ihre Wangen entfärbten sich unmerklich. Ihr scharfes Gedächtniß und ihr wunderbar sicheres Auge konnten sie nicht irre leiten. Es unterlag keinem Zweifel, die Unterschrift von Micheltorena war von ihr selbst geschrieben!

Und doch lächelte sie, als sie zu dem Advocaten aufblickend, die Frage aussprach: »Darf ich diese Papiere für eine Stunde mit zu meinem Onkel nehmen?«

Selbst ein älterer und ein besserer Mann als der Districts-Anwalt würde diesen gesenkten Wimpern und dieser sanften Stimme nicht haben widerstehen können.

»Sehr gern!«

»Sie erhalten dieselben nach Verlauf einer Stunde zurück.«

Carmen hielt Wort. Noch ehe die bestimmte Zeit verflossen war, lieferte sie die Documente wieder ab, verneigte sich mit freundlichem Gruß vor dem gerichtlichen Beistand ihres Onkels und begab sich noch am nämlichen Abend auf den nach San Francisco bestimmten Dampfer.

Am folgenden Morgen taumelte Victor Garcia, den die Freuden der vergangenen Nacht nicht sonderlich gekräftigt hatten, in das Comptoir seines Advocaten. »Ich habe Grund, mich vor Carmen zu fürchten,« lallte er mit schwerer Zunge. »Sie hält es mit unserm Feinde. Da sieh her!«

Er zog ein anonymes Schreiben hervor (dasselbe verdankte seine Entstehung Frau Plodgitts ungelenker Hand), in welchem ihm mitgetheilt ward, daß seine Nichte von seinem Gegner bestochen sei, er müsse sich deshalb vor ihr in Acht nehmen.

»Unmöglich!« sagte der Anwalt. »Sie hat dir ja noch in der vergangenen Woche 50 Dollar geschickt.«

Auf Victors Wangen zeigte sich ein Roth, das trotz seiner unreinen Haut bemerkbar war; auch machte er mit der Hand eine ungeduldig abwehrende Bewegung.

»Und außerdem,« fuhr der Advocat gelassen fort, »ist sie ja gestern in deinem Auftrage hier gewesen, um die Papiere durchzusehen und dieselben dann wieder abzuliefern.«

Victor rang nach Athem. »Und du – du hast sie ihr gegeben?«

»Natürlich!«

»Alle, – auch die Urkunde mit der Unterschrift?«

»Allerdings. Sie kam ja auf deinen Wunsch!«

»Auf meinen Wunsch? Die leibliche Tochter des Teufels ist sie!« schrie Garcia. »Nein! Hundert Millionen Mal, nein! Schnell, ehe es zu spät ist, zeige mir das Papier.«

Der Advocat holte die Acten herbei. Garcia durchblätterte sie mit bebenden Fingern, bis er schließlich des verhängnißvollen Documents habhaft ward. Er begnügte sich nicht damit, es zu öffnen und den Inhalt und die Überschrift zu besichtigen, sondern ging mit demselben an das Fenster, um es genau zu beleuchten.

»Es ist das Nämliche!« sagte er beruhigt aufathmend.

»Das versteht sich von selbst,« entgegnete Herr Wood gereizt. »Die Papiere sind sämmtlich da; es fehlt kein einziges, – und du bist ein Narr, Victor Garcia.«

Das war er allerdings. Doch Herr Saponaccous Wood, der Rechtsgelehrte, verdiente wenigstens in dem vorliegenden Falle diese Bezeichnung nicht minder.

Inzwischen kehrte Fräulein de Haro nach San Francisco zurück und ging dort wieder ihrem Erwerbe nach. Einige Tage später traf auch Frau Plodgitt ein. Diese Dame hatte eine zu großartig angelegte Natur, als daß sie einem von ihr selbst geschriebenen anonymen Briefe gestattet hätte, als Scheidewand zwischen sie und ihre kleine Mietherin zu treten. So herzte und liebkoste sie dieselbe und schilderte ihr in etwas übertriebenen Farben, den Kummer, den sie Don Royal durch ihre plötzliche Abreise verursacht hatte. Fräulein Carmen ließ das Alles in einer demüthigenden, kätzchenartigen Weise über sich ergehen, ohne sich jedoch bei ihrer Arbeit stören zu lassen. Zur verabredeten Zeit war das große Bild, welches Don Royal bestellt hatte, vollendet; sodann fand sie noch Muße, ihrer Neigung nachgehend, jene gespenstische Skizze von dem geborstnen Schmelzofen durch verschiedene Umänderungen zu vervollständigen.

