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Elftes Kapitel

Seine Unterkunft in Venedig war armselig, nicht viel mehr als eine Liegestatt war in dem engen Raum vorhanden. Aber jeden Morgen, wenn er die Augen öffnete und sein Bewußtsein sich regte, lächelte er glückselig. Er war jung, kräftig und gesund, wußte, was er leisten konnte, seine Sache lag denkbar günstig und die feenhafte Stadt hatte ihn vollkommen bezaubert.

»Die Marangona«, murmelte er glücklich, während er sich wusch. Er wußte schon, daß man das morgendliche Glockengeläute, das zitternd über den Kanal zu ihm herüberschwebte, so nannte. Inzwischen drang auch die Stille Venedigs an sein Ohr: das ewige Plätschern des Wassers. Dieser andauernde, auch in der Nacht nicht ersterbende Ton erfüllt hier jede Minute des Lebens mit einem Gefühl der Unendlichkeit. Ab und zu klingt durch das offene Fenster auch der gedehnte, melodische Ruf der Gondolieri:

» A-oel, a-oel!«

Das bedeutet vor der Wendung in dem engen Kanal: Achtung, ich komme!

» Sia stali! Nach rechts halten!«

» Sia premi! Nach links halten!«

» Sia di lungo! Nur geradeaus voran!«

Wer aus einer anderen Stadt kommt, versteht das anfangs nicht. Er muß es erst lernen. Wie man überhaupt die venezianische Sprache besonders erkennen muß. Ihre weiche Aussprache, die Vokalschwächung im Auslaut, die anderswo nicht bekannten, farbenprächtigen, blumigen Worte.

Während des Ankleidens hielt seine Hand inne, seine Augen schlossen sich. Er gönnte sich eine kleine Pause, um sich das Bild des Canale Grande vorzustellen, obwohl er es kaum noch erwarten konnte, das alles endlich mit eigenen Augen zu sehen. Er malte sich in Gedanken das von schneeweißen, rosafarbenen und goldenen Palästen eingerahmte grüne Wasser und die darauf langsam dahingleitenden schwarzen Gondeln aus. Hinten in der Gondel steht der Gondoliere, eine Mütze mit roter Quaste auf dem Kopfe, stemmt sich gegen den Griff des langen Ruders und bewegt es mit kurzen Stößen; es ist fast unverständlich, wie er mit so geringer Mühe diesen schwarzen Holzschwan, aus dessen Hals eigentümliche Sprossen herausragen, so schnell vorwärtsbewegen kann. Das Ruder plätschert im Wasser, die Gondel gleitet dahin.

» A-oel!« erklang es von draußen, ganz wie der erträumte Gondoliere gerufen haben würde. Galileo kleidete sich fertig an. Nebenher trank er von dem Orangensaft, den man ihm noch am gestrigen Abend als Frühstück zubereitet hatte, damit er nicht gezwungen sein sollte, auf leeren Magen seine Pfeife zu rauchen. Schon eilte er die schmale Holztreppe hinunter, trat in das enge Gäßchen, die mannsbreite »Calle« hinaus, lief eilig an den Mauern entlang, die immer wieder in einem scharfen Winkel abbogen, unter trocknender Wäsche hindurch, die zwischen den gegenüberliegenden Fenstern aufgehängt war. Endlich kam er ans Wasser: Hier blieb er stehen und versank in Betrachtungen. Nie war ihm etwas Ähnliches zuteil geworden. Noch immer kam ihm Venedig unglaublich vor. Es erschien ihm wie eine Stadt, die man sich einfach nicht vorstellen kann.

Nachdem er eine Weile dort herumgestanden hatte, machte er sich zu Fuß auf den bekannten Weg. Wer in Venedig kein Geld für eine Gondel hat, kommt auch zu Fuß ans Ziel, wenn er den Weg kennt und die Mühe nicht scheut. Auch er hatte schon gelernt, wie man zu Fuß zur Rialtobrücke gelangt, zum neuesten Wunder dieser Stadt, die zwar noch nicht ganz fertig, dem Verkehr aber bereits übergeben war. Auch das sah er sich lange an. Auf ihrem marmornen Körper reihten sich die Läden ebenso nebeneinander, wie zu Hause auf dem Ponte Vecchio. Am Brückenkopf stand eine Gruppe von Menschen, sie stritten sich mit blitzschnellen Worten, sie mochten sich wohl von Geschäften erzählen, oder welche abwägen und abschließen.

