Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

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Zweites Kapitel.

Wer die Mine fand.

Concho brannte so sehr vor Ungeduld das Lager zu erreichen und seinen Kameraden die gute Neuigkeit mitzutheilen, daß ihm der Fremde mehr als einmal den Befehl ertheilte, seinen Schritt zu mäßigen. »Ist es dir noch nicht genug, du satanischer Greaser, daß du deine eigene Eselin zu Schande gehetzt hast? Willst du mir auch noch die meinige ruiniren? Oder soll ich dir Jinny mit auf die Rechnung setzen?« rief er und dabei lachte er höhnisch und hob das gelähmte Augenlid ein ganz klein wenig empor.

Die beiden Männer trabten über eine Stunde auf dem Bergrücken entlang; dann fingen sie an, ins Thal hinuntersteigend, bergab zu reiten. Am Rande des Pfades zeigte sich jetzt eine dürftige Vegetation und hin und wieder sah man einen Manzanitabusch oder einen zwergischen Bocksaugenbaum, der in den Spalten des schwarzgrauen Felsens Wurzel gefaßt hatte. Auch ward, so oft sie über eine ausgetrocknete Bachrinne ritten, welche die im Winter übertretenden Gewässer gebildet hatten, das düstere Grau der Felsen durch matte röthlich-braune Farbenmassen belebt und fast ein jeder der überhängenden Blöcke trug die Spuren einer Goldgräberhacke. Doch kaum hatten sie die gebogene Flanke des Berges umritten, so erblickten sie einen gespenstischen Strom feinen Rauches, der unausgesetzt von unsichtbaren Händen in den unsichtbaren Aether emporgezogen zu werden schien. »Dort ist das Lager!« rief Concho freudestrahlend. »Ich will vorauseilen, um sie auf Ihren Besuch vorzubereiten.« Und ehe sein Gefährte ihn zurückzuhalten vermochte, war er bereits bei einer Biegung des Weges hinter einer scharf hervorspringenden Felskante verschwunden.

Sich selbst überlassen, ließ der Fremde sein Pferd einen gemächlicheren Schritt annehmen. Er gewann somit Muße, sich seinen Betrachtungen hinzugeben. Obwol er ein Erzspitzbube war, so verursachte ihm doch die einfältige Leichtgläubigkeit des guten Concho eine gewisse Unruhe. Nicht, daß sein moralisches Bewußtsein gerührt worden wäre; nein, er fürchtete nur, daß Concho's Kameraden, dessen Einfalt kennend, den Verdacht schöpfen würden, daß er diesen Umstand ausbeute. In tiefes Sinnen verloren, ritt er fürbaß. Ueberschaute er sein vergangenes Leben? Ein Vagabond durch Geburt und Erziehung, ein Schwindler von Profession, ein Pariah in Folge seines schlechten Rufes, hatte er, ohne mit der Rechtschaffenheit öffentlich zu brechen, seit seiner Knabenzeit auf jener gefahrvollen Klippe unmittelbar über dem Abgrund des Verbrechens geschwebt. Er machte sich kein Gewissen daraus, diese Mexikaner zu betrügen. Gehörten sie doch einem verkommenen Geschlechte an! Ja, es war ihm sogar einen Augenblick fast zu Muthe, als sei er ihnen gegenüber ein bevollmächtigter Träger des Fortschrittes und der Civilisation. Wir verstehen erst dann den vollen Werth der Aufklärung, wenn wir anfangen, sie als eine Angriffswaffe zu benutzen.

