Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Kapitel

Der Held unserer Geschichte thut die ersten Schritte zum Eintritte in eine neue Laufbahn.

Die blaue Stube war eine recht hübsche Stube, und Erich lag behaglich in seinem warmen Bette; so gut hatte er es lange nicht gehabt, eigentlich nie. Und wenn er dabei an die Worte des alten Doktor Burbus dachte, so drückte er sein Gesicht mit einem seligen Gefühle in die Kissen. Dazu rauschten die Wasser des Mühlwehrs und erzählten so geheimnisvolle Dinge, denen die aufgeregten Sinne des jungen Menschen Farbe und Gestalt gaben. Auch vernahm er fort und fort das Drehen der schweren Mühlräder – denn die Werke gingen jetzt, vor Eintritt des Winters, beinahe unausgesetzt Tag und Nacht fort, um die großen Getreidevorräte bewältigen zu können – gleichförmig und einförmig, wie ein altes Wiegenlied, und dazu zitterte der Fußboden des kleinen Gemaches in so eigentümlicher Weise.

Kein Wunder, daß er trotz der bunten Bilder alles dessen, was er heute erlebt hatte, bald in einen festen Schlaf verfiel und ebenfalls kein Wunder, daß er in diesem Schlafe Dinge träumte, die auch nicht im entferntesten Zusammenhange mit den Erlebnissen des heutigen Tages standen, wohl aber mit seiner Umgebung und dem, was ihm der Doktor von dem willkürlichen Laufe des Lebensstromes erzählt hatte; denn er hatte gewaltig viel mit stürzenden Wassern und milden Fluten zu thun, die er kämpfend durchschritt, in denselben schwer atmend, untersinkend, dann sich immer wieder empor arbeitend an die Oberfläche des wild bewegten Wassers und hinauf in das rosige Licht. Es waren ihm von den tollen, unbestimmten Gebilden keine Einzelheiten im Gedächtnis geblieben, nur des Endes seines Traumes erinnerte er sich noch nach Jahren mit großer Deutlichkeit: da ruhte er in einer behaglichen Ermüdung mit geschlossenen Augen in einem leise schaukelnden Nachen, und ein leichter Wind trieb ihn über die weite, leuchtende Fläche eines Sees. Auf einmal vernahm er auf allen Seiten ein seltsames Flüstern und Klingen, wie der Ton von Aeolsharfen oder wie das melodische Aneinanderschleifen schlanker Wasserbinsen, die vom Windhauche hin und her bewegt werden – dann stieß der Nachen ans Ufer, und trotz seiner geschlossenen Augenlider sah er das ernste, bleiche Gesicht der kleinen Blanda, sich über ihn beugend – aber nur im Traume – denn jetzt erwachte er in Wirklichkeit, um zu bemerken, daß er sich in seinem Bette befand, in der blauen Stube im Hause des Müllers Burbus, und daß das helle Tageslicht durch die Fenster hereinschien.

Nach dem Frühstücke wurde er von dem Müller selbst zu dem verwundeten Offizier gefühlt, der in einem langen grünen Schlafrocke, eine Cigarre im Munde, mißmutig auf und ab ging. Er betrachtete einen Augenblick schweigend, mit finsterem Stirnrunzeln den jungen Menschen; dann sagte er: »Na, das sieht anständiger aus, als ich mir unter einem Schullehreramtskandidaten gedacht: hat auch frische Augen im Kopfe und stramme Glieder am Leibe. Wie alt?«

»Sechzehn Jahre, Herr Premierlieutenant.«

»Ihr Vater war Artillerieunteroffizier?«

»Zu befehlen, Herr Premierlieutenant; Joachim Freiberg, bei der vierten Batterie siebenter Brigade, Herr Hauptmann Heinzelmann.«

»Ich habe ihn gekannt, er ist mit Pension abgegangen. Und Sie wollen Soldat werden, vielleicht Offizier, und wissen nichts Gescheiteres mit Ihrem jungen Leben anzufangen?«

»Schon mein Vater hatte den dringenden Wunsch, daß ich Soldat werden solle, und zwar bei der Artillerie, und auch ich habe dazu von jeher die lebhafteste Neigung empfunden.«

»Wie viele junge Leute haben das nicht!« erwiderte der Artillerieoffizier achselzuckend; »ja, eine Uniform sieht gut aus, das glänzt, strahlt, rasselt und klirrt, und in den Büchern wird viel gelogen von dem lustigen, glücklichen, ungebundenen Soldatenleben. Na, was die Lustigkeit anbelangt, die wird Ihnen schon vergehen, nachdem Sie einmal ein halbes Jahr Kommißbrot gegessen; das Glück betreffend, so schauen Sie mich an, einen vierzigjährigen Premierlieutenant, der noch wenigstens acht Jahre zum Hauptmanne hat, und jetzt, nach fünfundzwanzigjähriger Dienstzeit, vielleicht die Aussicht,« fuhr er unmutig fort, indem er seinen verwundeten Arm etwas in die Höhe hob, »mit zehn Thaler monatlicher Pension in den Ruhestand versetzt zu werden. Und nun gar das ungebundene Leben, das ist das sauerste Kapitel, und ich möchte wissen, woher die Ungebundenheit kommen sollte, wenn man der leibeigene Knecht von hundert Herren ist! Was so bei euch jungen Leuten für Ungebundenheit aussieht, das rangiert neben den unmutigen und widerspenstigen Bewegungen des jungen, frischen, eingefangenen Stieres, der sich eine Erleichterung zu verschaffen sucht, indem er sich trotzig gegen das Joch stemmt, das man ihm auferlegt. – Doch lassen wir es mit dieser Jeremiade genug sein, denn eine ähnliche hat bei mir nichts genutzt und wird bei Ihnen ebensowenig nutzen wie bei Tausenden Ihrer glückseligen Nachfolger. Gehen wir deshalb darüber hinweg und thun wir unserem freundlichen Hauswirte den Gefallen, ein bißchen nachzusehen, wie es mit Ihrem Wissen aussieht.«

Das Resultat dieses ziemlich genauen Examens war nun kein allzu schlimmes, aber noch viel weniger ein allzu gutes.

