Max Halbe
Jo
Max Halbe

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12

Entschuldige! Ich habe mich verspätet,« sagte Nina, als sie kurz nach Zwölf Ewalds Atelier betrat. »Mir war morgens nicht gut. Ich komme gerade erst vom Baden.«

Ewald trat ihr entgegen und küßte ihr die Hand.

»Wieder einer deiner Anfälle? ... Man wird doch mal wieder Dr. Pimgallo ...«

Nina machte eine heftig abwehrende Bewegung.

»Verschone mich mit Pimgallo! Das ist ja das reine Inquisitionsverfahren! Ich werde am besten allein mit mir fertig.«

Ewald musterte sie kopfschüttelnd.

»Kind! Kind! Ich bin gar nicht mit dir zufrieden.«

»Was soll ich tun, um dir besser zu gefallen?« fragte sie eifrig und fühlte ein leises Erröten.

»Du bist noch immer ganz außer Atem,« meinte er mit neuem Kopfschütteln. »Was hat es denn gegeben?«

»Ich mochte dich nicht länger warten lassen. Du willst an deine Arbeit. Ich mache mich gleich fertig.«

Sie lief eilends hinter den bunten japanischen Wandschirm, der in der Ecke zwischen aufgestapelten und an die Wand gelehnten Bildern stand.

»Einen Augenblick!« »Es eilt mir nicht so, heute!« murmelte er und trat zögernd vor eine in den Hintergrund gerückte Staffelei. Die in ziemlich großen Maßen gehaltene Leinwand im einfachen Blendrahmen, die sich darauf befand, war vom Beschauer ab und gegen die Wund gekehrt.

»Sophie war bei dir oben im Atelier?« rief Nina hinter dem Wandschirm hervor. »Ich traf sie vorhin. Hast du ihr mein Bild gezeigt als Rokokogöttin?«

»Nein, es ergab sich keine Gelegenheit,« erwiderte Ewald, indem er die Staffelei aus dem Winkel hervorzog und sich an der Verschraubung des Gestells zu tun machte. »Im übrigen«, setzte er nach einem Augenblick hinzu, »weißt du ja, daß ich diese Sachen rein für mich, als absoluter Dilettant betreibe, also auch kein fremdes Auge damit zu bemühen pflege.«

»Du könntest es aber ruhig tun,« gab Nina zurück. »Deine Bilder von mir aus letzter Zeit können sich überall sehen lassen. Du bist weit entfernt vom Dilettanten oder vom Kitschmaler. Ich kenne mich doch einigermaßen mit den Sachen aus.«

»Das gebe ich ohne weiteres zu,« bemerkte Ewald mit dünnem Lächeln und warf die halb ausgerauchte Zigarette fort.

»Irgend etwas daran scheint dir komisch zu sein,« forschte Nina, deren Toilette hinter dem Wandschirm sich hinzog. »Ich höre es an deinem Ton. Ich brauche dein Gesicht gar nicht dazu.«

»Ich habe deinen weiblichen Instinkt niemals unterschätzt, my darling

»Danke! ... Hoffentlich ist das nicht alles, was du an mir schätzest.«

»Gewiß nicht! Sonst würde ich mir ja nicht erlauben, dich zu malen.«

Ein kurzes Schweigen folgte, mit leisem Rascheln von Gewändern hinter dem Schirm. Dann ertönte Ninas Stimme von neuem:

»Also doch nur mein Körper? ... Von meiner Seele weißt du nichts?«

»Ich glaube, deiner Seele nahe zu kommen, indem ich deinen Körper male, deine Formen und Farben,« erwiderte Ewald, der endlich seine Staffelei in Stand gesetzt zu haben schien.

»Das sind faule Ausreden,« kam es zurück. »Ich will nicht immer nur als Formproblem behandelt werden. Als Farbenfleck.«

In Ewalds zerknittertem Gesicht zuckte es einen Moment auf.

»Und doch wünschtest du soeben erst, daß ich die Bilder sogar ausstelle, die ich von dir, von deinem Körper male?«

Nina schwieg. Man hörte, wie sie mit Kamm, Bürste? Brennschere, Puderbüchse hantierte.

»Bist du bald fertig?« fragte Ewald zum Wandschirm hinüber.