Noch einige Schritte weiter vorwärts reitend, sah er auf dem von zunehmendem Dämmerlicht umhüllten Pfade vier Gestalten auftauchen. Er erkannte sofort den guten Concho, der mit strahlendem Antlitz seinen Gefährten voran ging. Ein flüchtiger Blick auf die Gesichter dieser Männer verrieth ihm, daß sie zwar an Gutmüthigkeit hinter Concho zurückstanden, ihn trotzdem aber keineswegs an Klugheit übertrafen. Pedro war ein stämmiger Vaquero, Manuel ein schmächtiger Mischling und obendrein ein Ex-Convertit der Mission St. Carmel, und Miguel hatte ehedem in Monterey als Schlachter gelebt. Nachdem die argwöhnische Scheu, mit der sie nach der Art ungebildeter Menschen den Fremdling betrachteten, unter Concho's wohlmeinendem Einfluß erstorben war, begleiteten sie alle Vier den Unbekannten, der sich ihnen als »Herr Joseph Wiles« vorstellte, zu ihrem Lagerfeuer. Sie waren so begierig, die Untersuchung sofort beginnen zu lassen, daß sie sogar die Anfangsgründe der Gastlichkeit außer Acht ließen und sich erst auf ihre Pflicht besannen, als Herr Wiles, jetzt Don José genannt, ihnen durch einen sehr deutlichen Wink zu erkennen gab, daß er etwas zu essen wünsche. Als das frugale, aus Tortillas, Frijoles, Pökelfleisch und Chocolade bestehende Mahl beendet war, erbauten die Mexikaner aus der dunkelrothen Felsmasse, welche sie der vor ihnen liegenden Schicht entnahmen, einen Schmelzofen und bedeckten denselben mit einem genau eingefügten Tiegel, der seine Glasur einem eigenartigen, landesüblichen Verfahren verdankte. Nachdem sie den Tiegel mit Lehm und Soden befestigt hatten, zündeten sie eiligst einen Haufen Fichtenzweige an, die sie aus einem tieferliegenden bewaldeten Hohlweg herbeigeschafft hatten; und nach wenigen Augenblicken stand der Schmelzofen in voller Glut. Wiles nahm keinen Antheil an diesen thätigen Vorbereitungen; behaglich mit dem Rücken auf der Erde liegend, stieß er nur dann und wann einen Befehl zwischen den Zähnen hervor, mit denen er sinnenden Geistes eine Thonpfeife festhielt. Wie sehr sich auch der Schurke an der nutzlosen Arbeit der Männer ergötzen mochte, er zeigte es nicht; doch sah man, daß sein linkes Auge wiederholt der breiten Gestalt des Ex-Vaquero Pedro folgte und mehr als einmal auf den buschigen Brauen und den halb thierischen Gesichtszügen dieses würdigen Mannes ruhte. So oft Pedro jenem unheilschwangeren Blick begegnete, stieß er einen Fluch aus; aber nichts destoweniger war er nicht im Stande seiner magischen Anziehungskraft zu widerstehen, sondern sah sich gezwungen, ihn immer aufs Neue zu suchen.

Und doch hätte es wahrlich nicht dieses diabolischen Auges bedurft, um der Scene eine wilde Romantik zu verleihen; sie war ohnehin gespenstisch genug. Thurmhoch ragte der Berg empor, – eine dichte dunkle, Rembrandtartige Schattenmasse, – die sich hier und dort in malerischen Formen von einem Himmel abhob, der so unermeßlich fern erschien, daß er in einer weltmüden Seele den verzweiflungsvollen Gedanken erweckt haben würde, daß es unmöglich sei, ihn jemals zu erreichen oder seine stahlblauen Wände zu erklimmen. Die Sterne waren groß, klar und leuchtend, aber kalt und unbeweglich. Sie hüpften und funkelten nicht in ihrer demantnen Fassung. Der Feuerschein des Schmelzofens bemalte die Gesichter der Männer mit dem Roth der Indianer und spielte auf den buntgefärbten Decken und Serapés; dann aber ward er, kaum zwanzig Schritte von der Ofenthür entfernt, von dem lauernden Schatten des schwarzen Berges gefangen und aufgesogen. Die ungebildete, halb gesungene, halb geflüsterte Unterhaltung der Gruppe, das Stöhnen des Ofens und das plötzlich aus dem Thale heraufschallende schrille Geheul eines Prairiewolfes waren die einzigen Töne, welche die geheimnißvolle Stille rings umher unterbrachen.