»Es könnte schon mit der Aufnahme gehen,« sagte später der Premierlieutenant zu Burbus, »wenn sie es mit der edlen Rechenkunst, in welcher der junge Mensch allerdings mangelhaft beschlagen ist, nicht zu genau nehmen. Haben Sie Bekannte?«

»Nein, Herr Premierlieutenant; ich wüßte keine lebendige Seele, die Ursache hätte, sich meiner anzunehmen.«

»Das hat auch sein Gutes, denn wenn einer anfänglich so durch Protektion fortgeschubt wird, so lernt er selten oder nie auf eigenen Füßen stehen. Etwas Vermögen?«

»Noch weniger.« »Dann muß es verflucht wenig sein! Das ist schon schlimmer, und weiß ich nicht, ob es sich ohne alle Zulage auf der Schule thun wird. Sie haben allerdings Ihre einfache Löhnung, auch Brot und dergleichen; aber es gibt auch noch andere Bedürfnisse für junge Leute Ihres Alters, für die gesorgt sein muß, oder man fängt mit Schulden an, was in jeder Carriere schlimm ist, für einen Offizier geradezu trostlos.«

»Nun, vielleicht ließe sich doch für ein erstes etwas Weniges zusammenbringen,« meinte der alte Müller gutmütig. »Sie sprachen mir doch von einer kleinen Verlassenschaft Ihres Vaters.«

»Aber so klein,« erwiderte Erich achselzuckend, »daß wohl davon nichts mehr übrig sein wird, sobald ich die Reise nach meinem neuen Bestimmungsorte gemacht habe.«

»Nun, das wird sich allenfalls finden,« sagte Burbus und setzte hinzu, indem er sein Gesicht stark gegen den Offizier wandte: »Vielleicht daß man dem Sohne eines braven, langgedienten Unteroffiziers eine kleine Zulage gibt.«

Der Premierlieutenant wollte das ganz entschieden verneinen, doch verstand er noch zur rechten Zeit eine Grimasse, die der alte Müller schnitt, und sagte deshalb einlenkend: »Es ist das wohl nicht so leicht, als man denkt, aber unmöglich auch gerade nicht; man muß das Beste hoffen.«

Erich schrieb über seinen neuen Plan an seinen alten Freund, Herrn Schmelzer, und als recht bald eine Antwort desselben einlief, scheute er sich fast, den Brief zu erbrechen, denn ihm ahnte der Inhalt.

»Leider, daß es so gekommen ist,« schrieb denn auch der Schullehrer, »und wenn wir auch von allen Anschuldigungen des Herrn Pfarrers Wendler neunundneunzig Prozent abstreichen wollen, so bleibt doch immer noch so viel übrig, daß ich es unserem Pfarrer nicht übelnehmen konnte, daß er beim Durchlesen der Epistel förmlich seine Hände in Unschuld wusch und mich mit der Frage anging: ob ich auch jetzt noch geneigt sei, Häuser auf Dein Wohlverhalten zu bauen. Es ist nun allerdings stark, wenn man, anstatt die Kinder etwas Gutes zu lehren, Exerzierübungen mit ihnen treibt, was aber leider bei Dir im Blute steckt; daß man ferner die freundliche Aufnahme in einem höchst anständigen Hause, wie das des Herrn Pfarrers Wendler sein muß, mit Undank belohnt; daß man ferner einem neu einziehenden Schulmeister unziemliche Dinge über die Familie seines Seelsorgers und kirchlichen Vorgesetzten mitteilt; daß man nach erhaltenem Abschiede, statt reumütig um fernere Protektionen zu bitten, dem Soldatenspektakel nachläuft und schließlich mit den liederlichen Weibsbildern einer Zigeunerbande umhertreibt: das ist, wie gesagt, allerdings ein wenig zu stark, und wäre es Vermessenheit, ferner um eine ähnliche Stelle für Dich anzuhalten. Schade um die edle Musika, die unter den Trümmern und dem Schutte eines solchen Lebenswandels gewiß für immer und ewig tief begraben bleiben wird! Was kann ich sonst noch für Dich thun? Ich weiß es in der That nicht und halte es jetzt selbst für das beste, wenn Du den Versuch machst, irgendwo beim Militär anzukommen, zu welchem Zwecke ich Dir einliegend ein Taufzeugnis, Impfschein und Dein Konfirmationsattest beifüge. Solltest Du mir aus Deiner neuen Carriere Erfreuliches zu melden haben, so wird demselben allezeit ein freundliches Ohr leihen

