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Vierzehntes Kapitel

Das Wiedersehen war herzlich, laut und überschwenglich. Die unbeherrschte Natur der Mutter kannte auch in Liebesbeteuerungen keine Grenzen. Dem Heimkehrenden war es ein besonderes Vergnügen, mit dem kleinen Neffen zu spielen, dem jüngsten Sproß der Familie, der den Namen Vincenzo Landucci trug. Er war wirklich ein sehr lustiger Säugling: über die einfache Tatsache, daß der Daumen des Onkels beweglich war, konnte er so lachen, daß er fast in Krämpfe fiel. Die Freude am Neuen war aber bald verflogen, Wortgefechte folgten und dann die gewohnten Familienszenen. Galileo ertrug diese Auftritte mit stiller Ergebenheit. Wenn er sah, daß ein Sturm im Anzuge war, nahm er seinen Hut und flüchtete aus dem Hause. Am letzten Tage noch ließ er ein mütterliches Gewitter über sich ergehen. Frau Giulia war außer sich und tobte, daß man um die Wände Angst haben mußte. Vor dem Hause Landuccis tratschte eine Magd; das war kein seltenes Ereignis, denn man hatte es der Mutter immer noch nicht abgewöhnen können, daß sie die Mägde zur Seite zog und mit ihnen die geheimsten Familienangelegenheiten besprach. Landucci erwischte sie und zog sie zur Verantwortung. Daraus entstand der Krach. Die schmetternden Flüche und Schimpfworte klangen Galileo noch in den Ohren, als er schon wieder in seinem Heim in Padua neben der kleinen Kirche Santa Giustina war. Vor der sengenden Hitze der Septembersonne Zuflucht suchend, saß er im Schatten seiner Veranda und sann darüber nach, was eigentlich diese brennende Wunde sein könnte, die er mit aus Florenz gebracht hatte. Nicht die Familienszenen, nein, ganz gewiß nicht. An die hatte er sich längst gewöhnt und betrachtete sie als natürlichen Bestandteil seines Familienlebens; er hatte sich damit abgefunden, daß das nie anders werden würde. Ganz etwas anderes bewegte seine Seele, aber er konnte sich darüber keine Rechenschaft ablegen. Er suchte immer wieder von neuem in den Erinnerungen an seinen Ferienaufenthalt. Endlich fand er es: eine Bemerkung hatte ihn verletzt. Er war einmal in den Palazzo Pitti gegangen in der Hoffnung, vielleicht den Kanzler Vinta anzutreffen. Aber er hatte ihn nicht angetroffen. Der Kanzler weilte irgendwo in der Sommerfrische, ebenso wie der ganze Hof. Der junge Beamte, von dem er das erfuhr, fragte ihn:

»Wie geht es Euch in Padua, Messer Galilei? Wie fühlt Ihr Euch als Bürger einer Republik?«

Er hatte ausweichend geantwortet, aber der Dorn dieser Bemerkung blieb in ihm stecken. Jetzt kam er darauf, daß er einen starken toskanischen Patriotismus in sich trug. Die Anspielung, daß er nicht mehr zu Florenz gehöre, hatte ihn tief verletzt. In seinem innersten Herzen war er sehr stolz auf seine Abstammung. Und wenn auch niemals vor anderen, so rühmte er sich doch vor sich selbst oft damit, daß seine Ahnen schon vor dreihundert Jahren die Würde der Gonfalonieri getragen und als » eccelsi signori priori« im weltlichen Rat der Maria-Maggiore-Kirche gesessen hatten. Sie waren vornehme Adelige gewesen, Reisetuchhändler, und erst in den späteren Jahrhunderten verarmt, aber an dem Familienwappen, an der roten Leiter im gelben Feld, hing keine Schande. Der späte Sproß, mit vollem Namen Galileo Galilei Buonaiuti, spürte in sich das Blut der Urahnen mit all den verbrieften Überlieferungen des herrlichen Florenz, der glanzvollen Medici-Stadt. Wie konnte ihn überhaupt jemand für einen Venezianer halten? Daß ihn der Zwang des Verdienenmüssens nach Padua verschlagen hatte, war ein reiner Zufall. Die Wissenschaft kann auch unter fremder Fahne kämpfende Soldaten haben, der Fahne können sie höchstens ihr Leben opfern, ihre Herkunft nie. Natürlich wäre es herrlich, wenn er in der Heimat leben, wenn er sich dort seiner Wissenschaft widmen könnte, womöglich noch in einer so ehrenvollen Stellung wie seinerzeit Ostilio Ricci, der Hof-Mathematiker der Medici. Aber das war nur ein Traum. Mit der so ganz anderen Wirklichkeit mußte man sich abfinden und dem Allmächtigen danken, daß man mit so jungen Jahren Professor an einer der berühmtesten und angesehensten Universitäten der Welt sein durfte.