Von hier war es dann nicht mehr schwer, die Merceria zu finden, und von dort aus, sich zwischen den vielen mit Menschen vollgestopften Läden herumstoßend und immer wieder jemandem aus dem Wege gehend, zu den prächtigen Palästen der Prokurazien zu gelangen. Da breitet sich dann plötzlich das Wunder aller Wunder aus: die Piazza di San Marco. Linker Hand die Kathedrale in byzantinischer Pracht, ihr gegenüber der sich hoch emporhebende weiße, in rosa Farben geriffelte, viereckige Glockenturm, der Campanile, und zu beiden Seiten des mit Marmorbänken übersäten Platzes die beiden abschließenden Paläste mit der Reihe ihrer gleichförmigen Bogenhallen. Der Platz war nur auf der dritten Seite offen. Dort waren die Masten der unregelmäßigen, niedrigen Häuser zu sehen. Wenn sich aber der Blick abermals nach links wendete, über die unzähligen herumflatternden Tauben hinweg, blieb er hängen an dem zauberhaften Bild des Dogenpalastes mit seinen weißen und rosafarbenen Steinen, mit seinen schönen übereinander getürmten Bogenhallen. Nach dem Meere zu erhoben sich zwei Säulen, auf der einen der ältere, treulos verlassene Schutzpatron Theodor mit seinem Krokodil, auf der anderen der den neuen Schutzpatron darstellende beflügelte Löwe des Markus. Zwischen ihnen beiden das Meer, das sich in seiner hoheitsvollen Laune hier strahlend blau zeigte, mit glitzernder, goldener Oberfläche, obwohl es kurz zuvor an der Rialtobrücke noch in einer weichen grünen Farbe schillerte.

Für Galileo war das jedesmal der Beginn des Tages. Hierher kam er jeden Morgen, von hier aus begann er seine Bittbesuche. Mit allen drei Riformatori hatte er bereits sprechen können. Er fand alle drei genau so, wie sie der Marchese del Monte ihm beschrieben hatte: Michiel, ein reizbarer Mensch, magenkrank, mit säuerlicher Laune; Zorzi stets gutgelaunt, tüchtig und schmetternd lustig, Contarini eitel, schwerfällig und alles besser wissend. Nach seinem ersten Besuch ließ er sich bei jedem der drei noch öfter blicken. Verwundert sah er, wie anders hier alles vor sich ging, als in Pisa. Auch dort waren Herren in Amt und Würde, deren Aufgabe es war, sich um die Angelegenheiten der Universität zu kümmern. Die betrachteten aber ihre Stellung als eine Formsache und zeigten niemals die geringste Absicht, als Laien sich in wissenschaftlichen Belangen zu unterrichten. Die Patrizier in Venedig dagegen nahmen die Angelegenheiten des Bo sehr ernst. Alle drei erwogen zunächst gründlich, ob sie den Lehrstuhl von Moletti etwa noch immer freihalten sollten. Sie kamen aber schließlich überein, daß der Pietät nunmehr Genüge getan und der Unterricht des Bo ohne Mathematik unvollkommen sei. Dann erst kam eine viel schwerer wiegende Erwägung an die Reihe: war denn der junge Anwärter auch würdig genug, den leeren Platz des großen Gelehrten einzunehmen? Das zu beurteilen, mußten alle drei Riformatori den Bittsteller zunächst persönlich kennenlernen. Sie fragten ihn eingehend über seine bisherige Tätigkeit, seine Familienverhältnisse und seine Abstammung aus. Alle diese Besuche waren gut abgelaufen. Nur Contarini, der dritte Riformatore, zeigte mehr Zurückhaltung und bemerkte, daß auch der hervorragende Magini aus Bologna bemüht sei, den Lehrstuhl zu erhalten. Der kluge Rat des alten Marchese half aber auch hier. Galilei suchte den Verwandten des Riformatore, Giacomo Contarini, auf, der ihm gleich herzliche Zuneigung entgegenbrachte. Er hielt alles, was er versprochen hatte und überredete tatsächlich den Zaccaria Contarini.

