Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

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Siebentes Kapitel.

Wie mit der Mine speculirt wurde.

Es ist kaum in Zweifel zu ziehen, daß das Todtenschau-Schwurgericht nach der Untersuchung von Concho's Leiche den Ausspruch »Tod durch Alkohol« gethan haben würde, hätte nicht Dr. Guild dem Schutz des Gesetzes und seiner eigenen festen Ueberzeugung zu Liebe mannhaft gefochten. Die Mehrzahl der Geschwornen stellte die Behauptung auf, es sei überhaupt keine derartige Untersuchung erforderlich. Ein besonders Aufrichtiger erklärte es für unbillig, zu verlangen, daß, so oft einer der mexikanischen Schmutzfinken in einer heimtückischen Weise sich aus der Welt geschlichen habe, eine Anzahl amerikanischer Bürger ihr Geschäft im Stiche lassen sollten, um zu ergründen, was demselben gefehlt haben möge. »Und selbst dann, wenn er ermordet sein sollte,« sagte ein Zweiter, »so kann er froh sein, daß man ihn, so zu sagen, dreißig Jahre lang ungeschoren gelassen hat und es ihn nicht hat entgelten lassen, daß er ein Mexikaner ist.« Das Schwurgericht that schließlich den Ausspruch, daß gewisse unbekannte Personen sich des Mordes verdächtig gemacht hätten. Es ward dabei stillschweigend angenommen, daß diese unbekannten Personen Wiles und Pedro seien, da Manuel, Miguel und Roscommon ihr unbestreitbares Alibi nachgewiesen hatten. Wiles und Pedro waren nach Nieder-Californien geflohen. Manuel, Miguel und Roscommon hielten es für rathsam, mit Rücksicht auf die im Publikum herrschende Erregung, ihre gefälschte Eingabe und Anspruchs-Urkunde dem Gerichtshof und der öffentlichen Prüfung noch einstweilen vorzuenthalten. Und so kam es, daß sich die »Blue Mass Mining Company« ein Jahr nach Concho's Erdrosselung und der Flucht seiner Mörder noch immer in dem unangefochtenen und thatsächlichen Besitz der Mine befand und dieselbe ausbeutete.

Allein der Geist des erschlagenen Concho wollte sich ebensowenig zur Ruhe legen, wie der des ermordeten Banquo, und derselbe brachte daher in seiner stillen, conchoartigen Weise der Blue Mass Company ein schweres Leid. Es erschien nämlich in dem Bergwerke ein großer Capitalist und Meister der Habsucht, dem die Mine gefiel, und der deshalb eines der Gesellschaftsmitglieder auf die Seite zog und demselben versprach, seinen Namen und einen bestimmten Betrag an baarem Gelde herzugeben, falls man ihm einen dominirenden Antheil einräumen werde, und der diesem großmüthigen Anerbieten die Andeutung beifügte, daß er sich gezwungen sehen würde, mehrere mexikanische Minen anzukaufen und den Markt zum großen Schaden der »Blue Mass« mit Quecksilber zu überschwemmen, falls man seine Offerte nicht annehmen werde. Fürwahr ein inhaltsschwerer Wink, der, da er aus dem Munde eines Mannes kam, der nicht nur häufig als einer der großen californischen Minen-Fürsten bezeichnet ward, sondern der auch zu der Zahl Derer gehörte, die »viel gethan hatten, um die Hilfsquellen des Staates zu erweitern«, nicht auf die leichte Achsel genommen werden durfte, und so geschah es denn, daß der betreffende Actienbesitzer seinen Antheil ohne vorherige Verabredung mit der Gesellschaft und in lobenswerther Verschwiegenheit verkaufte. Gleich darauf setzte man eiligst die Nachricht in Umlauf, daß der große Capitalist die Leitung der »Blue Mass« übernommen habe; die Actien stiegen und die übrigen Actionäre frohlockten – bis es dem großen Capitalisten in den Sinn kam, kostspielige Factoreien zu errichten und einen hochbesoldeten Oberinspector anzustellen, und auf diese Weise die Mine auf Kosten ihres eigenen Ertrages auszudehnen und zu verbessern und hierdurch zu bewirken, daß die Actien, welche auf 112 standen, schließlich per Stück mit einer Nachzahlungssteuer von fünfzig Dollar belastet waren. Eine zweite Steuer von fünfzig Dollar, welche den Herrn Oberinspector in den Stand setzte, nach Spanien und Rußland zu reisen, um die Betriebsweise der dortigen Quecksilberminen kennen zu lernen, brachte im Verein mit der Thatsache, daß einem talentvollen, wissenschaftlich ausgebildeten Schinder das Amt übertragen ward, die verschiedenen Bestandteile des Quecksilbers zu ergründen und darüber zu berichten, ob sich dasselbe nicht mit Anwendung von Dampfkraft und Elektricität aus gewöhnlichem Sandstein gewinnen lasse, die übrigen Actionäre schleunig zur Besinnung. Und gerade zu dieser Zeit kamen die Makler des großen Capitalisten, der ehrliche Tom, der ernste Dick und der waghalsige, aber vom Glück begünstigte Harry zu der Einsicht, daß es zweckmäßig sei, auf Rechnung ihres ebengenannten vornehmen Kunden die verschiedenen anderen Actien mit großen Opfern aufzukaufen.

