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14. Kapitel

Erich wird nächtlicherweise aus dem Gefängnisse geholt und vor seinen Richter gestellt.

Wir halten es hier für unsere Pflicht, sowie wichtig für den folgerichtigen Lauf unserer Erzählung, um einige Stunden zurückzukehren und uns nach Erich umzuschauen, wenn wir auch, der Wahrheit gemäß, dadurch genötigt sind, den Leser aus der so glänzenden und behaglichen Umgebung des gräflichen Speisesaales in ein kaltes, ärmliches, halbdunkles Gemach mit vergitterten Fenstern und einer ganz gewöhnlichen Holzpritsche zu führen, kurz, in ein Gemach, das unseren gewöhnlichen Begriffen von einem Gefängnislokal aufs genaueste entspricht. Hier finden wir auch Erich wieder, und zwar in dem kahlen Gemache, mit grauen Wänden und Steinboden, auf und ab gehend, wobei er hier und da einen Blick hinaufwarf an das oben befindliche Fenster, durch welches er ein kleines Stückchen blauen Himmels sehen konnte, sowie die Aeste eines Baumes mit gelblichen Blättern, die sich zuweilen, vom Winde geschüttelt, hin und her bewegten. Dabei vernahm er öfter das Rauschen dieses Windes, und dann dachte er an die Waldstimmen verschiedenster Art, die er heute morgen an der Seite des jungen Forstmannes vernommen, ehe dieser den starken Hirsch geschossen, und wenn er in diesen Erinnerungen rascher auf und ab ging und seine Schritte so hohl durch den gewölbten Raum klangen, so konnte er sich nicht enthalten, lebhaft an Gottfried zu denken, sowie an die anderen Leute von der Mühle, die gewiß emsig nach ihm den Wald durchstreiften, deren Fußtritte durch das dürre Laub rauschten, deren widerhallende Stimmen seinen Namen riefen. Die Sorge, was der Doktor Burbus und die anderen von seinem plötzlichen Verschwinden mit Gottfrieds Jagdjoppe und Gewehr denken mochten, machte ihm viel mehr zu schaffen als seine eigene Gefangenschaft hier auf dem Schlosse des Grafen Seefeld; denn wenn ihm auch der feine, geschniegelte Herr, zu dem er heute morgen geführt worden war, der Sekretär Renaud nämlich, von seinem Vergehen – wenn es überhaupt ein Vergehen zu nennen war, daß er einen auf diesseitigem Revier angeschossenen Hirsch auf jenseitigem hatte suchen helfen – als von einem schweren Verbrechen gesprochen, so wußte er ja selbst am besten, daß er nicht im entferntesten daran gedacht, einen Jagdfrevel zu begehen, und daß selbst jene Zeit, wo man Wilddiebe gröbster Art auf Hirsche geschmiedet und dergleichen furchtbare Strafen über sie verhängt, längst vorüber war. Nur wenn er an jenen jungen Offizier von den Husaren dachte, jenen Grafen Seefeld, der ihn droben beim Meilensteine mit so gehässigen Blicken betrachtet und der ja ebenfalls hätte anwesend sein können, dann stieg der Gedanke in ihm auf, wie es doch so gar leicht sei, unverschuldet ins Unglück zu kommen; dieser Offizier brauchte ja nur darauf zu bestehen, ihn des Jagdfrevels anzuklagen, und wenn er auch aus einer solchen Anklage frei hervorging, so erschien er doch dadurch in einem Lichte, daß es ihm unmöglich gemacht wurde, in die Militärschule einzutreten – und was dann weiter? Hatte ja doch der Pfarrer Wendler dafür gesorgt, daß seine Schulgehilfencarriere durch einen dicken schwarzen Strich für immer abgeschlossen worden war!

Glücklicherweise grübelt man in der Jugend nicht so tief und schmerzlich nach als in reiferen Jahren. Die Wogen unserer Gemütsstimmung, rasch erregt, ebnen sich wieder mit gleicher Schnelle, und wo wir soeben noch ein wild bewegtes Meer sahen, bereit, unser Lebensschifflein zu verschlingen, da schauen wir im nächsten Augenblicke eine glatte, hoffnungsreiche Fläche, tröstlich beschienen vom Glanze der Sonnenstrahlen, die sich Bahn gebrochen zwischen finster zusammengeballten Wetterwolken.