Und er war auch glücklich und dankbar. Als er in seiner ersten Stunde in dem neuen Unterrichtsjahr die ihm von der Juristischen Fakultät auch dieses Jahr überlassene Aula betrat und die Masse der dichtgedrängten Studenten sah, frohlockte sein Herz. Er begann mit seinen Vorlesungen über Mechanik, die er mit soviel Sorgfalt und Mühe und beständigem Grübeln monatelang vorbereitet hatte. Die Studenten lauschten mit Andacht jedem seiner Worte. Und sein Herz schlug höher bei dem Gedanken, daß er jetzt die Grundsätze seiner vollkommen neuen wissenschaftlichen Anschauung in hundert und aber hundert junge aufnahmefähige Gehirne verpflanzen würde. Diese Gehirne würden nach seinem System denken, ihre Ideen würde die zwei Jahrtausende alte aristotelische Tyrannei nicht belasten. Sie würden sich über ganz Europa zerstreuen, und gleich hundert und aber hundert olympischen Fackelträgern das Licht der Gedankenfreiheit verbreiten.

Seine Vorlesungen über Mechanik fesselten keinen seiner Zuhörer so sehr wie ihn selbst. In einer Stunde hatte er von Tartaglia gesprochen, ohne sich dafür besonders vorbereitet zu haben, weil er gewohnheitsmäßig während seines Vortrages immer abschweifte. Zur Freude der Studenten, aber auch zu seinem eigenen Ergötzen berichtete er von den fabelhaften Erfindungen Tartaglias. Die Venezianer klagten ihm ihr Leid, daß am Malamocco Schiffskatastrophen sehr häufig seien. Viele Galeeren wären dort schon untergegangen und die Wracks, die meist große Werte in sich bärgen, hinderten den Verkehr. Zahlreiche Gelehrte und Sachverständige hatten sich schon mit dem Problem beschäftigt, wie man solche Wracks heben könne, aber keiner war zu einem Ergebnis gelangt. Da machte Tartaglia folgendes: er nahm zwei Galeeren und ließ deren Inneres räumen. Dann verankerte er die beiden Galeeren rechts und links von dem Wrack. Taucher stiegen in die Tiefe und verbanden das Wrack durch starke Stricke mit den zwei Galeeren. Nun ließ er die beiden Galeeren mit Wasser vollaufen, bis sie so tief schwammen, daß ihre Kanten kaum über der Wasseroberfläche standen. Die Taucher stiegen dann noch einmal hinab und strafften die Stricke. Nun ließ Tartaglia aus beiden Galeeren das Wasser wieder auspumpen. Wie die Galeeren von ihrem Wasserinhalt befreit wurden, stiegen sie immer höher und hoben zugleich auch das Wrack. Als endlich aus beiden Galeeren das Wasser vollständig ausgepumpt war, tauchte auch das Wrack an der Oberfläche oder zumindest sichtbar auf. Man konnte es abschleppen und das Brauchbare von seiner Ladung bergen. Aber nicht nur das erfand Tartaglia. Er fand auch ein Mittel, wie die Taucher auf den Meeresgrund steigen und auf einem solchen Wrack sogar eine Stunde lang arbeiten konnten. Er ließ eine Riesenglocke aus Eisen gießen. Diese Glocke wurde mit einer Winde von einem Eisenarm der Galeere aus langsam auf das Wasser herabgelassen. Wenn sie auf das Wasser auftraf, schwammen die Taucher mit einer Fackel in der Hand herbei und krochen in das Innere der Glocke. Die Glocke senkte sich immer tiefer, bis hinunter zu dem Wrack. In ihrem Innern, in der zusammengedrängten Luft konnten die Taucher ruhig atmen. Sobald dann die Glocke auf dem Wrack aufsetzte, arbeiteten sie beim Fackelschein nach Belieben, solange die Luft anhielt.