Aber nicht nur Versprechungen bezüglich seiner Stellung erhielt Galilei. Michiel, der Magenkranke, von dem er es am wenigstens zu hoffen gewagt hätte, fragte ihn über seine finanzielle Lage solange aus, bis Galilei schließlich gestand, daß seine Lage sehr jämmerlich und er dem Verhungern nahe sei. Der säuerliche, reizbare Michiel erwiderte darauf, daß hier etwas geschehen müsse und er sich mit Pinelli in Verbindung setzen wolle, da er sowieso auf einige Tage nach Padua fahren müsse. Am dritten Tage traf von Pinelli eine Nachricht ein, daß Michiel dem darbenden Kandidaten ein Darlehen antragen werde.

 

»Heute morgen habe ich mit dem Herrn Riformatore Michiel gesprochen, der mir mitteilte, daß er Euch ohne weiteres zweihundert Goldgulden leihen wird.«

 

Und so geschah es auch. Michiel zählte ihm zweihundert Goldstücke auf den Tisch. Soviel Geld hatte Galilei noch nie in den Händen gehabt. Das kam wie gerufen. Er mußte drückende Schulden bezahlen, unangenehme und peinliche Schulden, die er noch in Pisa gemacht hatte, auch nach Hause mußte er an verschiedene Stellen Geld schicken und außerdem hatte Schwager Landucci, der den restlichen Teil der Mitgift immer ungeduldiger forderte, noch eine beträchtliche Summe zu bekommen. Aber auch für sich selbst behielt Galileo etwas zurück, um zu erfahren, wie einem Menschen zumute ist, der ein wenig Geld in der Tasche hat.

Zerstreuen wollte er sich doch auch hin und wieder und zwar gemeinsam mit seinem neuen Freunde. Das war kein geringerer als der Sohn des einen Riformatore, Benedetto Zorzi, ein außerordentlich lustiger und übermütiger junger Mann, gescheit, voller Humor und sehr leichtsinnig. Am Tisch des Riformatore hatten sie sich angefreundet und hielten diese Freundschaft aufrecht. Jeden Tag trafen sie sich, sie fuhren zusammen in der Gondel, Benedetto zeigte und erklärte ihm die Stadt, den Canale Grande entlang erzählte er von jedem Palast, welcher Familie er gehörte, wer darin wohnte, wessen Geliebte aus welchem Palast und wohin zu schleichen pflegte, warum und wo der letzte Skandal stattfand, wer an welcher Ecke der Calle erstochen wurde und warum … Sie kehrten in dieser oder jener Osteria ein, um den Wein zu kosten. Immer hatte Benedetto gezahlt wie ein Grandseigneur. Jetzt wollte Galileo sich endlich revanchieren. Sie vergnügten sich nach Herzenslust, beim ersten Sonnenstrahl wandelten sie berauscht unter den Arkaden des Markusplatzes und stritten über Gott. Galilei war gottgläubig und eine andächtige Seele, sobald von religiösen Dingen die Rede war. Benedetto Zorzi aber war der Ansicht, daß man nie etwas genau wissen könne, also auch das Dasein Gottes nicht; und ohne Sinn und Zweck zu beichten, zu beten und zu fasten, wäre töricht. Darüber stritten sie sich laut, zwei Sbirren tauchten unter den dunklen Bogengängen auf und begannen sie auszufragen. Als sich aber herausstellte, daß der Vater des einen lärmenden jungen Mannes Senator war, machten sich die Schergen schleunigst aus dem Staube.

So waren von dem schönen venezianischen September zwei Wochen verflossen und der Tag mit einem Male da, an dem die drei Riformatori eine Beratung abhielten über die mannigfachen Angelegenheiten des Bo, und unter anderem auch über die Besetzung des mathematischen Lehrstuhls. Sie ließen Galilei wissen, daß die Sitzung frühmorgens um acht Uhr im Dogenpalast beginne; wann sie enden würde, sei im voraus nicht zu sagen; wenn er aber die Absicht habe, den Entschluß schnellstens zu erfahren, dann möge er an der Scala dei Giganti warten, dort würden sie herunterkommen.