Dein ehemaliger Lehrer Lorenz Schmelzer.«

Erich zeigte diesen Brief dem alten Müller, der ihm sagte: »Sehen Sie, das ist auch wieder eine solche Felsenecke, die Ihren. Lebenslauf aus der vorgezeichneten Bahn ablenkt; deshalb aber brauchen Sie nicht den Mut zu verlieren und den Kopf sinken zu lassen. Glauben Sie, hoffnungsvoller Zigeunerbeschützer, es wäre eigentlich langweilig, wenn sich unser Leben glatt abwickeln würde wie ein gut gedrehtes Garnknäuel; die Lasten, die der Magnet tragen muß, stärken seine Kraft, und nur die Berührung mit dem harten Schleifsteine schärft den Stahl. Ich habe alles das erfahren, ja, und noch Schlimmeres, und wer weiß, ob der Rest meines Lebens so sanft verfließen wird, wie es allerdings den Anschein hat, ob mein Dasein nicht noch kümmerlich versanden muß oder jämmerlich zerschellen an einem noch ungeahnten Felsensturze«

Der Premierlieutenant, dessen Heilung erfreuliche Fortschritte machte, hatte es gern, wenn Erich ihn besuchte, mit ihm über dies und das plauderte oder ihm aus den Zeitungen oder auch aus Büchern vorlas. Er war ein ernster, schweigsamer Mann, an dem bittere Lebenserfahrungen stark gerüttelt hatten; doch liebte er es nicht, darüber zu reden, auch nicht über seine Militärcarriere und ebensowenig über die Zukunft des jungen Mannes, den er nicht ungern zu haben schien. Im geheimen aber hatte er an einen Freund geschrieben, der Lehrer an der Brigadeschule war und Erich von Nutzen sein konnte, hatte ihm die Verhältnisse desselben auseinandergesetzt, auch etwa den Grad von dessen Wissen angegeben, und legte nach wenigen Tagen ein nicht ungünstiges Resultat dieses Briefwechsels Erich vor, welcher daraus zu seiner großen Freude ersah, daß seine Aufnahme dort sich günstiger zu gestalten schien, als er in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt. »Mein lieber Freund!« schrieb der Oberfeuerwerker Doll an den Premierlieutenant Schramm. »Mit großem Leidwesen die Nachricht von Deiner Verwundung erhalten, wogegen mich sehr freue, daß Du Dich in so guter Pflege befindest. Kann Dir von meinem kärglichen Befinden, Gott sei Dank, nur das Beste mitteilen, beneide Dich aber trotz alledem um Deinen Aufenthalt, wie Du ihn mir geschildert – Waldeinsamkeit, herbstlich gefärbte Bäume, munter fließende Wasser und dergleichen. Sehne mich sehr nach Ähnlichem, um meinen Geist ein bißchen aufzufrischen und ihn gewaltsam hinauszuwerfen aus der geraden Linie, aus den stumpfen und spitzen Winkeln, aus den Halbkreisen und Spiralen, ja aus dem ganzen mathematischen Wirrwarr, in welchem ich ohne Erbarmen immer tiefer untergehe. Nächstens ist alles in dieser an sich so schönen Welt für mich nur noch da, um es zu vergleichen und zu berechnen, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn man einmal bei der Sektion meines Schädels sämtliche Bossen des Gehirns zu lauter gleichseitigen Dreiecken ausgebildet fände. Was nun den jungen Menschen betrifft, von dem Du schreibst, so laß ihn nur kommen; Du schilderst ihn als eine frische Natürlichkeit, als ein offenes, gesundes, ehrliches Wesen, und das thut gut bei all dem Grobzeug, was sich zur Aufnahmeprüfung meldet, allerdings häufig vortreffliche Schulkenntnisse mitbringt, dagegen so wenig körperliche Anlagen zum Artilleristen hat als der Esel zum Lautenschlagen. Als Sohn eines ehemaligen brauen Unteroffiziers wird man ihm seine Aufnahme erleichtern, und was seine mangelhaften mathematischen Kenntnisse anbelangt, so bin ich der Mann dazu, ihm seinen Kopf in dieser Hinsicht zurecht zu stutzen. Glücklicherweise ist die Aufnahmeprüfung wegen baulicher Veränderungen in der Schule um vier Wochen hinausgeschoben worden; doch muß er spätestens bis 25. Oktober einrücken.«

Erich fühlte sich jetzt viel glücklicher als damals, wo ihm durch sein Orgelspiel vor dem Pfarrer der Weg zur Schulamtskandidatur geebnet worden war. Ja, er fühlte sich wieder froh und frei wie in den Tagen seiner Jugend, wo er mehr draußen im Walde gewesen war als zu Hause in der engen Stube. Die ersten Tage, welche er auf der Mühle zubrachte, hatte er wenig Lust gezeigt, draußen mit Gottfried oder Friedrich umherzuschweifen, sondern viel lieber war er bei Johann gewesen, hatte dem emsigen Schaffen des Mühlwerks zugeschaut, und das gleichförmige Rauschen und Klappern der Räder, das Zittern des ganzen Werkes hatte für ihn etwas Sympathisches gehabt, und konnte er dabei besser träumen von der doch noch glücklichen Zukunft. Jetzt aber, wo sich so mit einemmal der Horizont derselben aufzuklären schien, da wunderte er sich fast, daß er lieber zwischen den Mauern des Hauses gesessen, als sich draußen bewegt hatte in der schönen Natur, die sich noch einmal aufs festlichste geschmückt zeigte, ehe sie an der Hand des Winters im Witwenschleier erschien, trauernd um den dahingegangenen frischrüstigen Herbst, oder um als Nonne im grauen oder weißen Bußkleide das Ableben des alten Jahres zu erwarten. Und welch prächtige Tage hatte man – wie frisch und erquickend morgens und abends, wie angenehm warm um die Mittagszeit, eine echte Nachsommerzeit mit all ihren Reizen, allerdings eine reife Schönheit, aber eine dankbare, fruchtspendende! Wie wohlig schwammen die weißen Sonnenfäden daher, lange, leuchtende Gespinste, und es war gerade, als bildeten sie den Anfang einer neuen Blütenperiode, denn wo sie sich um die roten und gelben Blättchen der Sträucher wickelten, da erschien es an den Zweigen derselben wie neu aufbrechende Knospen! Und wie eigentümlich klingt es zur Herbstzeit im Walde, hört man doch auf weite Entfernung den Schrei eines Raubvogels, den Schall der Axt, den Knall eines Schusses!