Vom Wasser und den damit zusammenhängenden Erfindungen, kam der Vortragende auf die hydraulischen Maschinen. Er erzählte seinen Schülern von dem berühmten Giuseppe Ceredi, der drei Wasserhebemaschinen erfunden hatte. Diese Maschinen hatte Ceredi auch in einem interessanten Buch behandelt, das unter dem Titel: » Tre discorsi sopra il modo d'alzar acque da' luoghi bassi« ungefähr vor fünfundzwanzig Jahren in Parma erschienen war.

»Den Namen dieses Ceredi müßt ihr euch gut merken«, mahnte der Professor, »er war ein sehr kluger Kopf. Ich habe sein Buch schon vor langer Zeit gelesen. Als Student in Pisa bekam ich es von dem Hofmathematiker der Medici geliehen, aber noch heute ist mir ein treffender Satz aus diesem Buch gegenwärtig. Ceredi beschreibt nämlich neben seinen eigenen Erfindungen auch noch viele andere ähnliche Maschinen, die in Italien und den Niederlanden zum Heben durch Wasserkraft benutzt werden, und weist den Leser darauf hin, mit welch dilettantischer Ungeschicklichkeit sie erbaut und wie überflüssig kompliziert sie sind. ›Wissenschaftlich nicht geschulte Erfinder‹, sagt unser Ceredi, ›entdecken nur zufällig nützliche Sachen; die Gelehrten aber bauen ihre Erfindungen auf allgemein gültigen Grundsätzen auf.‹ Das sollt ihr nie vergessen, meine Söhne! Merkt euch, daß man das Beste der Wissenschaft nicht aus Büchern und nicht von den Professoren lernen kann. Der größte Gelehrte ist nicht Aristoteles, sondern die Natur! Ja, die Natur ist der größte Mathematiker und der größte Physiker! Lernt nicht von mir, sondern von der Natur! Ich helfe euch nur: ich öffne euch die Augen, damit ihr die Gesetze der Natur besser begreifen lernt! Aber kehren wir nun zur Sache zurück. Ich will euch die drei Wasserhebemaschinen von Ceredi erklären. Hört her!«

Er erklärte zwei Maschinen, bei der dritten blieb er stecken.

»Wahrhaftig, ich habe das ganz vergessen! Aber das macht nichts! Die zwei genügen auch. Jetzt will ich euch von Vitruv erzählen, der sich in Rom vornehmlich mit dieser Frage beschäftigte, aber gewaltig in die Irre ging …«