So erging es auch Erich, und nachdem er stundenlang in dem weiten Gemache hin und her gegangen, hatte er sich so weit beruhigt, daß er die vergangene Zeit vergessen und sich seiner Zukunft in frohen Träumen zuwenden konnte.

Er setzte sich auf die Holzpritsche, dann lehnte er sich darüber hin, wobei er seinen Kopf in die Hand stützte, und dann schlief er vor Ermüdung ein.

Als er nach längerer Zeit wieder erwachte, fuhr er rasch in die Höhe und sprang empor, denn er wußte im ersten Augenblicke nicht, wo er sich befand; war doch alles um ihn her so dunkel, daß er nicht imstande war, den Raum zu erkennen, der ihm zum Aufenthalte diente! Erst als er aufwärts blickend eine zweifelhafte Helle durch das Fenster hoch an der Decke eindringen sah, erkannte er nach und nach seine Umgebung wieder. Ja, er hatte lange geschlafen; doch hatte ihn dieser Schlaf nicht erquickt, oder war es auch wohl das Gefühl von Hunger und Kälte, was ihn in eine weit unbehaglichere, weit unglücklichere Stimmung versetzte?

Was hatte man mit ihm vor? War es doch bereits Abend geworden und niemand kümmerte sich um ihn – absichtlich, oder hatte man ihn vergessen?

Er ging nach der Thür; er wußte, daß dieselbe verschlossen und verriegelt worden war. Er legte das Ohr an das Schlüsselloch. Ein kalter Wind drang ihm durch dasselbe entgegen, doch vernahm er nicht das Geringste, keinen Laut einer menschlichen Stimme. Wenn er die Holzpritsche aufrichten und dann hinaufklettern konnte, so war es ihm vielleicht möglich, durch das Fenster ins Freie zu sehen; das versuchte er, und es gelang ihm. Er hatte dabei auch an die Möglichkeit gedacht, durch das Fenster entfliehen zu können, doch war dasselbe mit dicken eisernen Stangen versehen. Auch war es draußen schon zu dunkel, als daß er hätte viel unterscheiden können. Was er vor sich sah, waren Bäume und Rasenplätze, hinter denen ein sanft ansteigendes Terrain begann, welches aber mit Wald gekrönt sein mußte, denn er bemerkte den helleren Himmel hinter einer bewegten dunklen Linie, die wahrscheinlich von der Krone alter Bäume gebildet war – und auch das hätte er nicht bemerken können ohne einen schwachen Schein am Himmel, mit dem sich der aufsteigende Mond verkündete. Er stieg von der Holzpritsche wieder herab und begann abermals, das Gemach mit seinen Schritten zu durchmessen. Alles, was er außer dem Schalle seiner eigenen Fußtritte hörte, war der tiefe Klang einer Turmuhr, welche Viertel und Halb anschlug und dann nach einiger Zeit die achte Abendstunde.

Ja, es fror ihn, und er lief hastiger auf und ab, um sich zu erwärmen, und wenn ihm dies auch für Augenblicke gelang, so hatte er doch nichts, um seinen Hunger zu beschwichtigen, der auf recht unangenehme Art anfing, sich bei ihm einzustellen. Ja, Frost und Hunger, zwei trostlos geschickte Maler, um uns Gegenwart und Zukunft mit trüben grauen Farben auszumalen! Sein Mut schwand dahin, seine Hoffnung erblaßte, und als er sich jetzt wieder auf die Holzpritsche setzte, kauerte er sich frierend zusammen unter dem schweren Drucke einer recht kummervollen Stimmung.