»Sogleich! ... Habe ich das übrigens wirklich gesagt?«

»Was. bitte?«

»Daß du mein? Bilder, ich meine deine Aktbilder von mir, ausstellen sollst?«

»Nicht gerade wörtlich. Aber immerhin dem Sinne nach.« »Ich kann mich gar nicht erinnern. Obwohl ich nichts dabei fände.«

»Hm! ... Meinst du nicht, daß es doch einigermaßen auffallend wäre, wenn man in der nächsten ›Funkenturm‹-Ausstellung, unter den Auspizien des Herrn Neubauer, dem Publikum Aktbilder der Baronin Ewald vorführte, gemalt von ihrem Mann?«

Nina lachte hell auf.

»Ein bißchen komisch wäre es ja. Aber was tut man nicht für die Kunst!«

Um Ewalds Mundwinkel lichterte wieder das dünne Lächeln.

»Ich danke dir jedenfalls für deine Opferfreudigkeit.«

»Bitte! ... Auf der Bühne zeigt man sich ja auch oft nicht viel anders.«

»Aber du bist nicht mehr auf der Bühne!«

»Nein! Leider!«

In Ewalds hellblauen Augen blitzte ein kurzer Funke auf, wie wenn Stahl auf Stein schlägt.

»Du scheinst das zu bedauern?«

»Unsinn! Es war eine Dummheit! ... Entschuldige!«

Der japanische Wandschirm wurde geräuschvoll zurückgeschoben und Nina trat hervor. Ihr aschblondes, ins Silberne schattiertes Haar war zu einem kunstvoll hohen Gebäude hinaufgewellt und leicht gepudert. In das schmale bleiche Gesicht, das nur von einem schwachen Schimmer innerer Erregung gleichsam durchleuchtet schien, tuschten die dunklen Brauen einen düster tragischen Zug, der sonderbar abstach gegen die lichtblonde Rokokofestlichkeit des Haaraufbaues. Ein bastdünner weicher Mantel von tief dunkelblauer indischer Seide mit eingewirkten goldenen Sternen, über dem Busen durch eine Perlenagraffe zusammengehalten, floß, die weißen Schultern freilassend, schmiegsam um ihre Glieder bis hinab zu den nackten Füßen, die in roten Saffianpantöffelchen steckten.

»So! Jetzt hast du mich wieder, wie du mich haben willst,« rief sie und glitt mit ein paar raschen Schritten, geschmeidig wie eine junge Katze, bis dicht vor Ewald hin, der bereits mit Pinsel und Palette vor seiner Leinwand stand.

»Hoffentlich gefalle ich dir heute?« sagte sie halblaut, indem sie auf orientalische Art die Arme über der Brust kreuzte und gleichzeitig unterwürfig und herausfordernd, wie eine Odaliske des Harems vor ihrem Herrn, die Augen zu ihm aufschlug. Es war ein seltsam verschleiertes Leuchten darin. Ewald mußte unwillkürlich die eigenen Augen davor schließen.

»Du gefällst mir nur zu gut!« murmelte er und wischte mit dem Finger einen Farbenton auf der Leinwand zurecht.

»Bekomme ich keinen Gruß von meinem Gebieter?« flüsterte sie.

Ewald neigte seinen Kopf zu ihr hinunter und küßte sie auf die zurückgebogene Stirn. Ihr Körper, dessen weiche Linien sich jetzt im vollen Tageslicht des Ateliers deutlich unter der dünnen blauen Bastseide und dem goldenen Steinenmuster abzeichneten, lehnte sich leicht an den seinen. Eine duftige Kühle und laue Wärme zugleich strömte in ihn hinüber, die ihm beinahe die Sinne benahm.

»Bist du jetzt in der richtigen Stimmung für deine Arbeit?« fragte sie im Flüsterton. »Die Rokokodame soll doch dein Meisterwerk werden. Warte nur! Ich sorge schon dafür.«

Ewald strich sich mit der Rückseite der Hand über die Stirn.

»Bitte! Nimm jetzt deinen Platz ein, Nina!« sagte er und deutete auf das nahe Ruhelager, das mit seiner Fülle buntfarbiger seidener Kissen und Tücher wie ein gut abgetöntes Blumenbeet leuchtete.

»Verstimmt, Bester?« forschte Nina, wieder beinahe flüsternd, ohne sich vom Platze zu rühren.

