Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Wie die Mine berühmt ward.

Yuba Bill hatte mit seiner Annahme Recht gehabt, daß Wiles zu Rawlings keine Zeit vergeuden werde. Er verließ diesen Ort auf einem flüchtigen Rosse, noch ehe Bill mit seiner zusammengebrochenen Kutsche die letzte Station wieder erreicht hatte und war daher dem Telegramm, das ihn zurückhalten sollte, um zwei Stunden voraus. Die Poststraße und ihre gefahrdrohenden Telegraphenstationen verlassend, jagte er, südwärts sich haltend, auf der Heerstraße nach Denver und fuhr über den Missouri, bevor Thatcher Julesburg erreicht hatte. Als Thatcher sich in Omaha befand, war Wiles bereits in St. Louis, und als der Pullman-Waggon, der den Helden der »Blue-Mass-Mine« barg, in den Bahnhof von Chicago rollte, wanderte Wiles bereits durch die Straßen der Bundeshauptstadt. Dessenungeachtet hatte er während der Tour doch noch Zeit genug gehabt, Thatchers kleinen schwarzen Koffer, der einen Toilettenkasten, einige wenige unwichtige Briefe und ein Manschettenhemd enthielt, in die Wellen des North Platte zu versenken und mit Ausdrücken der tiefsten Verachtung sein Erstaunen darüber zu bekunden, daß einfache Leute ihre wichtigen Dokumente und Wertsachen nicht mit auf die Reise zu nehmen pflegen. Auch stellte er einige, vorsichtige Nachforschungen über den Verbleib seines eigenen verlorenen Reisesackes und dessen wichtigen Inhalt an.

Mit Ausnahme dieser geringfügigen Widerwärtigkeiten hatte er begründete Ursache, sich über das glückliche Gelingen seines Planes zu freuen.

»Es ist Alles auf bestem Wege!« sagte Frau Hopkinson in heiterster Stimmung. »Während Sie und Gashwiler mit ihren »Actien« herumlaufen, und sich einbilden, daß alle Welt Willens sei, sich von Ihnen bestechen zu lassen, habe ich mit unserem ernsten Roscommon, diesem rührenden Menschen, der an sich selbst glaubt und sich selbst betrügt, mehr ausgerichtet, als Sie und Ihre ganze Bande zusammen genommen. Denken Sie nur, ich habe überall seine herzbewegende Geschichte erzählt und den Augen der Senatoren und Cabinetsmitglieder Thränen entlockt. Mehr noch; ich habe ihn in die Gesellschaft eingeführt, habe ihm einen Frack angezogen. O, die Figur, die er spielte! Sie wissen ja, wie selbst die vornehmsten Leute Alles, was Outré ist, als das einzig Wahre anbeten. Einen stürmischen Erfolg habe ich mit ihm errungen. Und denken Sie, gestern Abend, als Senator Misnancy und Richter Fitzdawdle bei uns waren, sang ich, nachdem ich ihn zuvor veranlaßt hatte, seine Erlebnisse zu erzählen – an die er, wie Sie wissen, allen Ernstes glaubt – das Lied: ›Ein armer Flüchtling kam zum Strand, Weit her von Erins grünem Land‹, und mein Gatte hat mir nachher gesagt, mein Gesang sei mindestens ein Dutzend Stimmen werth.«

»Aber wie steht es mit Ihrer Nebenbuhlerin, der Nichte unseres Garcia

»Das ist wieder einmal eine von Ihren unsinnigen Behauptungen! Was versteht ihr Männer von Frauensachen? Erstens ist sie eine kleine brünette Person mit schwärzlichem Teint und Pfeffernüssen statt der Augen; sie geht breitbeinig wie ein Mann, zieht sich an wie eine Schlumpe, trägt kein Corset und hat mit einem Wort keine Spur von Lebensart und keine Manieren. Ferner ist sie ein lediges Frauenzimmer und besitzt keine Angehörigen; und wenn sie sich auch das Ansehen zu geben sucht, als sei sie eine Künstlerin und daher völlig unabhängig, so liegt es doch auf der Hand, daß sie sich nicht ohne männliche Begleitung, oder einen Freund oder etwas derartiges an den Gesellschaften betheiligen kann. Es ist also nichts, als fades Geschwätz.«

»Aber,« beharrte Wiles, »trotzdem muß sie einen nicht unerheblichen Einfluß besitzen. Senator Peabody und Richter Mason sprechen fortwährend von ihr und Dinwiddi aus Virginien hat sie vor einigen Tagen in das Capitol begleitet.«

Frau Hopkinson lachte, »Mason und Peabody prahlen mit ihrer literarischen und künstlerischen Ausbildung und Dinwiddi hat nur im Sinne gehabt – mich zu ärgern.«

»Aber Thatcher ist kein Narr.«

»Ist Thatcher ein Damenfreund?« forschte die Dame plötzlich.