Wohl horchte er auf, als er jetzt draußen Geräusch vernahm, und die Hoffnung belebte ihn, daß man jetzt kommen werde, um nach ihm zu sehen. Doch zog der Schall zahlreicher Fußtritte vorüber. Dann hörte er das Rollen von Rädern sowie das Schnauben und Schütteln von Pferden; auch flog der Widerschein vom Licht durch das Fenster an der gewölbten Decke des Gemaches rasch dahin, um aber gleich darauf wieder eine scheinbar noch tiefere Finsternis entstehen zu lassen und noch eine unangenehmere Stille, als jetzt das Geräusch der Vorübergehenden draußen aufgehört. Wer konnte das gewesen sein? – Auch wenn er noch droben am Fenster gestanden hätte, wäre er doch der Eisengitter wegen nicht imstande gewesen, das zu unterscheiden. – Neun Uhr. – Dann lief er hastig auf und ab und dachte an das friedliche, angenehme Leben in der Mühle, wo jetzt wahrscheinlich in dem heimlichen Wohnzimmer die Lampe auf dem Tische stand, wo der Müller Burbus mit weiten Schritten auf und ab ging und wo vielleicht die alte Lene irgend eine Vorahnung erzählte, welche sie, das Verschwinden des armen jungen Menschen betreffend, gehabt haben wollte.

Erich konnte freilich nicht wissen, daß das, was er so träumte, der Wahrheit nahe kam, und daß er in seinen Gedanken nur noch Gottfrieds vergessen hatte, der vor dem großen Ofen stand, nachdem er seine Büchse mißmutig in einen Winkel gestellt, und nun seinem Vater erzählte, daß er auf der Waldburg gewesen sei, daß ihm aber dort die Leute des Grafen Seefeld böswillig jede Auskunft verweigert und daß er nur durch Bestechung unter der Hand erfahren konnte, Erich sei von dem Revierförster Ketteler bei dem verendeten Hirsche gefunden und mitgenommen worden. Der alte Müller hatte darauf langsam mit dem Kopfe genickt und befohlen, daß man morgen früh um sechs Uhr für ihn einspannen solle, um auf das Gerichtsamt der benachbarten Stadt zu fahren. – Hätte Erich eine Ahnung davon gehabt, daß die Freunde seine richtige Spur gefunden, so würde er ruhiger, getrösteter gewesen sein; so aber überkam ihn jetzt ein unaussprechlich schmerzliches Gefühl des Verlassenseins, zugleich mit dem traurigen Gedanken, daß er eigentlich niemand auf der Welt habe, der die Verpflichtung in sich fühle, sich um ihn zu bekümmern, und daß er es ja eigentlich dem Müller Burbus sowie auch Gottfried und den anderen nicht übelnehmen konnte, wenn sie den fremden jungen Menschen, der sie ja eigentlich gar nichts anging, seinem Schicksale überließen.

Dabei traten jene Tage so lebhaft vor seine Seele, wo er noch in dem alten Hause bei seinem Vater gewesen war, wo er krank in seinem Bettchen gelegen, wo man ihn so liebevoll gehegt und gepflegt, ihm Märchen erzählt, und wo die alte Base die Decke, unter welcher er sich mit einem angenehm schauernden Gefühle verkrochen, rings um ihn her fest eingesteckt hatte und vor ihm sitzen geblieben war mit einem Stocke in der Hand, um damit, wie sie sagte, die garstigen Träume zu verjagen, sowie das böse Fieber auf den Kopf zu schlagen, wenn es wiederkommen wolle. Damals war sein müder Körper unter einem Gefühle sanften Hin- und Herschwankens in einen erquickenden Schlaf gesunken, wobei es ihm gewesen war, als schaukle er im Nachen auf einer weiten, stillen Seefläche.

Hatte er jetzt wieder geschlummert? Ja, es muhte so gewesen sein, denn er richtete sich rasch empor und öffnete hastig seine Augen, als er, ohne vorher ein Geräusch vernommen zu haben, nun bemerkte, wie heller Lichtschein durch die geöffnete Thür eindrang; dann vernahm er eine Stimme, die ihm zurief:

»Komm einmal einen Augenblick daher, Bürschlein, man will dich sehen! Da, nimm auch deinen Hut mit dir, und wenn ich dir gut raten soll, so sei demütig und gib keine trotzigen Antworten, wie du mir heute morgen gegeben.«

Der also sprach, war der Revierförster Ketteler, und als Erich auf diese barsche Anrede und auch wohl in der ersten Ueberraschung keine Antwort gab, sondern ruhig sitzen blieb, trat er näher und beleuchtete ihn mit der Fackel, die er in der Hand trug.

