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Zweites Kapitel

Der junge, tatendurstige Gelehrte gab sich nicht den Tod. Die hydrostatische Waage war fertig. Sie war wirklich ein netter Apparat geworden und funktionierte nach Wunsch. Zu Hause hatte sich seine Lage auch etwas verbessert. Ostilio Ricci hatte mit dem Kaufmann gesprochen und ihm warmherzig zugeredet, er möge mit dem Jungen doch noch etwas Geduld haben, er sei eine außerordentliche Begabung und früher oder später würde bestimmt etwas aus ihm werden. Vincenzo Galilei murrte und jammerte anfangs über die schlechten Verhältnisse, dann aber ging er auf den Vorschlag ein: also gut, er wolle noch eine Weile warten, wenn er sich nun schon solange geduldet habe; der Junge möge fleißig lesen und arbeiten, irgendwie würde es schon werden. Und Galileo hörte auf, zu Hause nur als Taugenichts zu gelten. All sein Krimskrams, seine kleinen Habseligkeiten, die er nicht schlau genug in den verschwiegensten Winkeln hatte verbergen können, die seine Mutter ausnahmslos auf den Kehrichthaufen warf, wenn sie sie fand, die seine Geschwister respektlos hin- und herschmissen, kamen jetzt zu Ehren. Man richtete ihm sogar einen besonderen Schrank im Laden ein, in dem er seine Schätze aufbewahren konnte. In der Holzkammer hatte er sich eine Hobelbank einrichten dürfen, eine Unmenge von Gefäßen, Feilen, Schrauben, Gläsern, Schnüren häuften sich dort auf, und wenn er sich über seine Experimente machte, rief ihm seine Mutter keine Schmähworte mehr aus dem Hofe nach. Die Waage selbst wurde auch im Tuchladen aufgestellt, weil es sich in der Umgegend rasch herumsprach, daß der Sohn des Tuchhändlers eine sonderbare Maschine erfunden habe. Die Kunden wollten sie alle sehen und der Vater führte sie mit den nötigen Erläuterungen den Schaulustigen vor, nicht ohne sich damit zu brüsten. Seinem Sohn ließ er auf alle Fälle ein neues Wams machen, ja, er tat sogar noch ein übriges und kaufte ihm ein Paar neue Sandalen.

Von dieser Waage war aber auch noch ein zweites Modell vorhanden und zwar bei Ricci, dem herzoglichen Erzieher. Auch er zeigte es, jedoch nicht einfachen Bürgern. Galileo ging im Palazzo Pitti täglich ein und aus, die wachthabenden Hellebardiere gewährten ihm wortlos Einlaß. Er kannte den Weg zu Riccis Zimmer und wenn er in freudiger Hast zu seinem Gönner eilte, mußte er sich immer wieder an die Wand drücken, um den mächtigen Herren den Weg freizugeben, denen er bisher nur ab und zu auf der Straße begegnet war und die er wie fast unerreichbare Wunder einer anderen Welt hatte anstaunen können. Bei Ricci selbst fand er oftmals auch Höflinge vor, die ihn stets wohlwollender Blicke und beifälliger Bemerkungen würdigten. Gnädig ließen sie sich über die Anwendung der hydrostatischen Waage belehren, und ob sie nun die Erklärungen verstanden hatten oder nicht, – stets ermunterten sie den jungen Mann mit bedeutungsvollem Kopfnicken, die Wissenschaft auch weiterhin zu pflegen.

Ricci ließ keine Gelegenheit vorbeigehen, seinem jungen Schützling immer wieder klarzumachen, wie wichtig diese Bekanntschaften wären. Von jedem konnte er sagen, wo er Einfluß, habe und zu wem er Beziehungen unterhalte. Eines Tages bemerkte er dann sichtlich erregt:

»Jetzt nehmt Euch aber recht zusammen, mein Sohn. Wißt Ihr, wer gleich hier sein wird? Vittorio Cappello.«

Galileo wurde ganz rot vor Aufregung. Er war sich sofort darüber im klaren, was es bedeutete, die Bekanntschaft Vittorio Cappellos zu machen; denn wie jedermann in Florenz, wußte auch er, wer dieser stolze, schöne, prunkliebende Mann war.

