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22. Kapitel

Von den gesellschaftlichen Verpflichtungen Schmollers mit unliebsamen Unterbrechungen.

Die Nacht, welche im Begriffe war, unter einem aufs neue umflorten Himmel, im falben Zwielichte, unter dem Schleier dichter Nebel, in den Tag überzugehen, war nicht nur für Erich verhängnisvoll gewesen, sondern hatte auch dem Bombardier Schmoller nicht die erwarteten und gewünschten Rosen gebracht.

Anfänglich allerdings hatte sich der Abend bei ihm fast ebenso vortrefflich angelassen, wenn auch in ganz anderer Art, wie bei Erich, und wenn er auch, statt wie jener offen aufzutreten, von vornherein auf Schleichwegen ging, so wurden diese Schleichwege doch erhellt von einer angenehm brennenden Küchenlampe und er selbst aufs freundlichste geführt durch die gerade nicht zu harte Hand eines weiblichen Wesens, das ihn unter der halbgeöffneten Thür eines nicht unansehnlichen Hauses erwartet und welche ihre Sympathie schon dadurch kundgab, daß beide mit einem gewaltigen Katarrh behaftet schienen; denn wie sie die hellen Knöpfe durch das Dunkel der Nacht blinken sah, hustete sie ziemlich anhaltend und geräuschvoll, worauf er sich so stark räusperte, als habe er die Absicht, einen hartnäckigen Katarrh mit einmal und auf ewige Zeiten zu entfernen. Dann schloß sich die Thür des erwähnten Hauses hinter beiden geräuschlos, und in dem sanft erwärmten Hausgange angekommen, schnüffelte Herr Schmoller behaglich in der Luft, denn seiner liebenden Seele ahnte etwas von Bratenduft und von dem Schmoren süßer Aepfel, wahrscheinlich mit Mandeln und Rosinen, denn das war sein Lieblingsgericht.

Weit entfernt aber sei es von uns, einen so bedeutenden Helden unserer Geschichte in einer ganz gewöhnlichen Küche seinen Aufenthalt nehmen zu sehen, vielmehr führte ihn die nicht allzu harte Hand unter dem Scheine besagter Küchenlampe nach einem allerliebsten Hinterstübchen, das mit dem Reiche, in welchem die Besitzerin der Hand herrschte, nur insoweit in Verbindung stand, als man auch hier den Bratenduft und den der schmorenden Aepfel durch die geöffnete Thür einatmete. Auch war hier ein Tisch aufs beste mit zwei Gedecken belegt, zwischen welchen eine Flasche Wein prangte, sowie eine Schüssel mit süßem Backwerk, um später, wenn alles vorüber, auch daran zu knabbern.

Herr Schmoller that übrigens, wie wenn er verdrießlich wäre. Er hatte seine Augenbrauen herabgezogen und ließ die Unterlippe hängen. »Hol der Teufel den Dienst bei Tag und bei Nacht!« brummte er, seine allerdings sehr beschmutzten Stiefeln betrachtend. »Da sollte man sich doch einbilden, es sei endlich einmal genug, wenn man sich die Finger krumm und lahm geschrieben hat! Nein, da muß ich heute, noch obendrein an einem Feiertage, dazu ausgesucht werden, um einen Arrestanten, einen etwas gefährlichen, verdächtigen Kerl, in Arrest zu schleppen!«

»Du lieber Himmel, dabei hätte dir ja wohl ein Unglück zustoßen können!«

»Jaaa, es ging auch hart daran vorbei, aber unsereins macht nicht viel Federlesens, das weißt du selbst am besten, Lisette; er wollte sich widersetzen, aber eins, zwei, drei da hatte ich ihn schon am Kragen!«

»Laß doch gehen,« bat sie, sich scheinbar sträubend, »ich widersetze mich auch nicht und bin ja kein Arrestant!«

»Nein, aber ich bin der deine, süße Lisette, will mich aber jetzt der unbequemen Embleme meines nächtlichen Dienstes, des Säbels und der dicken Brieftasche, entledigen, um mich alsdann mit aller Freiheit deiner Liebe zu erfreuen.«