Er fuhr in seinem Vortrag fort, aber es ärgerte ihn doch, daß er sich auf die dritte Maschine Ceredis nicht besinnen konnte. Als er eine Stunde später nach Hause kam, war es das Erste, daß er in seinen Aufzeichnungen nachsah. Er besaß ungeheuer viel handschriftliche Notizen, weil er sich alles Wesentliche aus den geliehenen Büchern stets aufschrieb, bevor er sie wieder zurückgab. Er fand nichts. Er setzte sich hin und überlegte. Er zeichnete, er dachte nach und rechnete immer wieder. Ein neuer Gedanke blitzte durch sein Gehirn. Stundenlang saß er am Tisch und zeichnete. Was er sich da ausgedacht hatte, ergab wirklich eine ganz tadellose Wasserhebemaschine. Er war sich aber nicht im klaren, ob er die Erfindung Ceredis richtig dargestellt hatte. Abermals durchwühlte er seine Papiere, aber die Notizen über Ceredi fand er nicht. Verärgert lief er nunmehr geradewegs zu Pinelli. Der war nicht zu Hause, aber seine Bücher waren da. Er holte sich das Werk Ceredis und begann gierig zu lesen. Plötzlich schlug er frohlockend mit der flachen Hand auf den Tisch. Gerade kehrte Pinelli heim.

»Was freut Euch denn so sehr?« erkundigte er sich, als er eintrat und in seiner Bibliothek den aufgeregten Galilei mutterseelenallein erblickte.

»Eine ganz sonderbare Sache, Euer Gnaden. Ich bemühte mich, der Erfindung eines anderen auf den Grund zu kommen und erfand währenddessen, ohne daß ich es bemerkt hätte, eine Wasserhebemaschine, die zur Bewässerung der Felder hervorragend geeignet ist. Sie ist etwas ganz Neues.«

»Ich verstehe das alles nicht. Auf was wolltet Ihr kommen? Und was habt Ihr erfunden?«

Galilei erzählte, was geschehen war. Er bat um Zeichenstift und Papier und entwarf in großen Zügen die Maschine, die schon in ihrem Grundprinzip einfacher und interessanter war, als die dritte Erfindung Ceredis. So einfach war sie, daß Pinelli ihn aufgeregt anschrie:

»Sofort geht Ihr nach Hause, zeichnet sie ordentlich auf und laßt sie patentieren.«

»Ganz meine Meinung, ich gehe schon.«

Hastig lief er fort, er verabschiedete sich kaum. Zu Hause setzte er sich hin und machte sich an den Entwurf der Maschine. Er glaubte in wenigen Stunden fertig zu werden, dann brauchte er nur noch das Begleitschreiben aufzusetzen, und konnte den weiteren Ereignissen ruhig entgegensehen. Aber es kam anders; denn beim Zeichnen baute sich die Maschine von selbst immer mehr aus und wurde ihm unter der Hand immer reizvoller. Es erwies sich, daß man sie einfach nicht zeichnen konnte. Dazu war eine Zeichenkunst erforderlich, die sein Können übertraf. Entweder mußte er einen geeigneten Zeichner suchen, der nach seinen Angaben die Pläne anfertigte, oder einen Handwerker, mit dem er das Modell der Maschine aufbauen konnte.

Er wählte den letzteren Weg. Nach sechs Wochen war die kleine Spielzeugmaschine fertig. Sie sah sehr nett aus. Wenn er sie auf den Tisch stellte und ein Gefäß voll Wasser daneben, dann saugte die kleine Maschine das Wasser auf und besprengte die Tischfläche derart, daß fast das ganze Zimmer naß wurde. Sofort schrieb er sein Patentgesuch, und zwar an den Dogen der Republik, Cicogna, persönlich.

 

»Durchlauchtigster Regent, erlauchtester Herr!