Über das edle venezianische Geschlecht der Cappello wußte in Florenz jedermann Bescheid und auch im Galileischen Hause hatten die den Erzählungen der Erwachsenen lauschenden Kinder unzählige Male von ihm hören können. Der alte Cappello hatte eine Tochter, Bianca, eine so bezaubernde Schönheit, daß Tizian sie, als er sie sah, um jeden Preis sofort malen wollte. Diese Bianca Cappello hatte ihr siebzehntes Lebensjahr noch nicht erreicht, als sie sich in einen jungen Florentiner verliebte, einen verarmten Adligen namens Bonaventuri, der als schlechtbesoldeter Beamter in der Bank der Salviati in Venedig, gerade gegenüber dem Palazzo Cappello, arbeitete. Als der alte Cappello bemerkte, daß sich seine Tochter in diesen kleinen Bankbeamten vergafft hatte, erklärte er sofort, er würde sie eher töten, als sie ihm zur Frau geben. Aber mit den jungen Leuten war nicht so leicht fertig zu werden; sie verlobten sich heimlich. Und da ihre Liebe auf die elterliche Zustimmung sowieso nicht rechnen konnte, flüchteten sie eines Tages gemeinsam. Sie kamen nach Florenz zu den Eltern des Jünglings, die dort in großer Armut ihr Leben fristeten. Es entstand ein ungeheurer Skandal, die Edlen von Venedig schworen Blutrache und die Familie Cappello setzte zweitausend Golddukaten als Belohnung für denjenigen aus, der Pietro Bonaventuri tötete. Sie erwischten aber nur den Onkel Pietros, den sie dann auch in die Bleikammer sperrten. Das junge Liebespaar lebte unter den ärmlichsten Verhältnissen verborgen in Florenz. Die Schwiegermutter lag krank zu Bett, unfähig, irgendeine Arbeit zu leisten; eine Magd zu halten, fehlten ihnen die Mittel, und so mußte die märchenhaft schöne Bianca alle häuslichen Arbeiten verrichten. Allmählich verebbten die Wogen des Skandals und in Venedig begann man die Geschichte zu vergessen. So vergingen drei Jahre. Da wollte es das Schicksal, daß der Herzog Francesco Medici, der Erstgeborene des Herrschers von Florenz, ein zweiundzwanzigjähriger junger Mann, auf einem Spaziergang ganz zufällig zu einem Fenster emporblickte. Dort sah er Bianca und von der Schönheit der jungen Frau überwältigt, war er kaum fähig, sich von der Stelle zu rühren. Einige Tage später hatte er es auch bereits so einzurichten verstanden, daß er Bianca treffen konnte. Er bestürmte sie aufs heftigste, Bianca wollte aber von dem herzoglichen Anbeter nichts wissen, sie liebte nur ihren Pietro. Francesco hätte nichts erreichen können, wenn er nicht in der Person des Ehegatten selbst einen Verbündeten gefunden hätte. Pietro war sowohl der Armut als auch der bildschönen Bianca überdrüssig geworden. Deshalb begann auch er seine Geliebte zu überreden, gegen den Herzog nicht allzu streng zu sein. Dieses unwürdige Verhalten des Mannes, dem sie ihr junges Leben geopfert hatte, widerte Bianca an, und dem Herzog fiel es nun nicht mehr schwer, sein Ziel zu erreichen. Bianca wurde seine Geliebte und blieb es auch bis zuletzt. Allerdings war Francesco gezwungen, aus dynastischen Interessen, eine Vernunftehe einzugehen; er nahm sich Johanna von Österreich zur Frau, hörte aber keine Minute lang auf, Bianca zu lieben. Die vernachlässigte Herzogin starb bald und Francesco, der inzwischen den Thron von Florenz bestiegen hatte, fühlte sich nunmehr berechtigt, das zweite Mal nach seinem Herzen zu heiraten. Bianca wurde seine Gattin. Die einstige Skandalheldin kam auf den Thron, und Venedig, das sich ehemals nicht genug tun konnte, sie zu schmähen und zu beschimpfen, entsandte jetzt mit großem Pomp und Glanz seine Vertreter nach Florenz, um ihr zu huldigen. Biancas Bruder Vittorio Cappello übersiedelte an den Hof von Florenz und machte sich alsbald die ganze Stadt zum Feinde, weil er sich hochmütig im Glorienschein seines herzoglichen Schwagers und seiner so hoch emporgestiegenen Schwester sonnte. Wenn er aber auch verhaßt war, so nahm sich doch jeder vor ihm in acht, da man seine Heimtücke und Rachsucht kannte. Er zählte zu den einflußreichsten Männern am Hofe.