»Ich weiß nicht,« fuhr er affektiert seufzend fort, während Lisette die besagten Embleme auf ein Tischchen in der Ecke legte, »wie du es mir angethan hast und wie ich dazu gekommen bin! Eigentlich wollte ich höher hinaus, wenigstens so hoch wie meine Kameraden von der Schreibstube, von denen der eine, der Unteroffizier Block, einer verwitweten Hauptmännin die Cour macht, und der junge Flattich sogar süße Briefe an eine angehende Schauspielerin schreibt. Doch das ist gleichviel ich liebe dich, du liebst mich, und wenn es dir recht ist, so wollen wir jetzt zu Nacht essen. Sind wir auch völlig sicher?«

»So sicher, wie in Abrahams Schoß. Er und sie sind des Besuches wegen, den wir haben, zu einem Thee gegangen, bei welchem getanzt wird. Er wenigstens allein des Besuches wegen, denn er haßt alles das, was er, wie andere ähnliche Dinge, weltliche Vergnügungen nennt. Wäre auch heute noch zu Hause geblieben, wenn sie nicht den Besuch zum Vorwande genommen hätte und kazorisch, wie sie sich auszudrücken pflegt, verlangt ...«

»Du wolltest wohl kategorisch sagen?«

»Wieder einmal zu tanzen oder wenigstens dem Tanze zuzusehen. Man hat ja doch in diesem Hause nicht die mindeste Unterhaltung, sagte sie,« fuhr Lisette fort, indem sie sich bemühte, die Redeweise und Kopfhaltung ihrer Gebieterin nachzuahmen »man lebt ja doch bei dir wie in einem Kloster, und wenn ich das gewußt hätte, so wäre ich allbereits viel lieber in ein wirkliches Kloster gegangen, wenn das möglich gewesen wäre!«

»Also gibt es auch häusliche Scenen bei solch einem frommen Manne?« sagte der Bombardier kopfschüttelnd, indem er sich ein großes Glas Wein eingoß. »Wenn man dergleichen erfährt, sollte man das Heiraten abschwören.«

»Sie ist die Schuld, wahrhaftig, sie ist allein die Schuld, und was ich mit dieser Frau auszustehen habe, davon kannst du dir gar keinen Begriff machen sie mißgönnt mir alles!«

»Erzähle mir das ausführlich, nachdem du den Braten hereingebracht hast.«

Dies war so rasch geschehen, daß Lisette schon in der nächsten Minute fortfuhr, während Herr Schmoller ihr mit kauenden Backen zuhörte.

»Alles mißgönnt sie mir; zum Beispiel, daß ich gut aussehe.«

»So ist sie selber häßlich?«

»Das kann man gerade nicht sagen; nur ist sie für eine junge Frau ein wenig zu stark.«

»Das würde ich gerade nicht hassen.«

»Während ich sehr viel auf eine schlanke Taille halte. Merke dir das, Schmoller.«

»Gewiß, meine Liebe, ich will das bei keiner Gelegenheit vergessen.«

»Sie mißgönnt mir auch, daß ich heiter und lustig bin und zuweilen singe, während sie den ganzen Tag, besonders wenn er da ist, aussieht, als wollte sie alles um sich herum beißen; auch mißgönnt sie mir meine Bekanntschaft mit dir.«

»Was ich allenfalls begreiflich finde, wenn sie mich nämlich einmal gesehen.«

»Ja, neulich, als wir vor dem Spezereiladen beisammen standen, sagte sie: Lisette, Lisette, nimm dich vor dem Militär in acht!«

»Die Frau muß in der That einen neidischen Charakter haben. Du hast ihr aber doch wohl geantwortet, daß ich nicht eine so gewöhnliche Küchen- oder Brunnenbekanntschaft bin!«

»Gewiß habe ich ihr das gesagt; auch wäre wohl Aussicht vorhanden, daß wir uns später heiraten könnten.«