»Ich wüßte nicht, warum?«

»Wegen meines Geredes vorhin? Von der Bühne? Man sagt manches, was nicht so gemeint ist.«

»Ich finde nichts dabei, daß man sich nicht selbst abstreifen kann, wie einen alten Strumpf.«

»Oder weil ich äußerte, du könntest deine Bilder von mir ausstellen? Wenn ich es wörtlich gesagt habe ... Es war ja nur deinetwegen. Es tut mir weh, daß jemand wie du hier als Mauerblümchen verkümmern soll. Einer der so viel kann mit seiner Kunst.«

Sie drängte ihren kühlen, duftenden, von Seide knisternden Körper dichter an den seinen und legte den bloßen rechten Arm um seine Schulter.

»Verstehst du das nicht, Schatz?«

Ewald atmete tief auf.

»Mir ist gerade heute der Respekt vor meiner Kunst ein bißchen vergangen,« bemerkte er.

»Wieso? Was ist geschehen?« rief Nina und musterte ihn mißtrauisch. »Das ist vorläufig noch mein Geheimnis.«

»Also eine Überraschung?«

»Vielleicht.«

Nina wiegte bedenklich den Kopf.

»Ich bin keine Freundin von Überraschungen. Es kommt nie etwas dabei heraus.«

»Oder zu viel!« meinte Ewald und lächelte sehr spitz.

Nina hatte ihren Arm sinken lassen. Der Schatten des Mißtrauens auf ihrer Stirn vertiefte sich. Sie wollte etwas sagen, schien sich aber zu besinnen und schwieg.

»Woher stammt übrigens der hübsche Ausdruck für mich?« fragte Ewald nach einer kurzen Pause. »Mauerblümchen! Doch nicht auf deinem Beet gewachsen?«

Nina fühlte wieder dieses lästige Erröten und warf unwillig den Kopf zurück.

»Du scheinst es heute darauf anzulegen, mir die Laune zu verderben. Meinetwegen! ... Irgend etwas steckt jedenfalls dahinter.«

Sie wandte sich ab und nahm ihren Platz auf der Ottomane ein.

»Ist es so recht?« fragte sie, indem sie die Perlenagraffe über dem Busen löste, und den blauseidenen Mantel mit den goldenen Sternen abwarf. »Sitze ich richtig?«

Ihr nackter Körper leuchtete, vom Mittagslicht umflossen, aus der buntblühenden Kissenfülle der Ottomane hervor, wie ein Narzissenbeet aus einem Teppichgrund von Stiefmütterchen und Phlox.

Ewald warf einen vergleichenden Blick von seiner Leinwand auf das atmende Urbild und nickte.

»Es stimmt ungefähr. Den Kopf mehr zu mir herüber. Die Haltung könnte noch etwas ungezwungener sein. So! Ja!«

Nina hatte sich, den Oberkörper halb aufgerichtet, in die Kissen gebettet. Ihr rechter Arm fiel nachlässig an der Ottomane herunter, so daß die Finger beinahe das Luchsfell am Boden berührten. Die linke Hand ruhte auf dem schlanken Leib. Der schmale feine Kopf mit der griechisch geschnittenen, ein klein wenig abgestumpften Nase und dem heiterblonden Haaraufbau war Ewald zugekehrt.

»Habe ich deinen Beifall so?« fragte sie nach einem Augenblick und lächelte auf eine verschleierte Weise. »Kommt das Rokokohafte heraus, was du in mir findest?«

»Im Leben, in der Natur, wie du so daliegst, vollständig!« erwiderte Ewald, der zu malen angefangen hatte. »Ob auch auf dem Bild ...?«

Er zuckte mit den Achseln und trat einen Schritt zurück, um von neuem zu vergleichen.

»Ich fürchte, ich habe es nur im Kopf und nicht in den Fingern. Ich sehe alles ganz deutlich, aber es fließt mir nicht in den Pinsel. Der Weg von hier bis da« (er deutete auf Stirn und Hand) »ist zu weit. Verstand! Verstand ist alles! Damit malt man keine Bilder. Am wenigsten Damen aus dem Rokoko. Ich fürchte, mit deinem Ausstellungsplan wird es nichts, mein Schatz!«

Nina schüttelte den Kopf.

»Wozu plagst du dich so? Vielleicht urteilen andere ganz anders über deine Bilder. Oder male mich doch als Frau von heute. Am Ende bin ich gar keine Dame aus dem Rokoko?« Ewald hatte wieder zu malen begonnen.