»Gebt gut acht«, mahnte Ricci, »wenn Ihr seine Zuneigung gewinnt, ist Eure Zukunft gesichert.«

In erregter Spannung warteten sie und bald vernahmen sie auch schon die nahenden Schritte des Günstlings. Vittorio Cappello trat in Riccis Zimmer. Tief verneigten sich beide, und als sie sich wieder aufrichteten, sahen sie mit noch größerer Erregung, daß Vittorio nicht allein gekommen war: Herzogin Bianca stand neben ihm.

»Ich grüße Euch, Ricci«, sagte die Herzogin, »ich hörte von meinem Bruder, daß es hier etwas zu sehen gibt.«

»Jawohl, gnädigste Herrin, und zufällig ist auch der jugendliche Erfinder anwesend, den vorzustellen mir erlaubt sei: Galileo Galilei.«

Der junge Erfinder stammelte errötend irgend etwas und mühte sich ab, eine tiefe höfische Verbeugung zu machen, stieß aber nur mit einer ungeschickten Bewegung eine Glasschüssel vom Tisch. Lähmende Verlegenheit befiel ihn, er wußte nicht, was sich in solchem Falle schickte: sich aufzurichten und die Befehle der Herrscherin entgegenzunehmen oder die Scherben schnell aufzulesen. Zögernd versuchte er abwechselnd dieses und jenes. Schließlich las er doch die Scherben zusammen und als er sich endlich, hochrot im Gesicht aufrichtete, sah er, daß die drei ihn verständnisvoll belächelten.

»Also, dann wollen wir einmal sehen«, sagte Vittorio mit gelangweilt-hochmütiger Miene. »Um was für einen Versuch handelt es sich?«

»Mit allerhöchster Genehmigung erklärt das der junge Mann vielleicht selbst«, entgegnete Ricci und gab Galileo ein Zeichen.

Der holte tief Atem, sogar dreimal hintereinander, weil er eine schwere Beklemmung in sich fühlte. Dann räusperte er sich und begann:

»Ich muß mit der Geschichte des Königs Hieron von Syrakus und Archimedes beginnen …«

Er erzählte. Schon nach den ersten Worten schwand seine drückende Befangenheit. Die Kunst, sehr klar, deutlich und überzeugend zu reden, war ihm angeboren; er übte sich darin auch ständig, indem er jedem alles erklärte, wo er nur irgend Gelegenheit dazu fand. Gelassen blickte er abwechselnd die Herzogin und den Günstling an. Er mußte aber erleben, daß sich nur die Herzogin Bianca, nicht aber Vittorio für seine Arbeit interessierte. Der Höfling nickte nur hin und wieder zu den an ihn gerichteten Worten, trommelte aber im übrigen nervös mit den Fingern auf den Tisch und man konnte von seinem Gesicht ablesen, daß er den Faden schon längst verloren hatte. Um so gespannter lauschte die Herzogin und gerade dieser Umstand störte den jungen Gelehrten in seinem Vortrag.

Vierundvierzig Jahre zählte die Herzogin damals, er dreiundzwanzig. Und die jungen dreiundzwanzigjährigen Blicke erwiderte ein jugendliches Feuer aus den Augen der Vierundvierzigjährigen. Die Schönheit Biancas war kein Märchen. Viele behaupteten, sie wäre gerade jetzt am schönsten, wo sie bereits leise zu verblühen begann. Über ihrer herrlichen weißen Stirn wellte sich, kunstvoll geflochten, eine Haarkrone, die kastanienrot schimmerte. Ihre Augen waren strahlend blau und ihr feingezeichneter Mund leuchtete rot. Aber das schönste an ihr war die schneeweiße Haut, diese hauchähnliche, fast durchsichtige feine Haut, die den vom Hals zum Busen herabgleitenden und dann in der Phantasie sich verlierenden Blick zur Raserei bringen konnte. Galileo redete lebhaft zu der betörend schönen Frau und mit einem Male bemerkte er, daß seine die Waage bedienende Hand zitterte, sein Verstand einfach stehenblieb und er nicht mehr wußte, was er noch vor einer Sekunde gesagt hatte. Er starrte das gekrönte Wunder der Schönheit an und schwieg wie ein Ohnmächtiger mit großen, weit aufgerissenen Augen. Ricci aber paßte genau auf und die Verlegenheit des jungen Mannes entging ihm nicht. Sogleich ergriff er das Wort und beendete die Erklärung, zu der nur noch die Schlußfolgerung gefehlt hatte.

