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Sechzehntes Kapitel

Als er nach seiner langen Krankheit das erste Mal wieder aus dem Hause trat, hatte er das Gefühl, als ob sich die ganze Welt verändert habe. Die ganze Welt und auch er selbst, der das vernunftmäßig aufgebaute Bild der Welt in sich trug. Wenn er zum Himmel aufblickte, suchte er die sich hinter Wolken verbergende Sonne und bemühte sich, sein Vorstellungsvermögen so einzustellen, daß er die Sonne als unbeweglich und die Erde als beweglich empfinde. Das war gar nicht einmal so schwer. Dieses Spiel der Phantasie hatte er in den Mußestunden seines Pisaner Studententums etliche Male getrieben, wenn er auf der Brücke stehen blieb und in das Wasser des Arno blickte. Er hatte stets das Gefühl gehabt, daß das Wasser still stehe und die Brücke sich unter gleichmäßiger Bewegung in entgegengesetzter Richtung zu dem Strom bewege und daß die beiden Ufer und mit den beiden Ufern die ganze Stadt Pisa und ganz Toskana, die ganze Welt sich vorwärts bewegten. Alles das bewegt sich vorwärts, nur der wellengekräuselte Strom des Arno beharrt unbeweglich am gleichen Platze. Dasselbe Spiel wiederholte er jetzt mit der Sonne. Besser gesagt, er stellte fest, daß eben dieses Spiel, zu dem er seine Phantasie zwingen mußte, die Wahrheit und jene andere Vorstellung, an der gleich ihm seit Jahrtausenden unzählige Millionen Menschen festgehalten hatten, Täuschung sei. Wenn er mit gesenktem Kopf, in Gedanken versunken, durch die Straßen ging, dachte er, daß diese Erde, auf die er seine Füße setzte, die Oberfläche einer riesenhaften Kugel sei, die mit ihm und mit Millionen anderer Menschen, mit Ländern, Meeren und Gebirgen zusammen im Weltall dahinrolle, während hier in der Straße von Padua, in der Gluthitze des Sommers, sich nicht einmal ein Lüftchen regte.

Kann man sich denn das überhaupt vorstellen? Warum gleitet dann aber nicht jedes Ding, jeder Mensch von dieser schwingenden Kugel ab? Warum werden im Luftwirbel ihres Dahinsausens nicht Häuser, Wassermengen und Fußgänger hinabgeschleudert? Er lächelte: das waren Fragen, die die Geistlichen an Giordano Bruno hätten richten können. Selbstverständlich: die menschliche Vorstellung hat sich daran gewöhnt, daß, wenn man zum Beispiel auf den Rücken eines galoppierenden Gaules ein Stückchen Papier legte, der Wind dieses Papierstückchen wegfegen würde. Der Wind? Besser gesagt die Widerstandskraft der Luft. Wenn aber der Gaul in einem luftleeren Raum galoppieren könnte, dann würde das Papierstückchen ohne Zweifel auf seinem Rücken liegen bleiben. Wenn die Erdkugel sich also in einem luftleeren Raum bewegt, kann auch nichts von ihr herunterfallen. Nicht einmal diese Luftschicht kann von ihr abspringen, die sie wie eine Schale umfaßt, denn was sollte sie denn wegreißen? Das Nichts kann sie nicht wegreißen. Was Kopernikus behauptet, ist demnach für die Phantasie vollständig überzeugend. Nur beweisen kann er es noch nicht. Man kann nur daran glauben, aber gegen etwaige Einwände lassen sich keine Beweise ins Treffen führen. Aristoteles hat die Sterne des Himmels beobachtet, er hat sie aufgezählt, und die peripatetische Wissenschaft befiehlt, daß seine Ergebnisse ein für allemal abgeschlossen und als heilig und unverletzbar anzusehen seien. Wenn jemand zum Himmel hinaufblickt, ganz gleich, ob bei Tag oder bei Nacht, sieht er in der Tat alles dort so, wie es Aristoteles dargestellt hat. Es ist kein Punkt vorhanden, den man angreifen könnte. Wenn er nur einen einzigen Stern schlecht aufgezeichnet hätte, wenn man ihn nur bei einem einzigen ganz kleinen, winzigen Irrtum erwischen könnte, wie in der Mechanik, wo er Hunderte von großen Irrtümern beging, dann würde das Ganze in sich zusammenfallen. So aber kann der Professor in Padua vorläufig nichts anderes tun, als an Kopernikus glauben und – vom Katheder herab das Almagest vortragen.

Und er trug es auch vor. Ohne Glaube und ohne Lust. Und während er sprach, während er erklärte, suchte er immer wieder nach Fehlern und Lücken in seinem Vortrag: wo hinkte er, wo könnte man sich anklammern? Aber diese Lücke, diesen Fehler fand er nicht. Erleichtert atmete er auf, wenn die Almagest-Stunde vorbei war. Er eilte nach Hause zu Kopernikus und zu seinen Berechnungen, mit denen er die Deduktionen des deutschen Gelehrten nachprüfte.