Eines Tages fragte Gottfried Erich, ob er auch wohl wisse, was ein Gewehr für ein Ding sei, und als dieser mit einigem Selbstgefühl von den Streifereien erzählte, die er schon als Knabe mit den Söhnen des Försters ausgeführt, da gab ihm der junge Burbus eines seiner vortrefflichen Doppelgewehre in die Hand, auch Schrotbeutel und Pulverhorn, und ließ ihn wie im Exerzitium das Laden auf der Stelle, auch im Vor- und Zurückgehen durchmachen, ebenso wie auf ziemliche Entfernungen nach einem Blatte Papier oder nach einem in die Höhe geworfenen Hute schießen, und erst nachdem er sich von den Anlagen überzeugt, welche der junge Mensch auch für das edle Weidwerk hatte, nahm er ihn mit sich in den Wald hinaus, womit der alte Müller vollkommen einverstanden war, denn er meinte, das Aufsuchen und Ueberlisten des Wildes sei auch ein kleiner Krieg, allerdings mit weniger Gefahr verknüpft wie jener andere, und könne es einem angehenden Artilleristen durchaus nicht schaden, wenn er auch mit dem kleinen Feuergewehr sicher und vertraut sei. Nun wollen wir gerade nicht behaupten, daß Erich viel zur Bereicherung der Jagdbeute beigetragen hätte; auch betrieb er selbst während dem Jagen die Jägerei nur so nebenbei, und ihn ergötzte weit mehr das Hin- und Herziehen durch die Wälder, die prachtvolle Färbung und Beleuchtung derselben, der sonnig klare Herbsthimmel, das Leuchten der Sonnenstrahlen zwischen den gelben und roten Laubmassen und das Glitzern der klaren Bergwasser. Deshalb ging er auch so gern in Gottfrieds Gesellschaft, beim Pirschgang den Schweißhund an der Leine führend, oder mit ihm auf den Anstand bei sinkender Nacht, am liebsten aber beim Grauen des Morgens. Gab es doch auch wohl nichts Schöneres, als das allmähliche Erwachen der Natur im Spätherbste zu beobachten! Allerdings glich dieses Erwachen dem eines ernsten, sorgenvollen Mannes, wogegen man das des Frühlings mit dem ersten raschen Augenaufschlagen eines glücklichen, lebensfrohen Kindes vergleichen könnte, hier unter frischen, grünen Blättern, Blumen und Blüten, unter Amselsang und Lerchenschlag, während im Herbste das Erwachen nach der langen Nacht schwerer, langsamer vor sich geht, nicht ohne Kampf und Not mit den Nebeln, überall aus den Tiefen aufsteigend, jenen tückischen Gesellen, die, selbst wenn sie niedergebändigt werden, ihre Bosheit auszuüben wissen, indem sie von Haar und Bart der alten, grämlichen Baumriesen als schwere Wassertropfen herniederfallen.

Wir stehen auf einer Waldhöhe; rings um uns her schauen wir auf die wellenförmigen, vielfarbigen Laubmassen mächtiger Bäume, zwischen denen dunkle Tannen und Fichten wie tiefe Schatten erscheinen, während blaugrüne Föhren und Kiefern so wohlthuend vermitteln zwischen dem grellen Gelb und dem leuchtenden Rot der Buchen und Eschen. Nicht weit von uns rauscht ein kleines Bergwasser der Niederung zu, das Geräusch unserer schleichenden Schritte verdeckend, während uns dort jene beiden mächtigen Eichen vor den Blicken des heranziehenden Edelwildes sicherstellen. Gehört haben wir es schon längst, als uns das aufdämmernde Tageslicht kaum erlaubte, die Kronen jener hohen Eichen vor uns zu unterscheiden; allerdings sind sie noch halb in Nebel gehüllt, der sich vom Boden empor wie ein aufwallender grauer Schleier durch die mächtigen Äste schlingt; auch hier ist dieser Nebel, vom Morgenwinde bewegt, wie ein kämpfender Riese anzusehen, der den Himmel stürmen will, um das freundliche Sonnenlicht von dort zu verdrängen. Und überall, wohin wir blicken, bemerken wir dergleichen kämpfende Nebelscharen, mit Macht aus den Thälern und Gründen aufwärts strebend, jetzt siegreich erscheinend und alles in dunstiges Grau hüllend, dann wieder zurückweichend vor dem schärferen Windhauche, niedergedrückt von der Gewalt der Sonne, wo dann plötzlich auf allen Seiten die leuchtenden Helmbüsche der kämpfenden Baumriesen sichtbar werden.

