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Achtes Kapitel

Sein Vater war gestorben.

Durch einen Brief erhielt er die Nachricht, die nicht unerwartet kam. Vincenzo Galilei hatte schon seit langem immer wieder behauptet, daß er bald sterben würde, und aus den Briefen an seinen Sohn sprach ständig eine wehmütige Abschiedsstimmung. Gerade deswegen aber, weil man schon seit so langer Zeit mit seinem Ableben rechnen mußte, hatte dieser Ton seiner Briefe allmählich immer mehr von seiner bedrohlichen Art verloren. Und nun wirkte die Todesnachricht wie ein erschütternder Schlag, als ob sie in der Tat ganz unerwartet gekommen wäre.

Er nahm Urlaub und fuhr nach Hause zum Begräbnis. Dort schritt er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern hinter der Bahre her. Livia, die kleinste, war gerade dreizehn Jahre alt geworden, Michelagnolo war sechzehn und hatte sich zu einem langaufgeschossenen Lümmel entwickelt; sein Schnurrbart begann schon zu sprießen. Anna war schon siebzehn Jahre alt, konnte aber nicht zur Beerdigung kommen, weil sie krank im Kloster darnieder lag. Virginia aber stand mit ihrem Manne am Grabe; denn nach langen Verlobungsjahren war sie die Frau des Benedetto di Luca-Landucci geworden. Dieser Schwager Benedetto war keine sehr empfindliche Seele. Als sie von dem Begräbnis nach Hause gingen, nahm er Galileo sofort vor, um die Geldfrage mit ihm zu besprechen.

»Ich bitte dich um deine Unterstützung, Benedetto«, bat Galileo seinen Schwager, als sie sich zu Hause zur Besprechung niedergesetzt hatten, »du kannst ja selbst sehen, in welchen Verhältnissen die Familie zurückbleibt, und ich selbst habe zur Zeit auch schwere Geldsorgen.«

Der Schwager nickte wohlwollend.

»Ich sehe alles«, entgegnete er herablassend, »und ich will dich gern unterstützen. Wie du mit den Kindern und deiner Mutter fertig wirst, wie du für sie zu sorgen gedenkst, da will ich dir nicht dreinreden; hierüber hast nur du zu bestimmen, das ist dein gutes Recht, und was mich nichts angeht, da mische ich mich auch nicht ein. Einen freundschaftlichen Rat möchte ich dir aber doch geben. Ich habe nur einen Teil von Virginias Mitgift erhalten, obwohl die neuen Zahlungen schon fällig wären. Aber ich bin ein guter Mensch; während der Krankheit deines Vaters wollte ich mit derartigen Sachen nicht stören. Wie ich jetzt feststelle, ist es durchaus möglich, daß, wenn man den Nachlaß, hauptsächlich das Warenlager, günstig verkauft, dann auch der Betrag vorhanden sein wird, den mir dein Vater schon lange schuldet. Mit der Summe, für die du die Bürgschaft übernommen hast, will ich gut und gerne noch einige Monate warten. Wie du also stehst, bin ich wirklich bestrebt, Euch so wenig Sorgen wie nur möglich zu verursachen.«

Galileo stieg die Bitterkeit in der Kehle hoch.

»Danke. Ich hatte zwar gedacht, du würdest die Hinterlassenschaft zunächst nicht antasten. Es sind viele Schulden unbezahlt geblieben und ich muß gut überlegen, in welcher Lage meine Mutter und die Kinder ihr neues Leben beginnen.«

»Da sagst du selbst, daß Schulden verblieben sind, und daß man sie begleichen muß. Auch ich bin ja ein Gläubiger. Ich wiederhole aber, daß ich den größten Teil meiner Forderung zu stunden bereit bin. Wenn jeder deiner Gläubiger sich so benimmt wie ich, hast du gewonnenes Spiel. Für das Warenlager habe ich sogar schon einen Käufer. Die Bestandaufnahme haben wir gleich nach dem Tode deines Vaters vorgenommen. Hier ist sie.«

Er legte ein umfangreiches Bündel Papier auf den Tisch. Da lag nun das Verzeichnis des Besitzes und auch das Verzeichnis der Schulden, das von dem Oberhaupt der Familie noch in den letzten Tagen seiner Krankheit zusammengestellt worden war. Galileo überprüfte die Zahlenreihen und erschrak. Ein trauriges Bild zeigte sich ihm da. Er wußte nicht, wie er hier Ordnung schaffen sollte. Schüchtern versuchte er Benedetto zu überreden, sich auch mit dem Anteil an der väterlichen Erbschaft zu gedulden, er redete aber zu tauben Ohren. Da versuchte er, Virginia zu bewegen, ihren Mann zu einem anderen Standpunkt zu bekehren. Die junge Frau erklärte aber:

»Mich hat der Tod unseres armen Vaters so getroffen und niedergeschlagen, daß ich mich mit diesen Sachen nicht befassen kann. Im übrigen erledigt Benedetto alle meine geldlichen Angelegenheiten und ich rede ihm da nicht hinein. Vielleicht versuchst du noch einmal mit ihm zu sprechen.«

Schwere Tage folgten. Von früh bis abends verhandelte Galileo mit den Gläubigern. Seine Taschen waren vollgestopft mit Aufstellungen. Diese Aufstellungen hatte er schon mit etlichen Bemerkungen versehen: wo es ihm gelungen war, etwas herunterzuhandeln und einen Aufschub zu erhalten, über wieviel und wie lange. Jeden Abend fiel er zu Tode erschöpft auf sein Bett, um am anderen Morgen von neuem zu beginnen. Mindestens dreimal am Tage rannte er seinem Schwager Benedetto in die Arme, der mit Argusaugen über allem wachte und immer wieder die Stoffballen im Laden nachzählte, ob nicht einer davon inzwischen verschwunden war. Er betonte, daß ihm jede Verdächtigung fernliege; er tue alles das nur der Ordnung halber. Und selbstverständlich verging kaum ein Tag, an dem er sich nicht mit seiner Schwiegermutter erbittert gezankt hätte. Vincenzo Galileis irdische Überreste waren kaum der Mutter Erde übergeben, da tobte in seinem verlassenen Heim bereits ein Aufruhr nach dem anderen.

Eine Woche später war Galileo endlich soweit, daß er nach Pisa zurückkehren konnte. Für den Laden fanden sie einen Käufer und beschlossen, daß die Familie das Geschäft endgültig aufgeben werde. Auch von allen anderen Habseligkeiten hatten sie vieles günstig verkauft. Schwager Benedetto Landucci unterließ nicht, jeweils das Erbteil seiner Frau zu fordern, nachdem er einen Teil der Mitgift bereits erhalten hatte. Im großen und ganzen hatte sich aber die Lage doch soweit geklärt, daß die Mutter mit den drei Kindern in ihrem alten Heim verbleiben konnte und dem neuen Geschäftsinhaber nur ein Zimmer von ihrer Wohnung abgeben mußte. Die Familie war also für eine Weile, wenn auch bescheiden, so doch versorgt. Für Galileo blieben sogar noch einige Goldstücke übrig. Die konnte er nicht entbehren, weil seine Versuche viel Geld gekostet hatten und auch ihn drückende Schulden in Pisa quälten. Wovon er den Anteil der Mitgift für seine Schwester bezahlen sollte, für den er die Bürgschaft übernommen hatte, daran mochte er jetzt gar nicht denken. Es würde sich schon irgendwie machen lassen.

Vor seiner Abreise ging er noch einmal in die Kirche, um vor dem Grabe seines Vaters abschiednehmend niederzuknien. Auf dem Grabstein leuchteten noch in frischem Glanze die gemeißelten Buchstaben des Namens und das Wappen: eine Leiter mit vier Sprossen. Diese Leiter im Familienwappen war gleichsam ein Sinnbild der Träume des auf ihr Knienden: nur immer höher hinauf auf der Leiter der Wissenschaft und des Ruhmes, nur immer höher …!