Eines Tages erhielt er aus Pisa ein Buch als Geschenk. Mazzoni, der liebe Alte, hatte es geschrieben und sandte es ihm zu. »Vergleich zwischen Aristoteles und Plato« lautete der Titel. Galilei hatte beim Lesen den Eindruck eines sauberen, klaren, sorgsam ausgearbeiteten Werkes. Dann aber kam er an eine Stelle, die ihn aufhorchen machte. Mazzoni erwähnte Pythagoras und Kopernikus und verurteilte beide gleich scharf. Er kam mit einem Einwand, der in der wissenschaftlichen Literatur bisher noch nie aufgetaucht war.

Sein Gedankengang war folgender: setzen wir den Fall, die Erde sei keine Fläche, sondern tatsächlich eine Kugel. Und erinnern wir uns daran, daß bei Sonnenuntergang die Berggipfel noch hell sind, während es unten in den Tälern schon dunkel ist. Wer um diese Zeit auf dem Berggipfel steht, sieht die Sonne unter dem normalen Horizont. Daraus folgt, daß man von einem tausendmal höheren Berggipfel noch tiefer unter den gewöhnlichen Horizont sehen könnte, und zweifelsfrei würde man dann auch neue Sterne entdecken. Wenn also die Erde die Form einer Kugel hat, dann blickt derjenige, der am höchsten Punkt unserer Halbkugel steht, im Grunde genommen von einem unerhört hohen Gipfel herab. Und vor diesem Beschauer müßte sich dann eine sehr, sehr weite Fläche des Himmels ausbreiten. Das wäre der Fall, wenn die Erde tatsächlich rund wäre. Aber es ist nicht so; denn die Menschen können kommen und gehen, wohin sie wollen, immer sehen sie nur denselben Himmel und dieselben Sterne. Der Ausgangspunkt ist also irrig, die Erde kann keine Kugel sein.

Den Leser, den von Kopernikus überzeugten Professor, erschreckte diese Argumentation. Die Gedankenführung schien schlicht und klar, fast kindisch einfach. Beinahe wäre er ins Schwanken geraten. Er war aber schon viel zu sehr mit jener rebellischen Lehre gegen Aristoteles verwachsen. Wenn er sich fragte, so war er eher geneigt, seine Phantasie für diese neue Lehre arbeiten zu lassen, als dagegen. Er legte Mazzonis Buch aus der Hand und grübelte. Zunächst erfolglos. Nachdem das drei Tage lang so gegangen war, blieb er in einer mondscheinhellen Nacht auf dem Heimweg von Pinelli vor der Santa Giustina stehen und blickte zu dem blau-silbernen Himmel empor. Mit der ganzen Kraft seiner Phantasie stellte er sich das kopernikanische Weltsystem vor. Einen unendlichen Raum malte er sich aus, in den er den strahlenden Kern und um diesen herum sämtliche Planeten stellte. Gleichsam mit eigener Hand stellte er sie hinein, wie ein zweiter Herrgott, jenen näher, diesen weiter entfernt; mochten sie nun ihren wirren Kreislauf um diesen Kern beginnen. Und plötzlich besann er sich auf die Größe der Entfernungen. Wie weit kann die Sonne von der Erde entfernt sein und wie groß sind diese beiden? Denken wir uns einmal: an der Stelle, wo Florenz sich befindet, liegt ein riesiger Diamant. Der größte Diamant der Welt. Und um den kreist in einer Entfernung, wie die zwischen Padua und Florenz, ein kleiner funkelnder Splitter, der vom Tische eines Amsterdamer Diamantenschleifers herunterfiel. Dieses Stückchen, die Erde, ist klein und kugelig. Ergibt das nun wohl irgendwelche Unterschiede in der Perspektive, ob der gute, liebe Mazzoni von diesem oder jenem Punkt dieses winzigen Körnchens in die Geheimnisse des Horizontes zu gucken versucht? Nein! Von einem so winzigen Standpunkt aus gesehen, verschwindet auf eine solch unerhörte Entfernung jedweder Unterschied.

Das beruhigte ihn. Sofort setzte er sich hin, um Mazzoni einen Brief zu schreiben. Er lobte das Buch sehr warm, er sprach aber auch von seinem neuen Glauben.

 

»Aufrichtig gesagt: so sehr mich Eure Ausführungen fesselten, so verstört und ängstlich wurde ich, als ich sah, daß Euer Gnaden sich mit aller Bestimmtheit gegen die Lehren von Pythagoras und Kopernikus über die Bewegung der Erde und ihre Lage wenden. Ich halte nämlich diese Auffassung für viel wahrscheinlicher als die des Aristoteles und Ptolemäus.«

 

Der einstige Pisaner Student, der vor noch gar nicht so langer Zeit von Mazzoni in die Geheimnisse des Universums eingeweiht worden war, trennte sich von seinem Meister und schlug eine ganz andere Richtung ein. Er hatte Mazzoni bis heute geliebt und geachtet. Er war ihm auch jetzt noch zugetan, aber auf sein Wissen gab er nichts mehr. Seine ganze Anteilnahme gehörte Kopernikus. Er stellte die ganze Bibliothek Pinellis auf den Kopf, um von diesem Deutschen soviel wie möglich zu erfahren. Er ging sogar nach Venedig und durchstöberte jede Büchersammlung auf der Suche nach Kopernikus. Er versammelte die deutschen Studenten des Bo um sich und bat sie, jeder möge nach Hause schreiben und dringend Angaben über die Person des Domherrn Kopernikus einholen; zugleich auch zu erfahren suchen, wie die heutigen Gelehrten in Deutschland dessen sonderbare Lehre beurteilten.

