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Fünftes Kapitel

Seine Mutter hatte gerade ihre übelste Laune an dem Tage, als der aus Pisa zurückkehrende Sohn begeistert die Nachricht von seiner Berufung mitbrachte.

»Das ist ja alles schön und gut«, erklärte sie feindselig, »aber wie hoch ist dein Gehalt?«

»Sechzig Goldstücke«, erwiderte Galileo bescheiden.

»Sechzig Goldstücke im Monat? Das glaube ich nicht, das kann nicht wahr sein.«

»Nicht monatlich. Für das ganze Jahr. Ich erhalte fünf Goldstücke im Monat.«

»Fünf Goldstücke? So eine Schande! Jeder Handwerker, der monatlich nur fünf Goldstücke verdiente, würde sich zu Tode schämen. Ist das also die berühmte Stellung? Hast du dich deswegen hier solange zu Hause herumgetrieben, um das abzuwarten?«

Der Vater fiel ihr ins Wort:

»Laß ihn, Giulia, raube ihm nicht die Lust.«

»Du, schweig still! Du bist schuld daran, daß wir mit ihm überhaupt soweit gekommen sind. Fünfundzwanzig Jahre alt! Ein anderer hat da schon Haus und Familie, sorgt für sich schon aus eigener Kraft und unterstützt seine Angehörigen! Was wird mit den Kindern werden, wenn wir einst unsere Augen schließen?«

Frau Galilei begann zu schluchzen. Die ganze Familie, die beisammen saß, sagte keinen Ton. Sie wußten nur zu genau, daß jede Widerrede oder auch nur eine zustimmende Bemerkung den drohenden Sturm nur noch schüren würde. Eher waren sie bestrebt, aus ihrer Nähe zu verschwinden. Verstohlen winkte Galileo seinem Vater, sich lieber an einen gefahrlosen Platz zu verziehen, wo sie sich ruhig unterhalten könnten. Zuerst stahl sich der eine, dann der andere aus der Nähe der schluchzenden und immer heftiger grollenden Mutter fort. Der Laden war schon geschlossen: sie gingen auf die Straße, um sich auszusprechen. Das war schon immer so gewesen; wenn sie sich friedlich aussprechen wollten, waren sie gezwungen, aus dem Hause zu gehen.

Sie gingen also draußen auf der winterlichen Straße hin und her. Der Schnee schimmerte bläulich. Die alten Häuser, deren Dächer weit nach vorn überstanden, sahen aus, als ob sie ihre Hüte tief in die Augen gezogen hätten.

»Ich wollte die Mutter nicht aufregen«, sagte Galileo, »deswegen war ich so behutsam. Die Sache ist die, daß ich schlecht und recht auskommen werde. Auch andere Professoren leben davon, ich werde also nicht Hungers sterben. Ich werde Privatstunden geben.«

»Aber es handelt sich nicht nur um dich allein, mein Sohn. Ich muß dir etwas sagen, worüber wir bis jetzt noch nie geredet haben: ich fühle den Tod nahen.«

Der Junge wollte ihn unterbrechen, um zärtlich abzuwehren.

»Nein, nein«, kam ihm der Vater zuvor, »ich fühle es ganz genau. Ich bin schon über siebzig Jahre alt. Es ist möglich, daß ich vielleicht noch zwei oder drei Jahre lebe, aber es ist ebensogut möglich, daß ich schon morgen sterbe. Was wird dann mit den Kleinen? Michelagnolo ist jetzt vierzehn Jahre alt; in der Musik macht er vorzügliche Fortschritte, aber es wird noch lange dauern, bis er Geld verdienen kann. Wie wirst du für deine Schwestern sorgen können, wenn ich es nicht mehr kann? Zu Virginias Mitgift mußt du beisteuern, wir haben es dem Landucci, wie du weißt, schriftlich gegeben. Dann werden auch Anna und Livia heranwachsen, und man wird auch sie verheiraten müssen. Und für deine Mutter muß gleichfalls gesorgt werden. Nun sage mir bloß, wie willst du das zustandebringen? Von fünf Goldstücken im Monat?«

»Aber gnädigster Vater, ich habe Euch doch schon gesagt, ich werde Privatstunden geben. Und …«

»Und?«

»Ich werde ganz bestimmt irgend etwas erfinden. Mit Erfindungen läßt sich viel Geld verdienen.«

Der Vater seufzte schwer.