»Nun, wird's bald?«

»Und wohin soll ich Euch folgen?« fragte Erich nach einer Pause.

»Das wird sich alles finden.«

»Wenn ich aber nicht folgen will?«

»Oho, Bürschlein,« erwiderte der andere mit einem rohen Lachen, »daran habe ich wahrhaftig nicht gedacht, und im Ernste denkst du auch wohl nicht daran, denn du wirst gefunden haben, daß es bei uns mit deinem Willen nicht weit her ist!«

»Allerdings nicht!« rief Erich, aufspringend. »Was kann ich thun gegen die rohe Gewalt, mit der man mich behandelt? Doch wird gegen diese auch noch eine Gerechtigkeit zu finden sein!«

»Suche sie nur recht sorgfältig; ich aber fürchte, du findest sie nicht, wie du wohl glaubst, denn wir sind hier in unserem vollkommenen Rechte, wie man dir wohl beweisen wird. Aber vorwärts, vorwärts, man ist bei uns nicht gewohnt, auf sich warten zu lassen!«

Was konnte Erich thun? Sich trotzig an die Pritsche klammern und sich vielleicht auf diese Art Mißhandlungen aussetzen, zu welchen ihm der Mann, der vor ihm stand, wohl fähig schien? Auch war ihm jede Veränderung in seiner Lage erwünscht, erfuhr er doch jedenfalls, was man mit ihm vorhabe. Er nahm seinen Hut, setzte ihn ruhig auf und folgte dem Jäger.

Dieser hatte den starken Hund von heute morgen bei sich und ließ Erich vorangehen, eine Weile an langen, dunklen Gebäuden vorbei; dann rief er ihm zu, rechts in eine erhellte Pforte einzutreten. Doch war dies nur ein Durchgang, welcher auf einen weiten Raum führte, in dessen Mitte sich eine gotische Kirche befand. Gegenüber dem Portale dieser Kirche erhob sich der mittlere Teil des Schlosses hoch über die Seitenflügel empor, und hier bemerkte man große, breite, hell erleuchtete Fenster. Sie gingen bei der Kirche vorbei dem Schlosse zu und kamen dann in ein hell erleuchtetes Vestibül, wo reich galonierte Diener geschäftig hin und her liefen, glänzende Geschirre in Krystall und Metall sowie leere Flaschen forttragend, während andere silberne Gefäße herbeitrugen und mit denselben in einem anstoßenden Gemache verschwanden, wo Erichs Begleiter demselben einzutreten befahl und wo dieser sich aus der dunklen, stillen Nacht, aus dem kalten Gemache hinweg mit einemmal in eine so feenhafte Umgebung versetzt sah, daß er mit Staunen und Verwunderung um sich herschaute, und wo ihn das noch nie Gesehene auch förmlich geblendet haben würde, selbst wenn es mit seiner letzten Vergangenheit einen minder schroffen Gegensatz gebildet hätte.

Er befand sich in einem hohen, achteckigen Gemache, in dessen Mitte die Wasser eines Springbrunnens, lustig plätschernd, den Glanz von Hunderten von Wachskerzen zurückwarfen, mit denen dieser Raum erfüllt war. Sein Fuß glitt über einen parkettierten Boden, und die warme, angenehme Luft, die hier herrschte, that seinem durchfrorenen Körper unendlich wohl. So reich ihm aber auch dieses Gemach erschien, so war es doch nichts im Vergleiche mit der hohen und weiten strahlenden Halle, in welche Erich durch breite, geöffnete Flügelthüren hineinblickte. Er glaubte zu träumen oder ein Märchen zu erleben – ein Märchen, in welchem sich vor dem armen, verirrten Wanderer plötzlich die Herrlichkeiten der ganzen Feenwelt aufthaten. Gab es wirklich solche Pracht, solchen Glanz, wie das, was sich da vor seinem flimmernden Blicke aufthat?