Ich, Galileo Galilei, habe eine Wasserhebe- und Sprengmaschine erfunden. Sie ist sehr leicht herzustellen, kostet wenig und ist sehr praktisch. Die Kraft eines einzigen Pferdes genügt, daß diese Maschine ständig das aufgesaugte Wasser in einer Menge von zwanzig Eimern versprengt. Ich erachte es für notwendig, daß diese Erfindung, die ich mit großer Mühe und vielen Auslagen verwirklicht habe, Gemeingut wird. Ganz untertänigst bitte ich Eure Durchlaucht, auch mir zu genehmigen, was durch die Güte Eurer Durchlaucht jeder andere Erfinder in ähnlichen Fällen zugebilligt erhält: nur mir oder meinen Erben oder den von mir Ermächtigten sei es gestattet, meine neue Maschine herzustellen oder herstellen zu lassen und zu verwerten, die Idee abzuändern oder für andere Wasserarbeiten oder weitere wichtige Zwecke zu benutzen. Ich bitte mir das für vierzig Jahre oder für eine andere Zeitdauer aus, die Eurer Durchlaucht genehm ist. Ich bitte Eure Durchlaucht, für die Verletzung meines Patents eine Geldstrafe auszusetzen und mich am Ertrage dieser Geldstrafe teilnehmen zu lassen. Ich verspreche, daß ich auch mit weiteren neuen Erfindungen der Gemeinschaft zu dienen bestrebt sein werde und empfehle mich untertänigst der Gunst Eurer Durchlaucht.«

 

Mit der kleinen Maschine und mit dem Gesuch fuhr er am anderen Tage nach Venedig. Er besuchte zunächst seinen alten Freund, Benedetto Zorzi, um ihn um Rat zu fragen: zu wem er gehen, wie er sein Patentgesuch einreichen müsse. Benedetto empfing den Kameraden, den er seit langem schon nicht mehr gesehen hatte, sehr freundlich und ging sogleich mit ihm zur Signoria. Im Labyrinth der Säle des Dogenpalastes kam der Sohn des Senators schnell vorwärts und binnen kurzer Zeit hatten sie festgestellt, wie das Gesuch eingereicht werden mußte. Der Beamte erklärte ihnen, daß sechs Provveditori, sechs Inspektoren, das Patentgesuch gegenzeichneten und es dem Dogen vorlegten. Der Doge schicke das Gesuch an die Juristische Kommission, die ihr fachmännisches Gutachten abgebe und Vorschläge mache. Dann komme die Akte wieder zurück, zu dem Dogen, der sie nunmehr in der Ratssitzung vorlege. Dort endlich werde darüber beraten und abgestimmt und der Bescheid sodann dem Antragsteller zugestellt.

»Wie lange kann das dauern?« fragte Galilei erschrocken.

»Wenn es hoch kommt, zwei Jahre. Wenn aber einflußreiche Herren diese Angelegenheit beschleunigen, dann kann es auch schon innerhalb eines halben Jahres soweit sein.«

Galilei taumelte zurück wie vor den Kopf geschlagen. Jetzt war Anfang Dezember, und in seinen kühnen Träumen hatte er geglaubt, daß bis Weihnachten das Geld ihm schon zuströmen werde; denn Serenissima werde die Maschinen dutzendweise bestellen und er würde sicherlich einen Kapitalisten finden, der sich, allerdings gegen eine hohe Beteiligung, mit ihm zusammentun würde, um diesen Staatsauftrag auszuwerten.

»Laßt diese kleine Maschine gar nicht erst hier«, sagte Zorzi, »warum soll sie hier monatelang herumstehen?«

»Was soll ich denn damit machen?«

»Gebt sie mir. Wir zeigen sie meinem Vater. Der kann die Angelegenheit beschleunigen, wenn ihm die Erfindung gefällt.«

Galilei nickte. Zorzi nahm die Maschine an sich. Vollständig niedergeschlagen stieg er die Treppe hinunter.