»Ich verstehe das Ganze nicht recht«, sagte die Herzogin lachend, »soviel sehe ich aber doch, daß die Sache ungemein interessant ist, da …«

Galileo schluckte mit trockener Kehle und harrte mit gierigem Wissensdurst vornübergeneigt der kommenden Worte. Da aber unterbrach sie Vittorio, der die Schultern des mit Perlen besetzten Brokatkleides seiner Schwester leise berührte:

»Wir haben uns schon verspätet, Bianca.«

»Ja, gehen wir«, erwiderte die Herzogin sogleich. »Vielen Dank für den fesselnden Vortrag.«

Der herzogliche Erzieher und Galileo verbeugten sich abermals tief. Als sie sich wieder aufrichteten, war die himmlische Erscheinung verschwunden. Ihre Schritte klangen schon von draußen herein, – oder war es nur die Einbildung, die sie vernahmen?

»Also, das war nicht besonders gut gelungen«, erklärte Ricci, »möglicherweise fruchtet es aber mehr, als wir erwarten; denn die Herzogin kann noch mehr tun, wenn sie will. Setzen wir uns jetzt aber und erwägen wir einmal die Aussichten.«

Sie nahmen Platz und Galileo erhielt die Erlaubnis, seine Pfeife anzünden zu dürfen. Mächtige Rauchwolken türmten sich alsbald gleich einer grauen Nebelwand zwischen ihm und dem herzoglichen Erzieher auf. Hinter dieser Wand klang eine Rede zu ihm, wie aus weiter Ferne. Ricci wog die Möglichkeit einer Berufung an eine Universität ab. Drei Städte kamen in Frage: Pisa, Padua, Bologna. Pisa legte gar keinen Wert auf Mathematik und Physik und nur durch einen ganz starken Druck der herzoglichen Regierung ließe sich unter Umständen durchsetzen, daß dort einem Dozenten der Mathematik ein Lehrstuhl eingeräumt würde. In Padua dozierte der alte Moletti, ein hervorragender, allgemein beliebter Gelehrter. Blieb also nur Bologna, wo man auch schon früher Naturkunde gelehrt hatte, wo aber diese Professur im Augenblick nicht besetzt war. Am verheißungsvollsten schien es also, Verbindung mit Bologna aufzunehmen. Es gehörten dazu jedoch sehr gute und sehr maßgebende Beziehungen; denn daß ein dreiundzwanzigjähriger junger Mann einen ordentlichen Lehrstuhl erhielt, war nur denkbar, wenn ganz gewichtige Gründe dafür sprachen. Alles das hatten sie schon oft überlegt und besprochen und Galileo hatte sich an diesen Diskussionen meist sehr lebhaft beteiligt. Diesmal aber schwieg er. Durch die Wolkenmauer drangen die Worte zu ihm wie der Ruf aus einer fremden Welt, er aber saß diesseits der Nebelwand, wie von einem unbegreiflichen Schlag betäubt, vor den Kopf gestoßen, schmerzbewegt und doch glücklich. Anstandshalber unterbrach er ab und zu die Erörterungen Riccis, wußte aber kaum, was er sprach. Als sie sich verabschiedeten, verließ er den Palazzo mit tiefgesenktem Kopf, aber weit geöffneten Augen, als ob sein Blick sich von einem Wunder so geweitet hätte.