Ja, es gab dergleichen, denn er träumte nicht und erlebte auch nicht die Wunder des Märchens; alles dies war Wirklichkeit, aber eine prachtvolle Wirklichkeit. Bemerkte er doch unter den Personen, die sich in dem Saale teils zu zwei oder drei auf und ab bewegten oder in Gruppen bei einander standen, militärische Uniformen, wie er sie von früher her wohl kannte und wie er sie neulich noch bei dem Manöver gesehen. Ja, da waren Artillerie- und Kavallerieoffiziere, unter den letzteren auch von jenen roten Husaren, welche die Batterie hatten überfallen wollen; und das allein war ihm unangenehm und drückte ihm das Herz zusammen, nicht die Furcht, jenem übermütigen Offizier wieder begegnen zu müssen, der ihm schon einmal mit körperlicher Mißhandlung gedroht.

Vor all dem Glanze, welcher Erich umgab und den er mit dem höchsten Interesse anschaute, kam er indessen nicht dazu, seinen trüben Träumen weiter nachzuhängen, ja, alles hier erschien ihm so fremdartig und dann wieder so schön, daß es ihm oft vorkam, als sei er, durch den Lichterglanz angezogen, freiwillig aus dem dunklen Walde hierher gekommen, um sich diese Herrlichkeiten einer für ihn noch bisher unbekannten Welt in der Nähe anzuschauen. Doch riß es ihn bald wieder in die rauhe Wirklichkeit zurück.

Unter lautem Lachen und Plaudern näherten sich jetzt einige junge Leute, fast alle Offiziere, der weit geöffneten Flügelthür, und Erich, welcher an der Spitze derselben jenen Offizier erkannte, dem zu begegnen ihm auch in diesem Augenblicke ein fast unerklärliches Gefühl von Haß und Bitterkeit erzeugte, wandte sich rasch, um, hinter den Springbrunnen tretend, vielleicht von jener ausgelassenen Truppe ungesehen zu. bleiben. Umsonst – hier vertrat ihm der Revierförster Ketteler den Weg, indem er mit einer gebieterischen Gebärde auf die Herankommenden zeigte.

»Aha, da haben wir unseren Uebelthäter,« hörte er, abgewendet stehend, ohne umzuschauen, jene Stimme sagen, von der er wußte, wem sie gehörte – »und wendet uns trotzig den Rücken, als wenn er auch hier auf seinem eigenen Grund und Boden stünde. Ja, er versteht es, sich in fremdem Revier zu bewegen, das haben wir heute morgen erfahren. – Nun, wie steht es mit dem Burschen, Revierförster Ketteler, scheint noch nicht im geringsten mürbe geworden zu sein?«

Erich sah, wie jetzt der Angeredete mit einer drohenden Gebärde gegen ihn trat, und da er die Berührung des rohen Menschen fürchtete, so wandte er sich langsam gegen die, welche soeben mit aufeinander gebissenen Lippen und zornglühenden Augen aus der Halle in den Vorsaal getreten waren.

Von diesen stand ihm Graf Dagobert am nächsten, und kaum hatte derselbe seine Züge erblickt, als er, einen halben Schritt zurücktretend, laut ausrief: »Alle Teufel, das ist ja unser Jagdfrevler und der Spion von neulich in einer Person – ein süperber Fang, Ketteler, ich mache Ihm mein Kompliment! – Sehen Sie, meine Herren,« wandte sich der junge Offizier hierauf gegen seine Kameraden, wobei die Röte des Zornes mit der des Weines auf seinem Gesichte einen Augenblick kämpfte, »das ist jener Bursche, von dem ich Ihnen erzählt, der uns am neulichen Manövertage unseren süperben Ueberfall vereitelte. Damals hatte der Vogel allerdings andere Federn; jetzt möchte ich nur wissen, ob wir uns zuerst an den Spion oder an den Jagdfrevler wenden sollen.«