Wenige Wochen später hatte er bereits Material in Fülle. Er erfuhr, daß Kopernikus, oder, wie er sich selbst schrieb, Coppernicus vor ungefähr hundert Jahren in der deutschen Stadt Thorn als der Sohn des Niklas Koppernigk zur Welt gekommen war. Sein Onkel, ein Bischof, ließ ihn erziehen, und er war es auch, der ihn veranlaßte, Theologe zu werden. Er ließ ihn auf der Universität zu Krakau immatrikulieren, wo damals Drudzewski, der berühmte Mathematiker, lehrte. Der junge Theologe lernte durch ihn die Mathematik lieben, und ging nach Beendigung seiner Studien in Krakau nach Bologna. Hier wirkte der berühmte Italiener Novara, der ihn in die Astronomie einführte. Dann kehrte er nach Deutschland zurück und wurde in das Ermländische Domkapitel aufgenommen. Kurze Zeit darauf war er aber bereits wieder in Italien, studierte weiter in Padua, in den Sälen des Bo, und holte sich endlich seinen Doktortitel in Ferrara.

Galilei begann nun in den alten Akten des Bo nachzuforschen und fand wirklich Kopernikus' Namen in der Liste der Medizinstudenten. Der begeisterte Forscher wurde ein wenig verlegen. Kopernikus, der Astronom, hatte sich nicht gescheut, Medizin zu studieren, um seinen Gesichtskreis zu erweitern und freier zu werden; er aber, der zuerst Mediziner werden sollte, hatte diese Wissenschaft verächtlich abgetan. Der geniale Deutsche flößte ihm nun noch mehr Achtung ein. Es stellte sich ferner heraus, daß Kopernikus von Padua nach Rom gegangen war und dort den mathematischen Lehrstuhl erhalten hatte. Nach mehrjähriger Unterrichtstätigkeit kehrte er dann wieder in seine Heimat zurück, verwaltete gewissenhaft die ihm übertragenen Angelegenheiten des Domkapitels, hing aber unentwegt seinen astronomischen Gedanken nach. Er wußte, daß seine Ideen vollkommen neuartig und noch nicht klar geformt waren. Das Lateranische Konzil forderte ihn auf, ein astronomisches Gutachten über die dringend notwendige Kalenderregelung auszuarbeiten, er lehnte jedoch ab. Sein neues Weltbild stand noch nicht in allen Einzelheiten fest. Nur den ihm besonders nahestehenden gelehrten Freunden teilte er seine Entdeckung mit: nicht die Sonne drehe sich um die Erde, sondern die Erde um die Sonne. Doch auch diese flehte er an, sie möchten den kühnen Gedanken keinesfalls verbreiten, ehe er sein System ganz genau ausgearbeitet hätte. Gut, sie wollten eine Zeitlang warten. Allein Kopernikus kam sehr langsam vorwärts. An die vierzig Jahre lang arbeitete und rechnete er an seinem widersinnig scheinenden System. Endlich verloren seine Schüler die Geduld. Zwei veröffentlichten, was sie von Kopernikus gelernt hatten. Der eine, Rheticus, tat es in Briefform unter seinem eigenen Namen; der andere, Osiander, in einem ausführlichen Werk, dessen unglaubliche Kühnheit ihn selbst so erschreckte, daß er in einem Vorwort alles in dem Buch Behauptete als bloße Hypothese bezeichnete, um bei der Kirche keinen Anstoß zu erregen. Der siebzigjährige Kopernikus lag auf dem Sterbebette, als ihm das erste Exemplar des Buches, das aus der Druckerei kam, überreicht wurde. Er verwarf das Vorwort Osianders, aber sein Einspruch wurde nicht mehr gehört. Er hatte das größte Problem des Universums aufgeworfen, er hinterließ es der ganzen Welt als Abschiedsgruß, und schied von den Lebenden ohne ihre Antwort abzuwarten. Das war vor vierundfünfzig Jahren gewesen.

Alles das hatte Galilei über Kopernikus in Erfahrung gebracht. Im Zusammenhang mit der kopernikanischen Lehre erzählten ihm die deutschen Studenten aber noch von einem anderen bedeutenden deutschen Gelehrten. Dessen Namen hatte er zwar schon flüchtig nennen hören, wie die Namen zahlloser anderer ausländischer Kollegen, aber er hatte nicht besonders darauf geachtet. Jetzt berichtete man ihm, daß dieser Kepler in der deutschen Gelehrtenwelt als versteckter Sonderling gelte, daß viele ihn einfach für verrückt hielten, weil er hartnäckig an der kopernikanischen Weltauffassung festhalte. Nun wollte Galilei immer von diesem Kepler wissen. Mit seinen deutschen Schülern fahndete er eifrig nach jeder Einzelheit, die sich auf den unbekannten Kollegen bezog. Und so hatte er schon dies und jenes erfahren, als ihm endlich ganz zufällig von einem Studenten aus Mähren genauere, zuverlässige Mitteilungen gemacht wurden.