»Hättest du nur das nicht gesagt, mein Sohn.«

»Warum?«

»Wie meinst du, werden meine letzten Minuten sein, wenn ich meine Augen schließe? Woran soll ich dann denken, wenn ihr alle um mein Bett steht und ich euch betrachte? Daß schon alles gut werden wird, weil du irgend etwas erfinden willst? Phantasiegebilde soll ich den Meinen hinterlassen? Soll ich mit der Gewißheit scheiden, daß du genau so bist wie diese Narren, die die Flugmaschine oder das Perpetuum mobile erfunden haben und in den Vorzimmern der reichen Herren warten?«

»Verzeiht mir, gnädigster Vater, aber ein Narr bin ich nun doch vielleicht nicht. Mit fünfundzwanzig Jahren bin ich in Pisa Universitätsprofessor geworden; und ich habe die hydrostatische Waage erfunden. Sind das etwa Phantasiegebilde?«

»Gut, du hast sie erfunden, und was hast du damit verdient?«

Galileo schwieg.

»Siehst du wohl! Du wirst auch noch andere Sachen erfinden, und inzwischen werden wir mit deinen Geschwistern darben.«

»Das werdet ihr nicht.«

»Das werden wir nicht? Wovon willst du sie denn ernähren?«

»Vater, wir verstehen uns in vielen Sachen nicht. Von einem könnt Ihr aber bestimmt überzeugt sein: daß ich ein anständiger Mensch bin. Hoffentlich werdet Ihr mir das nicht absprechen.«

»Nein. Das Ehrgefühl ist in der Tat sehr stark in dir. Und ich kenne dich auch als sehr gutherzig. Das ist wahr.«

»Seht Ihr. Ihr habt mich fünfundzwanzig Jahre lang beköstigt und bekleidet, für mich gesorgt. Betrachtet das so, als wenn Ihr mir das alles geliehen hättet. Zur gegebenen Zeit werde ich dieses Darlehen Euren Kindern in Ehren zurückerstatten. Wovon, das ist vorderhand gleichgültig. Ihr sollt Euch darum auch nicht kümmern. Im Notfall erdolche ich jemanden am Rande der Stadt und nehme ihm seine Geldbörse ab. Wenn Euch der Herrgott zu sich ruft, werde ich der Vater der Kleinen. Nehmt dieses Versprechen zur Beruhigung von mir entgegen. Alles andere soll Euch nicht belasten.«

Der Vater blieb stehen, auch der Sohn hielt inne. Sie sahen sich an.

»Höre, Galileo. Du gehst nach Pisa, und man kann nicht wissen, wann du wieder hierher zurückkommst. Vielleicht bist du gar nicht zu Hause, wenn mich der Tod ereilt, und ich kann in der letzten Minute nicht mehr mit dir sprechen. Willst du auf das, was du eben sagtest, einen heiligen Eid ablegen? Denn wenn du schwörst, wird es mir eine große Beruhigung sein, im Tode daran zu denken.«

»Ich schwöre es. Der Allmächtige, die Heilige Mutter Gottes und alle Heiligen mögen mir beistehen!«

»Ich danke dir. Und nun reden wir nie mehr darüber. Aber noch eins: diesen Schwur zu halten, wird dir schwerer fallen als jedem anderen. Denn für das Geldverdienen hast du gar kein Gefühl, und mit dem Gelde weißt du so wenig umzugehen, daß es haarsträubend ist. Sage mir, Galileo, liebst du denn das Geld gar nicht?«

Galileo zuckte mit den Schultern. Sie gingen weiter.

»Ich kann nicht gerade behaupten, daß ich das Geld nicht liebe; denn ich freue mich ja, wenn ich Geld habe. Aber ich kann auch nicht behaupten, daß ich es liebe; denn wenn ich es liebte, müßte ich mich danach sehnen. Das aber fällt mir nie ein.«

»Dann wirst du auch nie ein Vermögen haben. Merke dir, im Leben geht alles dorthin, wo man es liebt. Hast du denn noch nicht beobachtet, daß ein Hund auf manche Menschen sofort schwanzwedelnd zuläuft, andere dagegen gleich anbellt? Genau so ist es auch mit den kleinen Kindern: sie fühlen sofort, wer sie lieb hat; zu einigen Menschen fühlen sie sich hingezogen, bei anderen weinen sie sofort. Und die Frauen! Ohne irgendeinen ersichtlichen Grund zeichnen sie Männer aus, die weder hübsch, noch klug oder reich sind, deren einziger Gedanke aber die Frau ist; und das fühlt die Frau. So ist es auch mit dem Gelde. Das Geld rollt dorthin, wo man es liebt. Zu dir wird es nicht rollen.«

»Das Geld nicht«, stimmte Galileo lebhaft zu, »das Geld vielleicht nicht. Aber das Können, die Erkenntnisse, die Ideen werden aus dem Weltall zu mir strömen. Weil ich nur das liebe. Das liebe ich mehr, tausendmal mehr, als die Frau, das Kind und das Geld. Vielleicht verdamme ich mich dadurch selbst zu ewiger Armut; aber es wird eine glückselige Armut werden, wenn ich nur arbeiten kann.«

»Was verstehst du unter Arbeit?«

Galileo vermochte lange nicht zu antworten. Er dachte scharf nach, während sie vor Kälte zitternd nebeneinander herstampften.