»Ich denke mir,« sagte einer der Dragoneroffiziere lachend, »daß der Spion ältere Rechte hat, auch antipathischer ist für uns alle hier, mit Ausnahme für den seligen Horn, der sich bei seinem Ueberfalle vielleicht auch einen solchen Spion gewünscht hätte.«

»Habe das durchaus nicht gebraucht,« entgegnete der, von dem soeben die Rede war; »hasse alle Spione und habe mich auch ohne solches Gesindel glänzend durchgeschlagen.«

»Bravo, Horn!« rief Dagobert; »denn das thut meinem Herzen wohl. Und nun zu dir,« wandte er sich, einen Schritt vortretend, an Erich. »Wie konntest du dich neulich unterstehen, uns durch dein wüstes Geschrei zu verraten?«

Erich gab keine Antwort und zuckte nur leicht mit den Achseln, wobei er aber seinen Blick fest auf das Gesicht seines erhitzten und aufgeregten Widersachers richtete.

»Das ist ein verstockter Bursche!« meinte einer der anderen Husarenoffiziere, worauf ein schon älterer Rittmeister von den Dragonern begütigend hinzusetzte:

»Gehen Sie über diese Manövergeschichte hinweg, Graf Seefeld – ja, wenn es eine ernstliche Affaire gewesen wäre!«

»Erlauben Sie mir, Herr Rittmeister,« rief Dagobert, »diese Affaire kann zu einer ernstlichen gemacht werden; ich habe diesem Burschen da seine Fuchtel angelobt, und nun soll er eine doppelte Portion haben, da er jetzt obendrein noch als Jagdfrevler in meine Hände gefallen ist.«

»Was das letztere anbelangt,« erwiderte der Rittmeister, sich achselzuckend abwendend, »so müssen Sie am besten wissen, was Sie darin zu thun haben.«

»Und steht er nicht da und glotzt uns mit einer Frechheit an, als hätte er ein Recht dazu?«

»Ha, Bursche,« sagte der selige Horn, »nimm dich zusammen, daß dir nichts Unangenehmes passiert!«

»Ich fürchte nichts Unangenehmes,« brachte Erich mühsam hervor; »ich will aber sehen, wie weit man die Gewalt über mich mißbraucht.«

»Hat man dich nicht mit geladenem Gewehr pirschend in unserem Revier angetroffen?« rief Graf Dagobert durch die aufeinander gebissenen Zähne und dem jungen Menschen so nahe tretend, daß dieser unwillkürlich einen halben Schritt zurückwich. »Hat man nicht, Bursche?«

»Man hat mich allerdings in einem fremden Revier festgehalten, man hat mir auch mein geladenes Gewehr, das ich bei mir hatte, mit Gewalt abgenommen; wer aber sagt, daß ich durch dieses Revier gepirscht, der spricht die Unwahrheit.«

»Ah, Revierförster Ketteler!«

»So wagst du, mich einen Lügner zu nennen?« rief dieser zornig herantretend. »Bist du nicht mit dem Gewehr im Anschlage vorwärts gedrungen? Ja, ich behaupte, Erlaucht, er hat mich hinter der Buche bemerkt und hatte wohl Lust, mir eins aufzubrennen, wenn es ihm nicht an Mut gefehlt hätte!«

»Sagt, was ihr wollt,« rief Erich gegen den Jäger gerichtet und sich umwendend, »ich werde auf alles, dessen man mich beschuldigt, hier keine Antwort mehr geben! Man stelle mich vor ein Gericht, wohin ich gehöre, und dort werde ich mich schon verantworten!«

»Ja, ja, wir kennen den Gang von dergleichen Gerichtsverhandlungen,« rief Graf Dagobert hohnlachend, »und du sollst auch demselben übergeben werden, Bursche, aber nicht eher, als bis ich mein Recht vorher an dir genommen, dann mögen sie ihr Urteil sprechen, wie sie wollen! Deine Fuchteln sollst du bekommen, und aus dem Salz, wofür Ketteler Sorge tragen wird – he, Ihr versteht mich!« wandte er sich gegen diesen mit einem raschen Aufwerfen seines Kopfes, wobei sich sein häßliches, widerwärtiges Gesicht zu einer unangenehmen Grimasse verzog.