Dieser Student wußte nicht nur viel von Kepler, sondern kannte ihn auch persönlich. Er beschrieb ihn als einen schmächtigen, zerbrechlichen jungen Mann von sechsundzwanzig Jahren, der angeblich der Sohn eines bettelarmen deutschen Gastwirtes war. Nachdem er unter unsäglichen Entbehrungen seine Studien beendet hatte, erhielt er eine Berufung auf den mathematischen Lehrstuhl in Graz. Das war nicht ganz einfach, weil er protestantischen Glaubens war.

»Ich ging nach Graz, Euer Gnaden«, erzählte der Student aus Mähren, »weil man mir dringend geraten hatte, seine Vorlesungen zu hören. Ich ließ mich auch bei ihm einschreiben, konnte aber von ihm nicht viel lernen; denn er hielt lange Zeit überhaupt keine Vorlesungen. Er hatte nämlich gerade eine junge Witwe kennengelernt, eine gewisse Frau Lorenz, die zwar noch nicht älter als zweiundzwanzig Jahre war, aber schon zwei Ehegatten beerdigt hatte. Sie ist sehr schön, das muß ihr der Neid lassen. Und ihre Nase trägt sie auch sehr hoch, weil sie eine sehr vornehme Verwandtschaft hat. Kepler verliebte sich unsterblich in sie und hielt um ihre Hand an. Frau Barbara wies seinen Antrag jedoch zurück: sie heirate nur einen Mann von vornehmer Herkunft. Da rechtfertigte sich Kepler, daß seine Familie zwar verarmt, aber ursprünglich ein vornehmes Rittergeschlecht gewesen sei. Barbara glaubte das nicht und verlangte Beweise. Kepler war also gezwungen, mitten im Semester in seine Heimat zu reisen, um seine Familienpapiere zu sammeln. Wir Studenten mußten lange warten und trieben uns untätig herum. Endlich bekam ich das Warten satt. Man sprach in der Stadt schon viel von dieser Liebesgeschichte, und beinahe glaubte auch ich schon an das Gerücht, Kepler hätte den geforderten Beweis nicht erbringen können und schämte sich nun, zurückzukehren. Deshalb beschloß ich, hierher an den Bo zu gehen und die Vorlesungen Euer Gnaden zu hören. Als ich schon alles für die Reise zurechtgelegt hatte, kam Kepler wieder. Es muß ihm doch noch gelungen sein, die Familienpapiere zu beschaffen, denn Frau Barbara wurde seine Frau. Die Hochzeit fand statt, als ich von dort abreiste; denn ich wollte meinen Entschluß, hierher zu kommen, nicht wieder aufgeben.«

»Wie gibt er sich als Professor? Wie trägt er vor?«

»Er hat ein sehr ernstes, gütiges Wesen. Er spricht sehr leise und ist sehr nervös; beim kleinsten Geräusch fährt er zusammen.«

»Und was sagt, was erklärt er?«

»Ich habe nur wenige seiner Vorlesungen gehört, Euer Gnaden, und da war zunächst nur von allgemeinen Dingen die Rede. Und wenn ich aufrichtig sein will, – ich habe auch diese nicht vollkommen verstanden. Euer Gnaden stellen alles viel klarer und einfacher dar. Ich freue mich außerordentlich, daß ich hierher gekommen bin. Und besonders auch deswegen, weil ich erfahren habe, daß das, was Professor Kepler vorträgt, ganz und gar den Lehren der Klassiker und denen von Euer Gnaden widerspricht.«

Galilei nickte und lächelte eigentümlich.

»Der Widerspruch besteht in der Tat. Aber das wird nicht immer so bleiben. Vielen Dank für die Aufklärung, mein Lieber.«

Nach diesen Erzählungen suchte er sich nun ein Bild von dem Deutschen zu machen. Ein wenig weh tat ihm auch, daß er um soviel jünger war als er. Kepler sechsundzwanzig, er dreiunddreißig. Und Kepler hat zu dieser umstürzlerischen Lehre viel eher Stellung genommen als er! Raubt er ihm seinen Ruhm? Kann er das wirklich? Der wahre Ruhm gebührt dem, der nicht nur an Kopernikus glaubt, sondern auch seine Lehren zu beweisen vermag. Kepler wird diesen Beweis höchstwahrscheinlich nicht erbringen; denn wenn er es könnte, wäre er sicherlich schon vor die wissenschaftliche Öffentlichkeit getreten. Oder vielleicht … vielleicht hat er die Lösung schon gefunden, und wartet nur noch … Vielleicht hält er die Lösung schon in der Hand, sie ist nur noch nicht ganz fertig … Er glättet noch daran … Kopernikus hat ja selbst fast vierzig Jahre lang an seinem Weltsystem gearbeitet, und schließlich haben es seine Anhänger veröffentlicht, beinahe gewaltsam. Und während Galilei in Padua mit dem Gedanken beschäftigt ist, von welchem Punkte aus er das ganze aristotelische Universum aus den Angeln heben könnte, tritt der viel jüngere deutsche Gelehrte eines schönen Tages vielleicht mit einem überragenden Werk hervor, und Galileo Galilei kann sich dann als Namenloser in die Reihen der Beifallklatschenden stellen …