Es währte einige Tage, bis dieser verworrene Zustand sich klärte, dann war er sich aber auch voll bewußt, daß er sich in die Frau des regierenden Herzogs von Florenz, in Bianca Cappello, verliebt hatte. Es war die erste Liebe seines Lebens: während andere Burschen ihre Späße trieben, las er, zerbrach sich den Kopf über die Gestaltung einer neuen Maschine oder beschäftigte sich mit geometrischen Zeichnungen. Jetzt hätte er einen vertrauten Freund haben müssen, dem er von Tag zu Tag seine wallenden Empfindungen hätte anvertrauen können. Einen solchen Freund besaß er aber nicht, seine ganze Kindheit, ja auch seine Flegeljahre hatte er ohne einen Vertrauten verbracht. Den Gleichaltrigen war er so sehr überlegen, daß er ihre Beschränktheit unbequem empfand: nur leidenschaftlich debattieren konnte er mit ihnen, vertraulich sprechen aber nie. Die wesentlich Älteren stieß er meistens schon bei der ersten Begegnung vor den Kopf; man hielt ihn für unverschämt, zu sehr von sich eingenommen, und ehrfurchtslos. Ricci stand ihm noch am nächsten. Der aber war ein Höfling und hätte seine lächerliche Liebe am lautesten verspottet. Also trug er das süße, schmerzliche Gift verschwiegen in sich. Die Außenwelt ließ er an seinem törichten und glückseligen Geheimnis nur insofern teilnehmen, als er die Rede, wo er nur konnte, auf die Herzogin Bianca lenkte. Aber auch davon ließ er bald ab; denn fast alle haßten und verschmähten die Venezianerin. Hauptsächlich wegen Vittorio, den sie in der Politik gewähren ließ, der in alles hineinredete und den Herrscher, der sich außer um seine chemischen Experimente um nichts kümmerte, in allerlei Abenteuer hineinriß. Man nannte ihn deshalb geradezu den Fluch von Florenz.

»Nun, abwarten, eines schönen Tages kehrt der Kardinal Fernando aus Rom heim«, bemerkte der Vater einmal beim Abendessen, »und der wird schon gründlich aufräumen. Dann wird diese Hexe nichts mehr zu lachen haben.«

Dieser Fernando war der jüngere Bruder des regierenden Herzogs, der, da er keine Aussicht auf den Thron hatte, die kirchliche Laufbahn eingeschlagen hatte. Vielleicht wurde er noch Papst wie der andere Medici, Leo X. Mit der Hexe aber war Bianca gemeint, von der ganz Florenz behauptete, sie wäre eine »Jettatrice«, das heißt, sie habe den bösen Blick und hüte dämonische Geheimnisse, man sollte sie einfach vor der Signoria verbrennen, wie den Savonarola.

Galileo schwieg. Er hatte Angst, sich zu verraten, wenn er seine Angebetete zu verteidigen versuchte. Allmählich gewöhnte er sich ab, von ihr zu sprechen. Tief in sich verschloß er diese irdische Liebe, deren Ziel ja nichts anderes war als die Schwärmerei selbst. In seinem Innern ergab er sich ihr aber um so heftiger und war entschlossen, sein ganzes künftiges Schaffen diesem Traumbild zu weihen, niemanden jemals zu lieben und nie zu heiraten. Und wie die Wochen vergingen, zeigte sich immer dringlicher, daß diese Leidenschaft mehr war als ein schnell verrauschendes Sommergewitter. Sie wurde immer stärker und immer wirklichkeitsfremder. Mit dem Gedanken an Bianca wachte er auf und mit dem Gedanken an sie schloß er abends die Augen. Zugleich aber trieb ihn ein wahnsinniges, nicht zu hemmendes Begehren mit noch nie verspürter Gewalt zur käuflichen Liebe. In der Dämmerung war er hinter Mägden her oder schlich sich mit geborgten Goldstücken in übel beleumundete Spelunken. Tollkühn, von lasterhaften Gedanken bedrängt, wähnte er Bianca in seinen Armen zu halten. Sobald er dann wieder allein war, flehte er zu seiner befleckten Göttin mit inniger Reue um Vergebung. Und diese Göttin rückte von ihrer wahren irdischen Gestalt immer weiter ab. Es kam vor, daß er die prächtige Galakutsche mit den feurigen Schimmeln auf der Straße an sich vorübertraben sah. In der Kutsche saß Bianca an der Seite des Herzogs Francesco. Er aber sah sich kaum nach ihnen um. Er kehrte seinen Blick tief in sich hinein, weil er sie nur dort wirklich schauen konnte.