»Nein! Nein! Das wäre nichts für mich! ... Für mich bist du nun einmal Rokoko und bleibst es. Ich wüßte nicht, was ich sonst mit dir anfangen sollte.«

Nina warf ihm einen halben Blick zu und lächelte wie vorher.

»Wirklich nicht?«

»Natürlich nur im malerischen Sinne!« verbesserte sich Ewald, der ziemlich zerstreut schien.

Beide schwiegen eine Weile. Ewald malte und es war, als komme nun doch allmählich das Feuer der Arbeit über ihn. Das Bild näherte sich allem Anschein nach der Vollendung. Ewald hatte sich im Vorwurf ziemlich eng an die Natur gehalten. Eine nackte Frauengestalt von rokokohaftem Charakter, deren Ähnlichkeit mit Nina unverkennbar war, lag mit halb sitzendem Oberkörper auf einem bunten Kissenlager in einer blühenden Fliederlaube und schien auf etwas zu warten, wonach ihre Augen in die Ferne gingen.

»Erinnerst du dich an unsere Zeit in Rom, Hans Lebrecht?« fragte Nina plötzlich in das tiefe Schweigen hinein, das den weiten hohen Raum beinahe körperlich erfüllte.

»Ganz gewiß,« erwiderte Ewald, der gerade ein paar bisher nicht erfaßte Lichter auf Schulter und Busen setzte.

»Wir standen in der Galerie Borghese vor der Figur der Pauline Borghese. Ich glaube, sie ist von ... von ...«

»Von Canova, mein Schatz!«

»Von Canova! Sehr richtig! ... Wer kann alle die Bildhauer im Kopf behalten!« Ewald hatte wieder dieses trockene Lächeln um die Mundwinkel, während er, ohne sich in der Arbeit zu unterbrechen, bemerkte:

»Dein Sachverständnis erstreckt sich mehr auf die Maler, und da auch vorzugsweise auf die lebenden.«

»Was soll das nun wieder heißen?« rief Nina mißtrauisch.

»Nun ja! Sorgius! ... Neubauer! ... Et cetera

Nina schwieg einen Augenblick und musterte Hans Lebrecht von der Seite. Sollte sie sich ärgern? Sollte sie weiter auf das Thema eingehen? Es hatte seine Fallstricke. Am besten, man glitt darüber hinweg.

»Gewiß interessiere ich mich am meisten für Bilder,« sagte sie mit unbefangenem Lächeln. »Es ist ja auch kein Wunder, wenn man einen Mann hat, der malt. Aber ich wollte von der Pauline Borghese sprechen ...«

»Von Canova.«

»Ja! Ich weiß es nun schon. Sie hat bekanntlich nichts an. Sie hat sich nicht geniert, obwohl sie doch schließlich eine Fürstin war, dem Künstler als Aktmodell zu sitzen.«

»Und du meinst, was Pauline Borghese konnte ...«

»Laß mich, bitte, aussprechen! Ich wollte dich fragen, ob du dich an die kleine Geschichte erinnerst, die du mir erzähltest, als wir zusammen vor der nackten Figur standen?«

Ewald schüttelte den Kopf und sah fragend zu ihr hinüber.

»Eine Freundin machte ihr Vorwürfe, daß sie sich so ohne irgend was von dem Bildhauer modellieren ließ. Sie antwortete: Aber es war ja doch geheizt im Atelier!« Ewald lächelte.

»So etwas Ähnliches würdest du wohl auch ...?«

»Unbedingt würde ich das zur Antwort geben, wenn jemand etwas dabei fände. Deshalb meine ich, um mich sollst du dich nicht kümmern, wenn du ausstellen willst. Mehr Rücksicht brauche ich schließlich auch nicht zu nehmen als eine Fürstin Borghese. Außerdem bist du ja mein Mann und Canova war höchstens ihr Freund.«

»Sollte Freund so viel weniger bedeuten als Mann?« warf Ewald wie beiläufig ein.