Ich fürchte, daß ich meine Leser durch die ermüdende Detailschilderung jenes sinnreichen amerikanischen Zeitvertreibes gelangweilt habe, welches die Amerikaner, meine Landsleute, mit dem Spottnamen »freezing-out process« (Ausfrierungsverfahren) zu bezeichnen pflegen. Und sollte einer meiner Leser die Moralität dieses Verfahrens in Frage ziehen, so bitte ich ihn, sich die Thatsache ins Gedächtniß zu rufen, daß einer von Denen, die es in dieser Methode zu einer großen Vollkommenheit gebracht haben, stets ein offener und aufrichtiger Feind des verstorbenen Spielers John Oakhurst gewesen ist.

Allein diesmal hatte der große Meister der Habsucht die Habsucht anderer Menschen nicht genugsam in Rechnung gezogen und gerieth daher plötzlich in eine tugendhafte Entrüstung, als er eines Tages erfuhr, daß binnen Kurzem bei der Ländercommission der Vereinigten Staaten ein Gesuch um ein Patent auf bestimmte Landstrecken eingereicht werden würde, die unter dem Namen »der Rancho der rothen Felsen« bekannt wären. Diese Fundrechtbeanspruchung gefährdete sein Minenbesitzthum. Er erhielt jedoch diese Kunde still und insgeheim, in derselben Weise, wie ihm alle Nachrichten, die ihm von Interesse waren, zugetragen wurden; deshalb ergriff er die erste Gelegenheit und verkaufte rasch, bevor das vielzüngige Gerücht die Neuigkeit weit und breit ausgestreut hatte, seinen bedrohten Titel und sein Eigenthumsrecht an einen jungen, markigen Mann, das einzige noch vorhandene Mitglied der Gründergesellschaft der »Blue Mass Company«. Schwer traf der Schlag diesen nunmehrigen Eigenthümer der Mine. Belastet mit den enormen Schulden und Ausgaben des großen Capitalisten, und mit einem Credit, der noch obendrein durch den Rücktritt des glücklichen Magnaten untergraben war, den man wegen der klugen Voraussicht eines Verlustes bewunderte und dessen Zurückziehen die Hoffnungslosigkeit des Unternehmens offenbarte – prüfte der auf sich allein angewiesene, verarmte Besitzer der Mine, dessen Eigenthumsrecht angefochten und dessen Ruf noch erst begründet werden mußte – prüfte der arme Biggs, der erste Secretair der Blue Mass Company und der einzige übriggebliebene Betriebsbeamte der Mine mit schwerem Herzen seine Bücher und seine letzte Übertragungsurkunde – und seufzte. Doch habe ich bereits angedeutet, daß er aus festem Stoff erbaut war. Er glaubte an sein Werk und das war gut – er glaubte an sich selbst und das war besser – und so zweifelte ich nicht daran, daß es ihm gelingen werde, jenen Quecksilberberg über die Uebergriffe gefälschter Documente hinwegzuheben, und sollte sein Glaube auch nicht größer sein, als der eines Senfkornes. Und außerdem erweckte ihm die Vorsehung – nachdem sie ihn von diesen verschiedenen Schurken befreit hatte – einen Freund. Doch derselbe ist für diese wahre Geschichte von so großer Wichtigkeit, daß ich nicht umhin kann, ihm einen eigenen Paragraphen zu widmen.