Es dämmerte bereits, als es hieß, das Erz sei geschmolzen. Und es war höchste Zeit, denn der Tiegel versank allmählich in den stark zusammenschrumpfenden Ofen, Concho stieß ein frohlockendes »Gott und die Freiheit!« aus; allein Don José Wiles befahl ihm, zu schweigen und gab ihm den Auftrag, Stäbe zur Stützung des Topfes herbei zu holen. Sodann neigte sich Don José über die siedende Masse. Er that es nur während eines einzigen Augenblickes. Allein dieser Augenblick genügte ihm – dem bewärten Metallurgisten, – um heimlich einen halben Silberdollar in den Tiegel zu werfen.

Dann schärfte er den Mexikanern ein, das Feuer nicht erlöschen zu lassen; er selbst legte sich nieder und schlief ein, – nur das eine Auge blieb geöffnet.

Das Morgenroth kam; es entzündete auf den nahen Hügelspitzen matte Leuchtfeuer und streute fern im Osten Rosen auf den Schnee der Sierras. Unten in den entlegenen Erlengehegen zwitscherten Vögel und deutlich vernahm man die knirschenden Räder eines Wagens, der sich auf der fernen Landstraße in Gestalt eines Staubfleckchens zeigte. Nunmehr ward von Don José der Schmelztiegel feierlich zerbrochen und sein glitzernder, weißglühender Inhalt zum Abkühlen auf den Erdboden geschüttet.

Als das geschehen war, schabte der Metallurgist ein Spänchen von der Masse ab, und zerstieß dasselbe zu Pulver und dann schnitt er ein noch kleineres Stück herunter, welches er ebenfalls pulverisirte. Darauf unterwarf er die Substanz in erster Reihe einer Säure und in zweiter einem Salzbade, welches sich sofort milchartig färbte, und nun brachte er endlich einen weißen Gegenstand zum Vorschein, der – mirabile dictu! – einen Silberwerth von zwei Cents befaß.

Concho jauchzte vor Freude und seine Kameraden starrten einander mißtrauisch und mit ängstlicher Sorge an. Die Armuth hatte sie zu Genossen gemacht; die Aussicht auf Reichthum machte sie uneins und argwöhnisch. Ironisch glitt Wiles linkes Auge von Einem zum Andern.

»Hier sind die hundert Dollars, Don José,« sagte Pedro, indem er dem Metallurgisten das Gold einhändigte und ihm in barscher Weise deutlich zu verstehen gab, daß seine Dienste und Gegenwart nicht mehr erwünscht seien.

Wiles nahm das Geld mit einem huldvollen Lächeln und einem Blick in Empfang, welcher bewirkte, daß dem Vaquero das Herz in die Stiefel rutschte, und schickte sich an, von dannen zu gehen, als ein Ausruf, der plötzlich Manuels Lippen entfuhr, ihn zurückhielt. »Der Tiegel! – der Tiegel! – Er hat geleckt. – Blickt her, o, kommt, o, seht doch nur!«

Der Mexikaner hatte, um das Frühstück herzurichten, die zerbröckelten Fragmente des Schmelzofens fortgeräumt und hatte bei dieser Gelegenheit eine Lache schimmernden Quecksilbers entdeckt.

Wiles prallte zurück, überschaute mit pfeilschnellem Blick die Umstehenden und gewann die Ueberzeugung, daß denselben dies Metall unbekannt sei.

»Es ist kein Silber!« sagte er ruhig.

»Mit Vernunft, Señor, – es ist doch welches, wenn auch geschmolzenes.«

Wiles bückte sich und ließ seine Finger durch die lichthelle Masse gleiten.