»Je nachdem!« meinte Nina und sah scharf zu Ewald hinüber. »Aber was sind das alles für Fragen? Möchtest du mir nicht endlich verraten, was dahintersteckt?«

Sie fühlte ihr Herz klopfen. Es war wieder etwas viel heute, was auf sie eindrang: Brandstädter, Neubauer, jetzt Ewald mit seinem Katze- und Maus-Spiel! Heute morgen der Anfall! Daran durfte sie nun schon gar nicht denken. Was diese Männer alle von ihr wollten! Warum ließ man sie nicht zufrieden? Man war doch schließlich ein schwaches Weib! Aber vielleicht war es gerade das, was diese Raubtiere reizte. Raubtiere, ja! Das waren sie, einer wie der andere! Auch Ewald nicht ausgenommen. Ihn sogar am allerwenigsten!

Ihr Blick fiel auf eine lebensgroße Schießscheibe, die an der Wand ihr gerade gegenüber angebracht war. Ewald hatte sie selbst gemalt: ein Stutzer in Rokokotracht, mit kokett vorgestelltem rechten Bein, den Federhut in der Hand, ein kleines rotes Herz als Zielpunkt zierlich auf das Spitzenjabot gepinselt und dieses niedliche kleine Herz von einer Anzahl Treffer aus einer Zimmerpistole durchbohrt. Sagte das nicht genug? Mit solchen Zerstreuungen gab sich Hans Lebrecht ab, wenn er allein hier oben brütete. Eine hübsche Art, sich Motion zu machen, indem man auf einen Rokokokavalier schoß, der womöglich ... Bei Gott! Darauf hatte sie noch gar nicht geachtet. Oder kam es nur von ihren überreizten Nerven heute? Aber trugen die Züge des unglücklichen Opfers, das als Zielscheibe für Hans Lebrechts grausame Gelüste zu dienen hatte, nicht eine ganz feine Ähnlichkeit mit denen Rudolfs? War das möglich? ...

Sie schauerte leise zusammen, ohne daß Ewald es zu bemerken schien. Nein, man konnte kein Vertrauen haben, so schön es gewesen wäre, was sie sich heute früh ausgemalt hatte. Man durfte sich nicht aufs Glatteis locken lassen. Man mußte vor ihm auf der Hut sein. Gerade vor ihm, vor Hans Lebrecht! Vor diesem Heimlichkeitsmenschen!

Ewald war inzwischen ganz in seine Arbeit versunken gewesen. Jetzt drückte er eine frische Farbentube auf der Palette aus und blickte, während er sie verrieb, über den Rand der Palette zu Nina hin.

»Verzeih! Ich bin dir noch die Antwort schuldig.«

»Worauf?«

»Ich hatte eigentlich mit meinen Worten vorhin nur einen Wunsch von dir erfüllen wollen.«

Nina sah halb unsicher, halb erstaunt zu ihm auf. Was würde da wieder kommen?

»Ich verstehe dich nicht,« sagte sie achselzuckend.

Ewald nickte.

»Ja, das ist der eigentliche Stein des Anstoßes zwischen den Menschen überhaupt: Sie verstehen sich nicht. Aber was unsern Fall anbetrifft: ich wollte einmal versuchen, deiner Seele nahe zu kommen!«

Nina lächelte sonderbar.

»Du meiner Seele?«

»Ja. Du beklagtest dich, daß ich dich immer nur als Farbenfleck behandle. Als Formproblem.«

»Oder als Elektrisiermaschine!« warf Nina ein.

Ewald blickte überrascht auf und lächelte.

»Gut getroffen! Brandstädters Geschoß! Ich wußte, daß so etwas kommen mußte.«

Nina biß sich ärgerlich auf die Lippen. Hatte sie zu viel gesagt?

»Unser braver Fridericus!« fuhr Ewald fort. »Es war beinahe selbstverständlich, daß er sich die Waffe nicht entgehen ließ. Der alte Ringer! Noch im Fallen wird er den andern mitzureißen suchen. Man muß Respekt vor ihm haben.«

»Du beliebst wieder in Rätseln zu sprechen,« erwiderte Nina.

Ewald lächelte abermals.

»Vielleicht doch nicht so ganz. Diesmal hast du dich verraten, mein Schatz. Oder sagen wir, deine Seele hat sich verraten. Das Wort, das du gebrauchtest ... du verstehst mich schon ... kommt dem Sinne nach aus einem Gespräch, das ich kürzlich mit Brandstädter hatte.«

»Man scheint also Unterhaltungen über mich zu führen!« fiel Nina rasch ein.