»Wol schwerlich,« entgegnete Wiles. »Er thut, als gehe er vollständig in seinem Schwindel auf und werde von seiner Mine ganz und gar in Anspruch genommen. Ich glaube kaum, daß selbst Ihre Persönlichkeit –« Er hielt inne und musterte sie mit höhnischem Blick.

»Da unterschätzen Sie abermals meinen Einfluß, und was noch schlimmer ist, Sie verkennen die Sachlage vollständig. Thatcher findet Gefallen an Garcia's Nichte, weil er vermuthlich noch keine andere Frauen kennt. Gedulden Sie sich, bis er nach Washington kommt und Gelegenheit findet, einen Vergleich anzustellen.« Mit diesen Worten warf sie einen vielsagenden Blick in ihren Spiegel, während Wiles sich mit einer spöttischen Verbeugung verabschiedete.

Nicht minder zuversichtlich baute Gashwiler seine Hoffnungen auf die Erfolge, welche er im Congreß errungen hatte. »In wenigen Tagen,« sagte er, »stehen wir am Ende der Session. Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß es uns gelingt, die Sache zur Sprache zu bringen und durchzujagen, noch ehe der verwünschte Thatcher weiß, woran er ist.«

»Wenn die Angelegenheit zum Abschluß gebracht werden könnte, bevor er eintrifft,« sagte Wiles, »so wäre das ein großer Gewinn. Er hat zwei Tage verloren; – es wäre freilich besser, man hätte ihn noch länger aufhalten können.« Bei diesem Wunsche seufzte Herr Wiles. Wenn der Unfall sich auf einer abschüssigen Stelle ereignet hätte und die Postkutsche in einen Abgrund gestürzt wäre, wie viel kostbare Zeit würde dann gewonnen sein! Er und seine Genossen könnten dann mit Sicherheit auf einen Sieg rechnen. Herrn Wiles Advocaturpflichten schlossen jedoch keinen Mord in sich; wenigstens zweifelte er daran, ob er seinem Clienten einen solchen bei der Berechnung der Gebühren mit in Anschlag hätte bringen dürfen.

»Wir haben nicht das Geringste zu befürchten, mein Herr,«, wiederholte Gashwiler. »Der Rechtsfall ruht nunmehr in der Hand des höchsten Appellationsgerichtes unseres Landes. Er wird daher mit unbeugsamer Gerechtigkeit geprüft werden. Ich habe übrigens bereits die erforderlichen vorbereitenden Schritte gethan.«

»Apropos,« unterbrach ihn Wiles, »wo hält sich Ihr Factotum auf? Ihr Privatsecretair – der junge Dobbs.«

Das Kongreßmitglied stutzte. »Er ist nicht hier,« sagte er. »Auch muß ich Sie auf einen bedauerlichen Irrthum aufmerksam machen. Der Titel, den sie ihm geben, kommt ihm nicht zu. Ich habe diesen Menschen niemals in meine geschäftlichen Angelegenheiten eingeweiht.«