Er stand also vor dem Dogenpalast, obwohl es noch nicht einmal acht Uhr war, die Sitzung also noch gar nicht begonnen hatte. Er schlenderte auf die Mole, um sich die Zeit zu vertreiben. Er sah sich die vor Anker liegenden Schiffe an oder beobachtete die in Fahrt befindlichen. Da waren Mestieretti und Bragozzi, von Chioggia herübergewehte Fischkutter. Es waren auch Collen da, große Handelsschiffe, Caracken, Fusten und ganz große Galeeren, die er nicht voneinander unterscheiden konnte, obgleich ihm Benedetto Zorzi einmal einen ganzen Nachmittag lang den Unterschied zwischen einer Galeere, einer Galeasse und einer Gallione erklärt hatte, die für ihn alle drei Galeeren waren. Er stand am steinigen Ufer und wandte die Augen nicht ab von dem geschäftigen Treiben am Meer, ganz hingerissen von den Farben, von dem Rot und Braun der Segel, von der reichen Goldverzierung der Galeeren und von der unbeschreiblich schillernden Bläue des Masters. Die Sonne glühte, es war, als könne man die sprühenden Funken der Hitze in der zitternden Luft tanzen sehen.

Als ihn das endlich langweilte, betrachtete er die Leute. Bürger nahten sich geschäftig dem Dogenpalast, unter der Last ihres Sonntagsstaates schwitzend, die Absätze ihrer Sandalen schlugen hart auf den Steinboden auf. Halbnackte Kinder tummelten sich mit einem kleinen schwarzen Hund. Sechs Männer hoben mit unendlicher Mühe eine Kiste aus einer Gondel, der Schwere nach mußte Erz oder Marmor drinnen stecken. Gerichtsdiener mit Schriftstücken unter dem Arm kamen und gingen. Gondolieri standen in ihren mit Wappen geschmückten Kleidern müßig herum, auf ihre Herren wartend, die anscheinend amtlich zu tun hatten. Von der Merceria her kam eine Abteilung Soldaten anmarschiert, an der Ecke bogen sie in der Richtung der Riva bei Schiavoni ein, sicherlich wollten sie in ihre Kaserne. Sie mochten wohl mächtig schwitzen unter ihren Helmen und der Last der Gewehre. Frauen waren kaum unter den vielen Vorübergehenden. Die Ehefrauen saßen um diese Zeit zu Hause und die Dienstmägde kamen nicht in diese Gegend, wo kein Markt war.

Das war Venedig in der Vormittagshitze eines Septembertages. Hier trieb sich der junge Mann aus Florenz herum, hier wartete er, ob Serenissima seinen Verstand, seine Wissenschaft in Anspruch nehmen würde, um ihm dafür ein Auskommen zu gewähren, und was noch mehr war als das: die Gelegenheit zu Forscherarbeit und zum Experimentieren. Wenn ja, dann fing das Leben an, wenn nicht, dann hatte das Leben Galileo Galileis der Teufel geholt.

Inzwischen war es elf geworden, als er plötzlich die drei Gestalten erblickte. Sie traten schon aus dem Palast heraus und er stand nicht auf seinem Wachtposten an der Scala bei Giganti. Er rannte hin und begrüßte sie keuchend. Zorzi war der erste, der ihm die Nachricht bekanntgab:

»Die Sache ist in Ordnung, mein Lieber. Wir haben beschlossen, daß wir den Lehrstuhl nunmehr wieder besetzen, des weiteren, daß wir Euch anstellen. Darüber werdet Ihr noch eine amtliche Mitteilung erhalten, aber Ihr könnt Euch bereits jetzt schon als Professor des Bo betrachten. Eure Berufung lautet nicht erst für eine kurze Zeit mit der Möglichkeit einer Verlängerung, sondern gleich von vornherein auf vier Jahre mit einer Verlängerungsmöglichkeit über weitere zwei Jahre. Wir haben deswegen so beschlossen, damit die Unsicherheit Euch nicht in Eurer wissenschaftlichen Tätigkeit hemmt.«

Der junge Professor stand sprachlos da, lächelte verstört in glücklicher Verlegenheit und vergaß sogar die Worte des Dankes.

»Wollt Ihr denn gar nicht wissen, wie hoch Euer Gehalt ist?« fragte Michiel.