»Vielleicht geschah es eben, um deiner Seele auf den Grund zu kommen,« bemerkte Hans Lebrecht nicht ohne Ironie. »Vita brevis, ars longa.«

»Das heißt?«

»Zu deutsch: Man lernt nie aus. Noch dazu von Seelenkennern wie Brandstädter.« Nina lachte gereizt.

»Mein Mann spricht über mich mit Fremden! Wirklich klassisch!«

»Mit Fremden?« wiederholte Ewald ziemlich scharf.

»Nun ja ... mit ... mit,« stotterte Nina und errötete, faßte sich aber sofort. »Jedenfalls mit Menschen, die nichts mehr mit meinem Leben zu tun haben. Ganz gleich, ob man vielleicht früher befreundet war oder nicht.«

Ewalds zusammengesunkene Gestalt richtete sich ein wenig auf.

»Es scheint also wieder einmal,« sagte er, »daß die alten Freundschaften vor der Leuchtkraft der neuen verblassen müssen. Der Lauf der Welt! Ehe man sich's versieht, gehört man zum alten Eisen.«

Ninas Herz schlug auf einmal ganz heftig. Sie schloß die Augen. War das, was jetzt folgen würde, der Anfang vom Ende? Einerlei! Man mußte den Dingen ins Gesicht sehen. Nur Tapferkeit konnte vielleicht noch helfen. Sie erhob sich aufrecht aus den Kissen und faßte Hans Lebrecht voll ins Auge.

»Was willst du damit sagen? Sprich deutlicher.«

Ewald, der von neuem zu arbeiten begonnen hatte, ohne recht vorwärts zu kommen, erwiderte ihren Blick.

»Mich dünkt, es wäre an dir, dich auszusprechen. Es handelt sich ja im Augenblick um deine Seele und nicht um meine. Also sage es, wenn du etwas auf dem Herzen hast. Nimm an, ich wäre nicht nur dein Mann. Ich wäre auch dein Freund, dein alter und neuer Freund, damit beides nicht zu kurz kommt. Vielleicht finden wir gemeinsam des blonden Rätsels Lösung.«

Er war, Pinsel und Palette in den herabgesunkenen Händen, einen Schritt näher herangetreten. In seinen Zügen lichterte es, ähnlich wie im Ton seiner Stimme, zwischen kühler Ironie und ungewohnter Wärme.

Einen Moment durchzuckte es Nina, aufzuspringen, an ihm niederzusinken und ihm alles zu sagen. Aber es war nur ein Moment. Dann siegten Überlegung und Mißtrauen. Durfte sie sich verraten, ohne nicht nur für sich, sondern auch für Rudolf vielleicht alles aufs Spiel zu setzen? Es ging um ihrer beider Schicksal, nicht nur um ihr eigenes. Und auch für Hans Lebrecht selbst ... War es nicht auch für ihn besser, wenn er unwissend blieb, wie bisher, oder wenigstens den Schein der Unwissenheit wahren konnte? Wäre er imstande gewesen, auch das Letzte zu ertragen, die Kunde von dem jungen Leben, das vielleicht unterwegs war – vielleicht! Noch gab es keine Gewißheit! – und das die Fortsetzung eines andern, nicht seines eigenen Lebens war? Konnte selbst ein Geist wie er mit diesem Bewußtsein fertig werden? Wie lange – waren es nicht Monate? Waren es nicht fast schon Jahre? – hatte er sie nicht mehr berührt! Sie hatte ihm geboten, wonach andere dürsteten. In dieser Stunde erst wieder. Ja, in diesem selben Augenblick. Sie lag vor ihm da, wie die Hand des Schöpfers sie gebildet. Sie sehnte sich! Sie war jung! Und er ... malte! Malte! Betrachtete sie, wie ein Anatom sein Präparat, und malte! Wäre Brandstädter hier gewesen oder Rudolf ... Von einem Monstrum wie Neubauer gar nicht zu reden! Großer Gott! Und doch! Es war eine Güte, eine Milde in seiner Miene, in seinem Ton ... ! Sollte sie? Durfte sie? Wieder durchzuckte es sie ...

»Nun? Du schweigst?« mahnte Ewald, der dicht vor ihr stand und sie durchdringend ansah.

Ninas Blick fiel an ihm vorbei auf den Rokokokavalier mit dem blutenden Herzen, das wie von vielen Messern durchbohrt war. Nein! Es war unmöglich!