Ja, wir hören schon lange das mächtige Schreien eines starken Hirsches, weithin dröhnende, trotzige Laute, kampfbereit und siegesgewiß. Endlich sehen wir ihn noch ziemlich fern von uns aus dem Dickicht hervortreten auf eine rings umschlossene Waldwiese, ruhig sich auf seinem Brunstplatze umschauend, lang gestreckt und mit hoch aufgehobenem Geweih, aus seinem stark gewölbten Halse immer und immer wieder seinen Schlachtruf erschallen lassend, wobei zugleich mit den tiefen Tönen der heiße Atem als eine leichte graue Dunstwolke in die frische, kalte Morgenluft hinausdringt und, von einem günstigen Winde in der Richtung gegen uns getrieben, noch eine Sekunde sichtbar bleibt.

Wie klopft unser Herz, wenn er sich uns nähert, langsam und sicher vorwärts schreitend und nur zuweilen rasch und zornig den Kopf mit dem mächtigen Geweih herumwerfend, wenn es vielleicht ein Beihirsch oder gar ein lustiger Spießer gewagt, sich seitwärts durchs Gebüsch heranschleichend, der ihm anvertrauten Herde zu nahen, die, ruhig äsend, fortzieht! Vielleicht ist auch zuweilen ein kleiner Kampf erfolgt, wo man dann aus weiter Entfernung die dröhnenden Schläge der starken Stangen gegeneinander vernimmt. Doch ist dieser Kampf bald vorüber bei der ungleichen Kraft der beiden edlen Hirsche; der Platzhirsch hat sich schnell eines schwächeren Nebenbuhlers entledigt, und während der Besiegte zurück in das Dickicht flieht, läßt der Sieger ein neues und stärkeres Kampfgeschrei erschallen – armer, sieggekrönter Held, und doch wurdest du betrogen wie manch anderer mit weniger sichtbarem Geweih, denn während jenes heißen Kampfes von vorhin schlich sich jener lustige Spießer heran und naschte verbotene Früchte! Noch immer aber stand der Hirsch nicht schußgerecht vor dem lauernden Jäger, die Entfernung war zu groß, und wenn auch Gottfried seine Büchse erhoben hatte und den Lauf langsam hinabsinken ließ, so wagte er doch den Schuß von hier aus nicht, konnte sich aber nicht enthalten, Erich, der hinter ihm verborgen stand, zuzuflüstern, es wäre ein wahres Unglück, da zu fehlen oder unsicher zu schießen, denn dies sei der stärkste Sechzehnender meilenweit in der Umgegend, alle Jäger kennten ihn.

Dem jungen Manne klopfte das Herz so gewaltig, daß er dessen Schläge zu hören glaubte, vielleicht war es aber auch das taktmäßige Herabtropfen des Nebels über seinem Haupte. Der Schweißhund saß regungslos vor ihm, mit seinen klugen Augen das langsame Vorschreiten des Hirsches betrachtend. Jetzt hatte sich dieser abermals genähert und stand nun da, mit hoch erhobenen Löchern suchend und windend, als finde er doch etwas Verdächtiges in seiner Umgebung. Hätte Erich auch rufen dürfen: »Schießen Sie!« – er hätte keinen Laut hervorgebracht, die Kehle war ihm wie zusammengeschnürt; doch war dies ja auch unnötig, der Lauf der Büchse senkte sich langsam und geräuschlos hinab. Kaum zwei Sekunden blieb Gottfried in festem Anschlage liegen, dann krachte der Schuß, und der Jäger machte, sich rasch unter den Pulverdampf bückend, ein Zeichen mit der Hand und rief: »Triumph, er hat gut gezeichnet!« – Erich hatte geglaubt, der Hirsch müsse im Feuer zusammenbrechen; doch that dieser einen mächtigen Riß vorwärts und brach dann, mit den Hinterläufen ausschlagend und prasselnd, mit zurückgelegtem Geweih in die Büsche, während seine Herde nach allen Richtungen auseinanderstob.

»Er kommt nimmer weit,« rief Gottfried vergnügt, »und alles würde ganz vortrefflich gehen, wenn wir uns nicht zu nahe an der Grenze unseres Jagdreviers befänden! Folgen Sie mir mit dem Hunde so rasch als möglich!«

Erich hatte aber Mühe, dem gewaltig vorwärts strebenden Tiere, obgleich es ihn fast an der Leine mit sich fort zog, nachzukommen. Jetzt hatten sie die Stelle erreicht, wo der Hirsch angeschossen worden war, und hier ließ Gottfried den Hund los, der auch sogleich die Fährte des Hirsches aufnahm und bald darauf durch ein kurzes, scharfes Lautwerden ankündigte, daß er die Schweißspur gefunden habe. Beide eilten dem Hunde nach, so schnell sie konnten, den Hügel hinab, durch das Bett des Bergwassers, dann über eine Waldlichtung aufwärts.

»Welches Glück, diesen Hirsch geschossen zu haben!« sagte der junge Forstmann im Dahinrennen, »und welches Unglück, das es gerade hier sein mußte!«

»Sind wir so nahe an der Grenze?«

»Verflucht nahe! Dort hinter jener Höhe liegt die Schlucht, von der Ihnen der Vater neulich erzählt; wenn er über die nicht hinausgekommen ist, so ist alles gut, finden wir ihn aber sehr weit im anderen Revier...«

»So werden wir ihn doch wohl nicht liegen lassen!« rief Erich, den Jagd und Verfolgung aufs höchste erregt hatten, mit leuchtenden Augen.