»Doch ja … Euer Gnaden … ich möchte schon wissen …«

»Wir haben beschlossen, Euer Pisaner Gehalt zunächst um die Hälfte zu erhöhen. Ihr werdet also im Jahre hundertachtzig Goldgulden erhalten.«

»Hundertachtzig? Aber in Pisa hat man mir nur sechzig gezahlt. Das ist doch dreimal soviel.«

»Ihr irrt, mio caro, der Goldgulden ist hier bei uns fünf venezianische Lire wert, also zweieinhalb italienische Lire. Wenn Ihr also die Valutadifferenz errechnet, dann war Euer Jahresgehalt in Pisa dreihundert Lire, hier ist es vierhundertfünfzig. Versteht Ihr?«

Galilei schwieg und sah die drei Patrizier verständnislos au. Zorzi lachte laut auf.

»Ihr fangt Eure mathematische Karriere schön bei uns an, das kann man wohl sagen! Könnt Ihr diese einfache Multiplikation nicht im Kopfe vornehmen? Eine große Schande, mein Herr Gelehrter. Aristoteles hätte die ganze Sache längst verstanden. Nun, rechnet es Euch zu Hause aus und gebt Euch jetzt damit zufrieden, wenn wir Euch sagen, daß Euer Monatsgehalt siebenunddreißig und eine halbe Lire beträgt. In Pisa habt Ihr nur fünfundzwanzig bekommen.«

Contarini fügte fast schadenfroh noch hinzu:

»In vollem Umfange werdet Ihr Euer Gehalt aber nicht ausgezahlt bekommen, da wir nach den Gesetzen des Bo zweieinhalb Prozent abziehen. Das sind fünfundzwanzig venezianische Lire und zwölf Soldi. Außerdem bezahlt Ihr für die Ausfertigung der Ernennungsurkunde drei Lire fünfzig.«

»Jawohl«, sagte Galilei folgsam.

Sie standen noch ein Weilchen zu viert in der sengenden Glut der Sonne, dann klopfte Zorzi ihm auf die Schulter:

»Schon gut, junger Mann! Seid aufmerksamer auf dem Katheder und multipliziert schneller. Auf alle Fälle heiße ich Euch im Namen der Serenissima herzlich willkommen in den Reihen der Gelehrten des Bo. Das Unterrichtsjahr beginnt am Tage St. Lucas, also am achtzehnten Oktober. Was habt Ihr vor bis dahin?«

»Ich denke, Euer Gnaden, daß ich gleich nach Padua gehe, eine Wohnung suche und mich den Herren vorstelle, die ich noch nicht kenne. Dann fahre ich nach Hause nach Florenz, um meine Familienangelegenheiten zu ordnen. Ich muß mich auch beeilen, denn heute ist schon der zwanzigste September. Ich habe kaum einen Monat, um alle meine Sachen zu ordnen, und muß auch noch umziehen.«

»Und hierher müßt Ihr zwischendurch auch nochmals zurückkommen.«

»Hierher zurück?«

»Natürlich. Ihr müßt doch Euer Diplom entgegennehmen, persönlich, das ist Pflicht. Und dann sind noch einige andere Formalitäten zu erfüllen. Eure Dokumente werden in drei bis vier Tagen fertig. Geht also jetzt ruhig nach Padua und kommt heute in einer Woche wieder zurück. Von hier aus könnt Ihr dann nach Florenz fahren. Also heute in einer Woche, verstanden? Wieviel ist denn 20 + 7, Herr Professor?«

»20 + 7«, erwiderte der Gegner des Aristoteles glückselig, »ist sechsundzwanzig, weil ich da schon wieder hier sein werde.«

Die Herren nickten. Dann schritten sie feierlich in der Richtung der Piazetta weiter. Galilei blieb noch eine kleine Weile auf derselben Stelle stehen, dann wandte er sich plötzlich um und lief in der entgegengesetzten Richtung. Er eilte in die Kathedrale, ging unter dem Zuccaro-Mosaik hindurch und blieb stehen. Er suchte keinen Altar, keinen Heiligen, er blieb einfach in der Mitte stehen. Er betete, mit erhobener Seele, glücklich. Sein Gebet hatte aber keine Worte, sogar in Gedanken stotterte er vor Freude, er fühlte dankerfüllt nur die Nähe Gottes. So stand er da, nicht einmal die Hände gefaltet, aber mit einer so überschäumenden Andacht, daß vor lauter Dankbarkeit seine Augen voll Tränen liefen.