»Ich wüßte nicht, was ich dir zu sagen oder anzuvertrauen hätte, Bester,« erwiderte sie, indem sie sich nachlässig in die Kissen zurücksinken ließ. »Ich bin mir keiner Schuld gegen dich bewußt.«

Ewald wandte sich ab.

»Gut! Sprechen wir nicht mehr davon! Das blonde Rätsel will nicht von mir entziffert sein und es bleibt bei dem Farbenfleck oder, wie der schöne Ausdruck lautet, bei dem Elektrisierapparat.«

Nina nickte ein wenig müde.

»Ganz wie du denkst, Bester.«

»Aber eins möchte ich dir doch noch bemerken, Schatz,« sagte Ewald und drehte sich noch einmal um. »Mit einer lebendigen Menschenseele, die Vertrauen zu einem faßt, kann man sich auseinandersetzen, so oder so, kann man unter Umständen freiwillige Vereinbarungen treffen. Ein elektrischer Apparat, um zum letztenmal das Wort zu gebrauchen, das ist etwas anderes. Das ist eine Sache, ein Ding, was man besitzt, und Besitz bleibt nun mal Besitz, an dem krallt man sich fest. Für den tritt man ein, wenn es sein muß, bis aufs Messer! Halte dir das gegenwärtig, mein Kind.« Ninas nackten Leib überlief ein dünnes Frösteln.

»Könnten wir nicht für heute aufhören?« fragte sie. »Ich fühle mich etwas angegriffen.«

»Du frierst? Ich bemerkte es schon vorhin. Es ist doch sonst nicht deine Art.«

»Vielleicht vom Baden. Ich bin zu lange im Wasser geblieben.«

Ewald schüttelte den Kopf.

»Ich komme nochmals auf meinen Pimgallo zurück.«

Er war wieder an die Ottomane getreten und legte Nina, die sich erhoben hatte, mit galanter Gebärde den dunkelblauen Seidenmantel mit dem goldenen Sternenmuster um die weißen Schultern. Nina nestelte an der Agraffe, die den Mantel über dem Busen zusammenhielt, während sie das in seinen nassen Farben wie Perlmutter schimmernde Bild auf der Staffelei betrachtete.

»Wie nennst du es eigentlich?« fragte sie nach einer Pause.

»Vielleicht Erwartung,« antwortete Hans Lebrecht.

Nina nickte unbefangen.

»Ja, so etwas könnte es sein.«

»Man könnte annehmen, daß die schöne Dame in ihrem Pavillon auf einen jungen Kavalier wartet, der im nächsten Augenblick eintreten wird. Hübsch wäre es, wenn noch der Ausdruck hineinkäme, daß sie fürchtet, bei ihrem Tête-a-tête mit dem jungen Kavalier von einem älteren überrascht zu werden.«

»Alles auf einmal läßt sich nicht malen,« meinte Nina mit kühlem Ton. »Das erste genügt schon.« »Die Grenzen der Malerei,« bestätigte Ewald. »Man sieht! Echte Kennerschaft! ... Ich hoffe demnach, meine kleine Überraschung wird dir etwas Freude bereiten.«

»Jetzt kommt es also,« sagte Nina beklommen.

»Ich hatte es eigentlich erst für morgen in petto

»Zum Geburtstag?«

Ewald war quer durchs Atelier gegangen und schob eine zweite Staffelei mit einem großen gerahmten Bild, die dort unbeachtet gestanden hatte, bis dicht vor Nina hin, so daß die beiden Bilder, dasjenige, an dem er soeben gearbeitet hatte, und das andere, über das ein dunkles Seidentuch geworfen war, sich ziemlich nahe beieinander befanden.

»Darf ich dich bitten, die Enthüllung des Bildes vorzunehmen?« sagte Ewald mit galanter Gebärde.

Nina erhob zögernd die Hand, zog das Tuch fort und prallte einen Schritt zurück.

»Was ist das?! ... Wie kommst du zu dem Bild?«

»Erkennst du es?«

»Mein Bild! ... Von Sorgius! ... Das Beste, was er von mir gemalt hat! ... Seine Jo! Wie bist du nur dazu gekommen?«

Ewald lächelte trocken.