»Ich verstehe zweierlei darunter«, entgegnete er endlich, »zweierlei verschiedene Dinge, und ich weiß nicht, welches von beiden mich mehr anzieht. Das eine ist, daß ich Fragen, die in mir auftauchen, mit meinem Verstande lösen muß. Ich habe einen unstillbar scharfen Verstand, Vater. Er frißt die Probleme. Mit Wolfshunger fällt er über sie her, zerteilt, zerreißt und schluckt sie. Habt Ihr schon einmal gesehen, daß ein gefangener Hase den Holzkäfig annagt, weil das Wachstum seiner Zähne ihn dazu drängt? Mein Verstand ist auch so: wenn ich zufällig einmal an nichts anderes denke, dann multipliziere ich sechsstellige Zahlen; denn ich muß irgendwie mit meinem Verstand nagen, – das ist das eine. Das zweite, was ich unter Arbeit verstehe, ist die Aufklärung anderer. Ein unbegreiflicher Instinkt treibt mich dazu, jedem das mitzuteilen, was ich selbst erforscht habe. Die Unwissenheit der Menschen kann ich noch ertragen, wenn sie aber irgend etwas ungenau wissen, das bringt mich zur Raserei. Manchmal habe ich das Gefühl, daß ich den alten Aristoteles, wenn er noch lebte und mir entgegenkäme, an der Brust packen und in meinem Zorn hin- und herschütteln würde.«

»Schon wieder dieses Steckenpferd. Was hat dir denn nur dieser Aristoteles getan?«

»Was er mir getan hat? Unsinn hat er behauptet.«

»Was? Wie kannst du so von einem Genie sprechen? Was sind das für Worte?«

»Ja, ja, ja! Er hat Unsinn behauptet. Er hat zum Beispiel erklärt, daß es schwere Körper gibt, die um jeden Preis sinken und leichte Körper, die sich um jeden Preis erheben wollen. Ein ausgemachter Blödsinn! Jeder Körper hat sein Gewicht und alle wollen fallen, solange sie nicht irgendein Widerstand daran hindert. Dann behauptet er, daß ein weggeschleuderter Körper von der in Bewegung geratenen Luft weitergetrieben wird. Blödsinn! Keine Ahnung hat er davon, was die Grundlage der Fortbewegung ist! Aber ich werde das Ganze schon durcharbeiten und diese unzähligen Irrtümer mit Stumpf und Stiel ausrotten!«

»Warum schreist du denn so laut auf der Straße?«

»Verzeiht, aber meine Natur geht mit mir durch. Wenn von Aristoteles und der peripatetischen Schule die Rede ist, werde ich immer gleich so laut; ich kann nichts dafür.«

»Kurz und gut also, was Aristoteles nicht richtig gesagt hat, die Welt aber zweitausend Jahre lang glaubte, das wirst du der ganzen Welt nunmehr richtig sagen, nicht wahr?«

»Ja, mein Vater. Warum?«

»Zwei Säulen der Wissenschaft werden dann also vor der ganzen Welt dastehen: Aristoteles und ein Mann namens Galilei aus Florenz.«

»Ja, warum?«

»Und du wunderst dich gar nicht darüber, daß du dir das einreden kannst?«

»Nein, ich freue mich eher. Ich wundere mich nur darüber, wie klug ich bin. Ich bin noch niemandem begegnet, der einen so scharfen Verstand gehabt hätte wie ich.«

Der Vater schüttelte den Kopf.

»Du bist wie einer, der von bösen Geistern besessen ist. Wenn du deine Zunge nicht hütest, werden dich die Menschen entweder für einen Narren halten oder auf dem Scheiterhaufen wie eine Hexe verbrennen. Aber lassen wir es gut sein. Ändern kann ich dich ja nicht. Du bist wenigstens ein anständiger und guter Mensch trotz deiner Narrheiten und das ist auch etwas wert. Gehen wir jetzt aber nach Hause; denn ich friere schon sehr. Vielleicht hat sich deine Mutter inzwischen auch ausgetobt.«

Sie kehrten um. Sie gingen nebeneinander her, der Vater still, traurig, in alles ergeben, der Sohn immer einen halben Schritt voran, frisch, gierig und mit funkelnden Augen.


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