Endlich fuhr er zurück nach Pisa zu den frechen Schülern, den feindseligen Professoren, den Sorgen des Alltags, den zürnenden Peripatetikern und der Wühlarbeit des Giovanni Medici. Denn Giovanni Medici arbeitete offen gegen ihn. Seine Baggermaschine hatte er sich vom Großherzog doch erzwungen; der Herrscher gab seinem Flehen nach und ließ das zur Erbauung der Maschine nötige Geld anweisen. Die Maschine wurde gebaut, unter riesenhaftem Aufsehen nach Livorno geschafft und dort in Betrieb genommen. Es kam aber alles genau so, wie es der Sachverständige vorausgesagt hatte: das Wasser wusch den Sand wieder aus den Eimern heraus, noch bevor sie die Oberfläche erreichten. Die Maschine wühlte zwar den Grund furchtbar auf, zutage fördern konnte sie aber nichts. Sie war einfach nicht zu gebrauchen. Der Großherzog hatte Herrn Giovanni seine Meinung darüber nicht vorenthalten und dieser zürnte seitdem Galileo Galilei mehr denn je. Er beschimpfte ihn, wo er nur konnte, er verbreitete Schauergeschichten über ihn, er scheute sich sogar nicht, an einflußreiche Herren in Pisa und an den Vorstand der Universität Briefe zu schreiben, an Personen, die sich zwar um die Angelegenheiten der Universität wenig kümmerten, die aber über die Stellung des jungen Professors zu entscheiden hatten. Diese Wühlarbeit fand jedoch nicht so sehr in Pisa als vielmehr in Florenz, in den Kanzleien der Regierung ihren Niederschlag. Belisario Vinta, der dagegen hätte wirken können, war nie in Florenz anwesend, sondern hielt sich wegen der Papstwahl ständig in Rom auf. Der Großherzog hatte ihn, den geschickten Diplomaten, immer zu den Konklaven nach Rom gesandt, um den Kardinälen gegenüber die außenpolitischen Interessen Toscanas zu wahren: ein Spanier oder ein Parteigänger der Spanier durfte nicht Papst werden. Im vorigen Sommer war Papst Sixtus gestorben, Vinta fuhr nach Rom. Seine Bemühungen hatten Erfolg: gewählt wurde der Kardinal Castagna, der dreizehn Tage, nachdem er als Urban VII. den päpstlichen Thron bestiegen hatte, starb. Es folgte ein neues Konklave. Abermals mußte Vinta gegen die Spanier arbeiten. Gewählt wurde diesmal der Kardinal Sfondrati. Seine Regierung als Gregor XIV. währte aber auch nur kurze Zeit. Vinta durfte wiederum zu einem neuen Konklave reisen. Auch dieser neue Papst starb bald. Jetzt endlich wurde der Kardinal Aldobrandini gewählt, der sich als Clemens VIII. die Tiara auf das Haupt setzte. Vinta war also im Vatikan beschäftigt, und Herr Giovanni arbeitete indessen mit aller Kraft gegen den verhaßten Galilei. Und wenn jemals, so hätte Vinta gerade jetzt helfen können. Denn nun geschah, worauf Vinta schon lange vorher angespielt hatte: der Großherzog ernannte den Kanzler Usimbardi zum Bischof von Arezzo und Vinta zum Kanzler.

Wenn aber der junge Professor ernsthaft über seine Zukunft nachdachte, so legte er auf Hilfe gar keinen Wert mehr. Er wollte auch dann nicht mehr in Pisa bleiben, wenn es gelingen sollte, seine Professur durch den Einfluß des Kanzlers zu verlängern. Er sehnte sich leidenschaftlich fort aus dieser feindseligen Umgebung. Wenn er seine wissenschaftlichen Behauptungen gegen Aristoteles nunmehr auch beweisen konnte, so eroberte er sich damit die Peripatetiker noch lange nicht, im Gegenteil, er brachte sie erst recht in Harnisch. Die meisten Kollegen grüßten ihn überhaupt nicht mehr. Und als man Matteo di Arexa zum Rektor gewählt hatte, gab ihm dieser zu verstehen, daß er gegen die Verlängerung seiner Professur alles unternehmen würde, was nur in seiner Macht stände.

Um das alles kümmerte sich Galileo aber gar nicht. Er setzte alles auf eine Karte. Entweder der Traum seiner Träume ging in Erfüllung und es gelang ihm, den noch immer unbesetzten Lehrstuhl Molettis in Venedig zu erhalten, oder alles war sowieso verloren. Dann würde er wieder heim nach Florenz gehen, als Schlosser, als Waffenschmied oder als sonst etwas. So schrieb er auch dem alten Marchese del Monte. Der briefliche Gedankenaustausch mit dem alten Herrn war ihm jetzt mehr denn je Herzensbedürfnis und Trost. Er teilte ihm mit, daß er sich gerne in Venedig umsehen würde, aber auch von dieser Reise nicht mehr viel erhoffe.