»Mutter Gottes! Was ist es denn? – Zauberei?«

»Nein, ein werthloses Metall.« Doch jetzt wagte es Concho, durch Wiles Probestückchen ermuthigt, ebenfalls eine Hand voll des glitzernden Quecksilbers zu ergreifen, das sich sofort unter seinen Fingern in tausend winzige Küchelchen theilte, von denen mehrere an seinem Hemdsärmel entlang liefen, bis er, halb von kindischer Freude, halb von Furcht ergriffen, umhertanzte.

»Und ist es nicht des Nehmens werth?« forschte Pedro an Wiles sich wendend.

Wiles hatte die ausdruckslose Hälfte seines Antlitzes und das rechte Auge dem Fragenden zugekehrt, während er mit dem unheilvollen linken die matten, röthlich-braunen Felsenmassen des Hügelabhanges prüfend betrachtete. »Nein!« Er wandte sich mit einer hastigen Bewegung ab und fuhr fort, seinen Maulesel zu satteln.

Manuel, Miguel und Pedro vertieften sich, da sie sich selbst überlassen waren, in eine eifrige Unterhaltung, während Concho, dem jetzt wieder die beschädigte Mauleselin in den Sinn kam, zu der Stätte wanderte, wo er sie verlassen hatte. Allein sie war dort nicht zu finden. Trotz häufiger Schläge und Schmähworte war sie ihrem Herrn stets treu gewesen; doch Gleichgültigkeit und Nichtachtung hatte sie nicht zu ertragen vermocht. Es gibt gewisse Geschlechtseigenschaften, die allen organischen Wesen eigen sind.

Untröstlich, mit wunden Füßen und reuigem Herzen kehrte Concho auf dem weiten Wege quer über den Felsrücken zu dem Lager und dem Schmelzofen zurück. Aber wie groß war seine Bestürzung, als er, daselbst anlangend, den Platz verödet fand. Die Kameraden, die Maulesel und alle Lagerutensilien waren verschwunden. Concho rief mit lauter Stimme. Nur das Echo der Felsen antwortete ihm dumpfen Tones. War das ein Scherz? Concho versuchte zu lachen. O, gewiß! Es war ein guter Witz, ein lustiger Schelmenstreich. Nein, nein! Sie hatten ihn in der That verlassen! Und dann neigte der arme Concho sein Haupt zu Boden und fiel auf sein Antlitz und schluchzte, als wolle ihm das ehrliche Herz brechen.

Der Sturm hatte nach wenigen Augenblicken ausgetobt; es lag nicht in Concho's Natur sich lange zu härmen oder über ein ihm zugefügtes Unrecht nachzusinnen. Als er den Kopf wieder erhob, ward sein Auge von dem Schimmer des Quecksilbers getroffen. – Jener kleine See von lustig zitterndem Metall, der ihn vor einigen Stunden so sehr ergötzt hatte, fesselte ihn jetzt aufs Neue. Nach wenigen Augenblicken war er ganz in sein Spiel vertieft; bald jagte er die Kügelchen hier, bald dort hin oder ließ sie in seinen Handflächen auf und niederrollen und lachte dann mit knabenhaftem Frohsinn über ihre unberechenbaren Einfälle und Sprünge. »Oh! mein behendes Dingchen – mein Springinsfeld – wo willst du hin? Komm hier her! – Nimm diesen Weg – so, nun hab' ich dich, du Kleines, – komm Muchacha, – komm, und küsse mich.« So vergaß er binnen Kurzem die Treulosigkeit seiner Kameraden. Und selbst dann, als er sich sein armseliges Bündelchen auf die Schultern schnallte, war sein Sinnen und Denken einzig und allein auf seinen Spielgefährten gerichtet, den er in seiner leeren, ledernen Flasche mit sich nahm. Die Sonne schaute freundlich auf ihn herab, als er, an dem dunkeln Bergabhange entlang gehend, so munter seines Weges dahin schritt; auch sein Gang war dadurch nicht minder leicht und elastisch, daß er weder das Silber noch die Schuld seiner ehemaligen Kameraden zu tragen hatte.


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