Alle diese Träumereien störten ihn aber in seiner Arbeit nicht. Archimedes wies seinen Forschungen neue Ziele. Als er zum ersten Male von dem Grabmal des Archimedes las, das der Gelehrte noch zu seinen Lebzeiten entworfen hatte, gefiel es ihm über alle Maßen. Auf dem Grabstein sollten drei gleichhohe geometrische Figuren in Stein gemeißelt werden, eine Pyramide, eine Halbkugel und ein Zylinder, und darunter sollte nichts weiter stehen als: eins – zwei – drei. Dies bedeutete, daß der Rauminhalt der drei geometrischen Körper in diesem Verhältnis zueinander stehe. Galileo fand diese Entdeckung an sich schon genial, ganz abgesehen davon, daß der Einfall des Gelehrten, eine solche Grabschrift zu entwerfen, ihn entzückte. Er fand es herrlich, daß Cicero unter Ruinen an dieser Inschrift den unbekannten Grabstein der griechischen Wissenschaft und zugleich die Ruhestätte des Archimedes erkannt hatte.

Das alles weckte sein Interesse für die Probleme der geometrischen Körper. Und als er weiter im Archimedes las, stieß er auf das Problem der Schwerkraft. Das Schwergewicht einer Kugel befindet sich in ihrem Mittelpunkt, wie im Obst der Kern, das ist selbstverständlich. Den Schwerpunkt eines Würfels ergeben gleichfalls auf eine leichtverständliche Weise seine Diagonalen: wo sich die die Kanten des Würfels verbindenden Diagonalen schneiden, dort befindet sich der Schwerpunkt des Würfels. Auch beim Zylinder ergibt er sich ohne weiteres. Wo befindet sich aber der Schwerpunkt einer Pyramide, einer Halbkugel oder eines Kegels? Die Aufgaben lagen vor ihm gleich dem Gelände eines zu erobernden Reiches; die geometrischen Figuren waren die Festungen, die er eine nach der anderen erstürmen mußte. Mit unbeschreiblichem Eifer ging er an diese Arbeit heran und je weiter er vorwärtsdrang, desto größer wurde, wie bei jedem erfolgreichen Feldherrn, das Verlangen noch weiter zu kommen.

Was er errechnete, berichtete er treuherzig an Ricci weiter. Der aber staunte immer mehr über den messerscharfen Verstand und den Erfindergeist des jungen Mannes. Und abermals berieten sie die Zukunftsmöglichkeiten. Immer öfter sprach Ricci mit Galileos Vater. Er hob den Jüngling in den Himmel und prophezeite ihm eine zweifellos große Zukunft. Er hielt den Tuchhändler an, lieber seiner Familie den Bissen zu entziehen und dafür dem Jungen mehr Gelegenheit zum Lernen und Experimentieren zu bieten. Der Vater hörte sich das Lob au und lächelte stolz; aber als die Rede auf das Geld kam, verdüsterte sich sein Gesicht.

»Unmöglich, erlauchtester Herr, unmöglich!«

»Schafft Geld, Messer Vincenzo, und wenn Ihr es aus der Erde graben müßt.«

»Unmöglich. Heute ist es noch unmöglicher denn je. Meine älteste Tochter hat einen Freier. Das, was ich unter Umständen sonst entbehren könnte, muß ich nun für die Aussteuer hergeben.«

»Was Ihr nicht sagt, Eure Tochter ist verlobt? Galileo hat mir nie davon gesprochen.«

Der Gelehrte sah seinen Schützling an und der seinen Vater.

»Virginia Braut? Das wußte ich ja gar nicht! Ihr habt es mir gegenüber noch mit keinem Wort erwähnt.«

»Ich habe nichts erwähnt, ich habe nichts erwähnt! Hast du denn keine Augen im Kopf? Siehst du denn nicht den Landucci dauernd um unser Haus schleichen?«