 

»Es berührt mich sehr peinlich«, erwiderte der Marchese, »daß man Euch, mein Herr, dort nicht Eurem Verdienst entsprechend behandelt. Noch weniger gefällt es mir aber, daß Ihr selbst, mein Herr, alle Hoffnungen aufgegeben habt. Wenn Ihr in diesem Sommer nach Venedig kommt, so nehmt Euren Weg über Pesaro. Ich werde nicht versäumen, Euch in jeder Beziehung dienlich zu sein, da ich es nicht mit ansehen kann, daß Ihr Euch in einem so beklagenswerten Zustande befindet. Meine Kräfte sind zwar schwach; sie mögen aber sein wie sie wollen, ich stelle sie vollkommen in Eure Dienste, mein Herr.«

 

Mazzoni versprach ihm ebenfalls, ihm ein Empfehlungsschreiben an seinen einstigen Schulkameraden, den Grafen Antonio Querenghi, mitzugeben, der in der Republik Venedig nicht wenig zu sagen habe. Galileo selbst hatte auch durch seinen wissenschaftlichen Briefwechsel einige Verbindungen, so mit dem berühmten Grafen Bissaro, einem Edlen aus Vicenza, mit Antonio Riccoboni, dem Dozenten für Rhetorik an der Universität zu Padua, einem zwar nicht allzu bedeutenden Manne, der ihm aber immerhin mit allerlei Auskünften an Hand gehen konnte.

Ein Gesuch wegen Verlängerung seiner Professur reichte Galilei gar nicht erst ein. Als der Sommer herangekommen und das Unterrichtsjahr beendet war, nahm er nicht einmal Abschied von Pisa. In seiner letzten Vorlesung hatte er zwar noch einmal in einer großen Zusammenfassung seine Argumente gegen Aristoteles vorbringen wollen, diese letzte Vorlesung konnte er aber nicht abhalten, weil er von einem Fußleiden befallen wurde. Die Schüler zerstreuten sich, ohne sich verabschiedet zu haben. Nur von seinen vier Getreuen nahm er persönlich Abschied. Er ermahnte und küßte sie. Sie schwuren, ihm fleißig zu schreiben. Dann verabschiedete er sich noch von den alten Mazzonis. Bei diesem letzten Besuch weinten sie alle drei. Als er das Tor hinter sich schloß, wo sich unter Oleanderbäumen die Katzen sonnten und rekelten, da empfand er mit schmerzlicher Bitterkeit, wieviel Liebe ihm hier zuteil geworden war.

Zu Hause packte er seine Siebensachen, seine wenigen Kleider, Bücher, die vielerlei Kugeln, die er für Experimente hatte anfertigen lassen, seine Sanduhren, seine Pendel, und all die anderen Geräte. Er bezahlte seinen Wirt und sagte ihm, daß er übermorgen reisen werde. Aber noch in derselben Nacht erhob er sich bei Sonnenaufgang, stahl sich heimlich und leise aus dem Hause und ging langsamen Schrittes mit dem Gepäckträger nach der Signoria. Dort erwartete ihn der Wagen.

Kaum konnte er erwarten, daß sie abfuhren. Als sie die Stadtgrenze erreichten, vertiefte er sich in seinen Ariosto und blickte auf den Schauplatz seiner Leiden und seiner dreijährigen Professur nicht einmal zurück. In Florenz hielt er sich nur auf, um die geldlichen Verhältnisse seiner Familie zu überprüfen, und sah erschrocken, daß seine Mutter seit dem Tode des Familienoberhauptes unsinnig verschwendete. Sie verstand es nicht, das Geld einzuteilen. So setzten sie sich alle mit dem Schwager Landucci zu einer Beratung zusammen, wie man in Zukunft dem Übel vorbeugen könnte. Es gab zwar einen gewaltigen Sturm, aber es kam schließlich doch – und zwar sehr schnell – zu einer glücklichen Lösung, über die sie alle zusammen am meisten verwundert waren. Sie überredeten die Mutter, sich von nun an zu schonen, nicht mehr soviel zu arbeiten und die Führung des Haushalts der Tochter Anna zu übergeben, weil sie sonst schwer erkranken würde. Das war ein Einfall des Schwagers Landucci, und er bewährte sich vortrefflich. Seit dem Tode ihres Mannes hatte die Mutter große Angst vor Krankheiten. Auch die Sorgen übertrug sie gern ihrer erwachsenen Tochter. Nur ein Taschengeld bedingte sie sich aus und nach längerem Feilschen kam man auch hier zu einer Einigung. Der Schwager, der befürchtete, daß die Sorge für die Kinder durch die Verschwendungssucht der Mutter schließlich noch ihm anheimfallen würde, war über die Lösung so erfreut, daß er großmütig einen neuerlichen Aufschub für den noch rückständigen Teil der Mitgift bewilligte. Er stellte lediglich zur Bedingung, daß für diese Schuld außer Galileo auch noch Michelagnolo gutsagen solle. Ein jeder war zufrieden, und Galileo setzte leichten Herzens seine Reise fort.