»Aber Sie haben ihn mir ja selbst als Ihren Privatsecretair vorgestellt?«

»Das war eine Art von Ehrentitel, mein Herr. Eine Titulatur ohne die entsprechende Stellung. Allerdings habe ich – das läugne ich keineswegs – die Absicht gehabt, ihn dermaleinst zu einem solchen Posten zu erheben. Allein er hat sich dessen unwürdig gezeigt. Ich mache leider stets schmerzliche Erfahrungen, so oft ich die Gefühle, die ich als Mensch empfinde, über die Pflichten stelle, die mir als amerikanischem Gesetzgeber obliegen. Dieser Dobbs mißbrauchte meine Gönnerschaft; er beutete die günstige Gelegenheit, die ich ihm zum Eintritt in das staatliche Leben bot, auf das schändlichste aus. Er stürzte sich – ich bekenne es ungern – bis über die Ohren in Schulden. Seine Verschwendungssucht überstieg alle Grenzen, sein Ehrgeiz jedwede Schranken – und dabei hatte er keinen rothen Heller zu verausgaben. Von Zeit zu Zeit schoß ich ihm auf das kleine Vermögen, welches Sie ihm großmüthiger Weise überwiesen hatten, Geld vor. Allein er hat diese Summen ganz im Stillen durchgebracht. Und trotzdem, mein Herr, – so weit geht die Undankbarkeit der Menschen! – kommen vor mehreren Tagen seine Angehörigen zu mir, um mich in seinem Namen anzubetteln. Ich empfand die Notwendigkeit unerschütterlich zu sein, und schlug ihr Gesuch ab. Uebrigens möchte ich um seiner Familie willen, nicht laut werden lassen, daß mir seit seiner Entlassung mehrere Bücher in meiner Bibliothek fehlen. Es sind mir abhanden gekommen, sage abhanden gekommen, nicht nur zwei Bände von Bureauberichten, welche das Schutz- und Patentwesen betreffen, sondern auch ein Blaubuch des Kongresses, das ich mir erst am nämlichen Tage in einem der Buchläden der Pensylvaniastraße gekauft hatte. Mit Müh' und Noth – sage mit Müh' und Noth – gelang es mir zu verhüten, daß die Presse Lärm schlug.«

Da Herr Wiles diese Geschichte bereits von Gashwilers Bekannten in verschiedenen mehr oder minder freien Lesarten und mit einigen scharfen Seitenhieben auf die Sparsamkeit des begabten Gesetzgebers vernommen hatte, so konnte er sich sehr wohl vorstellen, daß die Vertuschung dieser Sache allerdings mit Schwierigkeit verbunden gewesen sein mußte. Er verlor übrigens kein Wort darüber; er heftete jedoch sein boshaftes Auge auf Gashwiler und sagte: »So ist er auf und davon gegangen? He?«

»Ja.«

»Und Sie haben ihn sich zum Feinde gemacht. Das ist äußerst fatal.«

Herr Gashwiler bemühte sich, einen würdevollen Gleichmuth an den Tag zu legen; allein die ernste Miene seines Geschäftsfreundes machte ihn beklommen.

»Ich wiederhole, das ist äußerst fatal! Sie hätten es nun und nimmer thun dürfen. Hören Sie mich an! Ehe ich von Washington abreiste, fand ich in einem Pensionshause, wo Dobbs Kost und Logis erhalten hatte und noch eine Rechnung schuldig war, seinen Reisesack, den der Wirth als Pfand an sich genommen hatte. Ich öffnete denselben und bemerkte, daß er mehrere Documente und Papiere und ein Notizbuch enthielt, in welches Dobbs Bemerkungen eingetragen hatte, diese Gegenstände hätten sich, wie mich dünkt, sämmtlich in Ihrer speciellen Obhut befinden sollen. Ich gab mich daher für einen Freund aus, und löste den Reisesack ein, nachdem ich die Rechnung bezahlt hatte, und brachte hiermit die ungleich wertvolleren Papiere in Sicherheit.

Gashwilers Gesicht, das anfangs von einer apoplektischen Glut überströmt war, nahm, als Wiles seine Erzählung beschloß, seine ursprüngliche Farbe wieder an. Nach einer Pause stieß er die Worte hervor: »Und Sie haben den Koffer in Ihrem Besitz und die Papiere ebenfalls?«

»Nein, leider nicht, und deshalb ist die Sache so äußerst unangenehm.«

Herr Gashwiler saß während mehrerer Augenblicke sprachlos da; die Purpurröthe der Wuth und die Leichenblässe der Furcht überflogen abwechselnd sein Angesicht. Dann sagte er mit heiserer Stimme:

»Es sind alles eitel Fälschungen, Stück für Stück nachgemachte Documente!«

»O, nicht doch!« versetzte Wiles, mit der rechten Seite süßlich lächelnd, während sich das teuflische Auge der linken Seite mit schadenfroher Lust an der ganzen Scene weidete.