Dem Bombardier Schmoller mußte in diesem Augenblicke einer der geschmorten Aepfel im Halse stecken geblieben sein, denn er hustete so lange und anhaltend, daß es begreiflich war, er habe vergessen, was sie vorhin gesagt, denn er gab erst nach einer langen Pause zur Antwort: »Die Aepfel weißt du wirklich auf eine ganz famose Art zuzubereiten!«

»Und nicht wahr, Schmoller,« fuhr sie fort, wobei sie ihren hübschen, runden Arm auf seine Schulter legte, »du hast redliche Absichten mit mir?«

»Das will ich meinen! Sehe ich wie jemand aus, der unredliche Absichten hat?« Da er bei diesen Worten mit vollen Backen kaute, so gab er allerdings ein gemütliches Bild der Häuslichkeit und des guten Appetits, dem man es durchaus nicht ansah, daß er erst vor einer Stunde eine tüchtige Portion Sauerkraut und Kartoffeln verschlungen würdevolle Eigenschaft eines Bombardiermagens sagte aber erst nach dem Hinunterschlucken eines außerordentlich großen Stückes des wirklich vortrefflichen Kalbsbratens: »Du mußt mich nur nicht verwechseln, liebe Lisette, mit einem so gewöhnlichen Menschen aus der Kaserne, so einem, der den Dienst bei der Batterie thut; der hat allerdings ebenfalls

Tressen am Aermel, aber es ist rohes, gewaltthätiges, ungebildetes Volk. Wir dagegen von der Schreiberei, wir kalkulieren, wir concipieren, wir kollationieren, wir repetieren alles verwickelte, wichtige Geschäfte, die uns aber gewissermaßen einen feinen Schliff geben; auch treiben wir Litteratur, lesen Bücher in fremden Sprachen, und durch alles das habe ich mir den Grundsatz eines berühmten indischen Weisen zur Richtschnur meines Lebens gemacht.« Er stopfte sich nach diesen Worten beide Backen voll Zuckerwerk, und nachdem er dies vermittelst eines vollen Glases Rotweins hinabgespült, sagte er mit großer Wichtigkeit: »Der Wahrspruch dieses berühmten indischen Weisen heißt: ,Thue, was du willst, es wird dich gereuen! Hast du mich vollkommen verstanden, Lisette?«

»Nicht so ganz, aber das kann ich dir versichern, Schmoller,« setzte sie mit einem herzlich bittenden Tone hinzu, »du wirst es gewiß niemals bereuen!«

»Das habe ich auch bis jetzt nicht gethan und fühle mich in der That wohl dabei.«

Daß dies die Wahrheit war, sah man an seinem vergnüglich lächelnden Gesichte und hörte es auch an dem behaglichen Schmatzen seiner fettigen Lippen, wobei er die Weinflasche prüfend gegen die gewisse Küchenlampe hielt und dann mit einem zärtlichen Augenaufschlage sagte: »Es ist ein durstiges Jahr, Lisette, und so jung und vergnügt wie heute sitzen wir so bald nicht wieder bei einander Apropos, wenn du deine andere Flasche herbeischaffst, wirst du wohl nichts dagegen haben, wenn ich mir eine Cigarre anzünde?«

»Meinetwegen, bis sie nach Hause zurückkehren, kann ich schon wieder auslüften, auch könnten wir hier das Fenster im Stübchen ein wenig offen stehen lassen.«

»Thu das immerhin,« bemerkte Herr Schmoller mit einem vorsichtigen Blicke nach der Küchenthür, zu welcher er hereingekommen. »Es ist für alle Fälle gut, wenn man sich eine Rückzugslinie offen hält; es ist das, was wir wissenschaftlich gebildeten Soldaten Strategie nennen, und diese Strategie befiehlt mir, mich umzuschauen, wohin dieses Fenster in nächster Nähe und dann folgerichtig weiter führt.«