Der Pylades dieses Orestes war den gewöhnlichen Sterblichen unter dem Namen »Royal Thatcher« bekannt. Sein Geschlechtsregister, seine Geburt und seine Erziehung sind von keinem Werth für diese Erzählung, welche sich nur auf seine Freundschaft für Biggs und das Ergebniß dieses Bundes bezieht.

Er und Biggs kannten sich seit etwa zwei Jahren. Sie hatten zur Zeit ihres Zusammenseins ihre Börse, ihr Lager, ihre Cabine, ihre Mahlzeiten, ja sogar häufig ihre Freunde mit einander getheilt und hatten sich dabei, wie das bei dem Pionierleben der Fall zu sein pflegt, vollkommen frei von jeglicher Verpflichtung gefühlt. Infolge der wechselnden Strömungen des Schicksals sah Thatcher sein Schiff auf einem wüsten Sandhügel von San Francisco mit einer unversicherten Ladung von Hoffnungen scheitern, während dieselben Strömungen, – das spiegelte ihm seine lebhafte, doch keineswegs neugierige Phantasie vor, – des Freundes Barke über die Sandbänke des Montereygebirges gehoben und auf eine offene Quecksilbersee getrieben hatte. Er war daher ausnehmend betroffen, als er eines Tages ein Billet folgenden Inhalts von Biggs erhielt:

»Lieber Roy! Komm' und hilf mir armen Kerl. Die Last, die auf mir ruht, ist allzu schwer für einen einzelnen Menschen. Hoffentlich gelingt es uns, ein Gespann zu bilden und die »Blus Mass« aus dem Schlamm zu ziehen.

Biggs.«

Wie einst Paulus, so vernahm auch Thatcher diesen macedonischen Ruf, als er in seinem ärmlich möblirten Stübchen saß und nicht wußte, woher er die nächste Mahlzeit nehmen und wovon er die rückständige Miethe bezahlen sollte. Er schrieb ein verheißungsvolles, beschwichtigendes Billet an seine Frau Wirthin und ließ, da er sich vor dem »süßen Herzeleid« eines mündlichen Abschieds fürchtete, sein zusammengeschmolzenes Felleisen vermittelst eines Strickes aus dem Fenster herab und erschien nach Verlauf von drei Tagen in Folge einer ökonomischen Benutzung der Post und des Schusters Rappen an der Thür seines Freundes Biggs. Einige Minuten später besaß er einen Einblick in die Sachlage und eine halbe Stunde später besaß er die Hälfte der Mine sammt ihrer unglückseligen Vergangenheit und ihrer zweifelhaften Zukunft.

Nach beendetem Geschäft wandte sich Biggs zu seinem Associe, um ihn näher ins Auge zu fassen. »Du bist älter geworden, seit ich dich zuletzt gesehen habe,« sagte er. »Hunger und Kummer, vermutlich! Ich würde deine Augen, alter Junge, zu jeder Zeit unter zehntausenden heraus erkennen, deine Lippen sind aber welk geworden und dein Mund ist weit finsterer, als er ehedem war.« Thatcher lächelte; offenbar wollte er den Beweis liefern, daß er es noch nicht ganz verlernt habe; doch sagte er nicht, wie er es wol hätte thun können, daß Selbstbeherrschung, unterdrückter Ingrimm, Enttäuschung und zeitweiliger Hunger ihr Möglichstes gethan hatten, um das offenbare Versehen der Natur zu corrigiren und einem wohlwollenden Munde das Lachen abzugewöhnen. Er zog nur seinen fadenscheinigen Rock aus, stülpte seine Hemdsärmel auf und stürzte sich mit den Worten: »Wir haben alle Hände voll zu thun und mancherlei auszufechten!« unverzüglich in die geschäftlichen Angelegenheiten der Blue Mass Copany.


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