»Laßt den Kopf nicht hängen, mein Lieber. Das Amtliche der Angelegenheit hätten wir erledigt, nun wollen wir uns ein bißchen zerstreuen. Erinnert Ihr Euch noch der beiden Jungen, Magagnani und Boccalini, mit denen wir im Gasthause zu den ›Drei Rosen‹ zechten?«

»Nur ganz dunkel.«

»Mit denen habe ich mich verabredet. Wir suchen sie jetzt auf und sehen einmal zu, wo wir einen guten Tropfen bekommen.«

Eine Stunde später saßen sie schon zu viert in einer Schenke. Die beiden anderen jungen Leute waren tatsächlich alte Bekannte von ihm. Jetzt erinnerte er sich auch wieder ganz deutlich, daß sie im vorigen Herbst zusammen gezecht hatten, als er sich in Venedig aufhielt, um sich den gnädigsten Herren Barbaro und Grimani, den neugewählten Riformatori, vorzustellen. Und diese zwei jungen Männer erinnerten sich erst recht an den berühmten Paduaner Mathematiker. Die hatten gute Laune, unbegrenzten Kredit, waren jung, noch nicht einmal fünfundzwanzig, und Galilei mit seinen bald dreißig Jahren war für sie ein betagter, angesehener Mann.

Spät am Nachmittag erhob er sich ein wenig unsicher und mit gelöster Zunge, um nach Padua heimzukehren. Die drei jungen Burschen erhoben heftig Einspruch.

»Habt Ihr morgen Vorlesung?«

»Nein.«

»Also, warum bleibt Ihr nicht da, wenn wir schon einmal so fabelhaft vergnügt sind? Ihr könnt doch bei jedem von uns schlafen.«

»Nein, nicht deswegen … aber ich sage es ganz offen: ich habe kein Geld.«

Alle drei lachten aus vollem Halse.

»Haben wir vielleicht welches? Kredit aber haben wir in ganz Venedig, wo wir nur wollen.«

»Nein … ich kann das nicht annehmen …«

»Aber was soll das alles?« schrie Zorzi dazwischen, »hier ist die Maschine, die ist doch ein Vermögen wert! Von dem Vermögen, das diese Maschine einbringt, werdet Ihr uns schon die heutige Zeche ersetzen. Wollen doch einmal sehen, ob diese Maschine auch Wein, und nicht nur Wasser, schöpfen kann.«

Unter großem Gelächter stellten sie die kleine Maschine in einen flachen Teller und schütteten Wein dazu. Galileos Zeigefinger stellte das Pferd dar. Der Finger bewegte das kleine Spielzeug, das fleißig den Wein über den ganze Tisch versprengte. Sie lachten herzlich darüber, dann bekamen sie den Spaß satt, schoben die kleine Maschine beiseite und begannen zu politisieren. Die drei jungen Leute schimpften furchtbar auf die Jesuiten, Galileo aber erklärte, vom Wein angeregt, lang und breit, daß man nicht verallgemeinern dürfe. Er zum Beispiel habe in Rom einen Freund, einen deutschen Jesuitenpater, der einfach aus purem Gold gemacht sei. Darüber gerieten sie in Streit, versöhnten sich aber sogleich wieder, umarmten und küßten sich. Dann ließen sie sich in einer Gondel auf Traiano Boccalinis Vorschlag zur Giudecca hinübersetzen, wo man in einem kleinen Gasthaus einen vorzüglichen Zypernwein bekommen konnte. Von Girolamo Magagnani angeregt, suchten sie dann jene Schenke an der Riva degli Schiavoni auf, wo der einäugige griechische Wirt stets schöne Mädchen zur Hand hatte, die jederzeit zu lustigem Zechen aufgelegt waren. Immer schwerer wurden ihre Zungen, ihre Sprache immer wirrer, bis endlich das Ganze in ein wildes Gelage ausartete. Galileo fuhr erst am anderen Tage in den Nachmittagsstunden nach Padua zurück. Im Postwagen schlief er ein. Plötzlich schrak er auf:

»Wo ist die Maschine?«

Er richtete sich auf und schüttelte sich wach. Er rieb seine von dem vielen Weingenuß dumpfe Stirn und mühte sich, den Weg der Maschine zu verfolgen, soweit er konnte. Im ersten Wirtshause war sie noch dagewesen. Dort hatte er sie den Wein versprengen lassen. Ob sie auch auf der Giudecca noch da war? Wie ein Mensch, der mit weitgeöffneten Augen in ein undurchdringliches Dunkel stiert, so stierte er gedankenverloren vor sich hin. Aber umsonst. Der Abend und die Erinnerungen der Nacht verloren sich im Nebel des Rausches. Nur an einen Augenblick erinnerte er sich etwas lebhafter: als er die schwarzhaarige, laut lachende Venezianerin mit den sehr roten Lippen, die ihm mit ihren fünf Fingern in die Haare fuhr und tief in die Augen sah, um die Hüfte faßte … Die Maschine aber war nirgends.

Zu Hause angelangt schrieb er sofort an Zorzi. Seine letzte Hoffnung war, daß Zorzi die Maschine entweder mit nach Hause genommen hatte, oder wenn nicht, daß er dann alle Wirtshäuser der Reihe nach aufsuchen und sie da finden würde. Nach drei Tagen traf die niederschmetternde Nachricht ein: die Maschine war nirgends. In keiner Gaststätte wollte man etwas davon wissen. Magagnini und Boccarini erinnerten sich an nichts. Damit mußte man sich also zufrieden geben: die Maschine war weg und ein neues Modell würde kaum angefertigt werden, da er bei seinen vielen Schulden keine neuen Ausgaben machen konnte.

Einige Wochen waren vergangen und im Februar erhielt er einen Bescheid, sich in Sachen der Wasserhebemaschine umgehend bei dem Provveditore Hieronimo Malipiero in Venedig zu melden. Bei strömendem Regen und schauernder Kälte fuhr er sofort nach Venedig. Anderthalb Stunden wartete er im Vorzimmer von Malipiero, endlich ließ man ihn eintreten. Ein weißhaariger Patrizier mit gebeugtem Rücken empfing ihn.

»Ich habe Euer Gesuch vor mir liegen, Messer Galilei.«

»Jawohl.«

»Wie bitte? Sprecht lauter; denn ich höre schlecht.«

»Ich habe nur »jawohl gesagt, Euer Gnaden.«

»So. Betreffs der Maschine hat der durchlauchtigste Doge veranlaßt, daß ich, Provveditore Correr und Provveditore Soranzo als dreiköpfige Kommission unser fachmännisches Gutachten abgeben sollen, ob dieses Patent nicht etwa gegen die Rechte einer früheren Erfindung verstößt. Könnt Ihr die Maschine vorweisen?«

»Leider nicht, Euer Gnaden. Ich hatte ein kleines Modell, aber es ging verloren. Ich kann ein neues anfertigen lassen, wenn es erforderlich ist.«

»So. Könntet Ihr die Sache nicht wenigstens mündlich erklären?«

Galilei war sofort bereit. Laut schreiend erläuterte er die Grundidee seiner Erfindung. Kaum war er aber bis zur Hälfte gekommen, als Malipiero, der von der ganzen Sache offensichtlich kein Wort verstand, ihn unterbrach.

»Genug. Ich sehe schon ganz klar. Eure neue Idee hat mit den alten gar nichts zu schaffen. Ich danke, mein Lieber, Ihr könnt gehen.«

Das war Anfang Februar gewesen. Zorzi, den Galilei bat, die Angelegenheit aufmerksam zu verfolgen, ließ ihn Ende Februar wissen, daß das Gutachten der Sachverständigenkommission nun dem Dogen überreicht worden sei. Die drei Sachverständigen hätten bemerkt, sie hätten das Modell zwar nicht gesehen, da aber die Idee tatsächlich neu sei, schlügen sie ein zwanzigjähriges Patent vor. Die Akte käme jetzt vor den Rat der Pregadi.