Wenn er daran dachte, machte ihn die unbekannte Person Keplers schon nervös. Zugleich zog ihn etwas Unerklärliches zu diesem unbekannten Menschen. Er mußte ihm irgendwie wesensverwandt sein, furchtlos, mit einem ebenso klaren Verstand wie er, der ihn jetzt als Denker beurteilte, ohne sich durch Autoritäten bestechen zu lassen. Und daß Kepler erst sechsundzwanzig Jahre alt war, erfüllte seine für familiäre Zärtlichkeiten stets empfängliche Seele mit Rührung. Es gab Augenblicke, in denen der Gedanke ihn zornig machte, daß es einen Kepler auf der Welt gab, und daneben solche, in denen er ihn am liebsten hätte freundlich umarmen, oder ihm zumindest schreiben und ihm mitteilen mögen, er solle nicht kleinmütig werden, er solle nur fest bleiben, denn auf einem anderen Flecken der Erde, inmitten der vielen Millionen Unwissender, habe er einen Bruder, in dessen Seele derselbe Funken leuchte …

Mit diesem Brief kam ihm Kepler zuvor. Eines Tages erhielt er aus Graz ein Buch: Kepler schickte ihm sein neuestes Werk. Ein richtiger Sturm gegensätzlicher Gefühle ergriff ihn, als er es zur Hand nahm. Vor allem empfand er etwas wie Eifersucht, denn als er das Buch so in der Hand hielt, hatte er fast Angst, es aufzuschlagen, weil er fürchtete, daß Kepler ihm zuvorgekommen und einen Weg gefunden habe, wie man mit unwiderlegbaren Beweisen Kopernikus auf den Thron der Wissenschaft setzen könnte. Andererseits war er auch stolz, daß der Kollege in Graz von ihm wußte, seinen Ruf kannte und es für angemessen hielt, ihm sein Buch zu schicken. Dieses Gefühl füllte sein Herz wieder mit freundschaftlicher Zuneigung.

Das Buch betitelte sich: » Prodromus dissertationum cosmographicarum«. »Einführung in die Betrachtung des Weltalls.« Das beruhigte ihn ein wenig. Wenn es nur eine Einführung war, mußte die Betrachtung erst später kommen. Schon beim Lesen des Vorwortes war er sich über das Werk vollkommen im klaren: Kepler glaubt nur an Kopernikus, Beweise hat er noch nicht. Er schreibt dieses Buch als Einleitung zu seinen später zu veröffentlichenden Studien; das Ganze ist nichts anderes, als ein Bekenntnis zu Kopernikus und ein Kommentar zu dem kopernikanischen System. Aber schon die Einleitung gefiel ihm so gut, war so klar, einfach und verständig, daß er sich veranlaßt fühlte, sofort die Feder zu ergreifen. Er schrieb an Kepler einen Brief. Außerordentlich warmherzig bedankte er sich für das Buch und gab seiner großen Freude darüber Ausdruck, daß er »im Suchen nach der Wahrheit einen großen Gefährten gefunden, und noch dazu einen so großen Freund der Wahrheit«. Er schrieb ihm, daß er das Buch selbst noch gar nicht gelesen habe, nur erst das Vorwort, daß er ihm aber trotzdem schon schreibe. Das Buch würde er natürlich unter allen Umständen lesen.

 

»Ich werde das um so mehr tun, als ich selbst schon längst bei den Lehren des Kopernikus angelangt bin und so die Erklärung vieler Naturereignisse gefunden habe, die sich auf Grund der allgemein gültigen Weltbetrachtung nicht erklären lassen. Ich habe schon viele Beweismittel zusammengetragen, Widerlegungen vieler Gegenbeweise notiert, wagte aber bislang noch nicht, das alles zu veröffentlichen, da mir das Schicksal unseres Meisters Kopernikus Furcht einjagt, der sich bei Einzelnen einen unsterblichen Ruhm verschaffte, bei unendlich Vielen aber (denn so groß ist die Zahl der Dummen) nur als lächerlich und verabscheuungswürdig galt. Wenn es viele Euresgleichen gäbe, würde ich meine Gedanken zu veröffentlichen wagen, da es aber nur sehr wenige sind, will ich von einem solchen Wagnis vorläufig absehen.«

 

Der Brief wurde sehr umfangreich; denn es schrieb kein Unbekannter einem Unbekannten, sondern ein Kampfgenosse dem anderen.

Der Brief ging ab, und sobald seine Vorlesungen und Privatstunden es gestatteten, las Galilei in dem Buch. Das Buch war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte: eine kluge und klare Zusammenfassung des kopernikanischen Weltsystems, vermehrt um einige neue und nicht uninteressante Gesichtspunkte. Es war so einfach, so klar und so überzeugend, daß Galilei eine immer heftigere Zuneigung zu dem Verfasser des Buches verspürte. Er fühlte, daß er mit seinem Wissen nicht allein dastand, daß weit in einem fernen Lande noch jemand war, der beim Scheine einer nächtlichen Kerze sich ebenso über Bücher und Berechnungen beugte wie er, ein Bruder im Geiste, dem gegenüber jede Eifersucht ausgeschlossen war. Er empfand für den jungen Grazer Professor dieselbe Liebe, wie zu seiner Familie, und der Geist des Kopernikus schwebte wie ein Vater über den beiden Brüdern.