»Nicht gern, und wenn alles ruhig bleibt im Walde, wie es den Anschein hat, so kann es uns gelingen, ihn zurückzubringen; das heißt, wir beide allein sind dazu nicht imstande.«

Da lag die Schlucht vor ihnen, doch war weit und breit kein Hirsch zu sehen, auch gab der Schweißhund nicht mehr Laut; wenigstens hörten sie nichts, als sie einen Augenblick stehen blieben.

Das würde mich gerade nicht wunder nehmen,« bemerkte Gottfried; »der Packer ist so vortrefflich dressiert, daß er keinen unnötigen Ton von sich gibt, solange er weiß, daß ich ihm folge. – Doch horch, da haben wir ihn – hören Sie wohl? Ah, ich kann mir denken, wo er ist! Jenseits der Schlucht, dort, zwischen den mächtigen Buchen, die über das niedere Holz emporragen, ist ein See, dahin wird der verwundete Hirsch gegangen sein.«

»Ist es sehr weit von hier?«

»Weit genug für uns, wenn es heute morgen den Seefeldschen Jägern eingefallen ist, gerade dieses Revier abzusuchen; doch glaube ich das kaum, da sie gestern und vorgestern hier waren.« »Aber, nicht wahr, wir lassen den schönen Hirsch unter keiner Bedingung zurück?« fragte Erich dringend.

»Freiwillig allerdings nicht!« erwiderte Gottfried lachend. Dann setzte er jubelnd hinzu: »Sehen Sie, wie recht ich hatte. Dort' schimmert der See, und da haben wir auch unseren Hirsch! Ah, wie begierig Packer sein Blut leckt und mit der Rute wedelt, aber schweigsam wie ein Trappist! O, es ist ein vortrefflicher Hund!«

»Wo, wo? Ich sehe den Hirsch noch gar nicht!«

»Dort neben der einzeln stehenden Birke; sieht allerdings aus wie ein großer Haufen dürrer Blätter.«

»Ah ja, jetzt erkenne ich ihn, weil ich Packer sehe!«

Gottfried hatte den abgeschossenen Lauf seiner Büchse wieder geladen, auch nach seinem Hirschfänger gesehen; doch erwies sich diese Vorsicht als unnötig. Der Hirsch, vortrefflich aufs Blatt geschossen, hatte verendet und lag ausgestreckt da, die starke Stange rückwärts gebogen, ein gewaltig stattliches Tier.

»Bravo, Packer, bravo,« sagte der junge Forstmann, indem er leicht den Kopf des Hundes pätschelte, »so weit wären wir allerdings gekommen mit der Hilfe von Sankt Hubertus, aber was nun weiter?« – Er lauschte in den Wald hinein, der aber feierlich still rings um sie her lag. Man vernahm nichts als den scharfen Schrei eines Habichts und immer noch das Herabtropfen des Nebels auf die dürren Blätter, welche den Boden bedeckten. – »Glücklicherweise ist es noch früh, sieben Uhr. Ich möchte den Hirsch gern bis zu unserer Zurückkunft mit Laub bedecken, fürchte mich aber, Geräusch zu machen.«

»Sie haben doch ein unleugbares Recht auf den Hirsch, den Sie in Ihrem Revier geschossen, wenn er auch erst hier über der Grenze niedergefallen ist.«

»Allerdings würden, mir freundliche und wohlgesinnte Nachbarn dieses Recht ebensowenig bestreiten als ich, ihnen in gleichem Falle; doch leben wir ja in einer harten Fehde mit den Seefeldschen, auf deren Grund und Boden wir uns gerade befinden.« »Und wenn einige von ihren Jägern kämen, ehe wir den Hirsch fortgebracht hätten?«

»So hätten wir erstens nicht mehr nötig, ihn fortzubringen, da sie ihn unfehlbar nehmen; obendrein würden dabei so bissige Redensarten fallen, daß weniger heißes Blut als das meinige dazu gehörte, um dabei ruhig zu bleibe». Wir können nichts thun, als nach Hause zurückkehren und Leute holen, um ihn wegzubringen.«

»Und ihn ganz allein hier liegen lassen?« fragte Erich kopfschüttelnd.

»Ohne alle Gefahr, ein Einzelner, ja zwei, drei tragen ihn nicht fort, und wenn ihrer mehrere kämen, um sich seiner zu bemächtigen, wäre das nur in dem vorhin erwähnten Falle. Wenn wir recht drauf losschreiten, so können wir in einer kleinen Stunde wieder zurück sein.«

»So lassen Sie mich wenigstens hier,« bat der junge Mensch; »es könnten ja auch Wilderer oder sonst Leute kommen, die ihn ruhig liegen ließen, wenn man ihnen den Sachverhalt auseinandersetzt! Oder soll ich für Sie nach der Mühle zurückkehren, denn ich kann mir in der That nicht denken, daß Sie den schönen Hirsch hier ohne Bewachung zurücklassen wollen?«