Diese wenigen Minuten erfrischten ihn wie einen Müden das Bad. Dann verließ er die Kirche, um Benedetto Zorzi aufzusuchen. Er wußte, wo er ihn finden würde: der junge Freund pflegte um diese Zeit in einer Osteria in der Nähe des Orologio, des Uhrturmes, zu sitzen. Dort trafen sie sich jeden Tag vor dem Mittagessen. Er blickte auf das blaue und goldene Zifferblatt des Orologio und auf seinen fragenden Blick antworteten die beiden Neger mit den Hämmern an der Spitze des Turmes: sie begannen langsam die Stunde zu schlagen.

Benedetto saß wirklich in der schattigen Osteria.

»Ich kann mich gar nicht erst setzen«, erklärte Galileo, »ich muß schnell in meine Wohnung. Ich muß nach Padua. Ich habe meine Ernennung.«

»Ich weiß«, entgegnete Benedetto, »schon am frühen Morgen hörte ich es von meinem Vater. Contarini mag machen, was er will, Vater und Michiel hatten die Angelegenheit längst beschlossen. Was machen wir nun? Weißt du, ich begleite dich nach Hause und wir unterhalten uns unterwegs.«

Der junge Senatorssohn zahlte. Sie gingen zu Fuß die Merceria entlang. Die Luft war voll starken Fischgeruches. Die drückende Hitze litt kaum einen Menschen im Freien, sogar in den Geschäftsstraßen hielten sich nur vereinzelt Menschen auf.

»Als Florentiner wollte ich dich schon längst einmal etwas fragen«, sagte Galileo. »Die Frau unseres vorherigen Herrschers war eine Venezianerin …«

»Bianca Capello, ich weiß. Und?«

»Es würde mich interessieren, wo sie gewohnt hat. Weißt du das zufällig?«

»Natürlich weiß ich das. Der Palast Cappello steht auch jetzt noch da, gegenüber dem Bankhaus Salviati. Dort hat Pietro Bonaventuri gearbeitet, der sie entführte. Wollen wir in dieser Richtung gehen?«

»Heute nicht. Aber in einer Woche, wenn ich wieder zurück bin.«

In seiner Wohnung packte er schnell seine Sachen, ließ sich eine Gondel kommen und zur Abfahrtsstelle rudern. Hier verabschiedete er sich von Benedetto, der nun nach Hause ging, um zu Mittag zu essen. Galileo bestieg den großen Kahn, erreichte alsbald das Festland und freute sich, daß die Postkutsche noch wartete, in der bereits mehrere Reisende Platz genommen hatten, die auf die Abfahrt nach Padua warteten. Er bezahlte den Fahrpreis und setzte sich. Der Reisende neben ihm musterte ihn und sprach ihn schließlich an.

»Verzeihung, habe ich nicht die Ehre, neben dem Mathematiker, Herrn Galileo Galilei, zu sitzen?«

»Der bin ich. Ach, Ihr seid doch Herr Ugoccioni, unser Gesandter in Venedig. Ich bitte vielmals um Entschuldigung, daß ich Euch nicht sofort erkannt habe.«

Liebenswürdig fingen sie eine Unterhaltung miteinander an. Galilei erzählte dem Gesandten, welch wichtiges Ereignis sich gerade am heutigen Tage zugetragen hatte. Der Gesandte beglückwünschte ihn höflich und sagte dann:

»Jetzt werdet Ihr also um Eure Entlassung aus dem toskanischen Staatsverband nachsuchen?«

»Worum werde ich nachsuchen? Das verstehe ich nicht.«

»Habt Ihr denn daran nicht gedacht? Als toskanischer Staatsbürger könnt Ihr doch keine Stellung in einer fremden Republik annehmen. Ihr müßt zuvor Seine Hoheit, den Großherzog Fernando, um Eure amtliche Entlassung bitten. Das ist aber nur eine Formsache, und Ihr werdet sie sicherlich erhalten.«

Galilei erschrak.

»Ich darf kein Florentiner mehr sein?«

»Sehr richtig. Wenn Ihr Euch auf venezianischem Gebiete in einer Staatsstellung niederlassen wollt, ist das doch selbstverständlich.«

»Natürlich, das sehe ich ein«, erwiderte er leise und nachdenklich.

Mit einem Male hatte er einen bitteren Geschmack im Munde. Seine lodernde Freude sank plötzlich in sich zusammen. Sinnend blickte er vor sich hin und sprach auf dem ganzen Wege kaum noch ein Wort.


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