Währenddessen ging es im Bo zu, wie in einem aufgescheuchten Bienenstock. Die Professoren traten ihre Ferien wegen der Jesuiten nicht an. Mit der Jesuitenschule war noch immer nicht alles in Ordnung. Die Patres verletzten die getroffenen Vereinbarungen ständig, und wegen jeder Frage mußte ein neuer erbitterter Kampf mit ihnen ausgetragen werden. Als neuestes hatten sie ausgebrütet, jetzt im Sommer, wo die Professoren des Bo sich nicht in Padua aufhielten, ein Gesuch an die Regierung zu richten. Beim Gemeindeamt würden sie den Antrag schnell und geschickt durchpeitschen, würden die Angelegenheit dann in größter Eile vor den Großen Rat in Venedig bringen, ehe sich das Professorenkollegium des Bo überhaupt zu einer Beratung zusammensetzen könnte. Der Bo hatte aber Wind von diesen heimlichen Absichten bekommen, und alle waren in Padua geblieben. Das Gesuch der Jesuiten, das dem Gemeinderat vorgelegt wurde und den Lehrplan der jesuitischen Schule wesentlich zu erweitern beabsichtigte, gab zu einer stürmischen Beratung Anlaß. Die ganze Stadt war wiederum in zwei Parteien zerrissen. Die Anführer der Bo-Partei waren Cremonini und Riccoboni, auf Seite der Jesuiten standen so einflußreiche Leute wie Cornaro, der Bischof von Padua, und Gualdo, der bischöfliche Vikar, schließlich der Stadtvogt selbst.

Eine Sitzung reihte sich an die andere. Die Stimmung wurde immer erbitterter. Einzelne fürchteten bereits, daß es wieder zu Schlägereien oder gar geheimnisvollen Morden kommen würde, wie vor einigen Jahren einer dem Leben des Rektors ein Ende gemacht hatte. Zum Glück hielten sich aber die Studenten nicht in der Stadt auf. Das Hauptbestreben der Besonneneren war, irgendeinen Beschluß herbeizuführen, bevor noch die Studenten aus den Ferien zurückkehrten, damit es nicht wieder zu Unversitätstumulten käme. Galilei besuchte die Sitzungen des Professorenkollegiums nur sehr unregelmäßig. Manchmal ging er gar nicht hin, und wenn er einmal dort war, saß er teilnahmslos unter den anderen, sprach kein Wort, redete in nichts herein und schrieb nur astronomische Formeln auf ein Stück Papier, das vor ihm lag. Cremonini machte ihm auch einmal bittere Vorwürfe:

»Ich verstehe dich nicht, Galilei, kümmert dich denn das Schicksal des Bo nicht?«

»Aber natürlich beschäftigt es mich sehr. Wieso?«

»Du sitzt bloß da, sagst keinen Ton, als ob du ein Fremder wärst, den unser Kampf gar nichts anginge!«

»Was für ein Kampf?«

»Der Freiheitskampf des Bo. Der kraftvolle Widerstand gegen den hartnäckig vorgeschobenen Angriff. Begreife doch, die Jesuiten wollen den Bo vernichten! Das können wir nicht zulassen! Würdest du das denn zulassen? Während wir hier beraten, schmierst du auf einem Stückchen Papier herum.«

»Ja. Ich schmiere Formeln. Und es ist schon möglich, daß solche Formeln der Autorität und dem Ansehen des Bo einmal mehr nützen werden, als wenn ihr zwei Wochen lang Tag und Nacht beratet.«

Cremonini winkte beleidigt ab und tauschte einen Blick mit Riccoboni. Auch der nickte gekränkt. »Der Florentiner«, dachten sie alle beide. Man hielt ihn auch für etwas übergeschnappt, für einen Mann, der zwar sein Fach hervorragend verstehe, den man aber außerhalb der Mauern der Universität unmöglich ernst nehmen könne. Sie berieten weiter und Galilei malte weiter an seinen Formeln. Und als sie auseinandergingen, hatte er keine Ahnung, welchen einstimmigen Beschluß er mit angenommen hatte, als er sich beim Abstimmen mit den anderen zusammen erhob.

Auf dem Heimwege, getrennt von der Gruppe der anderen, die auch noch auf der Straße zusammenblieben, stieß er mit einem Mönch zusammen. Er entschuldigte sich, blickte auf und erkannte überrascht den Rektor der Jesuitenschule, Girolamo Barison. Die beiden Männer sahen sich an. Auf dem Gesicht des Jesuiten lag etwas erschreckend Starkes, Kluges und Entschlossenes. Galilei trug diesen Blick noch lange in sich, während er weiterging. Sein Gewissen begann sich zu regen. Er erkannte mit einem Male die Gefahr, gegen die sich der Bo verteidigte. Auch er müßte dort inmitten der anderen sitzen, Schlachtpläne schmieden, nach Venedig rennen und Eingaben aufsetzen. Das würde sich so gehören; denn schließlich stand das Ansehen der Alma mater auf dem Spiele, die ihm Brot gab, die ihn in der entscheidenden Zeit seines Lebens mit soviel Liebe aufgenommen und gerettet hatte … Als er aber zu Hause angelangt war, sah er Keplers Buch auf dem Tisch liegen. Schnell blätterte er nach, bis er die Stelle wiederfand, über die er während der Professorensitzung nachgedacht hatte, und schon war der ganze Streit mit den Jesuiten vergessen!