»Benedetto? Natürlich habe ich ihn gesehen. Ich habe aber nicht gedacht, daß …«

»Du denkst ja auch an nichts. Dich kümmern die Angelegenheiten der Familie nicht, mit deinen Geschwistern redest du wochenlang kein Wort, beim Mittagessen können wir dir sagen, was wir wollen, du grübelst immer nur über deine Schwerpunkte und statt Brot führst du die Tischdecke zum Munde, – aber den erlauchten Herrn werden sicherlich unsere Familienangelegenheiten nicht interessieren. Es ist wahr, daß Benedetto Landucci um Virginia angehalten hat, und diese Heirat durch Gottes Gnade gibt mir vieles vom alten verlorengegangenen Ruf und Rang meiner Familie wieder; denn Benedetto ist der Sohn unseres Gesandten in Rom und ein vornehmer junger Mann. Er besitzt zwar kein Vermögen, für eine Mitgift müssen wir aber sorgen; denn darauf kann er mit Recht Anspruch erheben. Solange die Mitgift nicht beisammen ist, können die beiden nicht heiraten. Was für ein Vater wäre ich, wenn ich zum Nachteil meiner Tochter mein ganzes Geld an einen Sohn verschwenden würde, der zwar erwachsen ist, aber nicht einmal soviel zu verdienen vermag, was ein Paar Schuhe kosten.«

Galileo wurde rot vor Scham. So war es, er konnte es nicht leugnen: trotz seiner dreiundzwanzig Jahre lag er seinem Vater auf der Tasche, mit seinen Experimenten, Zeichnungen und Erfindungen. Er konnte nichts erwidern. Der Vater fuhr fort:

»Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich noch für ihn tun sollte! Er lebt in meinem Hause, erhält Kost und Wohnung und kleiden muß ich ihn auch noch! Nach seiner Betätigung im Tuchladen sehne ich mich ganz und gar nicht, dazu ist er doch nicht zu brauchen. Er mag lesen und lernen, soviel er Lust hat. Wofür soll ich aber noch Geld hergeben?«

Ostilio Ricci zuckte die Achseln:

»Ich kann mich selbstverständlich in solche vertrauliche Familienangelegenheiten nicht einmengen. Aber, Messer Vincenzo, eines möchte ich Euch noch sagen: der Junge müßte unbedingt reisen.«

»Reisen? Wohin? Warum?«

»Er müßte nach Siena. Dort steht die Mathematik in hohen Ehren, weit mehr als in Padua und Bologna. Dort könnte er lernen, vorwärtskommen und Aufsehen erregen. Und dann müßte er nach Rom. Nicht wahr, das brauche ich Euch nicht erst auseinanderzusetzen? Mit Empfehlungsschreiben würde ich ihn schon versehen. Man kann nicht wissen, vielleicht bleibt er auch irgendwo unterwegs hängen, wenn auch vorerst mit einem geringen Gehalt. Wenn er nur irgendwo erst Fuß gefaßt hätte, dann käme alles weitere von selbst.«

Der Tuchhändler hörte mit sorgenvollem Gesicht zu und nickte mit dem Kopf. Der Jüngling ließ die beiden weiterreden, zog sich zurück und begann zu schreiben. Während Ricci mit großem Schwung und Temperament in seinen Erklärungen fortfuhr, setzte er die lange Deduktion fort, die er hatte unterbrechen müssen: er war gerade bei der Berechnung des Schwerpunktes der Pyramide. Ab und zu stockte er und sann mit aufgestütztem Kopfe nach, wiederholt blitzten seine Augen hell auf. Anfangs achtete er noch auf dieses oder jenes Wort der beiden, dann vertiefte er sich aber restlos in seine Arbeit, vergaß sie vollkommen, zugleich auch die Zeit, den Ort, wo er sich befand, kurz, die ganze äußere Welt. Als er fühlte, wie jemand seine Schultern berührte, rief er freudig und aufgeregt:

»Ich hab's!«

»Was habt Ihr?« erkundigte sich Ricci, ihm über die Schultern auf die vollgeschriebenen Bogen blickend.

»Den Schwerpunkt der stumpfen Pyramide.«

»Was ist los? Macht keine Scherze, mein Sohn. Bislang ist es noch keinem gelungen, das zu berechnen.«

»Ich aber habe es errechnet!«

Mit strahlendem Gesicht sprang er auf seinen Vater zu und umarmte ihn stürmisch.

»Ich habe den Schwerpunkt der stumpfen Pyramide gefunden!«

Ricci faßte ihn am Arm und zog ihn fort.

»Tobt jetzt nicht hier herum, sondern erklärt, was Ihr entdeckt habt.«

Dienstbeflissen wandte er sich wieder seinen Papieren zu. Nur wenige Sätze hatte er sprechen müssen, Ricci verstand ihn sogleich.