Die letzte Nacht vor seiner Ankunft verbrachte er in Urbino. Tags darauf bestieg er frühmorgens einen Wagen und kam noch vormittags in Pesaro an. Noch vor kurzem hatte er das Ligurische Meer betrachten können, als er das letzte Mal auf dem schiefen Turm von Pisa war. Jetzt breitete sich vor ihm das Blau des Adriatischen Meeres aus. An der Foglia-Brücke hieß ihn der Fuhrmann absitzen; von dort mußte er zu Fuß weiter, sein bescheidenes Hab und Gut in einem Bündel auf dem Rücken.

» Per favore«, redete er den ersten Menschen an, der ihm entgegenkam, »wo wohnt hier der Herr Marchese Guidubaldo Del Monte?«

»Ich bin sein Gärtner, mein Herr, und will gerade in das Schloß zurück. Seid Ihr der Gelehrte aus Pisa?«

»Der bin ich, mein Name ist Galileo Galilei.«

Der Gärtner verbeugte sich tief.

»Gott zum Gruße, mein Herr! Unser Herr Marchese hat schon vor Tagen jedem aufgetragen, daß dem Gelehrten aus Pisa, ganz gleich, wer ihm in Pesaro zuerst begegnet, alle die Ehren erwiesen werden sollen, die den vornehmsten Herren gebühren. Ich bitte Euch, mir als Eurem untertänigsten Diener zu folgen.«

»Väterchen«, bat Galileo, »setzt Euren Hut wieder auf, die Sonne brennt sehr.«

»Ich bitte um Verzeihung, aber ich kann gegen die gute Sitte nicht so grob verstoßen. Es würde mir schlecht ergehen, wenn mich der Herr Marchese mit bedecktem Kopfe erblickte.«

Sie schritten eifrig nebeneinander her. Als sie beim Schloß angelangt waren, rief der Gärtner einen der draußenstehenden Diener heran. Und innerhalb weniger Sekunden hatte schon ein sich tief verneigendes Personal den müden und staubigen Wanderer in seine Obhut genommen. Er war noch nicht bis an den von Marmorsäulen umrandeten Gang gelangt, als der alte Marchese ihm bereits entgegenkam, – barhäuptig, mit zeremoniellen Schritten, nicht die Freude des Wiedersehens, sondern mit ernster, würdevoller Miene die Feierlichkeit des Augenblicks betonend. Vor dem Gast angelangt, verbeugte er sich tief.

»Willkommen in meinem bescheidenen Hause. Betrachtet es als das Eure.«

Dann stellte er sich neben Galileo, ergriff die Fingerspitzen seiner linken Hand, hob sie hoch, als ob er einer Dame vom Hofe das Geleit geben wollte, und führte seinen Gast ins Haus. In der mit Statuen geschmückten Halle standen zu beiden Seiten der Treppe die Diener in goldbesticktem Wams, das Wappen des Hauses auf der Brust. Als sie bei der Treppe angelangt waren, blieb der Marchese stehen und wandte sich an seinen Gast.

»Es ist ein lieber Brauch in diesem altehrwürdigen Hause, daß jeder, der seine Schwelle überschreitet, ein bescheidenes Geschenk erhält. Mein Geschenk ist nicht aus Gold und nicht aus Silber, sondern besteht aus einem Versprechen. Ich verspreche, und wenn ich noch solange deshalb leben müßte, daß wir Euch den Lehrstuhl von Padua verschaffen, mein vortrefflicher Herr!«

Er verbeugte sich abermals, dann deutete er mit einer vornehmen, langsamen Bewegung auf die Treppe. Galileo Galilei stieg die Stufen hoch und hätte den kleinen Greis nur zu gern heftig an sein Herz gedrückt; er fürchtete aber, das könnte in Widerspruch zu den vorgeschriebenen Gesetzen des Hauses stehen. So unterdrückte er seine stürmische Zuneigung und war nur in Gedanken dem Marchese Guidubaldo in Liebe zugetan.

»Ich hoffe, daß Euch die bescheidene Unterkunft, die ich Euch bieten kann, zusagen wird. Ein lieber Verwandter von mir, der Marchese Giambattista Del Monte, General des venezianischen Fußvolkes, pflegt hier zu wohnen, wenn er mich mit seinem Besuch erfreut.«

Durch viele gewundene Gänge, deren Wände mit Gobelins behängt waren, an Fensternischen entlang, in denen weiße Statuen standen, gelangten sie endlich zu den Wohnräumen. Hier ließ der Marchese seinen Gast zuerst eintreten, folgte ihm dann, deutete einladend rings um sich und verbeugte sich abermals.