Hätte Erich in diesem Augenblicke seine Kaltblütigkeit zu bewahren vermocht und wäre er imstande gewesen, sich stillschweigend abzuwenden, so würde dieser gehässige Auftritt damit wohl sein Ende erreicht haben, obgleich der junge Graf, während er so bezeichnend mit seinem Revierförster sprach, die biegsame Reitpeitsche in seiner Hand unter einem wilden Blicke des Zornes so zusammenbog, als habe er die größte Lust, sein Recht, wie er es nannte, höchstselbst und eigenhändig zu nehmen. Nun gibt es aber Menschen, Gesichter, die imstande sind, einen so ausgesprochenen Widerwillen in uns hervorzurufen, daß wir es nicht vermögen, ihren Angriffen mit ruhiger Ueberlegung entgegenzutreten, sondern daß wir uns durch ein unerklärliches Gefühl des Hasses gezwungen sehen, ihnen selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen die Stirn zu bieten.

So erging es Erich, der sich nicht enthalten konnte, sich rasch gegen den Offizier wendend, zu sagen: »Thun Sie mit mir, was Sie wollen; nur hoffen Sie in jeder Beziehung auf eine einstige Wiedervergeltung!«

»Du drohst auch mir, Bursche,« rief Dagobert wütend, »du drohst mir mit Wiedervergeltung – da, nimm dies, Hund von einem Jagdfrevler, und dann will ich warten, wie du es heimzahlen wirst!«

Er hatte rasch die rechte Hand mit der Reitpeitsche erhoben, doch wich Erich, der bleich vor ihm stand, nicht zurück vor dieser drohenden Gebärde; auch hatten seine blitzenden Augen das Gesicht des Angreifers verlassen und richteten sich rasch auf die Spitze der Peitsche. Dies thun, dann den linken Arm wie sich schützend emporheben sowie sich mit Blitzesschnelligkeit vorwerfen und die Reitpeitsche der Hand des Offiziers entreißen, ehe der verletzende Schlag niederfallen konnte, war das Werk einer Sekunde. Und nun hatten sich mit einemmal die Rollen zwischen den beiden so gänzlich geändert, daß Erich die Reitpeitsche in hoch erhobener Hand hielt, während der andere, zitternd vor Wut, mit der Hand nach der Hüfte fuhr, wo ihm aber der Säbel fehlte.

Doch hätte keiner der Widersacher des jungen Menschen – und das waren sie alle, die um ihn herum standen und jetzt im Begriffe waren, gegen ihn zu stürzen – sagen können, er habe dagestanden mit einer drohenden Gebärde oder Bewegung; vielmehr schien er erschrocken über das, was er gethan, öffnete die Finger seiner rechten Hand und ließ die Reitpeitsche langsam an seinem Arme hinab auf den Fußboden niedergleiten, wobei er mit dumpfer, tiefbewegter Stimme sagte: »Ich lasse mich nicht schlagen!«

Doch stand er dieser Mißhandlung näher, als er vermutet, denn der junge Graf wandte sich zähneknirschend mit der geballten Faust gegen ihn, als eine tiefernste Stimme unter den Offizieren sagte: »Dieser junge Mensch hat eigentlich recht, daß er sich nicht schlagen läßt. Pah, wer wird überhaupt unter diesen Verhältnissen daran denken! Sie gewiß nicht, Graf Seefeld!«

Alle wandten sich rasch um, selbst Dagobert, und wichen zurück, als sie den erkannt, der also sprach.