Gottfried dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: »Es ist am Ende wahr, weshalb soll ich Sie mit nach Hause sprengen und wieder hierher! Noch viel weniger kann ich Sie aber allein zurücksenden, da Sie den nächsten Weg nicht finden würden. Bleiben Sie also. Aber eines müssen Sie mir versprechen: sich nicht auf dieser Stelle hier aufzuhalten, sondern mit mir bis an den Rand der Schlucht nahe bei unserer Grenze zurückzukehren und da zu bleiben. Sie haben dort diesen Platz hier im Auge, und es würde sich doch nur darum handeln können, im schlimmsten Falle zu erfahren, wer den Hirsch gefunden und weggebracht hätte. Enthalten Sie sich aber aller und jeder Einmischung, selbst wenn ein einzelner Seefeldscher Jäger kommen und den Hirsch auf seine Schultern laden sollte!« setzte er lachend hinzu. Damit ließ er Erich am Rande der Schlucht stehen und verschwand, abwärts springend, mit seinem Hunde im Dickicht.

Erich nahm seinen Auftrag von der wichtigsten Seite, schulterte sein Gewehr und spazierte, wie eine Schildwache auf und ab, wobei er von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Jagdbeute warf. »Prächtig wäre es,« dachte er dabei, »wenn sich noch so ein unvorsichtiger Hirsch heranschleichen würde und wir mit zweien nach Hause zurückkämen!« Doch war der Tag schon zu weit vorgeschritten, um noch an so etwas denken zu können. Glänzender Sonnenschein leuchtete schon über dem herbstlichen Walde und man hörte näher und ferner, hier und da etwas vom Geräusche des Tagesverkehrs, das Knarren eines Holzwagens, die Schläge einer Axt. Im übrigen war es ringsumher unter den hohen Bäumen still wie in einer einsamen Kirche, und Erich fühlte sich feierlich von der Idee des Alleinseins angeweht.

Drüben auf der anderen Seite der Schlucht stand der Baum mit dem mächtigen Z T , von dem der Müller Burbus erzählt, frei mitten in einer kleinen Lichtung und zeigte so seine schöne Form und stattliche Größe. Heute aber, wo die prächtige Linde rings um sich her auf den Boden verstreut hatte die farbigen Gewänder ihres heiteren Sommerlebens, erschien sie mit den nackten, gen Himmel emporgestreckten Aesten wie eine trauernde Witwe, alles Schmuckes, alles eitlen Tandes entkleidet – horch, was war das? Regte sich dort nicht etwas hinter ihm, war es ein scheues Wild, ein Hase, ein Fuchs, das durch die dürren Blätter am Boden sprang, vielleicht ein herabfallender dürrer Ast, oder hatte er sich geirrt?

Letzteres war nicht denkbar, denn er hatte das Geräusch zu deutlich gehört, doch war dasselbe wohl aus einer der oben erwähnten unschuldigen Ursachen herzuleiten. Erich blickte scharf und spähend in dem Halbkreise seines Horizontes, der sich von der einen Seite der Schlucht bis zu der andern erstreckte, jeden Gegenstand der Reihe nach an, ob er irgend etwas Verdächtiges zu entdecken imstande sei, doch bemerkte er nichts. Was ihm allein auffallend erschien, war dort der Schatten einer starken Buche, der am Boden einen Anwuchs zeigte, von dem an dem glatten Stamme nichts zu sehen war. Auch schien es ihm, als mache dieser Auswuchs jetzt eine kleine Bewegung – seltsam! Gar zu weit war er von jener Stelle nicht entfernt, und so beschloß er, die Ursache dieses beweglichen Schattens zu erfahren. Er nahm sein Gewehr schußbereit vor sich, die Läufe in die Höhe haltend, und näherte sich jenem Baume, wobei er um diesen herum einen etwas weiten Bogen beschrieb. Schon war er ziemlich nahe, als er bemerkte, daß sich jener Schatten allerdings nun auf eine auffallende Art bewegte, doch hatte er keine Zeit, länger dorthin zu schauen, da etwas Anderes und Ueberraschenderes plötzlich seine Aufmerksamkeit in Ausspruch nahm. Neben dem Baume nämlich löste sich

ein langer, schmaler, dunkler Gegenstand ab, und ehe Erich noch Zeit zu überlegen hatte, blickte er auf nicht zwanzig Schritte Distanz in die Mündungen eines Doppelgewehrs, das in einer höchst verdächtigen Richtung nach seiner Brust angeschlagen war. Zugleich aber schob sich auch ein menschlicher Körper neben der Buche hervor, und eine rauhe, harte Stimme rief ihm entgegen:

»Bürschlein, wenn dir dein Leben lieb ist, so lege augenblicklich dein Gewehr an den Boden! Ich sage eins, zwei, und wenn ich ohne Erfolg weiter zähle, hast du meine Kugel im Hirnkasten!«

Was sollte Erich thun? Statt aller Antwort auf jenen schießen, der sich indessen sehr geschickt durch den dicken Stamm der Buche zu decken verstand? Er würde das nicht gethan haben, auch wenn er überzeugt gewesen wäre, daß er es mit einem Wilderer zu thun hätte. Was gingen ihn Wilddiebe auf der Seefeldschen Jagd an! Ueberdies schien es nur ein Einzelner zu sein, und es konnte nicht lange dauern, bis Gottfried mit den Leuten zurückkam.