»Mag Euch der Teufel holen, mein lieber Sohn, das habt Ihr wirklich ganz toll gemacht. So klar wie die Sonne ist das. Paßt einmal auf, Messer Vincenzo, ich will Euch die Sache durch ein Gleichnis klarzumachen suchen. Ihr seid ein Musikus, und ganz Florenz weiß, wie vortrefflich Ihr auf der Laute spielen könnt. Und nun seht, dieser Junge gleicht einer Laute, wie es deren wenige auf der Welt gibt, nur hat sie keine Saiten. Spannt ihm die Saiten! Woher Ihr die Saiten nehmen sollt, kann ich natürlich nicht wissen; wenn Ihr es aber nicht tut, versündigt Ihr Euch an Euch selbst, an Eurem Sohn, an Eurer Familie und an der Wissenschaft.«

Vincenzo Galilei hatte vom Problem des Schwerpunktes der stumpfen Pyramide nicht viel verstanden, es war ihm aber klar geworden, daß sein Sohn an diesem Tisch, während er sich unterhielt, irgendeine große Entdeckung gemacht haben mußte.

»Das Leben drückt mich wirklich mit aller Gewalt an die Wand, erlauchter Herr«, seufzte er mit einem gezwungenen Kopfschütteln »wo soll ich für meinen Sohn und zugleich auch für meine Tochter Geld hernehmen, da ich im Grunde genommen nicht einmal für einen von beiden genug habe? Aber es hat ja auch schon Wunder gegeben; ich werde einige Nächte nicht schlafen und darüber nachdenken, was ich unternehmen könnte.«

Als Vater und Sohn vom Palazzo Pitti heimgingen, wechselten sie unterwegs kein Wort miteinander. Sie waren ihrem Hause schon ganz nahe, als der Sohn mit einem Male zu sprechen begann.

»Mein Vater, ich werde diese Reise wagen.«

»Und wie willst du sie wagen?«

»Zu Fuß. Ohne Geld. Ich habe eine so große Zuversicht zu mir selbst, daß ich glaube, es wagen zu können.«

»So. Und was erhoffst du dir davon und wie willst du wieder heimkehren?«

»Sicherlich hungrig und abgerissen, aber mit reicherem Wissen.«

Sie standen schon am Tor. Von innen hörte man Lautespiel und eine kreischende Stimme. Keiner zuckte auch nur mit den Wimpern; sie wußten, was in der Wohnung vorging: die Mutter zankte wieder einmal und der kleine Michelagnolo, der sich daran schon gewöhnt hatte, übte seine täglichen Aufgaben, ohne auf den Lärm zu achten.

»Und wann beabsichtigst du aufzubrechen?«

»Gleich jetzt, wenn es sein müßte, aber ich bin hungrig. Ich kann mich morgen früh auf den Weg machen.«

»Geh' noch nicht. Warte noch eine Woche.«

Galileo wartete noch eine Woche. Währenddessen arbeitete er fleißig an seinem Werk: er legte seine Schwerpunktberechnungen in einer Schrift nieder, die er » I baricentri dei solidi« betitelte und die immer umfangreicher wurde. Und nach einer Woche zog ihn sein Vater vertraulich beiseite. Er drückte ihm eine Geldbörse in die Hand.

»Zehn Goldstücke sind drinnen. Frage nichts und verrate es deiner Mutter nicht. Du kannst gehen, wenn du willst.«

Am anderen Tage besuchte er vormittags noch Ricci. Eine lange Zeit verbrachte er bei ihm. Dann ging er nach Hause, verzehrte sein Mittagbrot, schnürte sein Bündel und nahm von jedem leichten Herzens Abschied, als ob er nur in die Nachbarschaft ginge. Der Frühlingstag neigte sich dem Abend zu, und ein schlammiger Boden erschwerte die Schritte. Aber der wandernde Mathematiker kümmerte sich nicht um den beschwerlichen Weg. Fröhlich schritt er aus. Er dachte an die Herzogin Bianca. Er freute sich, daß er an sie so ziellos und in einer so unwirklichen Weise denken konnte. Und als er die letzten Häuser der Stadt hinter sich gelassen hatte, sah er sich auch nicht mehr um.


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