»In nächster Nähe führt es dich auf unseren kleinen Hof, wenn du hinausgesprungen bist,« sagte Lisette lachend, »und am Ende dieses Hofes befindet sich eine Thür, welche diesseitig mit einem Riegel verschlossen ist und von wo du auf den Kirchenplatz von St. Ursula gelangst. Sei aber unbesorgt, du wirst später zur selben Thür hinausgehen können, wo du auch hereingekommen bist; so eine Tanzpartie dauert bis Mitternacht, und außerdem wird gegessen, wie auf den Einladungskarten steht.«

»Du wirst mir hoffentlich keine Furcht zuschreiben,« erwiderte Herr Schmoller mit hoch emporgehobenen Augenbrauen »ich bin Marcel, wie er in der Oper heißt Furcht, möchte wissen, vor wem pah!« Er nahm bei diesen Worten seine Cigarrendose, aus einem alten, zerknitterten Zeitungspapier bestehend, aus der Tasche seines Waffenrockes, und während Lisette nach dem Keller ging, zündete er seine Cigarre mit einem Stücke des eben genannten Etuis an; dann streckte er die Beine lang von sich, legte die Fäuste breit auf den Tisch und trommelte, höchst behaglich ausschauend, einen Siegesmarsch.

Es war aber auch ein allerliebster Aufenthalt, dieses Küchenstübchen, ebenso sauber und nett als die Beherrscherin desselben, heute sanft durchwärmt, sanft durchduftet und so heimlich und verborgen gelegen! Hatte doch sogar das kleine Fenster, welches in den Hof ging, einen dichten, grünen, baumwollenen Vorhang!

Doch horch, was war das? Klang es nicht wie ein Geräusch an der Hausthür? War es nicht geradeso, als werde dort leise und vorsichtig ein Schlüssel eingesteckt? »Vielleicht Räuber und Mörder?« dachte Schmoller, wobei er sich mit einem etwas verstörten Gesichte langsam aus seiner behaglichen Stellung erhob, die Hände auf den Tisch gestützt, lauschend nach der Küchenthür blickend.

Ja, man machte den Versuch, das Haus zu öffnen, und als Lisette soeben mit der zweiten Flasche auf der Kellertreppe erschien, lenkte Herr Schmoller ihre Aufmerksamkeit durch hastige, verständliche Pantomimen auf das Geräusch, welches er eben gehört und welches auch sie jetzt zu hören schien; doch winkte sie beruhigend mit der Hand, setzte aber die Flasche rasch nieder und flüsterte ihm zu, während sie die Küchenlampe ergriff, um draußen nachzusehen: »Es kann der Junge mit der Zeitung sein, er kommt oft so spät jedenfalls war ich so vorsichtig, die Kette vor die Hausthür zu legen. Sollte aber ... was aber unglaublich ist so werde ich laut genug werden.«

»Ei,« dachte Herr Schmoller, als er nun allein in dem jetzt dunkeln Hinterstübchen stand, »es kann allerdings der Zeitungsjunge sein, doch hat dieses Wörtchen einen verflucht weiten Begriff. Schöpfen wir indessen ein wenig frische Luft.«

Schmoller ergriff vorsorglich seine Mütze, die er neben sich auf den Tisch gelegt hatte, und schlich sich nach dem Fenster hin, dessen Flügel er langsam aufzog und in den kleinen Hof hinausblickte, während er angstvoll gegen die Hausthür lauschte.

Und seine Angst war nicht ohne Grund, denn er hörte jetzt Lisette sehr laut und verwunderungsvoll ausrufen:

»Ach, Madame, wie Sie mich erschrecken, daß Sie so früh heimkommen! Ist denn etwas vorgefallen?«

Die Antwort verstand Herr Schmoller allerdings nicht, denn er hatte sich eilig auf das Fensterbrett geschwungen und hörte nur noch, wie Lisette jetzt ausrief:

»Das Fräulein Bertha ist krank geworden? Lieber Himmel, da will ich Ihnen nur rasch hinauf leuchten, Madame, und sogleich einen Thee kochen!«

Worauf eine andere Stimme in ärgerlichem Tone sagte: »Ja, leuchte nur hinauf, ich will schon selbst in die Küche gehen!«