»Wie man schon zu Bildern kommt. Man kauft sie. In diesem Falle war es vielleicht nicht so ganz einfach. Die Sorgiusse sind in festen Händen. Aber das ist ja gleich. Jetzt gehört es dir.«

»O, du Lieber, du!« rief Nina. »Also deshalb wohl deine Reise neulich?«

Sie breitete ihre beiden Arme um seinen Hals und legte den Kopf an seine Brust. Er drückte einen leisen Kuß auf ihr Haar. Es war fast nur ein Hauch, aber sie fühlte, wie es ihr durch alle Glieder ging. Konnte nicht doch noch alles gut werden?

»Für solche Fälle sind ja die Neubauers ganz gut am Platze,« bemerkte Hans Lebrecht, indem er sich sacht aus ihren Armen löste. »Da erweisen sie eine gewisse Existenzberechtigung.«

»Also Neubauer war mit im Geheimnis?« fragte Nina ziemlich abgekühlt.

Ewald zuckte die Achseln.

»Ohne die Kanaille wäre es nicht gegangen!«

Beide standen nebeneinander vor dem Bild. Der nackte, üppig schlanke Körper eines jungen Weibes, in breiten, kühnen, unfehlbar sichern Strichen fast überlebensgroß hingemalt, bot sich in ekstatischer Zurückgeworfenheit der umarmenden Wolke, in der sich Kopf und Gestalt des Gottes schattenhaft abzeichneten. Eine göttliche Wollust strömte aus dem Bild. Der Triumph des zeugenden und empfangenden Lebens über Finsternis und Vernichtung!

»Wie das gemalt ist!« sagte Ewald nach einer Pause. »Begreifst du jetzt, daß mir meine eigene Pinselei gerade heute ziemlich kindisch vorkam? Der alte Satz: Wenn zwei dasselbe tun ...! Das ist ein Akt und das ist einer und beide sind sogar nach demselben Modell gemalt, wenn ja auch etwas Zeit dazwischen liegt. Aber der funkelt von Leben, von Blut, von Farbe! Und der hier ist wächsern und käsig und tot! Ein Glaserdiamant neben einem echten! Na! Stellen wir den Schinken mal einstweilen kalt.« Er schob mit einem kräftigen Tritt die Staffelei mit seinem Bild beiseite und trat von neuem vor das Sorgiussche Gemälde.

»Eigentlich eine unvergleichliche Frechheit, die Geschichte dem Correggio sozusagen wörtlich nachzumalen! Und doch! Er hat's gedurft! Kunst kommt von Können. Es ist etwas ganz Neues, etwas ganz Originales daraus geworden. Dies und dies und dies malt ihm kein Heutiger nach. Ich stelle ihn als Fleischmaler dicht neben Rubens.«

Er hatte mit dem Finger auf die verschiedenen besonders gelungenen Partien des Jo-Körpers, Schultern, Brüste und Leib, gedeutet und wandte sich jetzt an Nina, die noch immer in tiefer Versunkenheit vor dem Bilde ihrer Jugend stand.

»Na, du sprichst ja nichts? ... Wie gefällt dir dein Bild von einst?«

Nina war es, als erwache sie aus einem unendlich langen und bunten Traum, über dessen Einzelheiten sie sich aber im Augenblick keine Rechenschaft geben könne.

»Also, das war man einmal?« murmelte sie.

»Ich kann dir das Kompliment machen, daß du es noch bist, auf eine gewisse Weise sogar noch schöner, weil sich die Reife dazu gesellt hat.«

Nina neigte den Kopf. War es nicht noch immer, als träume sie?

»Ich danke dir für das Kompliment. Und für das interessante Geburtstagsgeschenk erst recht. Wirklich eine reizende Überraschung!«

»Das andere kommt morgen zum Tage selbst,« erwiderte Ewald. »Und abends dann unser großes Sommemachtsfest vor der Waldschenke. Ich hoffe, du wirst bei Laune sein.«

»Wie sollte man nicht, wenn der Gebieter so alles tut, um seine Dame in Stimmung zu bringen!«

Sie kreuzte auf orientalische Art die Arme über der Brust und sah gleichzeitig unterwürfig und herausfordernd, wie eine Odaliske vor ihrem Herrn, zu ihm auf, während um ihre Lippen wieder dieses verschleierte Lächeln war. Dann ging sie hinter den japanischen Wandschirm, um sich anzukleiden.


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