Sein ganzes Ich hatte nunmehr die Welt des Kopernikus in sich aufgesogen. Während die anderen Menschen auf der Erde lebten, auf der flachen Scheibe des Altertums, unter der mit Sonne, Mond und Sternen gezierten Halbkugel des Himmelszeltes, lebte er in einer anderen Welt: auf der Oberfläche einer kleinen Kugel, mit der er sich selbst drehte und sich mit um den Urkern bewegte. Er glaubte nicht nur an diese neue Lehre, sondern er wußte nun schon, daß es so war. Immerwährend ging ihm nur das im Kopfe herum; gleichzeitig hatte er sich aber eine neue Fähigkeit angeeignet, nämlich an ganz etwas anderes zu glauben und ganz etwas anderes zu wissen, als was er auf der Universität lehrte. Dieses Bewußtsein erniedrigte ihn allerdings vor sich selbst, machte ihn nüchterner und stiller. Manchmal hielt er mitten im Vortrag inne und erschrak vor seiner flüssigen Rede, vor dem überzeugten Pathos, mit dem er seinen Schülern das System des Ptolemäus mit der sich um die Erde drehenden Sonne erklärte. Sein wissenschaftliches Pflichtgefühl jagte ihm das Blut in den Kopf. Dann sammelte er sich aber wieder und fuhr in seinem unterbrochenen Vortrag fort, wie der falsche Priester eines Götzenkultes. Oft quälten ihn die ärgsten Gewissensbisse, während seiner Spaziergänge im Botanischen Garten oder im dunklen Zimmer, im Bett, wenn er vorher zuviel geraucht und mehr Kaffee getrunken hatte, als nötig war, und nur schwer einschlafen konnte. Dann packte ihn der Zorn über seine eigene Feigheit. Er beschimpfte und verfluchte sich selbst als Verräter und Schänder der jungfräulichen Wahrheit. Er dachte an seine Pisaner Jahre zurück, wo er noch tapfer und beherzt der ganzen Welt die Stirne bot und mit freier Brust sich dazu bekannte, was er einzig und allein als wahr erkannte. Und heute? Heute brachte er hundert und aber hundert jungen Seelen eine falsche Lehre bei. Mit großer Kraftanstrengung versuchte er sich zu einem heldenhaften Entschluß aufzuraffen: morgen geht er in die Universität, legt vor seinen Hörern ein Bekenntnis ab und gesteht demütig, daß er bisher immer gelogen habe, von nun an aber die Wahrheit sagen wolle, – und wenn die ganze Welt zusammenstürzt! Mit dem Gefühl dieses beruhigenden und beseligenden Heroismus schlief er ein. Am anderen Tage aber, beim klaren Sonnenschein, sah er das alles für kindliche Phantastereien an, was ihm in der Nacht so einfach, edel und sieghaft erschienen war. Was sollte er sagen, wenn es sich herumsprach, daß er diesen Wahnsinn predigte? Wie sollte er vor den Gegnern des Kopernikus dessen Standpunkt als richtig beweisen? In Pisa lagen die Dinge ganz anders. Dort hatte er zu beweisen vermocht, daß Aristoteles in seiner Lehre vom freien Fall irrte. Diesmal konnte er aber nur erwidern: »Ich bin überzeugt, daß es so ist.« Das aber war kein Beweis!

Allmählich fand er sich mit seiner scheinheiligen Gelehrsamkeit ab und lehrte auch weiterhin auf der Universität das Almagest. Daneben gab er immer mehr Privatstunden. Mit Erfolg hatte er sich in die Befestigungslehre vertieft und dadurch zahlreiche junge Männer als Schüler erhalten, die regelmäßig zu ihm kamen, um von ihm zu lernen, wie man Schanzen wirft und Minen legt. Sie studierten das fünfzackige System Dürers von der Einteilung der Bollwerke, und wie sie diese vielseitige Kriegslist zur Verteidigung ihrer eigenen Burgen oder bei der Belagerung fremder Festungen verwerten könnten. Er hatte unter seinen Schülern einen Herzog von Este und auch einen schwedischen Prinzen namens Gustav. Prachtvolle, stolze Männer waren das, die mit dem Herrscherhochmut ihres Geschlechtes seine bescheidene Professorenwohnung betraten; vor dem Tore erwartete sie eine würdige Begleitung, und nach den Unterrichtsstunden bestiegen sie ihre Pferde und galoppierten davon.