Rasche Schritte näherten sich, während Herr Schmoller mit Anwendung der praktischen Strategie in den Hof hinabflog. Im gleichen Augenblicke aber fühlte er sich festgehalten, und war schon im Begriffe, einen Schrei des Mutes auszustoßen, als er durch ein Krachen hinter sich sowie durch ein plötzliches Loslassen dieser Mühe überhoben wurde, aber auch zugleich der Mühe, unverletzte Beinkleider nach Hause zu tragen, da ein tückischer eiserner Fleischhaken, der unterhalb des Fensters hing, dieselben gefaßt und so schonungslos zerrissen hatte, daß er nur den kalten Einflüssen der Nacht dadurch zu trotzen imstande war, daß er mit der linken Hand die klaffende Tuchwunde zusammenhielt, während er mit der einigermaßen zitternden Rechten die kleine Hofthür suchte, fand und öffnete und sich nach wenigen Minuten, sicher vor allen Nachstellungen, auf dem Kirchenplatze von St. Ursula befand. Hier aber, anstatt eilig davonzulaufen, wie es in seiner Absicht gelegen, blieb er plötzlich stehen, schlug sich mit der Hand vor die Stirn und sprach ingrimmig:

»Da stehe ich allerdings auf dem Platze der heiligen Ursula, aber wenn sie selbst käme mit allen ihren elftausend Jungfrauen, sie könnte mir doch nicht helfen, denn ich Esel habe meinen Säbel und meine Brieftasche liegen lassen da wollte ich doch gleich, daß ein Sternkreuztausendschockdonnerwetter drein schlüge! Kann man solches Pech haben! Und verletzt bin ich auch!« rief er nach einer Pause im Tone des höchsten Schreckens; es brennt mich da hinten ganz teufelsmäßig, ja, es ist richtig ich blute.«

»Und doch bei allem Unglücke,« sagte er nach einer sorgfältigen Visitation, »ein eigentlich unverdientes Glück. Ich schaudere, wenn ich daran denke, was mir hätte geschehen können, wenn ich tiefer in diesen verfluchten Fleischhaken hineingesprungen wäre; das soll mir eine Lehre sein wahrhaftig, ich schaudere!«

Was war nun weiter zu thun? In den Hof zurückkehren und den Versuch machen, Lisette zu sprechen, um seinen Säbel und seine Brieftasche wieder zu erlangen, wäre Vermessenheit gewesen, denn als er sich leise der Thür in der Hofmauer näherte und dort lauschte, vernahm er ziemlich laute Stimmen, die in einer nichts weniger als freundschaftlichen Unterhaltung begriffen schienen. Er mußte die Embleme seines Standes, er mußte seine Liebe im Stiche lassen, und wer ihn so hätte dahinwandeln sehen im langsamsten Schritte, der Kaserne zu, mit der linken Hand die gefährliche Blöße deckend, die Rechte geballt und sie zuweilen in zornigem Selbstgespräche in die Höhe hebend, der hätte nicht geglaubt, daß es derselbe Bombardier Schmoller wäre, der vor einer Stunde siegesbewußt dahingezogen war, um seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Und wohin sollte er sich wenden bei dieser herbstlich rauhen Nacht? Fürchtete er sich doch vor seiner Stube, da er überzeugt war, der Unteroffizier Block habe noch Licht und freue sich jetzt schon darauf, den spät nach Hause Kommenden zu hänseln; auch war es ihm leibhaftig, als sehe er schon das dumm lachende Gesicht des jungen Flattich vor sich und höre dessen unpassende Bemerkungen von gemeinen Liebschaften und dergleichen.

Eine glückliche Idee schien es ihm deshalb, auf die Kasernenwachtstube zu gehen, um sich dort mit Erich, der ja eigentlich daran schuld war, über das Weitere zu benehmen, sowie auch diesem jungen, leichtsinnigen Menschen sehr eindringliche und sehr gerechte Vorwürfe zu machen.