Es war jener ernste Oberst von der Artillerie, mit dem ruhigen Gesichte und dem schwarzen Barte, der nun mitten unter die Offiziere trat, dann die Hand des jungen Grafen faßte und ihm sagte: »Ihr Herr Onkel ersuchte mich, zu sehen, was hier draußen Ihre laute Fröhlichkeit – so glaubte er – veranlaßt; nun ich das gesehen, ersuche ich Sie dringend, meine Herren, mit mir in die Halle zurückzugehen.«

»Aber, Herr Oberst, Sie wissen noch nicht, um was es sich handelt!«

»O ja, Herr Lieutenant, ich sah und hörte genugsam davon auf dem kleinen Wege dort an der Thür bis hierher. – Und nun darf ich wohl bitten, meine Herren!«

Es gibt eine Art zu bitten, namentlich in militärischen Verhältnissen, welche dasselbe bezweckt wie der strenge Befehl – und sämtliche Anwesende, zu denen der Oberst von der Artillerie gesprochen, folgten diesem schweigend, selbst Dagobert, doch nicht, ohne daß dieser seine Finger krampfhaft zusammenschloß und dem Förster zurief: »Schließen Sie ihn ein bis auf weiteres!«

Was mit Erich in dieser Viertelstunde vorgegangen, war zu überwältigend, zu gewaltsam gewesen, als daß er seine ruhige Fassung sogleich hätte wiedergewinnen können. Wie gern hätte er dem ernsten Offizier seinen heißen Dank ausgedrückt, ja, ihm die Hand geküßt und unter heißen Thränen erzählt, was ihn hierher gebracht und wie man ihn behandelt! Doch hatte ja jener nur das Unpassende des lauten Wortwechsels selbst ins Auge gefaßt; was kümmerte ihn der armselige Gegenstand desselben! – Das fühlte Erich tief und schmerzlich unter den lauten Schlägen seines Herzens und unter leisem, unhörbarem Aufschluchzen. Er konnte sich nicht enthalten, seine Hände für ein paar Sekunden an die Augen zu drücken; ja, als ihn hierauf der Förster unsanft an der Schulter berührte, vermochte er nur, ihm mit flehendem Tone zu sagen: »O, lassen Sie mich, ich will ja ruhig und widerstandslos mit Ihnen gehen, wohin Sie wollen!«

»Das dank' dir der Teufel, Bursch, nachdem du so viel Unheil angerichtet – aber warte nur!«

Dann gingen sie miteinander fort, Erich, ohne auch nur noch einen Blick in die glänzende Halle geworfen zu haben, unter dem Drucke eines tiefschmerzlichen, fast verzweiflungsvollen Gefühles, die Hände krampfhaft ineinander verschlungen, die Blicke auf den Boden gerichtet.

Auch als er wieder draußen im Hofe angekommen, bemerkte er es hier nicht, daß derselbe von lodernden Fackeln erhellt und mit Gestalten in phantastischer Kleidung angefüllt war; ja, verworrene Laute in einer ihm unbekannten Sprache schlugen an sein Ohr wie das ferne Rauschen eines Waldbaches, und andere Töne, die dazwischen kamen, das leichte Rasseln eines Tamburins, sowie schüchterne Accorde einer Guitarre oder Mandoline, schienen ihm gleichbedeutend mit dem Sausen des Windes durch die dürren Aeste der Bäume. Aber es gab etwas anderes, eine leise Berührung, welche imstande war, ihn mit einemmal aus seinen Träumereien zu wecken, die Berührung feiner, warmer Finger mit seiner kalten Hand – eine Berührung, die ihn plötzlich in die jetzt so phantastisch erscheinende Gegenwart zurückwarf. Rasch aufblickend, erkannte er nun die Gestalten, die ihm soeben noch traum- und nebelhaft erschienen waren, hörte auch, deutlich prüfend, angeschlagene Accorde von Saiteninstrumenten, sowie das versuchsweise dazwischenklingende Tamburin in den Händen der Zigeunermädchen – und alles das durch die Berührung der feinen, warmen Hand Blandas, die neben ihm stand, die ihn mit weit geöffneten Augen staunend und fragend anblickte.

O, hätte er nur einen Augenblick Zeit gehabt, ihr oder der herbeigeeilten Esmeralda zu sagen, was mit ihm vorgegangen und weshalb er sich hier befände! Doch trat sein barscher Führer zwischen ihn und die Zigeuner, drängte ihn fort und trieb ihn eilends über den Hof bei der Kirche vorbei, durch den Thorbogen zurück in den finstern, kalten, traurigen Raum, wo er früher gewesen und den Ketteler nun abermals hinter ihm verschloß und verriegelte.


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