Man wird aus diesen Gründen begreiflich finden und es dem jungen Menschen nicht als Feigheit auslegen, daß er sein Gewehr bei Fuß nahm und den Unbekannten aufforderte, hinter seiner Buche hervorzukommen und sich über seine Gewaltthat näher zu erklären. Wir glauben kaum, daß ein alter, gewandter Schütze es in ähnlichem Falle anders gemacht hätte, denn Erich stand förmlich ungedeckt und war im höchsten Grade überrascht, während jener ihn wie ein Stück Wild hatte ruhig herankommen lassen.

Der trat nun auch sogleich hinter der Buche hervor, ein großer, starker Mann, und war kein Wilderer, sondern seinem Aeußern nach, und wie sich auch sogleich herausstellte, einer der Seefeldschen Jäger.

»So, so,« sagte er, den jungen Menschen mit finstern Blicken von oben bis unten messend, »das pirscht so ohne weiteres in unserem Revier herum, vielleicht ohne viel zu erlangen, kann aber doch Schaden genug thun und muß bestraft werden. Gib dein Gewehr ab, Bürschlein!«

»Mit welchem Rechte verlangen Sie mein Gewehr?«

»Zuerst mit dem Rechte des Stärkeren, weil ich dich sonst, ohne einen Schuß zu thun, mit meinem Gewehrkolben niederschlagen würde, und dann auch, weil es als gräflicher Revierförster meine verdammte Schuldigkeit ist, so junge Taugenichtse unschädlich zu machen!«

»Gut,« sagte Erich nach einem bittern Kampfe und nachdem er rasch einen Blick auf die andere Seite der Schlucht geworfen, wo sich indessen noch nichts sehen ließ, »ich gebe der Gewalt nach, die allerdings auf Eurer Seite ist, auch wenn Ihr nicht gräflicher Revierförster wäret. Hier ist mein Gewehr – und was nun weiter?«

»Das wird sich auf dem Schlosse finden, wohin Du mich zu begleiten hast.«

»Ich habe nichts auf Eurem Schlosse zu thun.«

»O, das glaube ich wohl! – Ruhig, Pluto!« rief der Jäger seinem Hunde zu, den er, an einen Riemen gekoppelt, bei sich hatte, indem er den unruhig zur Seite Drängenden heftig zurückriß, »ruhig! Was hat das Vieh?« – Dann wandte er sich wieder gegen Erich: »Man wird aber Euch ersuchen, sich über dieses Herumstreichen auf unserem Reviere auszuweisen.«

»Das ist leicht geschehen; es wird wohl kein so großes Verbrechen sein, wenn man beim Spaziergange Eure Waldungen überschreitet.«

»Bei einem Spaziergange!« lachte der Revierförster höhnisch. »Mit schußbereitem Gewehr und gespanntem Hahn vorwärts schleichend, das nennst du wohl einen Spaziergang! Na, komm nur, das wird sich alles finden – nicht dorthin, Pluto! Möchte doch wissen, was die Bestie auf den See erpicht ist, kann unmöglich durstig sein. Ah, das ist über den Spaß, reißt mich der Hund doch beinahe über den Haufen und windet in der Luft, als wenn es da etwas ganz Absonderliches gäbe! – Vorwärts, Bursche,« rief er Erich zu, »dort in der Richtung des Sees, und wenn du mir Miene machst, nebenaus zu springen, so fliegt dir eine Kugel nach, darauf kannst du dich verlassen, oder Pluto reißt dich nieder, den wir zu aller Vorsicht loslassen wollen!«

Der Hund benutzte aber seine Freiheit augenblicklich in ausgedehntem Maße, indem er mit gewaltigen Sätzen dem kleinen See zueilte und in der Nähe desselben bei dem verendeten Hirsche heftig Laut gab.

»Ah, da haben wir die Bescherung!« sagte der Jäger, mit einem raschen, sicheren Blicke die Wunde des Tieres betrachtend, worauf er seine grauen Augen mit einem Ausdrucke der Ueberraschung, ja des Staunens auf den jungen Menschen richtete und und dann dessen Gewehrläufe betrachtete. – »Habe ich doch einen Augenblick gedacht, das hättest du besorgt; da hat aber eine ganz andere Büchse gearbeitet als das Ding da! Hm,« machte er, plötzlich ernst werdend, wobei er vorsichtig rings um sich her spähte, »sollte diese Büchse wohl noch irgendwo in der Nähe sein?«

»Möglich,« gab Erich trocken zur Antwort und setzte unüberlegt hinzu: »Wäre auch vielleicht imstande, sich ein anderes Ziel auszusuchen, wenn Ihr mich nötigen wollt, mit Euch zu gehen.«

»In des Himmels Namen,« warf der Förster rasch hin, »doch soll dir deine Drohung schlecht bekommen, Bürschlein, darauf kannst du dich verlassen! Aber nun mach', daß du vorwärts kommst, dorthin, jenem Waldwege zu, und so rasch dich deine Beine tragen, wenn du nicht meinen Ladstock verspüren willst!«

– Er warf einen verdrießlichen Blick auf die Gestalt des Sechzehnenders und brummte alsdann seufzend in den Bart: »Der hätte mir ein paar Dukaten eingetragen, wenn ihn der junge gnädige Herr oder einer der Gäste geschossen hätte, und jetzt muß ich ihn so schmählich im Stiche lassen; aber wartet nur, Canaillen!« – Damit schüttelte er seine geballte Faust nach der Richtung der alten Linde hin, auf deren Stamm ein leuchtender Sonnenstrahl gar deutlich das ausdrucksvolle Z T zeigte.


 << zurück weiter >>