Dann kam der Frühling, und für die neue Erfindung geschah nichts. Im Sommer setzten sich die Herren venezianischen Räte nicht zusammen, weil sie in Urlaub waren. Endlich, im September, lag das Gesuch zur Beratung vor. Galilei erhielt die folgende amtliche Mitteilung:

 

»Kraft der Autorität dieses Rates wird Galileo Galilei zugesichert, daß innerhalb von zwanzig Jahren kein anderer als er oder sein Bevollmächtigter in dieser Stadt oder im Gebiete unseres Reiches die von ihm erfundene Wasserhebemaschine herstellen darf. Wer diesem Gebot zuwiderhandelt, geht der von ihm angefertigten Maschine verlustig und zahlt dreihundert Dukaten Strafe, wovon ein Drittel dem Antragsteller, das zweite Drittel der Behörde zufällt, die die Zuwiderhandlung feststellte, das dritte Drittel aber der Kaste des Arsenals von Venedig. Der Antragsteller ist hingegen verpflichtet, das von ihm erwähnte neue Modell der Maschine innerhalb Jahresfrist vorzuführen. Wenn andere die Idee nicht für sich beanspruchen, kann niemand weiter dieses Patentes teilhaftig werden; widrigenfalls ist das Patent ungültig.«

 

Galilei war an diesem Abend bei Pinelli zum Abendessen eingeladen. Es waren noch zahlreiche andere Gäste da, der vornehmste unter ihnen. Tommaso Morosini, der Bürgermeister von Padua. Nach dem Abendessen holte der Professor der Mathematik das Schriftstück vor und zeigte es der Gesellschaft.

»Ihr laßt das Modell natürlich sofort anfertigen?« fragte der Bürgermeister.

Galileo zuckte die Achseln.

»Das weiß ich nicht. Wenn ich aufrichtig sein soll, ist mir die ganze Sache langweilig geworden. So etwas interessiert mich immer nur so lange, wie ich bei der Arbeit bin. Wenn die Maschine, die man für die Bewässerung der Fluren verwenden kann, gut ist, so mag sie die Republik anfertigen lassen. Die Zeichnungen liegen dort.«

»Aber, Mann Gottes, damit ist doch viel Geld zu verdienen! Es lohnt sich doch, sich damit zu befassen.«

»Ja, das ist wahr. Ich will das Modell gelegentlich anfertigen lassen.«

Er begann von etwas anderem zu reden; denn die Sache war ihm wirklich zuwider. Das Abendessen war erst lange nach Mitternacht zu Ende. Als er nach Hause ging, sah er Licht in seinem Zimmer … Im ersten Augenblick dachte er an Diebe … Zu einer Schlägerei bereit, öffnete er die Tür. Am Tisch saß Michelagnolo. In einem jämmerlichen Zustande, in Lumpen gehüllt wie ein Bettler, das Gesicht aschfahl, die Augen eingefallen und fiebrig.

»Was ist mit dir geschehen?«

»Ich habe es nicht länger ertragen können, Galileo. Ich habe gedarbt, gehungert und gefroren. Jetzt gehe ich nach Hause.«

»Wieso nach Hause? Warum bleibst du nicht hier? Ich verschaffe dir wieder Unterrichtsstunden.«

»Ich will aber keine Unterrichtsstunden geben. Ich bin müde und will ausruhen.«

»Und was soll mit dem Gelde des Schwagers Landucci werden? Das soll nun ganz allein mir überlassen bleiben? Er quält mich doch sowieso schon fürchterlich.«

Michelagnolo hob trotzig die Schultern und gab keine Antwort. Das jammerte Galileo.

»Nun, laß den Kopf nicht hängen. Kümmere dich um nichts, es wird schon irgendwie werden. Jetzt erzähle mir, wie steht es denn eigentlich in Polen aus?«

Er schaffte Wein herbei und Gläser, setzte sich neben seinen Bruder und legte liebevoll seinen Arm um besten Schultern. Michelagnolo wurde munter und begann mit großem Eifer seine Erlebnisse zu berichten.


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