»Ihre Papiere, mein lieber Gashwiler, sind sicherlich alle echt und ich bin inniglichst überzeugt, daß sie sich sämmtlich in der besten Ordnung befinden. Aber unglücklicherweise hatte ich in dem nämlichen Reisesack, in dem ich den Inhalt von Dobbs Koffer verwahrte, einige Memoranda, die ich für meinen Clienten aufgeschrieben hatte und diese können, wie Sie begreifen werden, einen unberechenbaren Schaden anrichten, falls sie in die unbefugten Hände eines klugen Menschen fallen.«

Die beiden Schurken schauten einander an. Es herrscht in der Regel in Wirklichkeit sehr wenig Corpsgeist unter den Dieben – wenigstens unter den großen – und der schwächere dieser zwei Spitzbuben knickte bei dem Gedanken an Das zusammen, was er thun würde, wenn er an des Anderen Stelle sich befände. »Sehen Sie, Wiles,« sagte er, während sein würdevolles Wesen sich in Schweißtropfen auflöste, die, aus jeder Pore dringend, seinen Hemdkragen in ein feuchtes Zeugläppchen verwandelte. »Sehen Sie, wir – (diese Anwendung der ersten Person Pluralis kam einem Geständnisse gleich) wir müssen uns die Papiere wieder verschaffen.«

»Natürlich,« sagte Wiles kaltblütig, »wofern wir es können und Thatcher noch nicht Wind von ihnen bekommen hat.«

»Das kann er nicht.«

»Er befand sich in der Postkutsche, als ich den Reisesack verlor.«

Herr Gashwiler ward abermals bleich. In der Angst seines Herzens flüchtete er sich, Wiles vergessend, zu einem Wandschrank und ergriff eine Flasche. Zehn Minuten früher würde Wiles ihn bei dieser Beschäftigung nicht gestört haben; jetzt aber erhob er sich rasch, nahm dem ehrenwerthen Abgeordneten ohne alle Umstände die Flasche aus der Hand und sorgte dafür, daß er der Erste war, der etwas zu trinken bekam und setzte sich dann wieder nieder.

»Muth gefaßt, alter Junge,« sagte Gashwiler, nunmehr den Platz mit dem kaltblütigeren Wiles wechselnd. Er klopfte demselben mit seinem feisten Zeigefinger vertraulich auf die Schultern und fuhr dann muthvoll fort: »Menschenkind! Sie vergessen ja ganz, daß die Sache fix und fertig ist, ehe Thatcher anlangt.«

Mag sein,« versetzte Wiles düster, »aber diese faulen, lässigen, rechtschaffenen Menschen haben eine ganz verfluchte Art, gerade dann aufzutauchen, wenn der entscheidende Augenblick eintritt. Sie überstürzen sich niemals; Alles wartet auf sie. He! wissen Sie nicht mehr, wie gerade an dem Tage, an dem Frau Hopkinson und ich und Sie den Präsidenten breitgeschlagen hatten, ein Patent zu unterschreiben, Einer von den verfluchten Kerlen von San Francisco oder von Australien hier eintraf, nachdem er die ganze Reise in größter Gemächlichkeit gemacht hatte? Der Präsident hatte das Patent soeben unterzeichnet und wollte es in das Bureau schicken, als der wahre Jacob erschien und auch natürlich sofort den rechten Mann aufgabelte, der ihn zum Präsidenten führen konnte. Und nun ward nach einem halbstündigen Gespräch der Erlaß des Patentbriefes zurückgezogen und unsere ganze sechsjährige Mühe und Arbeit in einer einzigen Stunde über den Haufen geworfen.«

»Ja, aber der Congreß ist ein Tribunal, das seine Beschlüsse nicht widerruft,« sagte Gashwiler, in sein früheres Wesen zurückfallend, »wenigstens,« fügte er hinzu, als er gewahrte, daß sein Gefährte ungläubig die Achseln zuckte, »wenigstens nicht im Laufe der nämlichen Session.«

»Nun, wir werden sehen!« sagte Wiles, nach seinem Hut greifend.

»Sie werden sehen, Herr Wiles,« wiederholte der Abgeordnete von Remus mit Würde.


 << zurück weiter >>