»Beim Glockengeläute zu Mittag speisen wir. Bis dahin wird Euch niemand stören, wenn Ihr Euch nach Belieben von den Beschwernissen der Reise erholen wollt. Dieser Bursche hier steht zu Eurer persönlichen Verfügung. Sein Name ist Ippolito. Auf Wiedersehen.«

Der würdevolle, feierliche Alte entfernte sich.

»Ich möchte mich waschen«, sagte Galileo zu dem Diener.

Der verneigte sich, wie jedermann hier, und führte den Gast weiter. Es stellte sich heraus, daß ihm drei Zimmer zur Verfügung standen, ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und ein Ankleidezimmer. In dem Ankleidezimmer wartete schon eine große Schüssel, daneben zwei große Krüge, in dem einen warmes, in dem anderen kaltes Wasser. Galileo war ein wenig verlegen, was er mit dem Diener anfangen sollte, der an der Tür stehengeblieben war und sich nicht rührte. Er schämte sich wegen seines geflickten und durchschwitzten Hemdes. Er ergriff bald den einen, bald den anderen Gegenstand, blickte sich um, vielleicht verließ der Diener doch noch das Zimmer. Der aber stand wie eine Säule. Endlich sprach er ihn an:

»Ich danke, ich benötige jetzt nichts weiter.«

Der Diener verneigte sich abermals.

»Sehr wohl«, erwiderte er, »ich bitte ergebenst, zum Ankleiden läuten zu wollen.«

Er entfernte sich. Galileo zog schnell seine Kleider vom Leibe. Nackt begann er sich zu waschen. Die wohlriechende Seife und das herrliche weiche Handtuch entzückten ihn. Auf einer alten Truhe neben einem venezianischen Spiegel entdeckte er in geschliffenen Kristallflaschen eine ganze Reihe von Flüssigkeiten und Pulvern, von deren Bestimmung er keine Ahnung hatte. Er öffnete sie, roch daran, aber davon zu nehmen wagte er nicht. Und als er sich weiter umsah, bemerkte er überrascht, daß man ihm frische Wäsche und ein neues Oberkleid zurechtgelegt hatte und außerdem leichte Sommersandalen. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Ob das möglich war, daß diese Sachen für ihn hier lagen? Oder benützte diesen Waschraum zugleich noch ein anderer Gast? Schließlich läutete er. Er zog an der roten Schnur, die in einer Quaste endete. Wollen einmal sehen, was nun geschieht.

Der Diener trat ein. Sofort ergriff er das bereitgelegte schneeweiße Hemd und zog es dem Gast über den Kopf. Dann die anderen Sachen. Alles verlief glatt, sogar der weite Schnitt der einzelnen Kleidungsstücke fiel nicht besonders auf. Als er fertig angezogen war, errötete er vor Freude. Er fühlte sich frisch, sorgenlos, erholt und elegant. Die kostbaren Stoffe streichelten seinen Körper und ließen ihn das Wohlbehagen des Reichtums empfinden. Der Diener öffnete die Türe und ließ ihn in das Wohnzimmer eintreten. Hier erwarteten ihn schon seine Bücher und die anderen Habseligkeiten schön geordnet. Er blickte auf die Uhr: es fehlten noch zehn Minuten bis zwölf. Er wollte seine Pfeife anrauchen, aber der Diener schob ihm einen Tabakbehälter mit einem viel feineren Tabak hin. Auch eine Obstschüssel stand vor ihm und auf einem silbernen Tablett eine Karaffe voll gelben Weines und ein Glas. Der Diener schenkte ein und entfernte sich, ohne daß es ihm befohlen war.

Galileo erhob sich. Er betrachtete sich wohlgefällig, dann blickte er zum Fenster hinaus; er sah in einen wunderschönen Park, Steinbänke und weiße Statuen schimmerten im Grünen. Er trat vom Fenster zurück und blickte bewegt vor sich hin.

»Mein Vater«, dachte er, »du bist gestorben, ohne daß dir so etwas zuteil geworden ist. Mir ist, als ob ich dich um Verzeihung bitten müßte. Denn du hast dich bei deiner Arbeit plagen müssen bis an dein Ende. Ich aber genieße auch dann, wenn ich meinem Beruf nachgehe. Das Leben ist ungerecht. Verzeih' mir!«


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