Bald hatte er denn auch die Dominikanerkaserne erreicht und sah das Licht aus dem Fenster der Wachtstube schimmern. Der Posten vor dem Gewehr machte ihm als Bombardier und Schreiber auf der Brigadeschule keine Schwierigkeiten, und so trat er zuerst an das Fenster der Wachtstube, um vorher das Terrain zu rekognoszieren, beständig mit vorgehaltener linker Hand und fortwährend darüber innerlich polternd und fluchend.

Da saß der wachthabende Bombardier Hellwig und las in einem Buche, da lagen die beiden Kanoniere auf der Pritsche, aber von Erich war keine Spur zu sehen.

»Sonderbar, wo mag sich dieser Kerl herumtreiben? Hat vielleicht den Leichtsinn soweit getrieben, ist auf seine Stube gegangen und in sein Bett gekrochen; dann sollte ihn aber gleich ein siedendes Donnerwetter na, davon muh ich mich überzeugen!« Er öffnete geräuschvoll die Thür der Wachtstube und sagte, ohne einzutreten, zu dem erstaunt aufblickenden Kommandierenden: »Du, Hellwig, war niemand da, der nach mir gefragt hat?«

»Keine Seele.«

»Auch nicht der Kanonier Freiberg?«

»Dummer Kerl,« war die Antwort, »mir scheint, du hast einmal wieder gehörig getrunken! Ist der Freiberg nicht von dir selber in Arrest gebracht worden? Geh in dein Bett und schlaf deinen Rausch aus!«

Schmoller war in der heutigen Nacht so gedemütigt, ja, so zerknirscht, daß er ruhig zur Antwort gab: »Ja, darin hast du eigentlich recht, ich will auf mein Zimmer gehen.«

Auch zog er die Thür wieder sanft ins Schloß, ging aber nicht auf sein Zimmer, sondern schlug sich ingrimmig die beiden Fäuste vor die Stirn, auf die Gefahr hin, sich zu erkälten, und dann rannte er wieder zum Kasernenthor hinaus auf die finstere Straße, wo er zornig auf und ab lief mit dem Gefühle eines jungen Kettenhundes, dem man den Schwanz abgehackt.

»Nein, diese Lehre, diese Lehre! Aehnliches soll mir noch einmal geschehen! Da renn' ich herum in der kalten Nacht, wie ein besoffenes Rindvieh, und könnte in meinem warmen Bette liegen; und mein Säbel und meine Brieftasche, letztere mit Papieren, die eigentlich niemand lesen sollte, o, oo! Und meine neue Hose, die mich drei Thaler und zwanzig Silbergroschen kostet, das heißt, wenn sie einmal bezahlt sein wird! Auch das noch, und wo sich dieser unverantwortliche Kerl herumtreibt! In seinem Zimmer ist er nicht, dazu ist er zu ehrlich, denn wenn er heimgekommen wäre, so würde er auf die Wachtstube gegangen sein, wie er mir versprochen. Kommt da nicht etwas? Nein, es ist nur so ein verfluchter Nachtwächter!«

Zwanzigmal war er im Begriffe, auf sein Zimmer zu gehen, und zwanzigmal hielt ihn die Furcht und Scham davon ab. Auch nahm er sich ebenso oft fest vor, allen taufend Teufeln zu trotzen, auch dem Block und dem Flattich, ja, ins Zimmer hineinzutreten und, um sie auf einmal ins klare zu setzen, keck und frei ihnen den verletzten Teil seines Anzuges zu präsentieren; aber er trotzte nicht, er schäumte nur ein wenig, fluchte in sich hinein, lief jedesmal eine Weile wie toll hin und her, um darauf eine andere Weile vergeblich in die finstere Straße zu stieren.

Die Uhren schlugen Viertel, Halbe und Ganze, und das häufig in dieser richtigen Reihenfolge, worauf denn endlich die Zeit erschien, in welcher Erich daherkam mit ähnlichen, aber doch ganz anderen Gefühlen, als denen, mit welchen ihn sein Freund erwartete, schaudernd, entsetzt, aufs fürchterlichste erregt.