Während er Befestigungslehre vortrug, erfand Galilei ein neues Meßinstrument. Es bestand aus zwei parallel laufenden Messingstäben, die sich verschieben ließen und auf die ein Halbkreis aufmontiert war. Auf den Messingstäben waren allerlei Zahlen und Maße vermerkt. Im Grunde genommen war diese Erfindung sehr einfach, aber ihr Grundsatz und die Erklärung ihrer Anwendung um so komplizierter. Besonders, da man mit dieser Erfindung allerlei Dinge errechnen konnte. Man konnte ebensogut Quadrate damit berechnen, wie sie als Multipliziermaschine zu benützen war; denn die Endsumme brauchte man nach dem entsprechenden Hin- und Herschieben der Messingstäbe einfach abzulesen. Zunächst hatte er dieses Gerät aus hartem Papier anfertigen lassen, und der schwedische Prinz, der ein sehr gescheiter junger Mann war, bot ihm sofort einen hohen Betrag dafür. Da wollte der Herzog von Este auch eins haben. Das Papier zerriß aber zu rasch, und Galilei ließ sich einen Kunsttischler kommen, zeichnete ihm die Figur des »geometrischen und militärischen Proportionalzirkels«, wie er seine Erfindung nannte, genau auf und ließ die Vorrichtung von ihm anfertigen. Schließlich kam er dahin, den Apparat aus Messing anfertigen zu lassen. Er konnte immer soviel davon verkaufen, wie er anfertigen ließ. Diese Erfindung machte sich alsbald sehr gut bezahlt; denn jeder vornehme Schüler, der das Gerät noch nicht hatte, drängte schon aus lauter Vornehmheit darauf, auch eins zu erhalten. Manchmal bekam er an die fünfzig Lire für so einen Zirkel, während er selber nur fünfzehn dafür bezahlte.

Die Bestellungen hörten nicht auf, sie nahmen im Gegenteil immer mehr zu. Keine zwei Wochen vergingen, daß er nicht mindestens ein Stück verkauft hatte. Er nahm sich vor, ihn nunmehr prächtiger auszustatten und mit schönen Ziselierungen zu versehen, damit auch die vornehmen Kunden Gefallen daran finden sollten. Er hatte sich auch schon entschlossen, statt den kleinen Paduaner Mechaniker weiter zu beschäftigen, die Arbeit einem vornehmen venezianischen Handwerker zu übertragen.

Er wollte gerade einmal nach Venedig, als er an einem späten Herbsttage die Antwort Keplers erhielt. Erregt riß er den Brief auf und ließ seine Augen gierig über die Zeilen gleiten. Ein inniger, vertraulicher Freundesbrief war das, wie ein Bruder dem anderen schreibt. Nach einigen auffallend liebenswürdigen Einleitungsworten sprach der neue Freund die Hoffnung aus, daß Galilei, der inzwischen sicherlich das ganze Buch gelesen haben würde, ihm nur offen seine Meinung schreiben möge.

 

»Glaube mir, daß ich die Entgegnungen eines einzigen verständnisvollen Menschen mehr schätze, als den verständnislosen Beifall einer großen Masse.«

 

Dann redete er ihm zu, mit seiner Erkenntnis von der Wahrheit der kopernikanischen Lehre nunmehr aus seiner Zurückhaltung herauszutreten, mochte diese Zurückhaltung bisher auch berechtigt gewesen sein. Mit Schweigen könne man dem Meister, Kopernikus, wenig nützen; die große Masse würde ja nicht durch Beweise, sondern durch die autoritativen Worte der bekannten Gelehrten überzeugt. Und wenn die Gelehrten selbst diese Worte nicht aussprächen, so käme das fast einem Verrat gleich. Mit der Masse der Unwissenden und Halbgelehrten könne man leicht fertig werden, die verstünden die mathematischen Probleme nicht, seien also eher geneigt, sie anzunehmen. Wichtig seien die mathematisch gebildeten Gelehrten, die selbstverständlich zur Stützung jeder neuen Behauptung genaue Beweise fördern würden.

 

»Glaube, Galilei, und tritt vor! Wenn ich nicht irre, werden sich von den berühmten Mathematikern Europas nur wenige gegen uns wenden, so groß ist die Kraft der Wahrheit. Wenn Italien Dir nicht geeignet erscheint und Du fürchtest, hier auf besondere Schwierigkeiten zu stoßen, so wird uns vielleicht Deutschland die erforderliche Freiheit gewährleisten! Auf alle Fälle bitte ich Dich vertraulich um eins: wenn Du schon nicht veröffentlichen willst, was Du zur Rechtfertigung des Kopernikus entdeckt hast, so mache mich wenigstens glücklich und belohne meinen Brief mit einer möglichst ausführlichen Antwort.«

 

Lange dachte Galilei über diesen Brief nach. Er fühlte sich in der Tat wie ein Verräter. Aber ein ohnmächtiger Verräter. Kepler schrieb doch selbst, daß man alles, was sie behaupten, auch beweisen müßte. Aber wie sollten sie das beweisen? Jedermann konnte doch auf den Himmel denken und die ganze Menschheit als Zeugen aufrufen, daß die Erde stehe, die Sonne aber frühmorgens aufgehe, über den Himmel hinwegspaziere und sich abends wieder zur Ruhe begebe. Wie sollten sie das widerlegen können? Unmöglich! Wer aber nicht beweisen kann, was er behauptet, der schadet der Sache mehr als er ihr nützt, weil er die Gegenargumente überhaupt erst zur Sprache kommen läßt und diese durch sein eigenes zurückhaltendes Schweigen nur noch bekräftigt.

Betrübt legte er den Brief aus der Hand und fuhr nach Venedig.


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