Gleichwol kam Don Royal, da er offenbar mit Geschäften überbürdet war, nicht wieder nach San Francisco zurück und Frau Plodgitt erwarb sich inzwischen ein hübsches Sümmchen, indem sie für eine kurze Zeit sein Zimmer an zwei ruhige Mexikaner gab, welche ausnehmend angenehme Miether gewesen sein würden, wenn sie nicht die abscheuliche Gewohnheit gehabt hätten, Cigaritos zu rauchen, die das ganze Haus einräucherten. Wenn es diesen Herren nicht gelang, die Bekanntschaft ihrer schönen Landsmännin, Fräulein de Haro, zu machen, so kam das wol nur daher, weil die betreffende junge Dame allzuviel zu thun hatte; und nicht weil die Mexikaner es etwa an einer klar zu Tage tretenden Bemühung hätten fehlen lassen.

»Fräulein de Haro hat einen eigenthümlichen Charakter,« sagte die politische Frau Plodgitt zu ihren Gästen. »Sie knüpft niemals Bekanntschaften an, und das bringt ihr meiner Meinung nach in geschäftlicher Beziehung manchen Nachtheil. Wenn ich nicht die Vermittelung übernommen hätte, so würde sie Don Royal Thatcher, den Besitzer der großen Quecksilbermine, nicht kennen gelernt und niemals von ihm den Auftrag erhalten haben, ein Bild von seiner Mine anzufertigen.«

Die beiden fremden Herren wechselten einen bedeutsamen Blick. Der Eine sagte: »Gerechter Gott, das bedaure ich sehr!« und der Andere sprach: »Ist es möglich?« und dann schlichen sie sich, als ihre Wirthin kaum den Rücken gedreht hatte, mit Hilfe eines Nachschlüssels in das derzeit leere Schlafgemach und Atelier ihrer schönen Landsmännin, die außer dem Hause mit Skizziren beschäftigt war. »Du ersiehst hieraus,« sagte Herr Pedro (der Flüchtling) zu Miguel (dem Ex-Geistlichen), »daß dieser Americano allmächtig ist und daß unser Victor, trotz seiner Trunksucht, mit seinen Vermuthungen auf der rechten Fährte sich befindet.«

»Ja, wahrlich!« erwiderte Miguel. »Bedenke doch nur, daß selbst Jovita Castro ihrem Schatze, einem Americano, zu Liebe den Rechtsanspruch von Sobriente verrieth. Nur in uns beiden, mein Pedro, lebt noch der alte mexikanische Geist, das echte Gott und die Freiheit!«

Sie schüttelten sich die Hände in edler Gefühlsaufwallung und begaben sich dann an ihr Werk, daß heißt, an die Durchstöberung der Koffer, Kisten und Schubfächer dieser armen, kleinen Malerin Carmen de Haro; ja, sie trennten sogar die Näthe der Matratze ihres jungfräulichen Lagers auf. Allein sie fanden nicht, was sie suchten.

»Was mag nur dort auf jenem Holzgestell unter dem Tuche verborgen sein?« fragte Miguel. »Diese Künstler haben die schändliche Gewohnheit, ihre Wertsachen gut zu verstecken.«

Pedro trat an die Staffelei und riß den sie bedeckenden Musselinvorhang herab. Dann stieß er einen Schrei aus, der seinem Gefährten durch Mark und Bein drang und denselben veranlaßte, ihm unverzüglich zu Hilfe zu eilen.

»Im Namen Gottes!« flüsterte Miguel ihm eiligst zu. »Hast, du etwa die Absicht, das ganze Haus in Bewegung zu bringen?«

Der Exvaquero zitterte wie ein Kind. »Schau hin!« stieß er mit heiserer Stimme hervor. »Schau hin, – siehst du es? Das ist Gottes Finger!« Dann brach er bewußtlos zusammen.

Miguel folgte seiner Aufforderung und erblickte Carmens fast vollendete Skizze, den verlassenen Schmelzofen darstellend. Concho's Gestalt nahm, von dem Schein des Lagerfeuers klar beleuchtet, die linke Seite des Vordergrundes ein. Allein offenbar hatte die Malerin – der vorteilhafteren Gruppirung wegen – sich bewogen gefühlt, eine zweite Figur anzubringen, welche das Gesicht und die Gestalt Pedro's tragend, auf Händen und Füßen zu dem schlafenden Manne kroch!


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