Daher mochte es denn auch wohl kommen, daß die ganze Flut von Vorwürfen und Verwünschungen, welche Herr Bombardier Schmoller über sein Haupt ausschüttete, an ihm spurlos vorüberging an ihm herabfiel, wie Schmoller wütend, aber sehr treffend sagte, »gleich dem Regen am Felle des Hundes. Schäme dich, Kerl, noch so jung und schon so verdorben.«

»Aber was ist dir denn geschehen?«

»Mir? Da, schau her, Kerl, was mir geschehen ist, und alles durch deine Schuld! Und meinen Säbel habe ich verloren, auch die Brieftasche mit meinem ersparten Vermögen, und renne hier nun schon drei geschlagene Stunden herum, um auf einen Kerl, wie du bist, zu warten! Ist das nicht schmählich, unverantwortlich?«

»Und an allem dem bin ich schuld?«

»Du und kein anderer, denn wenn dich der heilige Augustin um acht Uhr behalten hätte, so wäre ich früher imstande gewesen, meinem dringenden Geschäfte nachzugehen und wäre alsdann nicht und wäre nicht so kurz, ich wäre nicht so, wie ich wäre, und läge jetzt beruhigt in meinem Bette. Nein, ich kann dir versichern, Freiberg, ich bin ein guter Kerl, aber wenn man mir so ans Leben geht, so werde ich rabiat und bin ganz des Teufels!«

»Dadurch erfahre ich aber nicht im geringsten, was dir begegnet ist!«

»Soll ich vielleicht hier in der finsteren Nacht auf der kalten Straße auskramen?«

»Gut denn, gehen wir in die Wachtstube, mich friert's ebenfalls.«

»Soll ich vielleicht bei dem langweiligen Hellwig meine Blöße aufdecken?«

»So wollen wir denn in des Himmels Namen auf deine Stube gehen; Block und Flattich sind gute Kameraden und werden uns nicht verraten.«

»Verraten allerdings nicht, aber du weißt, ich bin sehr empfindlich, ich hasse alle Sticheleien, worin besonders der naseweise Flattich sehr stark ist. Aber im Grunde hast du recht, ich bin so durchfroren, daß alle Pfeile des Spottes von mir abprallen müssen, und wenn sie es zu arg machen, so präsentiere ich ihnen eine Scheibe, mit der sie zufrieden sein sollen!«

Damit traten sie in den Kasernenhof zurück, drückten sich an dem Wachtposten so gut als möglich vorbei, tappten sich dann über die finsteren Treppen und den langen, dunklen Korridor, wo alle Lampen längst erloschen waren, bis zur Stube Schmollers, welche dieser alsdann so leise als möglich öffnete.

Wie behaglich schlug ihnen hier der angenehme, warme Dunst entgegen, wobei das sanfte Schnarchen der drei Bewohner etwas Nervenberuhigendes hatte.

»Wenn sich die Kerle nur nicht verstellen!« flüsterte Schmoller, indem er, in die Luft schnüffelnd, hinzusetzte: »Es ist gerade, als hätten sie eben erst ihre übelriechende Talgkerze ausgeblasen; nun, meinetwegen, sie sollen mich kennen lernen. Komm ganz leise, hier sind wir an meinem Bette, mich fröstelt wie einen Hund. Verflucht, das Ausziehen macht mir keine Mühe, ich könnte mit beiden Beinen hinten 'raus, und es war meine neue Hose! So, jetzt will ich zuerst hinein, warte einen Augenblick, bis ich liege. Himmelsternsakerment, was ist denn das? O o oh, wollt ihr Käme...«

Doch weiter vernahm man nichts mehr von seinen Worten, weil alles übrige von einem furchtbaren Gepolter verschlungen wurde; es krachte und rutschte, es schlug dumpf auf dem Boden auf, dann klirrte es, wie von einer zerbrochenen Waschschüssel, und zwischen Kichern und Lachen aus den anderen Betten heraus vernahm man die ruhige Stimme des Unteroffiziers Block, welche sagte:

»Höre, Schmoller, alles hat seine Zeit, du hättest dein Manoeuvre de force bis morgen aufsparen können; halte dich ruhig Kamel, wir wollen schlafen!«


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